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8. Hannes allein in Dar

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Es dauert eine halbe Woche, bevor sich Hannes auf den Weg machen kann. So schnell waren Tickets, deren Preis sich inner­halb des „exakt” beschriebenen Spesen­korridors bewegte, nicht zu bekommen. Am Donnerstag aber steht der Detektiv aus Moshi dann tatsächlich bereits zwei Stun­den nach Sonnen­auf­gang in der prallen Sonne vor dem erst kürzlich eröff­neten Terminal 3 des Julius-Nyerere-Flughafens von Dar es Sa­laam, gelandet mit der Morgenmaschine von Air Tansania auf den „Flügeln des Kilimanjaro” nach kaum sechzig Mi­nu­ten Di­rekt­flug vom Kilmanjaro. Zwar hatte er zuvor seine Tante infor­miert, die ihm versprochen hatte, ihren „per­sönli­chen Chauf­feur” zum Flughafen zu schicken. Honnis Leonardo aber war weit und breit nicht zu sehen.

Hannes war Leonardo bisher noch nie begegnet, sie kannten sich nur vom Handybildschirm. So hatte er von Leonardos Antlitz eher ein kleinteiliges, zerknautschtes Bild. Dessen Statur changierte inHannes Vorstellung zwischen Ma­hatma Gandhi und Danny de Vito. Auf der brandneuen Zu­fahrt vor dem modernsten Airport Ostafrikas konnte er nichts von dem entdecken, was er mit Honnis Freund verband: Kein hübscher Taxifahrer, kein passables Taxi. Stattdessen fällt ihm beim dritten suchenden Rundblick am äußersten Rand des Park­platzes mehrere hundert Meter ent­fernt ein Mann vom Format Muhammed Alis auf, der wie wild mit den Armen winkt und offenkundig ihn und nur Hannes meint. Als der Mann dann auch noch quer über den Platz nach „Hannes!” zu schrei­en scheint, ist das Eis gebrochen.

Richtig hören kann Hannes seinen Namen auf die Entfer­nung zwar nicht, doch das muss Leonardo sein. Einen solchen Schrank als Freund hätte er seiner Tante in seinen kühnsten Träumen zwar gewünscht, aber nie zugetraut. Besser konnte sie niemand in diesem Moloch von Stadt beschützen. Und ihn ru­hig gleich mit.

Wer 1.500 Meter überm Meeresspiegel am Kilimanjaro lebt und aufgewachsen ist, den schockt die feuchte tropische Hitze im äquatorialen Tiefland am Indischen Ozean immer wieder. So hat Hannes, als er nach einigen Minuten endlich den viel zu groß scheinenden Parkplatz überquert hat und Leo­nar­dos „Taxi” erreicht, kaum noch ein trockenes Tuch am Leib. Strahlend und mit weit geöffneten Armen empfängt ihn Honnis Liebster.

Karibu, Hannes! Habari za asubuhi!

Habari yako? Hujambo?

Sijambo!”

„Und wie geht es meiner Tante?”

„Ebenfalls gut, da bin ich mir sicher. Habe sie gerade erst beim Supermarkt abgesetzt ...”

„Und der Familie?”

„Alles wunderbar, danke. Und denen in Moshi?”

„Sind alle gesund. Aber sag: Warum parkt denn der Partner meiner allerliebsten Tante so weit entfernt vom Terminal? Ist deine Rostlaube hier etwa nicht zugelassen?”

„Bitte lass meinen Wagen aus dem Spiel, der fährt, das reicht. Wollte die Gebühren sparen ...” Jetzt erst sieht Hannes die Schranke und den Ticketautomaten, die die Zufahrt zum Gelände sichern.

„Leo – ich darf dich doch so nennen? Ich muss in die Innen­stadt, bin zum Tee mit einem Freund verabredet. Kannst Du mich unten bei der Fähre am Sokoine Drive rauslassen? Wir sehen uns dann heute Abend in Honnis neuer Wohnung, oder?”

Auf der Fahrt in die Stadt hinein staunt Hannes nicht schlecht: Hinter den Häusern zu seiner Linken zieht sich auf giganti­schen Beton-Stelzen die neue Eisen­bahn ins Hinterland, die kilometerweit als Hochbahn aus der Innenstadt hinaus­ge­führt wird und die flachen Vorstädte überragt. Dar es Salaam, diese stetig wuchern­de Metropole mit vielleicht sechs Millionen Bewoh­nern, deren rasantes Wachstum nahezu jede an­de­re Stadt Afrikas in den Schatten stellt, hat sich seit Hannes letztem Besuch vor zwei Jahren weiter neu er­fun­den. Die Sky­line des Central Business Districts ist längst spektaku­lärer als die viel be­rühm­tere im kenianischen Nairobi. Die Türme der beiden kolonialen Kirchen am Wasser sind zwischen den Hoch­häusern der Hotels, Banken, staatlicher Ren­ten­fonds und Versi­che­run­gen kaum mehr auszumachen. Ausufernde ge­tön­te Spie­gel­flä­chen, nie zu­vor gesehene Überführungen, Wol­ken­kratzer, neue Busspu­ren und umbenannte Haltestellen ma­chen Hannes jedes Mal die Orientierung schwer.

