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14. Neujahrsfreuden

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Wilfrem Fundikira ist zufrieden. Makaïdi lässt ihn im Keller des Polizeipräsidiums Asservate sichten. Dort ist es kühler als im Büro oben oder beim Chef selbst, auch wenn der das einzige Büro des ganzen Traktes hat, dessen Klimaanlage meist funktioniert. Nach der Feierei gestern Abend tut die Kühle gut. Fundikira freut sich, dass er sich hier unten erholen kann.

Den hellhäutigen Toten hatten sie am Silvesternachmittag mit dem Leichenwagen vom Hotel zum Restaurant seines Bru­ders gekarrt und dort, nach einer kurzen, kostspieligen Ausein­andersetzung, in der Tiefkühltruhe depo­niert. Danach waren er und Baregu zurück ins „Continental“ gefahren, wo ihr Chef von seinem Sessel aus das Personal ver­nahm. Als seine beiden Assis wieder am Tatort erschienen wa­ren, hatte Makaïdi sich augenblicklich erhoben, die Verneh­mungen abgebrochen und ihnen überlassen und war ver­schwunden. Ihre Fragen hatten sie hernach auf den Besucher konzentriert, den der Tote zuletzt hatte. Es war offenbar der gleiche Mann, mit dem er sich das Zimmer geteilt hatte. Ange­kommen war der vor zwei Tagen, und seit dem Morgen nicht wieder aufgetaucht.

Später hatten sie das Hotelzimmer versiegelt und nur leicht tragbare Sachen mitgenommen, schließlich waren sie zu Fuß. Demnächst würden sie das Zimmer ein zweites Mal inspizieren und die größeren Stücke abholen. Solange bleibt der Raum gesperrt.

Zeter und Mordio schreiend war der Hoteldirektor bei ihrem Rückzug auf sie losgegangen: Die Polizei könne doch nicht einfach Hotelzimmer schließen, wer komme denn für den Miet­ausfall auf? Ein 50.000-Shilling-Zimmer mitten in der Hochsai­son leer stehen lassen, nur weil darin ein mzungu zu Tode ge­kommen ist, das sei schlimmer als jede Sünde! Im Bewusstsein, die Interessen seines Chefs zu vertreten, hatte sich Fundikira ins Fäustchen gelacht, war stur geblieben und wähnte sich rein rechtlich sowieso auf der sicheren Seite. Sollte sich der Hotelboss doch an die Erben des Deutschen wenden!

Im Keller jetzt, beim Sichten von Schuttes Hinterlassenschaft mit­ten zwischen den vielen Resten vergangener Verbrechen, ver­lässt sich Makaïdis bester Mann weniger auf seinen Ver­stand denn auf Intuition. Systematisch, strukturiert zu arbeiten fällt ihm sowieso stets schwer. Der Tote hat sich nass ra­siert, klassisch für Schwule, oder? Beine, Achseln und Scham aber waren haarig, das hatte er gesehen. Auch gab es kaum Parfüm im Zimmer, auch das – wie Wilfrem annimmt – nicht gerade typisch für einen Homosexuellen. Aus einem Kultur­beutel im Bad hatten sie noch ein Päckchen europäischer Kon­dome rausgefischt, unbenutzt, zu klein und eher elegant als stark, die Fundikira gut gebrauchen kann und so dezent ver­schwinden lässt. Die Medikamentenliste ist vollständig, wie von wazungu gewohnt: Zwei verschiedene Anti-Malaria-Mittel, beide so brandneu und teuer, dass der Polizist sie bislang nur vom Hörensagen kennt, Dutzende Pillen gegen Reisekrank­heiten und Durchfall, Jod- und andere Salben, ein Töpfchen Vaseline – zum Vögeln? –, Sonnenschutzcreme sowie zwei Spezialmittel, deren Wirkung Fundikira noch ermitteln muss. Nirgends ein Impfpass.

Im Gepäck des Toten gibt’s auffällig viel beschriebenes Papier, einige Kopien, ein teures Diktiergerät – das auf der Asservatenliste von nun an fehlen wird –, ein einfaches mo­bile, codiert und somit wertlos, mehrere Bücher, vermutlich Reiseführer („Tanzania – Ein Reisehandbuch“, EXpress edition, und einige andere mehr, die Fundikira peinlich genau asserviert), eine Handvoll Karten und Dutzende von Kugelschrei­bern. Zuviel für gewöhnliche Touristen, findet Fundikira, der drei für sich einsteckt. Was wollte der mzungu hier?

