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5. Zwischen Moshi und Dar es Salaam

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„Hey, Honni! Hannes hier!” Seit es WhatsApp, Skype und all das gibt und Hannes sich ein gebrauchtes Galaxy geleistet hat, sind Telefonkosten kein Thema mehr. Das Büro seiner De­tektei, die er in Moshi am Fuße des mächtigen Kilima­njaro be­treibt, hat bis heute weder einen Festnetzan­schluss noch WLAN. Schräg gegenüber aber liegt Yussufs Mountain View Café, das topmäßige Verbindungen garantiert. Einen Chai für 200 Shilling und schon ist er im Netz. Selbst ein stets klammer Pri­vatdetektiv wie er kann sich so einen Tee leisten, Tag und Nacht.

Mit seiner gewichtigen, grundsätzlich mo­disch geklei­deten Tante Honorata Rwebusoya in Dar es Salaam, die alle Welt nur Honni nennt, telefoniert er jede Woche. Schließ­lich fühlt er sich ein bisschen für sie verantwort­lich, ist sie doch um so viele Jah­re jünger als er. Ihre Schwes­ter, drit­te Frau sei­nes Va­ters Kaishe Wabaye, ist seit ei­ni­gen Monaten rechtmäßig dessen einzige Witwe.

Kaishe, Schöpfer wunder­ba­rer Bastkunst­klebewerke, der auf seine alten Tage nicht nur als Künstler, son­dern auch als „anti­ko­lonialer Schmugglerkönig” Anerkennung fand, hatte kurz vor der gro­ßen Regenzeit eine erstklassige Beerdi­gung erhalten. Honora­tio­ren im Dutzend, Familienmitglieder aus aller Welt und halb Moshi waren ordentlich mit Ko­nyagi, fri­schem Mbege, Bia und kräfti­gen Mahl­zeiten versorgt worden. Blasorchester, Flötenspieler, Tromm­ler und Tanzgruppen priesen tagelang Kai­shes langes ehrbares Leben. Glück­licherweise hatten die Gäs­te den Hin­ter­bliebenen des Frei­heits­kämp­fers auch einen gehöri­gen Batzen Geld gespendet. Kon­doliert und zu den Feier­lich­kei­ten seinen Teil beige­steu­ert hat­te auch Kaishes frü­her Kampfgenosse Salmin Koli­mba, der alte Gangs­ter. Ta­ge­lang stand manches still in Moshi. Nur hat­te Han­nes, Kaishes Zweit­ge­borener, von den schönen Gaben nichts be­hal­ten dür­fen, weil selbst­ver­ständlich auch Hono­rata zur Fei­er an­ge­reist war und statt zu trauern umgehend alte Schul­den einge­trie­ben hatte.

Lange war Hannes ihr nicht böse geblieben, nachtragend war er nicht. Es stand außer Zweifel, dass er vom Opti­mis­mus und Geschäftssinn seiner Tante stets mehr profitiert hatte als unter irgend­wel­chen Schulden gelitten. Honni hatte eigentlich immer eine Idee, wie er an Geld kommen konnte. Das war schlicht unbe­zahlbar.

Bei Anliegen von Jens Petermann, wie er seit heute Morgen mal wieder eines auf dem mobile liegen hatte, war geschäfts­mäßig Vor­sicht geboten, das hatte der Detektiv gelernt. Zwei Mal bereits war er mit dem Deutschen quer durchs Land gereist und hatte schwie­rige Fälle gelöst. Beide Male war die Vergü­tung bis zum Tag danach offen geblieben. Der Mann liebte es offenkundig, Einhei­mische nach Gutdünken statt vertraglich zu bezahlen. Da war guter Rat von Honni grundsätzlich angesagt, die sich nach dem dritten Klingeln gemeldet hatte.

„Hannes, kleiner Mchagga, schön dich zu hören! Was gibt's Neues? Wie geht es meiner Schwester? Wie Manhattan, Frau und Kindern?” So de­spek­tierlich auf seine Körpergröße anzuspielen erlaubt Hannes nur seiner jungen Tante. Von Stiefmutter, Bruder, Schwägerin und den drei Nef­fen aller­dings gab es nichts Neues.

„Alle gesund und munter, leben ganz gut von Kaishes Erbe. Hattan ist gerade oben am Park, sucht Kunden. Die Kleinen lernen, wie es sich gehört. Und deinem Lover?”

