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12. Unterwegs zu den Tieren

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Draußen ist es noch stockdunkel, doch der Ruf des Muezzins aus der benachbarten Moschee ist längst verhallt. Auch das Krä­hen der Hähne aus den Hinterhöfen des bür­ger­lichen Vier­tels lässt zunehmend nach. Zuhause in Moshi würde dieses all­morgendliche Konzert folgenlos an Hannes Bewusst­sein vorüberziehen. Hier und heute in der frem­den Großstadt sitzt der Detektiv schon seit einigen Minuten aufgeschreckt auf Ambis Traumsofa und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Sie haben einen langen Tag vor sich.

Von der Hausdame noch kein Mucks, so versucht Hannes sich in der Küche selbst am Aufsetzen des morgendlichen Chais. Glücklicherweise steht ein Kessel mit der braunbeigen Flüssig­keit bereits bereit. Er muss nur noch die Herdplatte andre­hen. Auf ei­nen kleinen Teller bugsiert er drei Scheiben Toast, die er schnell mit Erdnussbutter beschmiert und zwei davon so­fort verputzt. Als bester Charmeur Moshis bringt er die verbliebene Stul­le Ambi mit einer Tasse Chai direkt in ihr Zimmer ans Bett.

„Schmuckes Schlafzimmer, Madame!” Kein Aufwachen ohne Erschrecken. Blitzschnell sitzt die Journalistin senkrecht vor ihm.

„Hannes! Bis du wahnsinnig! Ich schlafe nie ohne Messer unterm Kissen!” Auf der abgewandten Seite des Betts schwenkt sie tatsäch­lich ein langes Küchenmesser in der Hand.

Ergriffen tritt der Detektiv zurück. „Sehr gut. Wirklich, sehr wehrhaft, Ambi. Da weiß ich, worauf ich zählen kann.”

Keine zehn Minuten später bollert am Tor ein junger Mann. Zwar nicht in Uniform, aber mit dem firmeneigenen Klemm­brett eines Autovermieters, auf dem er Ambi zwei For­mulare unterschreiben lässt. „Danke, Bobi!”

„Die Vorauszahlung?”

„Moment, muss ich schnell holen.” Hannes, der den Wagen in der Dunkelheit mit der Taschenlampe seines Galaxy auf Beulen und Glas­schäden inspiziert, nimmt von dem materiellen Geschehen an der Haustür nur am Rande Notiz. Er sieht, wie Ambi nochmal kurz nach drinnen verschwindet. Dann kommt sie mit einem Batzen Shil­lin­gen zurück, dick wie zwei Bibeln. „Anderthalb Millio­nen, zähl nach!”, fordert sie ihren Bekannten Bobi auf, der die in Zeh­nerhaufen gestapelten Zehntausender rasch über­fliegt. „Hälfte Kau­tion, Hälfte Miete, wie abgemacht.” Wo hatte sie bloß so viel Geld ver­steckt? Das hat man doch nicht einfach so zuhause rum­lie­gen! Wo die meisten hier noch nicht mal eine einzige der Riesennote zurücklegen geschweige denn wechseln könnten!

„Das Auto ist in Ordnung, Ambi”, berichtet Hannes. „Auch, wenn ich ohne richtiges Licht nicht alles sehen kann ... Tank ist leer.”

Kurz vor Sonnenaufgang sitzt Ambi am Steuer des Suzuki Escudo und drängt zum Aufbruch. Salma steht verschlafen in der Haustür und winkt. „Hannes, hast du meine Tasche eingepackt? Die Hüte? Den Proviant? Was ist mit Wasser?”

„Holen wir an der Puma!”

„Hast du gestern keins gekriegt? Den Aufschlag an der Tan­ke zahlst du!”

Hannes wiegelt ab. „Das Finanzielle klären wir auf der Fahrt. Lass uns los, jetzt!”

Erst bringt er ihr Tee ans Bett, und dann dies! So entschlos­sen hatte Ambi ihren Detektiv noch nicht erlebt. Gute Vorzei­chen für eine erfolgreiche Reise.

Das Auffüllen des Tanks verschlingt die nächsten zehn großen Scheine. Ambi zahlt und kauft noch schnell die ak­tuel­len Zeitun­gen. Ein Sixpack besten Kilimanjaro-Was­sers für 5.000 Shilling geht auf Hannes Konto. „Woher nimmst du ei­gent­lich das ganze Geld?”, fragt er Ambi verwirrt. „Petermann hat doch noch gar nicht gezahlt! Ich ha­b nur noch ein paar Tau­send, werd mir von Honni was leihen müssen. Soll sie mir mit M-Pesa nach Tukuyu schicken ...”