Papiere, die dessen Identität betreffen, fehlen nach wie vor: Kein Pass, nirgends das Doppel seiner Einreiseerklärung, we­der Kreditkarten noch Schecks. Nichts, außer des nie wieder zu erwähnenden Hundert-Euro-Scheins unter der Einlegesohle in einem der Schuhe des Toten. „Dort darfst du nie vergessen nachzuschauen!“, hatte Wilfrem ein pensionierter Kollege emp­fohlen, der noch unter den Briten diente. „Das lohnt sich!“

Nach der Einreise-Erklärung lässt Fundikira derzeit seinen niederrangigen Kollegen Baregu auf dem Flughafen forschen. Was aber, wenn dieser Schutte gar nicht über Dar es Salaam eingereist ist, wie so viele? Wenn er aus Kenya oder von den Inseln kam? Im Anmeldebuch des Hotels steht, er sei zuvor in Moshi gewesen. Gefunden hatten sie in dessen Gepäck ja auch diese Urkunde der Tanzania National Parks, die belegt, dass der Mann noch vor zehn Tagen „has successfully climbed Mount Kilimanjaro, the highest in Africa, right to the Summit – Uhuru Peak – 5895 m“. Vielleicht sollte er seine Kol­legen dort oben bitten, den Bergführer, der das Papier unterzeichnete, einen Manhatten Wabaye, ausfindig zu machen und über den mzungu auszufragen.

Und wenn der Deutsche am Ende gar nicht Schutte heißt? Über dem „U“ im Namen tanzt überall ein seltsames Kritzel. Fundikira hat aus alter Gewohnheit ein Telex an die Flughafen­polizei des Kilimanjaro-Airports geschickt, Tansanias Nummer Zwei unter den zwei internationalen Flughäfen des Landes, das dieses Kritzel natürlich nicht enthält. Ein Fax wäre wohl besser gewesen, da hätte er was draufmalen können. Am Kia, dem „Gateway to Africa’s Wildlife Heritage“ zwischen Kilimanjaro und Serengeti fünfzig Kilometer westlich von Moshi, kom­men zwar nur wenige Touristen an, aber wenn Schutte darun­ter war, könnte es gut sein, dass sich auf den gespeicherten Bil­dern der Überwachungskameras von dort nicht nur er, sondern auch sein Begleiter finden lässt. In den Norden Tansanias reisen die meisten Touristen allerdings auf dem Landweg ein, aus Kenyas Hauptstadt Nairobi kommend über Namanga, und be­vor Durchschläge passender Einreiseerklärungen von der dor­tigen Grenzstation Dar es Salaam erreichen, vergehen glatt zwei Regenzeiten. An dieser Grenze, wo Funk und Fern­schrei­ber bis heute erfolgreich Telefon, Fax und dem Internet trotzen, kennt Fundikira niemanden. Sonst könnte es schneller gehen.

Die Papiere, die der Polizist zur Seite legt, sind alles Kopien, zwei sogar in Farbe. Erstklassige Laser-Ausdrucke auf Normalpapier, wie der Assistant Superintendent in spe erkennt, oft beidseitig bedruckt, von einer Qualität, wie sie sich in ganz Dar es Salaam nur an ganz wenigen Orten bekommen lässt. Fundikira kennt kein einziges Ministerium mit derart leistungsfähigem Gerät geschweige denn einem professionellen Farblaserkopierer mit Duplexeinheit. Solche Maschinen besitzen neben den Botschaften reicher Länder nur einige Büros von „Entwicklungs­helfern“, Rohstofffirmen und anderen multinationalen Konzer­nen. Sonst steht so ein Ding höchstens noch bei dem einen oder anderen Asiaten. Das Betrugsdezernat führt über diese Hightech-Dinger und deren Betreiber sogar Buch, weil sich darauf astreine Blüten produzieren lassen. Fundikira fällt auch auf, dass das Papierformat der meisten Blätter des Toten kein tansani­sches ist, sondern den mitteleuropäischen Din-Normen ent­spricht: 21,0 x 29,7 cm für die Texte, eine farbige Karte sogar in A3 quer. Gut möglich, dass der mzungu die meisten Kopien von zu Hause mitgebracht hat.

Bei den wenigen Blättern in englischen Imperial-Formaten aber, eine Karte sogar im großen Imperial folio, dürfte es sich um Kopien handeln, die der Deutsche erst nach seiner Ankunft in Tansania erhalten hat. Wenn die in Dar’ gemacht wurden, lässt sich das heraus­bekom­men. Wilfrem Fundikira ist mächtig stolz auf seine detektivi­schen Erkenntnisse. Hat sich doch gelohnt, dieser Abendkurs der Bbc.

