Читать книгу Der Schatz von Njinjo - Fritz Gleiß - Страница 11

7. Schütte packt

Оглавление

Finn Schütte hat zwei Abende lang seinen Erfolg auf dem Berg gefeiert und Bier getrunken, jetzt reicht es ihm. Moshi ist gut zum Erholen, hübsch grün und voller Blütenpracht – Jacaranda, Bourgainvillea, Feuerlilien –, aber auf Dauer lang­weilig. Eine Kleinstadt an den Ausläufern von Afrikas höchs­tem Berg, von Landflucht und Bevölkerungswachstum demo­graphisch aufgemotzt zur Provinzhauptstadt. Den Deutschen drängt es, endlich aktiv zu werden. In drei Tagen soll sein Freund Jens in Dar es Salaam einfliegen, abgemacht ist, dass Schütte ihn abholt. Spätestens übermorgen muss er also ohne­hin los, der Bus von Moshi an die Küste braucht einen vollen Tag. Sollten sie sich am Julius-Nyerere-Flughafen verfehlen, dem größten „In­ternational Airport“ weit und breit, wo keiner von beiden je ge­wesen ist, haben sie abgemacht, sich am Abend im „Con­tinental“ an der Nkrumah Avenue zu treffen. Die Adresse dieses offenkundig nicht gera­de erstklassigen, dafür aber wochenlang bezahlbaren Hotels am Rand des Stadtkerns hatte Schütte in einem uralten ­linken Reiseführer entdeckt. Eine homepage der Herberge fand er zwar nicht, aber Erwähnungen bei Dutzenden von Inter­net-Hotelanbietern, wo Schütte schließlich sogar reservieren konnte.

Am späten Vormittag bemerkt Sarah beim Bettenmachen, dass ihr deutscher Gast seine Sachen packt. Der hochmoderne „North Face“-Trekkingrucksack steht auf dem Sessel, das oberste Fach aufgeklappt und leer. Daneben lehnen zwei beklebte Pappen, die offensichtlich schwer zu verstauen sind und nach Lösungsmitteln stinken. Gelbe Baststreifen fürs Haus­dach, braune Erdfarbe im Hof, oranges Sonnenrot oben rechts. Sarah kennt Geruch und Farben: Kaishe Wabayes Collagen! Nieman­dem aber nützt es, dass sie nun weiß, dass der mzungu Kunst­liebhaber ist. Viel wichtiger ist, dass sie Hannes über Schuttes bevorstehende Abreise informiert.

Auf dem Spiegeltisch des Deutschen liegt noch etwas Interessantes: zwei Stück Papier, Kopien offenbar, dicht mit der Hand be­schrieben. Die Sprache kennt Sarah nicht, auch die Schreib­schrift ist ihr fremd. Könnte das Deutsch sein? Der Brief, den Schuttes Großvater vor Jahrzehnten schrieb? Was tun damit? Der nächste öffentliche Kopierer, von dem Sarah weiß, steht zwei Kilome­ter entfernt im Stadtzentrum. Viel zu weit weg. Wie lange träumt sie schon von einem dieser modernen mobiles mit Kamera, wie Honorata eins besitzt! Jetzt hätte es sich gelohnt! Zum Abschreiben kann sie die Handschrift nicht gut genug lesen, erst recht nicht in der fremden Sprache. Da steht sie vielleicht vor vieler Rätsel Lö­sung, ohne sie festhalten zu können, unfassbar!

Draußen auf dem Flur klappert es. Kommt Schutte schon zurück? Beim Schnüffeln ertappt zu werden, das ist der Albtraum jedes Zimmermäd­chens! Sarah aber macht auf dumm. Ungerührt blickt sie weiter starr auf das Papier, als der Gast Sekunden später tatsächlich ins Zimmer tritt.

„Good evening, how do you do?“ Schütte ist freundlich wie immer, ganz besonders zu niederen Angestellten.

„Oh, pole, ich sollte hier längst fertig sein“, entschuldigt sich Sarah auf Swahili. Schütte versteht bei „pole“ nur „langsam“, das Doppelwort, das er bei seinem Kilimanjaro-Abenteuer hun­dertmal am Tag vernahm. „Ja, ja, lassen Sie sich ru­hig Zeit.“ Da entsinnt sich Sarah eines Besseren und beginnt schüchtern, den mzungu detektivisch auszufra­gen. Schließlich war ihr gutes Schulenglisch der Grund dafür, dass sie die Stelle als maid im „Key’s“ vor Jahr und Tag bekommen hat.