Seine Chauffeurin bleibt cool. „Mach dir mal keine Sorgen, Hannes. Frauen können eben haus­halten, bin fast immer flüs­sig. Ohne Rücklagen kann ich nicht arbeiten, muss dauernd irgendwen bezahlen. Unsere Spesen übernehme ich erst mal, ver­rechnen wir später. Der Deutsche zahlt schon.” Vom Ge­schäft der Journalistin versteht der Detektiv offenbar nicht viel.

„Wie großzügig, Frau Wohltäterin! Aber den Profit stecken wir schon gemeinsam ein, nicht wahr? Schließlich hab’ ich dir den Auftrag verschafft ...”

„Welchen Profit von wessen Auftrag, Hannes? Lass den Hahn im Stall. Erstmal müssen wir vorankommen!”

Kurz darauf biegt sie auf die Hauptstraße nach Westen ein, von tansanischen Straßenbauern großspurig A7 getauft. Tat­säch­lich ist die A7 die nächsten fünfzehn Kilometer bis Kibaha theoretisch breit genug, um jeden liegen gebliebenen Lkw zu überholen. Doch nicht um diese Zeit. Überall wimmelt es vor Menschen, Bussen und Schwerlastern, die die Metropole ins Hinterland verlassen wollen. Dazwischen Pkws, Bajajs, rasende Daladalas, Fußgänger, Bodabodas und Fahrradfahrer.

Die stundenlange Fahrt aus der Stadt hinaus führt sie vorbei an labyrinthartig verzweigten „Neubauvierteln". Dar es Sa­laams ungebremstes Wachstum ist fast nirgendwo geplant. Großspurigen Ideen für Satellitenstädte, die Zigtausende der täglich ins Ge­wimmel ziehenden Neubürger be­her­bergen könnten, geht re­gel­mäßig das Geld aus. So ähnelt nicht nur diese stadtaus­wärts führende Hauptverkehrsachse zunehmend einem geschwollenen Finger, in dessen Umkreis sich immer mehr Men­schen an­siedeln, die verzweifelt nach ihrer Chance suchen. Auf engstem Grund errichten sie einfache Hütten, zwischen denen Kinder an offenen Klo­aken Fangen spielen und die bei jedem größeren Regenfall wegge­schwemmt zu werden drohen.

An einer baufäl­li­gen Hauswand prangt der Slogan „Free edu­ca­tion but nowhere to sleep". „Da hinten hat es kürzlich eine groß­angelegte Räumung gegeben, weil die Stadtverwaltung plötz­lich entdeckt hatte, wie gefährlich die Leute da leben”, erzählt Ambi. „Der Platz in ihrer Schule blieb den Kindern erhal­ten, Er­satz­unterkünfte aber gab’s keine. Dabei lebten man­che von de­nen sogar ganz legal auf ihrem eigenen Land.”

Ambi und Han­nes passieren unzählige klapprige Unter­stän­de von Klein­händlern, dann wieder Fassa­den flacher Ge­schäfts­gebäude, Werk­stätten, Kioske, Reifen­diens­te, Klamot­ten­läden, Möbel­tisch­ler, Schweißer, wieder Werkstätten und so fort. Die Luft steht, Abgase wabern bleiern über den Boden.

Hinter Kibaha wird die A7 für die nächsten 500 Kilo­meter bis Iringa zu einer gewöhnlichen zwei­spurigen Hauptverkehrsstraße mit jederzeit über­raschend auf­tau­chenden Baustellen, weggespültem As­phalt, Eng­stellen und tiefen Schlaglöchern. Während im Hinterland in den letzten Jahren viele erstklassig geteerte Verbindungs­stra­ßen ge­baut wurden und die jahrzehntelang auf Weltrekord­ni­veau ver­har­ren­den Verkehrsopferzahlen drastisch senken hal­fen, könn­te die wichtigste Überlandverbindung des Landes auf weiten Stre­cken dringend ein Face­lift gebrauchen. Ambi und Hannes kom­men nur langsam voran.