Vor drei Monaten hatte Honorata ihm gebeichtet, dass sie letz­tes Jahr Leonardo Mabosi aus Machame kennen­ge­lernt ha­be, Dar es Salaams besten Taxifahrer, mit dem sie zu­sam­men­ziehen wolle und eine Wohnung suche. Hörte sich so seriös an wie ein angeblicher Lottogewinn, unfassbar selbstbestimmt. Aber Hannes wünsch­te seiner Tante von Herzen Glück. Schließ­lich war sie zwar von un­beug­samer Schönheit, traditio­nell gebaut und stets fantastisch angezogen, doch schon Anfang dreißig und immer noch nicht ver­heiratet. Nicht, dass sie am Ende noch so ende wie er selbst, der seine Frau fürs Leben bis heute nicht gefunden hat.

„Leo schuftet! Tuckert jeden Tag durch die Stadt, um die Kiste und seinen Laden am Laufen zu halten. Hartes Geschäft. Was er bräuchte, wäre ein echtes Auto, irgendwas Schnittiges, Besonderes. Wir arbei­ten dran.”

„So’n Rolls Royce wie auf den alten Briefmarken?”

„Quatsch, eher einen Beetle oder, noch besser, einen T2!”

„VW-Bus? Viel Glück bei der Suche! Kann länger dauern ... Und? Immer noch kein Kind angesetzt?”

„Hannes! Pfui! Das fragt der Richtige! Natürlich machen wir das irgendwann. Freu´ mich schon. Unbedingt. Aber nicht heu­te.”

Hannes Wabaye war 46 Jahre alt, sozial so manches Mal ein Außenseiter, auch weil er, soviel man wusste, bis heute kinder­los geblieben war. Seine Tante würde dieses Schicksal hoffent­lich nicht ewig teilen. „Was macht denn dein Job?”, fragt er, um Honni auf andere Gedanken zu bringen.

„Wird zunehmend kälter, Khan spinnt. Mach ich ja nur zur Sicherheit ...”

Honorata saß halbtags an der Kasse eines modernen Super­markts für Tiefkühl-, Kühl- und Milchprodukte, den ein indi­scher Magnat in ihrem Stadtteil Mikocheni vor einigen Jahren für die winzige Mittelschicht eröffnet hatte. Le­bens­­mittel, die ohne Kühlkette bei allgemein 30 Grad Außen­tem­peratur in Nullkommanichts verderben würden, galten in der größten Stadt des Landes als luxuriöses Non plus ultra jeder Kuli­narik. Ganz besonders Fischstäbchen und Speiseeis, das einem nicht sofort den Magen verdirbt. „Shrijee hat jetzt auch Softeis im Angebot. Riesige Por­tionen. Jeden zweiten Tag muss ich mir die Beschwerden der Muttis mit ihren Gören an­hören, die Bauchweh haben. Und das zum Mindest­lohn.”

Den Job machte Honorata zwar nicht gern, er si­cher­te ihr aber eine rudimentäre Kranken- und Ren­ten­versiche­rung, ein Min­destmaß an sozialer Sicher­heit. Die anderen Stunden ihres Arbeitslebens verbrachte sie im Internetcafé oder an der Bör­se und spekulierte. Mit kleinen Summen zwar, aber zuneh­mend mit Erfolg. Dank ihrer Ausbil­dung als Buchhalterin und etwas Bakschisch war es ihr gelun­gen, an der DSE – Dars Aktien­markt, der jeden Mittwochvormittag für eine halbe Stunde öff­net – als Freimaklerin der kleinen Finanz­holding Rasimali Ltd. zugelassen zu werden. Waren ihre ersten Gewinne über­schau­bar und unbeachtet geblieben, so lagen die Erträge mittler­wei­le regelmäßig im sieben-, zuweilen gar achtstelligen Shilling-Bereich. Selbst in tan­sa­ni­scher Währung ergab dies wöchentlich einige hundert Dol­lar Provision. Bald würde sie Gefahr laufen, der Finanzauf­sicht oder anderen Mächtigen aufzufallen.

„Und mit Rasimali? Wieder neue Firmen gelistet? Gut per­formt in der Hausse?” Hannes, vor Jahren einmal Bei­nahe-Proku­rist in Moshis Textilfabrik, hatte sich nach deren Pleite in sei­nem ersten selbstständigen Leben als Wirt­schafts­berater ver­sucht. So imitierte er gern Honnis Börsianer-Sprech.

„Ganz nett. Bald haben wir genug zusammen für die Anzah­lung ...”

„Wer ‚wir’? Du und dein Taxifahrer? Für ´ne Wohnung? Ich denk, die stürzen reihenweise ein in Dar!”

„Quatsch, Hannes, du musst lernen, die Zeitung richtig he­rum zu lesen! Ein einziges Hochhaus ist zusammengebrochen, schrecklich viele Tote, stimmt. Hatte aber auch 16 statt der ge­neh­migten zehn Stockwerke. Sowas kauf ich doch nicht!”

„Schön, schön”, beendet Hannes großzügig das familiäre Geplänkel. „Hon­ni, hör mal, ich hab’ heute eine Mail gekriegt. Von diesem Deut­schen, Jens Petermann.”