Als sie gerade die vielspurige Nelson Mandela Road über­queren, gerät sein Fahrer ins Schwärmen. „Dass die tatsächlich fertig wurden! Auf so einem ,Flighover´ hoch oben über eine Kreu­zung zu fahren, fühlt sich an als wäre ich in New York. Kennst du ,Das fünfte Element’?” „Klar, mit Denzel Washing­ton, oder?”, antwortet Hannes, der es mit US-Spielfilmen nicht so hat. „Quatsch, Bruce Willis und Tiny Lister! Jedenfalls gibt es jetzt end­lich nicht mehr so fürch­terliche Staus wie frü­her. Kann meine Fahrtzeiten fast vorausberechnen!”, berichtet Leonardo. „Für uns Taxifahrer ein echter Segen!”

„Für Leute, die zur Tazara oder zum Flieger wollen, sicher auch”, bestätigt Hannes müde.

Noch ober­halb der Promenade mit ihren roten Flammenbäu­men, in unmittelbarer Nähe zum stark frequentierten Hafen, stockt dem Detektiv beinahe der Atem. In kürzester Zeit ist auf dem Gelände vor der alten, abgewrackten Central Station, wo bei seinem letz­ten Besuch noch Baracken und dutzende Hütten von Squattern standen, der neue Zentralbahn­hof für den Hoch­ge­schwindigkeitszug ins Hinterland hochgezogen worden: ein spaciges, mehrgeschossiges Stations­gebäude unmittelbar hinter der hundert Jahre alten Central Station, des­sen wild­win­kelige blaue Glasfas­sa­de das Trugbild eines gi­gan­ti­schen Edel­steins erzeugt. Die fu­turistische, dem einzigar­tigen Tanzanit hul­digende Architek­tur nötigt dem Provinzler Hannes ein gehöriges „Whow!” ab.

Am Wasser selbst reiht sich Bau­stelle an Baustelle. Als Treff­punkt mit seinem ersten Kontakt­mann, einen Freund aus dem Gesundheitsministerium, hat Han­nes einen der letzten unver­wech­selbaren Orte ausgemacht: das flache, stets von Reisenden belagerte Fährter­minal für die Schiffe nach San­si­bar.

In Gedanken geht der Detektiv seine Termine und die wich­tigs­ten Fragen durch: Kennt jemand auf höherer Ebene dieses Waisen­haus? Wer steckt hinter der Mlakizi-Stiftung? Hat die ir­gend­welche Leichen im Keller?

Am Ende des ersten Recherchetages in der großen Stadt je­doch ist er keinen Schritt vorangekommen. Sein Freund aus dem Ministerium, dessen Haus auch für Frauen, Kinder und Erziehung zuständig ist, hatte nachgeschaut und ihm ver­si­chert, dass rund um Mlakizi nirgends ein Waisenheim re­gis­triert sei, auch kei­ne Stiftung. „Das hat allerdings nichts zu be­deu­ten”, hatte er ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. „Ein Wai­sen­haus aufmachen kann hier jeder wie er will. Hauptsa­che, die Be­trei­ber stellen sich mit den lokalen Behörden gut und hal­ten sich ihren DCDO warm. Dann über­wacht sie nie­mand. Vor Ort weiß sowieso kaum jemand, wer dafür zu­stän­dig ist.”

Danach hatte der Detektiv sich zu Fuß quer durch die Innen­stadt zu weiteren Ministerien aufgemacht. Vorbei an ver­git­ter­ten, vom Art Déco inspirierten Gebäuden der ehemals indischen Händler, die Airtime fürs Handy, Matratzen, Haus­halts­waren oder farben­prächtige Stoffe feilbieten, durch Möbellä­den unter freiem Himmel, deren ausgestellte Sofas den Gehweg versperren, vorbei auch an lockenden Im­biss­bu­den, vor de­nen Plasmafernseher zum Fußballgucken ein­laden, hatte er schließlich bei ei­nem Straßenhändler einen Zucker­rohrsaft und ein paar Jack­frucht-Chips erstanden. Mehrmals war er von jungen Boda­boda-Fahrern angebaggert worden, die sich lässig auf ihren Motorrä­dern fläzten und anboten, ihn um die Ecke zu bringen. Vielen Dank auch. Die feuchtsatte Luft allerdings begann zu ner­ven. Genuss versprechende Düfte gegrillten Flei­schs ver­misch­ten sich mit dem salzigen Geruch des Mee­res, dem Gestank von Ab­ga­sen und ver­brennendem Müll. Dann endlich stand Han­nes wieder in ei­nem klima­tisier­ten Büro.