Fast alle Kopien enthalten getippte Zeilen in gewohnten Buchstaben, auch einige Karten sind darunter, nur wenig Hand­schriftliches, nichts Arabisches. Manche Blätter sind in Englisch, die meisten aber in einer Sprache, von der Fundikira kein Wort versteht. „Das wird deutsch sein“, befindet er. Nachdem er alles dreimal durchwühlt hat, ordnet Makaïdis Mann die Blätter so gut es geht chronologisch und legt sie zur Seite. Die nächsten Stunden verbringt er mit Besorgungen und einigen kleineren Geschäften im Außendienst. Bevor er am Abend dem Super­intendenten Bericht erstattet, überfliegt Fundikira noch kurz die Vernehmungsprotokolle von gestern. Dann geht er zu Makaïdi und legt ihm Schüttes Papiere vor.

„Chef, es ist kurz vor eins, außerdem war gestern Silvester, können wir Morgen drüber reden?“

„Du bleibst, bis ich dir frei gebe!“ Makaïdi, der den Nachmittag über eine Gasfirma, die vor der Küste neue Schürf­rechte erwarb, in Sachen Demonstrantenschutz beriet, sitzt seit zwölf Minuten auf seinem Stuhl und hat nicht vor, seine Anwe­senheit noch lange auszudehnen. Fürs Arbeiten hat er schließ­lich Untergebene.

„Chef, ich muss aber nach Hause. Ich hab den Reis fürs Abendessen in der Tasche.“

„Für welches Essen? Wann hast du das besorgt, hä? Mitten in der Arbeitszeit natürlich!“

„Aber Chef, wann denn sonst?“ Fundikira wird ein wenig mulmig, obwohl er weiß, dass Makaïdi Verständnis für seine Leute hat. Darauf schließlich baut das ganze System: Täglich drei, vier Stunden halbwegs loyales Arbeiten, den Rest der Zeit für sich selber sorgen. Anders geht es nicht bei Hundert-Eu­ro-Gehältern, erst recht nicht bei der Polizei.

„Zeig mal deine Beute vor!“ Fundikira erschrickt: Was meint der bloß? Das Diktiergerät, das bisschen Geld? „Was hast du bei dir?“

„Nichts, Sup, sollte ich?“

Makaïdi, der sich stets gut merkt, wel­chem seiner Assis er wann welches Privileg gewährt und wem er wann jemals welchen Betrag zusteckte, ahnt sehr wohl, dass sein Assistent den Keller nicht mit leerer Hand verließ und lässt den Inspektor noch ein bisschen zappeln. Dann wird er vorerst gnädig. „Was ist das für ein Haufen Papier da unter deinem Arm?“

Erleichtert atmet Fundikira durch. „Dreiundsiebzig verschie­dene Kopien aus dem Besitz des Toten, manche zwei-, die meis­ten einseitig bedruckt. Rund sechzig davon auf Deutsch, nehm ich an, ein gutes Dutzend auf Englisch, vier Karten. Bei zweien bin ich mir noch nicht ganz sicher, in welcher Sprache sie verfasst sind. Einige der Kopien stammen wahrscheinlich von hier, dürfte nicht so schwer sein rauszukriegen, wo und warum die gemacht worden sind.“

„Okay, soll sich Baregu drum kümmern. Sechzig Texte auf Deutsch, sagst du? Ist das bewiesen?“

„Ziemlich sicher, Chef. Oder kennen sie eine andere Sprache, in der es dieses komische Zeichen ‚ß’, punktierte Selbstlaute und viel zu viele Kommas gibt?“ Zum zweiten Mal an diesem ersten Januar schwillt Fundikiras Brust vor Stolz auf seine Kenntnisse aus der Bbc. Er fährt fort: „Das älteste kopierte Dokument stammt, das ist auffällig, offen­bar aus dem Jahr 1916, dann folgt eines von 1917, beide hand­schriftlich, vermutlich vom gleichen Schreiber. Zumindest, wenn ich’s richtig gedeutet habe. Der Rest ist aus den letzten Jahren, teilweise mit imposanten Briefköpfen, von Unis, Museen, den deutschen Konsulaten in Arusha und Zanzibar. Auch in Tanga hatten die mal eins, wussten Sie das? Die alten Texte, vermut­lich Briefe, sind wirklich seltsam. Was war denn damals los au­ßer Krieg, Chef?“