Prompt war die Tante auf der Spur: „War ja bisher im­mer recht lukrativ, was mit dem anzufangen … Zumin­dest im Nach­hinein. Was will er denn?” Ihr interessierter Ton verunsi­chert ih­ren Neffen auf der Stelle.

„Eigentlich will er nur eine Frage beantwortet haben. Er glaubt, dass ich das von hier aus in Moshi besser könnte als er aus Hamburg. Geht um irgendein Waisenheim im Süden, noch hinter Mbeya ...”

„Was sollst du denn beantworten?”

„Ob die seriös arbeiten da unten.”

„Oh.” Dass Honni ein Dehnwort für eine Denkpause braucht, kommt selten vor. Doch sofort darauf rasselt es bei ihr. „Da geht’s bestimmt um richtig Geld. Vielleicht will so ein rei­cher Mzungu was investieren, ‚social investment’ ist bei den Wazungu schwer in Mode!”

„Was soll das denn bringen? Mit `nem Waisenhaus kannst du doch kein Geld verdienen. Die verlieren doch in jedem Fall ...”

„Ja, aber sie tun was Gutes, das lange wirkt und ihnen ein tolles Image sichert. Das glaubt ih­nen auch ihr Finanzamt. Da gibt’s dann Geld zurück. Auch für Verluste. Und wer was Gu­tes tut, fühlt sich einfach gut. Bes­ser als du dich, Neffe, jeden Morgen beim Aufstehen!”

Wenn Honorata Hannes mit seinem Familienstatus als unter­ge­ord­neter Neffe aufzieht, weiß er, dass sie das Handeln über­nom­men hat. Gewehrt hat er sich dagegen nie. Das Geschäft­liche liegt ihr nun mal im Blut.

„Wer für einen anderen tanzt, wird bezahlt! Lass den Deut­schen mal ein bisschen schmoren. Meld dich erst nächste Wo­che bei ihm zurück, tu so, als wärst du schwer beschäftigt. Dann fragste ihn, wie viel Zeit du denn in die Beantwortung der Frage stecken darfst, schließlich lebst du ja nicht von der Luft und auch nicht gerade um die Ecke von dem Heim und hast deine Zeit nicht gestohlen. Und dann hältst du dich an Petermanns Vor­gabe. Also, du arbeitest keine Minute länger, als er dich be­zahlt.”

„Klasse Tipp. Doch woher weiß ich, was der bereit ist, für mei­ne Zeit zu zahlen? Er kennt ja höchstens alte Tagessätze ...”

„Hey, Neffe, mal Prozentrechnung gehabt? Hast du oder hast du nicht? Ein Tag hat wie viele Stunden? Arbeits­stunden natürlich, wewe mjinga wewe! Wie viele also? Und was kostet dann wohl eine Stunde bei einem Tagessatz von einer Million?”

„Eine Million? Bis du verrückt? Das nehmen vielleicht Wirt­schaftsberater, aber das bin ich ja schon lange nicht mehr. Peter­mann kennt mich, der weiß das. Letztes Mal, als der hier war, hab’ ich mich mit ihm auf 300.000 Shilling geeinigt.”

„Da war der Shilling aber auch noch mehr wert! Und du warst ein unterbeschäftigter Detektiv in einem abgetakelten Pro­vinzkaff! Seitdem ist Moshi täglich gewachsen und du wur­dest berühmt, denk an die Bukoba-Diamanten. Hast das kor­rup­te Arschloch Makaïdi und die Staatssekretärin Okurut zu Fall gebracht! Heute kennt dich jeder hier, oder? Das hebt dei­nen Satz doch ganz erheblich!”

„Honni, eine Million pro Tag, das ist mehr als doppelt so viel wie jede Leh­rerin im Monat verdient!”

„Außerdem wird eh immer alles teurer ...”

Klischees haben Hannes noch nie überzeugt. „Was kriegst du denn bei Shrijee?”

„45.000 die Woche, aber das zählt nicht. Ist ja nur ein Halbtagsjob.”

„Oh, so wenig?” Die eigene Tante in die Ecke treiben, das hatte er nicht gewollt. In Wirklichkeit war er ihr ja dankbar für diese geschäftstüchtige Anhebung seines ökonomischen Selbst­werts. „Okay, also 500.000 pro Tag, 25 $ die Stunde, right?” Hör­bar stolz möchte Hannes das Gespräch hier gern beenden.

Das letzte Wort jedoch gebührt der Tante: „Nimm vierzig, dann weiß er, was er an dir hat! Und schick mir mal rüber, was der Mzungu dir geschrieben hat, dann guck ich mir das in Ruhe an. Ruf bald wieder an!”

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