Bis zum frühen Nachmittag hatte der Detektiv so drei weite­re Regie­rungs­leute abgeklappert, darunter sogar eine Staats­se­kre­tä­rin im be­rüch­tigten Ministerium des Inneren. Über­ra­schen­der­wei­se hat­ten alle ihn freundlich empfangen, aber zu seinen Fragen wusste niemand et­was beizutragen. Selbst der kur­ze An­stands-Bes­uch bei Salmin Koli­mba, dem alten Kumpel seines Vaters und selbsternannten Schie­berboss der gro­ßen Stadt, hat­te nichts gebracht. Mlakizi? War auch ihm kein Be­griff. Sprach das nun für oder ge­gen den Laden? Lebte das Wai­sen­heim et­wa ge­zielt unter dem Radar? Oder war die Stiftung schlicht zu unbe­deu­­tend, um irgendwo gelistet zu werden?

Bevor der Detektiv ergebnislos zu seiner Tante zurückfahren mochte, setzte er sich kurzentschlossen in einen der neuen Schnell­bus­se zum Morocco Bus Stand. Von dort war es mit dem Dala­dala nicht mehr weit zu den Lokalbüros einiger landesweit ope­rie­render NGOs, die vielleicht etwas wissen würden. Drei schaffte er noch. Doch weder beim Kinder­hilfs­werk noch im World-Vision-Büro noch bei der Tumaini Hope Asso­cia­tion hatte man je etwas von einem Waisenheim am Songwe gehört.

Am Abend bespricht der frustrierte Detektiv mit Honorata und Leo­nardo seine weitere Stra­tegie. „Als wenn Waisen in Tan­sa­nia gar nicht vorkommen! Die müssen doch ir­gend­wo er­fasst sein, oder?”, sinniert er vor dem verliebten Pär­chen, bei dem er auf dem Feldbett schla­fen darf.

„Ach Neffe, was weißt du schon?”, wirft Honni ein. „Da streu­nen Hunderttausende von rum im Land, als Stra­ßenkind oder auch betreut von Ge­schwistern, Tan­ten, Onkels, Omas, Opas. Das reicht von totaler Vernach­läs­sigung über Missbrauch bis zum für­sorg­lichen Bemuttern, ist alles mit dabei. Wusstest du, dass über­haupt nur jedes fünfte Neu­ge­borene bei uns regis­triert wird?”

„Du weißt ja wieder mal alles! Danke, Tante. Diese Mlakizi- Stiftung jedenfalls kennt niemand. Wenn ich morgen auch bei den Zei­tun­gen nichts Greifbares erfahre, stehe ich vor Peter­mann mit leeren Händen da. Dann hat der seine 600 Dollar um­sonst ver­bra­ten. Irgendwie komme ich mir da schäbig vor ...”

„Hannes, sei nicht so überanständig! Das hast du ihm doch vorhergesagt. Dann musst du eben genug Geld raus­schla­gen, damit du da runter fahren kannst.” Honni, die gerade einen Haufen Samosas mit Schweinehack und Erbsen füllt und für alle frittiert, ist in ihrem Element. Hannes hatte Tomaten und Bier bei­ge­steuert. „Wer bereit ist, einen Haufen Kohle auszu­ge­ben, nur um zu wissen, ob noch viel mehr Geld in den rich­tigen Händen landet, der setzt auch noch größere Summen ein, um sich sicher zu fühlen.”

Derart kummulative Sätze brachte nur Honni zustande. Doch war das wirklich so? So viel Geld für irgendeine abstrakte Sicherheit? Wie viel mochte den Deutschen eine belastbare Auskunft am Ende tat­säch­lich wert sein? Worum ging es hier wirklich? Hannes be­schli­chen zuneh­mend Zweifel.

Beim Essen holt Honorata ihn zurück in die Gegenwart. „Wir werden hier bald wieder ausziehen!”, verkündet sie ihrem Neffen stolz.

Der spießt die Nachricht gerne auf. „Doch nicht in dieses Ab­sturzhaus, von dem du mir letzte Woche erzählt hast?”

Zum ersten Mal mischt sich jetzt auch Leonardo ein. „Hon­ney hat ihr Apartment unten an der Old Baga­moyo Road ge­winnbringend verkauft. Schade irgendwie, im­mer­hin habe ich sie da kennen und lieben gelernt! Du weißt sicher: Sie ist gut in sol­chen Dingen. Ist natürlich auch gut für uns, sonst würden wir uns diese Bude hier gar nicht leisten können.”