Nach fast zwei Stunden, als sie endlich auch die letzten Au­ßenbezirke Dar es Salaams hinter sich gelassen haben, stauen sich am linken Fahrbahnrand kilometerweit die Laster vor der Wiegestation bei Vigwaza. Jeder Lkw muss hier beweisen, dass er seine Maut bezahlt hat und das zulässige Gesamtgewicht nicht überschreitet. Die fast ebenso zahlreichen Überland-Busse hingegen verstopfen die Hauptfahrspur und werden nach kur­zen Kontrollen durchgewunken – eine willkommene Einnah­me­quel­le korrupter Verkehrspolizisten. Pkws wie dem von Ambi droht hier nichts.

„Es gab Zeiten, da wurden wir alle paar Kilometer abkas­siert!”, erregt sich Ambi.

„Hab’ ich auch mal erlebt, im Süden. Als ich hinter Peter­mann her war, zwischen Mtwara und Kilwa, fürchterlich ...”, stimmt Hannes ihr zu. „Zum Glück ist das vorbei, JPM hat Schluss gemacht damit! Oder hast du in letzter Zeit mal an Bullen was bezahlen müssen, Ambi?”

„Nee. Aber ob das nun allein unser gläubiger Präsident bewirkt hat, lassen wir mal dahingestellt. Bestochene Ärsche gibt es immer noch überall genug ... Und ob es so hilfreich ist, dass Über­land­trans­porte nicht mehr so oft kontrolliert werden, halte ich ja eher für fraglich. Hat doch kürzlich erst diesen schrecklichen Vor­fall gegeben mit den fünfzehn erstickten Flüchtlingen im Laster aus Äthio­pien, die nach Südafrika wollten. Der Fahrer konnte ab­hau­en ...”

Seit Minuten schon fahren Sie mitten durch Sisalfelder. Weiter im Süden türmen sich graue Wolkenberge über den Ulu­guru Mountains, die die ersten Güsse der kleinen Regenzeit an­kün­di­gen. „Bald gibt’s Regen!”, freut sich Ambi, da über­quert die Hauptstraße kurz vor Morogoro die brandneue, elek­tri­fi­zier­te Eisenbahnstrecke von Dar es Salaam nach Dodoma. Hier sollen demnächst mit 160 Sachen die ersten „Hoch­geschwin­dig­keits­züge” südlich der Sahara ver­keh­ren. Der gi­ganti­sche Bahn­damm der neuen Stre­cke durchschneidet die Landschaft, soweit sich schau­en lässt. „Wahnsinn, ausge­rechnet bei uns! Eine elek­trische Eisen­bahn!”, jubelt Hannes.

„120 Jahre nach denen in der Schweiz und Italien ...”, kom­mentiert Ambi trocken.

„In Europa gab´s Elektrische schon vor 100 Jahren? Da herrsch­ten hier ja noch die Deutschen!”

„Deren Bummelzüge die neue Bahn nun endlich ersetzen soll. So denn der Strom verlässlich fließt. Einspurig ins nächste Jahrtausend. Sind ja kaum noch 80 Jahre ...”

„Woher weißt du sowas nur?” Ambis Allwissenheit fas­zi­niert Hannes mindestens genauso wie ihr Aussehen.

„Mal was vom Internet gehört? Google, Hannes? Als Journa­listin befasse ich mich viel mit solchen Dingen, nach­ho­lende Entwicklung und so weiter. Angeblich sind wir ja mittlerweile zu einem Middle-Income-Land aufgestiegen und wechseln ge­rade ins Lager der industrialisierten Länder. Siehst du irgendwo was davon?”

„Eher nicht so. Jens hat mir mal Bilder aus Deutschland von der Ruhr und vom Hamburger Hafen geschickt. Da fehlt uns noch einiges, klar.”

Ambi erwidert: „Immerhin haben wir Erdgas, Kohle, Gold, Uran. Klingt doch vielversprechend. Absolut nachhaltig.” Solch ein Sarkasmus ist Han­nes nicht geläufig. Hinter Morogoro hat er erstmals das Steuer übernommen. Gerade hatte er mit über hundert Sachen bergauf zwei Laster hintereinander überholt, um haar­scharf vor dem nächsten links einzuscheren. Er muss sich auf die Straße konzentrieren.

