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3. Hannes feiert Weihnachten
ОглавлениеMittwoch, 24. Dezember Kaishe Wabaye kam von einem gelungenen Geschäft. 80.000 Shilling hatte er bekommen für zwei seiner Bilder, kaum größer als ein Blatt Papier. Dafür arbeiteten andere einen halben Monat, er schuf am Tag ein knappes Dutzend: Verklärende, romantische Collagen übers Dorfleben im Osten Afrikas auf einem Stück Karton, beklebt mit beschnittenen, vergilbten Stückchen beiger Pappe und Bast, sonnenuntergangsmäßig eingefärbt. Frauen mit Kindern auf dem Rücken vor Rundhütten und Akazien, gänzlich frei von Überraschungen.
Kein schlechter Abend für meinen alten Herrn: Acht große Scheine bar auf die Hand, ganz ohne Gefeilsche, wie verlangt. Vielleicht lag es daran, dass Weihnachten war. Weihnachten zuhause in Moshi, meiner Heimatstadt am Fuß des Kilimanjaro. Zu spät dürfte der Käufer bemerkt haben, wie ewig die Werke meines Vaters nach Lösungsmitteln und billigem Klebstoff stinken. Kaishes kleines Atelier im Hinterhof betreten wir schon lange nicht mehr. Von dem Verkaufserlös aber würde mein Vater ein, zwei Wochen leben können. Und wir, seine Söhne, würden unsere Ruhe haben.
Dass daraus für mich nichts werden sollte, lag am Auftauchen von Manhatten, meinem kleinen Bruder. Hatten, wie ihn hier fast alle nennen, ist zwei Jahre jünger als ich und steht in unserer Familie für Kondition: topfit, drahtig, nicht allzu groß und gut zu Fuß. Die Haarröllchen am Rand seiner Halbglatze allerdings färben sich bereits grau, während meinen Kopf noch immer volles, schwarzes Wuschelhaar ziert, frisch frisiert, wenn ich es mir leisten kann. Auch Haut und Hände meines Bruders – ledrig, faltig – scheinen um Jahre älter als die meinen, die eines Schreibtischmenschen. Dabei ist Hatten mal gerade Mitte dreißig, während ich schon beinah vierzig und noch immer ledig bin. Nein, maniküren lass ich meine Hände nicht, und, ja, Kinder hat nur er.
Hatten ist Bergführer an Afrikas höchstem Berg, dem Kilimanjaro. Er bringt dort reiche Weiße, wazungu, rauf und runter. Das zehrt. Oft ist er wochenlang fort und wartet oben am Parkeingang in Marangu auf einen Auftrag. Von seinem letzten war er heute Nachmittag zurückgekommen und hatte wie Kaishe Geld mit nach Hause gebracht, in diesem Jahr zum elften Mal. Alles über sieben, sagt Hatten, sei ein Geschenk der Götter, die den Berg bewachen.
Mit Hattens Auftauchen kam Leben in die Hütten. Kibo, Shira und Mawenzi, seine drei Jüngsten, drehten vor Freude beinah durch. Die Kids hat er nach den Gipfeln seines Bergs benannt. Kibo, sein letzter, kriegte vor Freude mit fast sechs Kilometern den höchsten ab, ganz nah bei Gott, der bis dahin nicht vergeben war. Seitdem verhütet meine Schwägerin, sagt mein Bruder, um den Allmächtigen nicht herauszufordern. Den flachsten Gipfel, Shira, immerhin noch knapp vier Kilometer hoch, hatten sie für ihre zweite Tochter reserviert. Hattens ältester heißt Meru, der ist viereinhalb Kilometer hoch und achtzig Kilometer weit entfernt, aber nun schon beinahe zehn. Damals traute sich die Familie namentlich noch nicht so nah ran an unseren heiligen Berg. Für meine siebenjährige Patentochter Maundi, Hattens zweites Kind, gab’s immerhin schon einen kleinen Nebenkrater um die Ecke, drei Kilometer über Null. Nur fünf Kinder, so ist das hier: nicht immer logisch.