„Hast du dich nicht gewundert,” übernimmt wieder Honni das Gespräch, „in was für einer schmucken Wohnung du bei uns gelandet bist? Für einen Taxifahrer doch viel zu teuer! Diese Zwei­zim­mer-Hütte hier” – mit beiden Händen ausholend um­run­det sie einmal die vollen 40 Quadratmeter – „kostet 700.000 im Mo­nat, stell dir das mal vor! Ist gar nicht übermäßig teuer, aber der Besitzer hat eine Jahresmiete ,Vorschuss´ ver­langt ...”

„Fast zehn Millionen Shilling?” Zufrieden mit sich, dass er die Summe so schnell hat hochrechnen können, fährt Hannes fort: „Die kriegt ihr doch nie zurück ... Habt ihr denn was Bes­seres in Aussicht?”

„Ja,” bestätigt Leonardo, „drei Zimmer, Küche, Bad, in einem solide gebauten Hoch­haus in Kariakoo, super Lage! Mitten im Markt. Mit ´nem eigenem Stück Dachgarten obendrauf! Soll hundert Mille kosten, haben wir fast zusammen. Da käme der Scheiß-Vorschuss natürlich gerade recht.”

Auch Honorata, die Frau vom Fach, ist ärgerlich. „Ich hab’ mich bei ’nem Anwalt erkundigt – aufm Rechtsweg wird es Jahre dauern, bis wir das Geld vielleicht zurückbekommen. Das kann mehr kosten als bringen. Lerne: Lebe lieber nicht zur Mie­te!” Dann aber wechselt sie abrupt das Thema und kommt auf den Grund von Hannes Besuch zurück. „Schade, dass wir die Härtlings, diese Schweinebacken, nicht mehr fra­gen können.”

„Die kriegen eins auf die Zwölf, wenn die mir begegnen, jeder und jede einzeln!”, spuckt Leonardo, eben noch lamm­fromm, dazwischen.

„Was hast du denn gegen die?”, will Hannes wissen.

Honorata ignoriert ihn und legt stattdessen ihrem Leonardo besänftigend die Hand auf den Arm. „Übernimm dich nicht, mein Liebster! Der Sack, dieser Karsten, war garantiert bei ir­gend­ei­ner Spezialeinheit, bevor er Chef von einer so wichtigen Sicher­heitsfirma wurde! Da landest du erst im Hospital und danach im Knast. – Aber du, Hannes, bevor du unverrich­te­ter Dinge zurückfliegst: Frag doch vielleicht auch Ambi! Wo du sowieso zu den Zeitungen willst!”

Dass Körners Geliebte, diese umwerfende Frau aus Ukerewe, die der Detektiv bei seinem letzten Abenteuer mit Petermann am Victoriasee von weitem mehr als bewundert hatte, heute in Dar es Salaam lebte, wusste er zwar, nicht aber, was sie hier trieb. War glatt einen Kopf größer als er, doch wen stört das heutzutage noch?

„Warum ist die denn nicht mit ihrem deutschen Lover in den den Norden ausgewandert? Hätte es da doch viel besser, oder?”

„Quatsch, Neffe! Du würdest doch auch nicht Moshi gegen den Nordpol tauschen! Nicht fürs Geld. Ich bitte dich, eine Tan­sa­nierin flüchtet nicht! Erst recht nicht in den Schoß eines flat­ter­haften Romeos.”

„Da oben wird es auch allmählich wärmer, oder?”, flicht Leo­nardo be­ru­higend ein.

„Wo? In Moshi? Da wird´s höchstens nasser!” Hannes liebt seine Heimat, aber die Erderwärmung, von der alle reden, macht ihm tatsächlich Sorgen. Überschwemmt werden in seiner komfortablen Lehmhütte, die er im trauten Rund der Familie Wabaye bewohnt? Könnte passieren, wenn Glet­scher, Eis und Schnee des Kilimanjaro auf einmal schmelzen. Gigantöse Sturz­bäche in der Re­gen­zeit sind längst die Regel. Und Hannes hat nie schwimmen gelernt.

„Bleibt doch mal bei der Sache, Jungs. Ihr Lover, dieser Kör­ner, hat Ambi verarscht, hat mit ihren Stories Karriere gemacht. Sind aber wohl noch locker in Kontakt, die beiden. Ambi je­denfalls hat´s auch geschafft und arbeitet jetzt für den East African, die Wochenzeitung aus Kenia. Steht da ziemlich unter Druck. Muss dauernd was Besonderes aufreißen.”

Hannes ist angetan. „Gib mir gern mal ihre Nummer, Tant­chen!” So landete Ambi Maregesi auf Hannes Notizzettel für Freitag, den 13. Februar.

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