Je weiter sich die beiden von der Küste entfernen, desto fri­scher wird die Luft. Die Straße wird mittlerweile gesäumt von beigen, offenen Savannen mit mittendrin verstreuten Schirm­akazien, meterhohen Termitenhügeln und ausladenden Affenbrotbäumen. Keine hundert Me­ter vor dem recht flott fließenden Verkehr quert plötzlich eine Herde Zebras die Straße.

„Langsam, Hannes!”, warnt Ambi. „Haste das Schild nicht gese­hen? Mikumi! Nationalpark! Tiere haben Vorfahrt!”

„Soll das heißen, da kommen noch mehr?”

„Kann sein. Du sollst hier nicht so rasen. Oder willst du in ´nen Elefanten knallen?”

Wie zum Beweis tauchen hinter den Zebras riesenhaft drei ausgewachsene Giraffenbullen auf. Von keiner Hast getrieben, wechseln auch sie gemächlich die Straßenseite. Hannes, der von der ungewöhnlichen Koexistenz zwischen Überlandverkehr und Naturschutz noch nie etwas gehört hat, ereifert sich: „Eine kontinentale Hauptverkehrsachse mitten in der Wildnis, wo gibt es denn sowas!”

„Na, vielleicht ja auch bald bei dir da oben in der Sere­ngeti!”, be­lehrt ihn seine Mitfahrerin schonungslos.

„Quatsch, man kann doch keine Straße quer durch die Wan­derwege von Millionen Gnus bauen. Niemand will das!”

„Stimmt nicht. Ich wette, sogar einige Massai-Chefs haben sich da längst für erwärmen lassen. Warm entschädigt, versteht sich. Und wenn dein geliebter JPM das in seiner zweiten Amts­zeit wirklich anleiert, gibt´s kein Halten mehr.”

Auf den nächsten fünfzig Kilometern kreuzen etliche Anti­lo­pen, Gnus und Gazellen den Verkehr, einmal erahnt Hannes hinter den Büschen sogar einen echten Elefanten. Am Wegrand trollen Affen herum, die aufmerksam den Verkehr beäu­gen. Gei­er und Kadaver zeugen vom nicht immer gelun­genen Zu­sam­menleben zwischen Natur und Blech. Der Detektiv muss höllisch auf­pas­sen. Ein Zu­sam­menprall kann teuer werden. Für ein einzi­ges dum­mes Huhn, das er vor Jahren mal aus Versehen totge­fah­ren hatte, hatte er der Bäuerin damals 10.000 Shilling zahlen müssen! Im Mikumi-Park warnen Schilder, dass ein totgefahrener Pavian mit über 100 Dollar zu Buche schlage, ein Warzen­schwein koste 500, das Überfahren von Löwen 5.000, angefahre­ne Giraffen oder Ele­fan­ten gar das Dreifache. Ein Unfall würde den Detektiv auf Leb­zeit ruinieren.

Als Hannes den Nationalpark endlich hinter sich hat, folgt am Rand der Udzungwa Mountains bald die nächste Heraus­forderung: Der ewig lange, kurvenreiche Aufstieg auf den ostafri­kanischen Graben und das Iringa-Plateau. Umgestürzte Wracks am Straßenrand erzählen traurige Geschichten. Knietief abfal­lende Kanten an den Seitenstreifen, Leitplanken weit und breit nicht in Sicht, Kriechspuren Mangelware: So kämpfen sich dutzende Lkws vor ihm die rund 1.000 Höhenmeter hinauf, die das Tiefland von der Hochebene trennt – welch ein Tribut an die Schwerkraft! Der Spritverbrauch des Suzukis schnellt in un­bekannte Höhen, vielleicht hätten sie vor dem Aufstieg tan­ken sollen.

„Geht das noch lange so weiter? Dann kommen wir ja nie an!” Hannes wird ungeduldig. Jedem gerade mit aufheu­lendem Motor überholten Laster folgt unmittelbar der nächste, ihre Rei­se­geschwindigkeit sinkt auf kaum mehr zwanzig Stun­den­kilo­meter.

„Die Reise dauert, solange sie dauert. Hast du etwa eine Uhr? Zieh sie einfach ab!” Ambi hatte eine Zeitlang vor sich hingedöst, vielleicht sogar trotz Hannes Fahrstil ein wenig geschlafen. Später hatte sie drei Zeitun­gen überflogen, die am Morgen in Dar erschienen waren. Habe gerade in der Daily News gesehen, dass der Tingatinga den Re­gional Commissioner von Njombe nach Dar einbestellt hat. Soll wohl über die Morde berichten. Den hätte ich mir ja auch gern vorgenommen. Solan­ge der seine Tage am Meer ge­nießt ...”