Mein Bruder hatte Cola mitgebracht, zwei volle Kisten. Krie-gen die Kleinen eine dieser so wunderbar süffig geformten Fla-schen in die Hände, spielen sie unwiderruflich verrückt. Mit leuchtenden Augen lutschen sie blubbernd und sabbernd am weltberühmten Glas, heute bis nach Mitternacht. Trinken dürfen sie den klebrigen, schwarzen Saft nur tröpfchenweise, da ist ihre Mutter vor. Zumindest die Kleinen seien einfach noch zu klein: Shira mit ihren Grinsebäckchen zählt fünf, Kibo und Mawenzi, die ersten Zwillinge in der Familie seit Menschenge-denken, haben schon 33 Monate geschafft.
Dass Cola ungesund ist, halte ich ja für ein Gerücht. Warum soll den Kids das süße Zeug wohl schaden, das die Reichen und Hellhäutigen hier zu jeder Tages- und Nachtzeit in jedem sichtbaren Alter und Zustand trinken? Aber das ist nicht mein Problem.
Die Kleinen tollten sich zwischen den Kalabassen mit Bier bei den Hütten der Frauen im Hof, während die Erzählung des mzee, unseres alten Herrn, am Feuer langsam außer Fahrt geriet. Wie er es geschafft hatte, seine Kunst an diesen einen mzungu, diesen vorgeblich „weißen“ Menschen zu verhökern – ange-sichts von Manhattens Rückkehr interessierte es bald nieman-den mehr wirklich. Und doch unterbrachen wir ihn natürlich nicht und ließen ihn allein zum Ende kommen. Vater wird glücklicherweise nur selten so ausschweifend und ichbezogen wie andere Alte.
Der mzee hatte einen Typen als Käufer getroffen wie lange nicht: der nicht feilschte, nicht zuviel wissen wollte, keine arro-ganten Sprüche klopfte, sondern die Kunst des sonderlichen alten Mannes schlicht akzeptierte. 80.000 tansanische Shilling, fünfzig Dollar, für zwei Erinnerungsstücke, die zu Hause we-gen ihres anhaltenden Gestanks nach Terpentin sicher bald auf dem Speicher landen würden: Wie viel Geld diese Durchreisen-den doch auszugeben imstande sind!
Hatten bewundert den mzee; gegen dessen Autorität jedoch lehnt er sich zuweilen auf. Dann macht er ihn dafür verant-wortlich, dass er sich so schinden muss. Vater hatte ihm nur noch neun statt meiner dreizehn Jahre Schule finanziert; und selbst das war noch ein Privileg. Als Mitte der Achtziger überall auf der Welt die Sozialausgaben zusammengestrichen wurden, explodierten bei uns die gerade erst abgeschafften Schulge-bühren. Trotzdem verdient Hatten seit meiner Entlassung viel verlässlicher Geld als ich.
Anfangs hatte Vater ihm verbieten wollen, sich am Berg zu verdingen. Der Alte hält es für schwachsinnig, lebensgefährlich und gotteslästerlich, hinauf in die luftleere Eiseskälte zu steigen, die die Geister der Ahnen schützt. Waren nicht gerade erst wieder zwei Träger im Sturm da oben umgekommen? Auch kränkt es ihn, wenn sich sein Sohn Touristen anbiedert, die dort im Dutzend tagtäglich ihre Touren machen. Reicht es nicht, dass er als alterndes Oberhaupt der Familie mit Pappbildchen seinen Unterhalt bestreiten muss?
