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5. Hannes geht auf Spurensuche

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Lange konnte ich mir die Weihnachtsgeschichte meines Bruders nicht anhören, ohne unruhig zu werden. Hatte der doch tatsächlich einen mzungu eingewickelt, ohne ihm richtig zuzuhören! „Wa­rum hast du nicht genauer nachgefragt, warum nicht ständig eingehakt, verdammt noch mal? Da liegt vielleicht ein Schatz vor deiner Nase, und du merkst das gar nicht! Denkst nur an dich, schwa­dronierst von deinen Blagen, politisierst und agitierst, anstatt die Ohren aufzuhalten!“

„Ein Schatz? Hannes, red doch keinen Unsinn“, wehrt Hat­ten ab. Doch ich beharre drauf: „Immer und immer wieder hätte ich den ausgefragt, als der von seinen Ahnen sprach! Wo haben die gelebt, hä? Wann genau? Wie hießen sie? Und über­haupt: Wie hieß denn dein mzungu eigentlich?“

Das immerhin kann mein Bruder mir verraten. „Finn Schutte, hier schau!“ Der Fremde hatte Manhatten am Ende der Berg­tour seine Visitenkarte überlassen – „Falls sie mal nach Deutsch­land kommen! Mailen Sie!“ –, leider ohne Foto, aber immerhin mit dessen Namen (wo über dem „u“ noch zwei Pünktchen auftau­chen, mit denen ich nichts anfangen kann). Darunter steht „Architekt“, der Name irgendeiner deutschen Stadt, Hambur­ger Straße, eine Mailadresse und viele Nummern für zwei Tele­fone. Auch das mit dem Trinkgeld hatte der Deutsche wohl recht rasch begriffen und aller Lohn verdoppelt. Von seiner Familie allerdings war kaum die Rede. Ein Einzelgänger, typisch weiß.

„Und wo haben die Großeltern dieses Schutte nun gesie­delt?“

„Im Süden, an einem Fluss nahe der Küste.“

„Im ‚Süden’! Weißt du, wie groß der ist? Wo genau? Und was ist aus denen geworden?“

„1916 seien sie vertrieben worden, sagt der mzungu. Wo genau weiß ich nicht. Danach verliert sich ihre Spur, die Großeltern tauchten erst Jahre später wieder in Deutschland auf und sind beide in den Vierzigern verstorben. Keiner aus der Sippe soll später noch mal in Tansania gewesen sein. Genaueres schien der mzungu nicht zu wissen. Enkel und Großvater sind sich nie begegnet.“

Jetzt mischte sich auch Speziosa, Großmutter aller Weihnachts­gäste, ein, die seit Stunden still beim Feuer sitzt. Sie will wissen, wovon die Familie des zugezogenen Deutschen denn gelebt habe, wo doch die Pflanzung nicht den gewünschten Er­trag erbrachte? Ob denn der mzungu – ein ehemaliger Kürschner! Elender Gerber, oder was? – von Landwirtschaft überhaupt einen blas­sen Schimmer gehabt habe? Schnell, um die alte Dame auszubremsen, presche da auch ich mit meiner nächsten Frage vor:

„Ja, wovon hat der die Karawanenhändler denn bezahlt? Und wofür vor allen Dingen?“

„Weiß ich alles nicht“, murrt Hatten, der langsam unwirsch wird.

„Wir wissen also auch nicht, was diese Kolonialisten damals versteckt haben! Das hättest du doch fragen müssen! Wer hat das Versteck denn später ausgehoben? Die Engländer?“

„,Ausgehoben´ ist vielleicht gar nicht das richtige Wort“, fällt Hatten da auf einmal ein. „Ich glaube, der mzungu meinte, es ist mit Schaufeln ausgebuddelt worden. Eben ‚ausgehoben’, wie ein Grab.“

„Nicht geplündert oder geleert!“, triumphiert es prompt aus mir heraus.

„Nein, wahrscheinlich nicht. Da hast du Recht“, stimmt Hatten zu. „Das gibt seiner Geschichte einen etwas anderen Sinn.“

Als meinem Bruder die Antworten ausgehen, fehlen der Weihnachtsnacht nur noch wenige Stunden bis zur Morgenröte. Das Bier, das die Frauen uns in tagelanger Arbeit gebraut hat­ten, geht zur Neige, die Nachtmesse ist auch längst vorbei. Zeit für ein Schlusswort.

„Der mzungu ist gekommen, um uns auszubeuten. Wieder und immer wieder.“ Die Stimme von Speziosa rückt unsere Ge­danken im aufkeimenden Morgen ins rechte Licht. Die letzte Kalabasse liegt flach am Boden. Morgen, am ersten Weihnachts­tag, wird ausgeschlafen, scheinen alle wortlos beschlossen zu haben. Einmal im Jahr können selbst die Hühner warten.