„Das glaubst auch nur Du! Nix da, genießen! Der Präsident wird den grillen!”

„... solange jedenfalls kann ich mir den Abstecher nach Njo­mbe sparen. Da fahren wir dann auf dem Rückweg vorbei. Viel­leicht tauscht dein famoser Präsident den RC ja auch einfach aus, dann herrscht Ruhe im Karton.”

„Und du hast keinen mehr zum Interviewen. Deine defätisti­sche Staatsferne, meine Liebe, wird dich noch in Teufels Küche bringen!”, zeigt sich Hannes freundlich be­sorgt. Wegen politi­scher Differenzen will er es sich mit seiner derzeitigen Lieb­lings­frau auf keinen Fall verderben.

Die zunehmend grüner und üppiger werdende Landschaft scheint Ambi zu besänftigen. Ab und an lässt sich am Horizont im Norden ein Blick auf die glitzernden Fluten des mächtigen Ruaha River er­ha­schen. Die Hänge sind jetzt überall dicht bepflanzt mit Pinien und Baobabs. An den Straßenrändern häu­fen sich wieder meter­hohe Holzkohlesäcke, ganz so, wie am Morgen bei der Abfahrt aus Dar es Salaam. Ab und zu wandern Paviane mit Affen­babys auf dem Rücken an der Verkehrs­ader entlang.

Liegengebliebene Fahrzeuge zeugen immer wieder von den Herausforderungen, die der ramponierte Zu­stand der viel zu stark befahrenen Fahrbahn an Mensch und Ma­schi­ne stellt. Immer wieder auch bremsen Baustellen die Fahrt. Ki­lo­meter­lang werden dann kaum befahrbare Sandstreifen neben der eigentlichen Trasse zur provisorischen Umleitung. Viele Häu­ser am Weg­rand schmückt ein großes grünes X, das an­zeigt, dass das Ge­bäude vielleicht morgen, vielleicht auch erst in einigen Jahren dem Ausbau der Straße wird weichen müs­sen, Wider­stand zwecklos.

Kurz vor Iringa schlängelt sich die Straße ein weiteres Mal steil hinauf auf jetzt 1.600 Höhenmeter. Je näher Hannes und Ambi der Stadt kommen, desto belebter wird der Straßen­rand – Frau­en, die auf dem Kopf Waren vom Markt nach Hause brin­gen, Mütter mit Schulkindern an der Hand, Babys im Tuch, Män­ner, die Räder mit Holzkohlesäcken schieben. Es ist früher Nach­mittag, endlich wird es kühler. Hannes steuert den Suzuki in eine Hope-Raststätte.

„Ambi, wir müssen tanken! Und ich brauch ein Choo ...”

„Okay, lass uns eine kurze Pause machen. Ich schau mal, ob ich uns was Frisches besorgen kann.” Nachdem sie erneut mehr als 100.000 Shilling für Benzin ausgegeben hat, ersteht Ambi bei einer älteren Händlerin am Rande der Tankstelle eine Kokos­nuss für 500.

Als Hannes die Journalistin mit der Nuss entdeckt, motzt er: „Die ist doch bestimmt vertrocknet, soweit weg von der Küs­te ...”

„Halt mich nicht für blöd, Ndugu Detektiv! Nie! Wenn ich nicht wüsste, woran man eine frische Kokosnuss erkennt, dürf­test du gar nicht neben mir sitzen! Eine schlech­te Kokosnuss scheppert hohl oder gar nicht. Da schlägt das trockene Fleisch gegen die Schale. Kannste nur noch Öl draus pressen. Diese hier allerdings gluckert, wie du hörst, mit sat­tem Ton. Ihr Was­ser schwappt in der Hülle, in der pral­len Sonne würde sie platzen. Mach sie mal auf! Übrigens könnten wir das Wasser auch zum Kochen nehmen. Doch das kannst du bestimmt noch schlechter als einkaufen.”

Nach dieser Lehrstunde setzt sich wieder die Journalistin ans Steuer und folgt nun der A104, der Nord-Süd-Magistrale, die vom kenianischen Nairo­bi über Arusha und Dodoma bis nach Sambia führt. Ab Iringa ist sie glücklicherweise durchgängig neu asphaltiert.