„Entschuldigen sie, Sir, ich bin an ihrem Spiegel hängenge­blieben. Nein, nicht direkt am Spiegel, sondern an den Foto-kopien, die hier liegen. Normalerweise fasse ich Papiere unserer Gäste ja nicht an, das führt leicht zum Chaos. Aber hier stören die Blätter einfach. Ich kann nicht Staub wischen.“

„Ist schon in Ordnung“, erwidert Schütte konziliant. „Ma­chen Sie ruhig weiter, schieben Sie die Blätter einfach weg.“

„Entschuldigen sie nochmals, Sir, ich weiß, es geht mich überhaupt nichts an, lesen sollte ich hier gar nichts, aber dieses komische Datum da oben rechts hat mich doch innehalten lassen. 1916! Vor fast hundert Jahren! Ages ago! Was ist da bloß passiert?“ Auch Monat, Tag und den Ort davor hatte sich Sarah rasch gemerkt: „Luisenthal“.

„Ach“, erwidert Schütte angeregt, „das ist eine lange Ge­schichte. Meine Großeltern siedelten hier, in ihrem Land, das damals ja Tanganyika hieß und eine Kolonie des deutschen Kai­sers war. Die hofften, hier ihr Glück zu finden. Was sie da vor sich haben, ist die Kopie eines Briefs meines Großva­ters Friedbert Schütte, den er 1916 an einen Freund in Deutschland schrieb.“

„1916? Als die Engländer kamen?“

„Ja, im 1. Weltkrieg. Da waren meine Großeltern schon ein paar Jahre hier. Kurz darauf wurden sie dann vertrieben.“

„Vertrieben? Wohin?“

Finn Schütte wird immer redseliger. „Nach Süden, bis zu einem Hafen, Lindi. Ein paar Wochen später fanden sie dort ein Schiff der Deutschen Ostafrika-Linie, das die Linien der Engländer durchbrochen hatte und sie zurück nach Deutschland brachte.“

„Wo haben ihre Vorfahren denn gesiedelt?“ Sarah erinnert sich, wie wenig Hannes bisher weiß.

Der mzungu antwortet ohne jeden Argwohn. „An einem Fluss bei Kilwa, einer Bezirkshauptstadt.“

„Kilwa Kisiwani? In diesem Ruinendorf auf ´ner Insel, das die Araber vor tausend Jahren bauten? Was haben die Deutschen dort denn gemacht?“

„Ich weiß nicht, ob das dasselbe Kilwa ist. Meine Groß­eltern siedelten jedenfalls, soviel ich weiß, nicht auf einer Insel, sondern im Hinterland. Sie versuchten, Kokosnüsse zu ern­ten, bauten Sisal und Baumwolle an. Aber irgendwie hat das nicht so recht geklappt. Jedenfalls haben sie davon nicht leben können.“

„Wovon denn dann?“

„Wenn ich’s richtig verstanden habe, haben sie auch Handel mit Kolonialwaren betrieben. Da, wo sie siedelten, zogen Karawa­nenhändler durch.“

„Auf wessen Land haben die denn gewohnt?“

„Wessen Land? Na, ich denke es war staatliches, kaiserliches, wie es damals hieß.“ Schütte war irritiert. Seine Vorfahren hatten das Land nicht teuer kaufen müssen, so viel wusste er, aber darüber hatte er nie nachgedacht. Dass ihr Land vielleicht zuvor einen anderen Besitzer hatte, fiel ihm jetzt erst auf. „Vielleicht war es auch einfach Buschland, ich weiß es nicht.“

„Sind ihre Vorfahren denn später, nach Ende des Krieges, wieder zurückgekommen?“

„Nein, nicht, dass ich wüsste. Das hat bis heute niemanden mehr interessiert.“

„Ihre Großeltern hatten aber ein spannendes Leben!“, staunt Sarah, ganz das unbedarfte Zimmermädchen. „Thank you, sir.“

Sie hatte noch weitere Zimmer aufzuräumen. Und Schütte war froh, sich nach Tagen des Schweigens und Beobachtens endlich mal wieder ein kleines bisschen unterhalten zu haben.

Der Schatz von Njinjo

Подняться наверх