„Da haben sie die Askaris verheizt, mehr als 10.000 von denen kamen um! Jeder fünfte desertierte, ...“

„Was Sie sich alles merken, Sup!“

„Nichts war damals so verhasst wie der Söldnerdienst für die Deutschen, der heute so verklärt wird. Noch bis in die 90er Jahre haben irgendsoeine hellhäutige Konsulwitwe und deutsche Lettow-Vorbeck-Veteranen jährlich Geld für die Überlebenden gesammelt und unter großem Tamtam verteilt.“

„An die Askaris?“

„Genau.“

„Viel?“

„Immerhin so ´ne Art Rente ...“

„Na ja, damit hatte der Tote ja wohl nichts zu tun. Bloß: Welcher mzungu reist mit Kopien von fast hundert Jahre alten Kriegsgeschichten durch die Gegend?“

„Deutsche. – Die sind so ... geschichtsbewusst.“

„Aber warum?“

„Das klären wir. Kannste sicher sein.“ Makaïdi wittert, dass er die Kopien zur Chefsache erklären sollte. Ersteinmal aber ist ihm etwas anderes doch wichtiger. „Hast du denn nur dieses ganze wertlose Papier gefunden? Keine Uhr, kein Geld? Euros, Dollars? Nichts Elektronisches von Wert?“

„Nee, nichts, Chef. Nach Pass und Schecks und so weiter werden wie noch mal im Hotelzimmer suchen, außerdem hab ich Nehemiah beauftragt, am Flughafen nach der Einreiseerklä­rung zu fahnden. Auch an den Kilimanjaro-Airport hab ich ein Telex geschickt.“

„Nirgends Bares? Keine versteckten Scheine, zum Beispiel in den Schuhen?“

„Nee, Chef.“ Die Frage war vorherzusehen, Fundikira lügt jetzt ohne Skrupel. Doch wäre seine Haut nicht so dunkel, sähe jedermann die Röte.

„Wilfrem, betrüg mich nicht! Nie! Die Kopien bleiben vorerst mal bei mir. Zieh ab und grüß mir die Familie.“ Für heute lässt der Superintendent seinen besten Assi ungeschoren.

Erst zu Hause fällt Fundikira ein, dass er seinem Chef viel­leicht noch von einer weiteren Entdeckung hätte berichten sol­len. Beim Überfliegen der Vernehmungs-Protokolle war ihm aufgefallen, dass die Zeugen aus dem Hotel unmöglich alle von ein und demselben Besucher gesprochen haben konnten, der in der Nähe des Toten gesehen worden war. Dafür lagen die Per­sonenbeschreibungen einfach zu weit auseinander: Der, der offensichtlich mit dem Toten das Zimmer teilte, war ein großer, blonder, sportlicher mzungu. Er musste noch am Morgen im Zimmer gewesen sein, kurz vor der Entdeckung der Leiche hatten ihn zwei Putz­frauen gesehen. Die Rezeptionistin aber, eine Miriam Mugabi, die am Silvestermorgen gegen zehn ihre Kollegin abgelöst hat­te, erinnerte sich an einen hageren, älteren Asiaten, der am Vormittag nach Schutte gefragt hatte. Sie hatte ihn auf dessen Zimmer geschickt, jedoch nicht wieder herunterkommen sehen. Wahrscheinlich sei sie da gerade auf der Toilette gewesen, hatte sie ausgesagt.

Ihre Kollegin aus der Nachtschicht war überhaupt noch nicht vernommen worden. Als Makaïdi und seine Leute im Hotel auftauchten, war die bereits in den Neujahrsurlaub abgereist. Die Mugabi aber hatte heute Vormittag sogar noch einmal angerufen und von einem weiteren Besucher berichtet, einem kleinen Einheimischen, wohl ein Chagga, der vor zwei Tagen aufgetaucht sei und sich nach dem mzungu erkundigt habe. Das sei garantiert kein Polizist gewesen, dafür sei der viel zu „unbedarft“, sprich freundlich aufgetreten.

Sie würden also sogar nach drei Personen fahnden müssen. Das aber kann er Makaïdi auch Morgen noch mitteilen. Ein Festnetztelefon, dessen Besitzer sich polizeilich zwingen ließe, es ihm zu überlassen, gibt es in der Nähe von Fundikiras Haus schließlich nirgends, die eigene airtime aufzubrauchen steht auch nicht an, und noch mal zurück ins Präsidium, das der Sup sowieso längst verlassen hat, das verbieten schon allein die daladala-Preise.

Der Schatz von Njinjo

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