Kurz hinter der Stadt passieren sie ein Hinweis­schild auf ein „Mkwawa-Museum". Das kleine Anwesen wenige Kilometer nördlich der Hauptstraße erinnert an Sultan Mkwa­wa, der En­de des 19. Jahrhunderts von hier aus den Kampf der Wahehe gegen die deutschen Kolonialisten befeh­lig­te, sieben Jahre erbit­terten Wi­der­stand leistete und so zum Nationalhelden wurde. Hauptausstellungsstück des Museums ist sein ver­meint­lich ech­ter Schädel. 7.000 Rupien Kopfgeld hatten die ko­lo­nialen Her­renmenschen auf den „Reichsfeind” aus­gesetzt, eine Sum­me, für die man sich damals eine Farm kaufen konnte. Sie reichte zum Verrat. Bedroht von den eigenen Leu­ten, um­zingelt von anrücken­den deutschen Truppen, beging Mkwawa 1898 Selbstmord.

Sein Leichnam soll von einem deutschen Feldwebel ge­schän­det worden sein, der ihn köpfte. Seinen Vorgesetzten präsen­tierte er danach einen Schä­del und kassierte die Prämie. Ob es sich dabei tat­sächlich um den Kopf des Hehe-Sultans han­delte, ist bis heute unbewiesen. Dessen späterer Weg nach Deutsch­land quer durch die Stätten hiesiger Rassenforschung konnte nie voll­stän­dig rekonstruiert werden. Seine Rückfüh­rung ins verlorene Kolonialgebiet war schon 1919 im Versailler Vertrag verlangt worden. 1953 endlich ließ der Gou­verneur des nun britischen Treuhandgebiets Tanga­nyika ei­nen passenden Kopf aus dem Bremer Übersee-Museum nach Iringa über­füh­ren. Auf dem Höhepunkt des antiko­lonia­len Mau-Mau-Kriegs gegen seine Landsleute in der nördlich gele­ge­nen Kronkolonie Kenia versuchte er sich so der Loyalität der Wahehe im Süden zu versichern.

„Wer besucht solche Museen?”, sinniert Ambi leise vor sich hin, woraufhin auch ihr Beifahrer endlich mal mit ein bisschen Wissen punk­ten kann. „Jedes Schulkind müsste da einmal ge­we­sen sein! Künftige Generationen sollen wissen, dass unsere Vorfah­ren nicht kolonisiert werden wollten! Genau so einen Fall wie den vom geraubten Schädel Mkwawas haben wir auch in Moshi. Auch wir Wachagga hatten einen Chief, der sich gegen die unge­rechten Landforderungen der deutschen Eindringlinge wehr­te. Mangi Meli hieß der, kämpfte zur glei­chen Zeit wie Mkwawa und sogar zwei Jahre länger, bevor er geköpft wurde. Sein Schädel schwirrt bis heute irgendwo in der Weltgeschichte herum, mut­maßlich im Magazin irgendeiner deutschen For­schungs­anstalt. Du weißt: Die Nachfahren finden keine Ruhe, solange seine sterblichen Überreste nicht zuhause beerdigt worden sind.” Erregt fügt Hannes noch hinzu: „Das zerstört die Verbindung zwischen den Generationen! Auch wir brauchen so ein Museum!”

„Was du dir nicht alles wünscht, mein kleiner Mchagga!”, be­lohnt ihn prompt die Journalistin.

Auch in den wärmsten Nachmittagsstunden wird es auf der Hochebene nicht heiß. Die gut ausgebaute Straße zieht sich jetzt auf 1.800 Metern Höhe 150 Kilometer stramm nach Südwes­ten. Zwei Stunden vor Sonnenuntergang erreichen die beiden Ma­ka­mbako, den zentralen Marktort und Verkehrsknoten im Drei­eck Mbeya-Songea-Iringa.

„Hier habe ich mal geschlafen und mich fast tot gefroren”, erzählt Ambi angewidert. „Das Thermometer geht hier nachts gegen Null!”

„Was hast du denn in dieser eisigen Gegend zu tun gehabt?” Hannes interessiert sich heute für nahezu alles, was Ambi so erzählt. Fehlte nur noch „mein Täubchen” am Satzende.