Doch trotz des Verbots stand Hatten eines Tages an der Schranke vor dem Nationalpark-Eingang. Dort warteten wie er zig andere Jungs aus der Umgebung auf wazungu, auf diese Spezies weitgereister Menschen mit rosaroter Haut, die sich, all inclusive, ihren grotesken Lebenstraum verwirklichen wollen und sich quälen, um für irre viel Geld Afrikas höchstem Berg aufs Dach zu steigen. Die das – ausgerüstet mit Daunenschlafsack, Rescue-Packs, Multivitamintabletten und Thermounterwäsche – hochtrabend Selbstfindung nennen, zuweilen gar ummänteln mit karitativem oder Ökoschnickschnack, während Hatten damals noch nicht einmal vernünftiges Schuhwerk geschweige denn eine warme Jacke besaß. Da war er sechzehn.
Er blieb drei Wochen von zu Hause weg, und als er wieder kam, hatte er Frostbeulen an den Füßen, aber die Taschen voller Geld. So jedenfalls sah es für uns Geschwister aus. In Wahrheit hatte er in fünf Tagen Schwerstarbeit zehn Dollar Taschengeld verdient, barfuß in seinen Gummilatschen, als Träger von Rucksäcken schwer wie Bananenstauden mit all den tollen Sa-chen der Touristen, hinaufgeschleppt an den Rand von Afrikas mächtigstem Gletscher, zur letzten Hütte auf 4705 Meter Höhe, wo das Thermometer nachts unter zehn Grad minus fällt. Mein Bruder war halt immer schon ein wenig spinnert – aufmüpfig, aber mit Gespür für Geld.
Während das Weihnachtsfeuer niederbrannte, wurde Kaishes Bericht immer stockender. Der mzee bemerkte die Unruhe seiner Söhne, die sich von seiner Kunst entfernten. Nicht so sehr von seinen verkitschten Dorfcollagen, nein, von eben dieser Kunst, zu Geld zu kommen. Wie er die Bilder an die Leute brachte. Das kannten wir längst zu genüge: Wie er auf fettwanstige Biertrinker zuzugehen weiß, rosarote, gelbe wie auch dunkelbraune, die ihm am Ende ein Almosen geben und seine Bilder unter all den schwitzend nassen Flaschen auf dem Tisch dann glatt vergessen.
Nein, jetzt wollten wir von Hatten hören, wie es zum x-ten Mal gewesen war: Mitten unter Fremden den Kilimanjaro zu bezwingen, ihnen den Weg aufs Dach Afrikas zu zeigen und Geld abzuknöpfen – so viel wie möglich und doch nie genug, um alle Beteiligten zu befriedigen: die Träger, den Koch, die bestochenen Parkangestellten, Zulieferer und alte Rechnungen. Selten nur langte es für die Schulden, geschweige denn für Wünsche. Schinderei für Shillingfuchser: Wie ertrug Hatten das bloß immer wieder? Okay, über die Jahre war er aufgestiegen, vom simplen „Porter“ zum echten Tourguide, der aber auch stets den härtesten Part bis zum Gipfel zu bestreiten hatte, elfhundert Höhenmeter mehr als die meisten seiner Träger. Wie schafft der das, was treibt ihn jedes Mal von neuem hoch ins Eis? Und vor allem: Was hatten ihm seine wazungu dieses Mal als Tipp geschenkt, was freiwillig noch dazugezahlt?
Es war gut ausgegangen, dieses eine Mal. 250 Dollar in Devisen, 300.000 Shilling obendrauf, nirgends mehr Verbindlichkeiten. Doch neben dem Geld trieb Hatten auch der Traum vom großen Glück. Glück wie beim Lottospielen: Einmal das große Los ziehen, den richtigen mzungu führen, Bill Gates, Bono, Clooney oder so, der sich dann lebenslang erkenntlich zeigt. Der so viel Geld und Einfluss hat, dass sich davon anhaltend profitieren lässt. Und dieses Mal zu Weihnachten steckte in Hattens Geschichte tatsächlich ein Tipp, heiß wie ein künftiger Hauptgewinn: Sie wies auf einen grandiosen kolonialen Schatz.