Bevor ich einschlafe, werde ich mir allerdings immer siche­rer: Brüderchen hatte dieses Mal einen ganz besonderen Kunden in der Gruppe. Einen Schatzsucher! Solche Leute gibt es in den Erzählungen der Alten gar nicht. Wer wäre je auf die Idee gekommen, toten Sachen nachzulaufen? Doch diese hellhäuti­gen wazungu, diese direkten Nachkommen des weißen Jesus und unserer kolonialen master, die kommen auf solche aber­witzigen Ideen! Dieser Finn Schutte muss so einer sein, das wird mir klar. Ein Mann, der glaubt, durch tote Sachen reich zu wer­den. Reicher, als jemals wer aus seiner eigenen Familie, indem er sucht und zu finden hofft, was seine Vorfahren vor fast 100 Jahren in meinem Mutterland vergraben haben. Ich schlief un­ruhig, von Eroberern, Schätzen, Gold, Mord und Totschlag träumend.

Klar, dass wir nicht pünktlich aus den Federn kamen. Statt sechs war es neun Uhr swahili time geworden, bevor alle wieder im Hof auf­tauchten. Kaishes Uhr, die die Zeit in Ziffern europäisch an­zeigt, zeigte 15:03, nach Rechnung der wazungu war es also bereits drei Uhr nachmittags. Meine innere Uhr, und eine andere hab ich nicht, richtet sich bis heute stur nach der Sonne: Null Uhr ist, wenn die auf- oder untergeht, dazwischen gibt es zwölf Stunden Licht oder Dunkelheit. Das ist doch viel gesünder, als künstlich Zeiten zu verschieben. So geht das hier seit Men­schengedenken, nie hat sich daran irgendwas geändert.

Beim Festessen am Abend zu Ehren des heiligen Herrn, mit dem man meine Vorfahren vor gut 100 Jahren bekannt machte, reift mein Entschluss. Ich würde Hattens Stargast folgen, ihn unter die Lupe nehmen und seiner Geschichte auf den Grund gehen. Sollte dieser Schutte tatsächlich fündig werden, bin ich dabei.

Ums Feuer toben derweil Manhattens Kids, die kleinen Gip­fel der Umgebung. Angeführt von Meru, dem ältesten, freuen sich die Kinder mit den Erwachsenen am plötzlichen Wohl­stand der Familie. Über die 80.000 Shilling des Großvaters und die mehr­fachen Hunderttausend, die Manhatten mit nach Hau­se brach­te: Weihnachten war für ein paar Tage richtig klasse.

Als ich meinen Bruder für einen Moment allein erwische, brennen mir sofort wieder Fragen unterm Nagel. „Hast du eigentlich den Brief gesehen?“, platzt es aus mir heraus.

„Welchen Brief?“

„Den mit dem Schatz, Herrgott noch mal. Der mzungu hat dir doch daraus vorgelesen, oder?“

„Was hätte ich da sehen sollen? Das war doch alles deutsch“, wehrt Hatten ab.

„Hast du das Papier gesehen, mit eigenen Augen draufge­schaut?“

„Ja. – Was willst du denn? Du nervst!“

„Wie sah es aus? Weiß? Du hast doch so ein fotografisches Gedächtnis!“

„Wahrscheinlich, wie Papier halt ausschaut. War dunkel, wir hatten kaum Licht.“

„Was stand oben rechts?“

„Oben rechts?“

„Ja, da, wo die wazungu Ort und Datum hinschreiben.“

„Warte. – Doch, ich hab das Blatt gesehen, warte. – Irgend­was mit Lui oder so, wie der König ausm Dschungelbuch, und dann Zahlen, dreimal Zahlen.“

„Welche?“

„Abgetrennt durch Punkte, das erinner ich. Aber die Zahlen? Warte – acht Punkt – zehn Punkt – sechzehn. Glaube ich.“

„8.10.16 – gut. Acht für den Monat, zehn für den Tag, sech­zehn fürs Jahr. Es müsste doch rauszukriegen sein, was rund um den zehnten August 1916 geschehen ist. Dann wüssten wir vielleicht, wo die Engländer damals Deutsche vor sich hertrieben. Irgendwo nah bei ,Lui´ irgendwas, wo also die Vorfahren deines mzungu ge­siedelt haben“, resümiere ich.

„Aber warum zum Teufel willst du das wissen?“

„Weil dieser Schutte, lieber Bruder, dein Trinkgeldgeber, ein Schatzsucher ist!“

„Ein Schatzsucher? Du spinnst doch. Was soll das denn für einer sein?“

„Einer, der tote Sachen sucht und Unglück bringt.“ Zum dritten Mal innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden ergriff Großmutter Speziosa düster das Wort.

„Wie die aus den Märchen.“ Hatten bleibt ungerührt.

„Wir werden sehen. Märchen haben schließlich immer ein Happy End“, antworte ich freundlich. Damit ist das Mahl für mich beendet. In Gedanken bin ich längst auf dem Weg nach Süden.

Der Schatz von Njinjo

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