„Damals? Da ging´s um die unfassbar miese Performance der Tazara, diesem Stolz der Nation, unserer anti-kolonialen Ei­sen­bahn, die Sambias Kupfer den Klauen von Ian Smith´s rho­de­si­schen Rassisten entreißen sollte. Guckt man sich die katas­tro­phale Transportleistung an, die diese Bum­mel­bahn seit­her bie­tet, lässt sich wohl nur sagen: Hat nicht ganz ge­klappt.”

„Aber wir haben doch mittlerweile auch bei uns tonnenweise Bodenschätze. Kohle! Holz und Papier! Könnte die Tazara doch alles transportieren!”

„Ach Hannes, schau dir die Topografie mal richtig an. Die paar Minen und Industrien, die hier entstanden sind, Mufindi, Kyela, Ngaka, gar nicht zu reden von Kiwira, dieser seit Jahren brachliegenden Zeche bei Tukuyu, die sich Mkapa untern Nagel gerissen hat: Die liegen doch alle viel zu weit weg von der Bahn. Bis die jemals ans Netz angeschlossen werden, sind die Vorräte längst erschöpft. Bäume gibt es sowieso kaum mehr ...”

„Quatsch, guck dich doch um! Wald allerorten, jeder zweite Laster hat Holz geladen, das muss doch irgendwo her kom­men!”

„Pinien und Eukalyptus, Hannes, schnell wachsende Mono­kulturen, die den Boden auslaugen. Das hält nicht lange ...”

Den Abzweig nach Njombe und Songea im Süden hat Ambi bereits vor Minuten links liegen lassen, mittlerweile schlängelt sich die Straße gen Westen hinab in die Usangu Flats. „Dauernd dieses Rauf und Runter, typisch Tansania!” beschwert sich die Fah­rerin. „Und wir sind noch lange nicht da! Immer noch gut 200 Kilometer bis Kyela! Bald geht die Sonne unter, hoffentlich bleibt die Straße so gut.” Beim langen Aufstieg auf den Ostafri­ka­ni­schen Graben vor Iringa fehlten oft kilometerweit jegliche Fahrbahnmarkierungen, und der Anstieg zum nächsten Gra­ben­bruch vor Mbeya ist nicht weniger steil.

„Kyela muss ein ziemliches Kaff sein. Im Stockdunklen dort anzukommen – was bringt uns das?” Hannes würde viel lieber vorher mit Ambi in einem schmucken Hotel absteigen.

Die Journalistin jedoch ist zielstrebig, schließlich verwaltet sie auch das Budget. „Mal schauen. Je näher wir an Mlakizi ran kom­men, desto besser. Kyela ist der nächste größere Ort, kaum zehn Kilo­meter entfernt. Die Chance, dass die Leute das Wai­sen­heim ken­nen, steigt mit jedem Kilometer. Vielleicht erfahren wir dann schon heute Abend, was da abgeht.”

Um kurz nach sieben, als die Sonne verschwunden ist und der Verkehr vor Mbeya dichter wird, erreichen sie endlich Uyole. Hier zweigt die Landstraße in den Süden zum Lake Mala­wi ab, den die Tansanier Lake Nyasa nennen. Die Strecke bleibt entgegen allen Befürchtungen auch im Dunkeln gut be­fahrbar. Dumm nur, dass Ambi jetzt jeden Moment mit un­ver­mittelt auftauchenden, unbeleuchteten Fahrrädern, Last­kar­ren oder auch Fußgängern rechnen muss. Das verringert die Reisegeschwindigkeit auf der gebirgigen Stra­ße doch ganz erheblich. Und anstrengend ist es auch.

Um halb neun endlich tauchen hinter einer Kurve die ersten Lichter von Tukuyu auf. Rund um den Markt an der Hauptstraße, die den Ort von Nord nach Süd durchzieht, tobt im Schein schwa­cher Lampen und einiger Bratfeuer das pralle Leben.

„Lass uns hier bleiben, Ambi, und was essen. Honni hat mir von einem tollen Hotel erzählt ...” Das war zwar gelo­gen, Han­nes hatte das „Landmark” bei seiner ersten Recher­che in Moshi zufällig entdeckt – angeblich ein ganz passables Re­likt aus den letzten Tagen der Kolonialzeit, renoviert und er­schwing­lich.

„Hannes, nein. Die letzten sechzig Kilometer schaffen wir jetzt auch noch. Um zehn sind wir da.” Dann hält sie den Wa­gen doch kurz an und befiehlt: „Du fährst.”

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