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11. Hannes wünscht, er wär’ Tourist

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Ich bin mit Nyaucho mitgegangen, als er zur Arbeit fuhr, mit dem daladala in die City. Jetzt werd ich mich beweisen. Wie findet man einen hellhäutigen, etwas zu dick und klein gera­tenen mzungu in einer Millionenstadt wie Dar es Salaam?

Als wir in Temeke losfuhren, schien mir alles ganz einfach. Ich würde von Hotel zu Hotel ziehen und einfach fragen. Jetzt, am Rand der Innenstadt, Kilometer von zig Hotels ent­fernt und doch nah dran an den bekanntesten, fühle ich mich ziemlich verloren. Welch aussichtsloser Quatsch! Wie viele Ho­tels mag es in Dar’ wohl geben? Und wo überall? Wie soll ich die bloß alle finden und abklappern? Mehr als ein, zwei Tage wird mir dieser Schutte dafür zudem kaum lassen, dann ist er vielleicht schon wieder weg.

Als Erstes brauche ich mal einen Stadtplan. Dann sollte ich die Etablisse­ments vielleicht ein bisschen filtern: So einer wie Schutte wohnt kaum in der letzten Absteige. In Moshi logierte er im besten Haus am Platz. Das dürfte in Dar es Salaam der mittleren Kate­gorie entsprechen: Zimmer mit eigenem Bad und täglichem Wä­schewechsel, abschließbar, heile Fenster, Klimaanlage vielleicht trotzdem defekt, Strom und Wasser aus dem öffentlichen Netz. Oder braucht der Deut­sche mehr Komfort? WiFi, hoteleigener Brunnen und Generator in­klusive? Welche Hotels gibt es hier überhaupt?

Kürzlich habe ich in einem Film Kenyaner gesehen, denen man Geld geschenkt hatte, um ihr eigenes Land zu bereisen. Ein Film über Menschen, die als Touristen ihre Heimat kennenlernten – sehr amüsant! Die Leute erfuhren Dinge über ihr Land, von denen sie vorher noch nichtmal träumen mochten. Dass die Polizei dein Freund und Helfer sei, zum Beispiel, und es in jeder größeren Stadt extra Polizisten für Touristen gebe, natürlich auch ein Krankenhaus. Kein Wort über die Gebühren, die fällig werden, bevor eine Schwester oder ein Arzt dort auch nur einen Handschlag für sie rühren würde. Für Touristen (und alle, die es leisten können) gibt es sogar einen flying doctor service, Notärzte mit eigenen Flugzeugen, die man an­fordern kann, wenn irgendwer bezahlt. Vorgestellt wurden in dem Film auch städtische Büros für Touristen, die auf alles eine Antwort wissen und farbenprächtige Broschüren über Tierparks, Strände, Flora, Fau­na, Hotels und Unter­künfte verschenken, Traumfänger sozusagen. Von einem Informationsbüro für einfache Menschen in irgendeiner tansanischen Stadt, das Ant­wor­ten auf Kleineleutefragen gibt, hab ich hingegen noch nie etwas gehört.

So ein Touristen-Büro aber wird es gewiss auch in Tansanias Metropole geben. Ohne ein paar grundlegende Informationen über die Hotels hier werde ich den Deutschen kaum wiederfinden. Dafür in einem dieser neumodischen Inter­net­cafès Geld auszuge­ben, wo jede Minute 100 Shilling, ein Ausdruck 300 kostet, kann ich mir nicht leisten. Und ich sollte Schutte rasch finden, denn wenn er erstmal wieder weg ist, verliert sich seine Spur. Also muss ich mich zum Tourist erklären! Dann öffnen sich vielleicht Türen, hinter denen verborgen liegt, was ich so dringlich suche.

Am Kariakoo-Busbahnhof, an dem Nyaucho mit mir ausge­stiegen ist, frage ich herum, wo es in Dar es Salaam ein Infor­mationsbüro für Touristen gebe. Hinterm dritten Ticketschalter hat die Verkäuferin schon mal etwas davon gehört. „Tourist Infor­mation? Sowas gibt’s bestimmt am Bahnhof oder in den Hotels. Aber du, du bist doch kein mzungu!“

„Egal. Wo meinst du denn? In welchem?“ Wahrscheinlich schau ich bei der Frage ziemlich blöd drein. Trotzdem kriege ich eine vernünftige Antwort.

„Fang doch mit dem Erstbesten an, zum Beispiel dem ‚New Africa’ beim Askari-Denkmal.“

„Okay, und wie komme ich dahin?“ Zweimal beschreibt sie mir freundlich den Weg, ehe ich mich ins Straßengewühl begebe, das Dar’s größten Markt umschließt. Es ist kurz nach zwei – acht Uhr mzungu time –, das Stadtleben brodelt. Drei Straßen weiter werde ich unsicher, fünf Ecken später hab ich mich verlaufen. „Info-Büro für wazungu? Keine Ahnung, wo’s hier sowas gibt. Frag doch mal in den Hotels.“ Das wird nun zur Standard­antwort. Je weiter ich mich allerdings vom Busbahnhof entferne, desto häufiger begegnen mir jetzt Europäer: Ich steuere eindeutig aufs Zentrum zu. Auch ein Hotel liegt endlich neben mir. Zwar heißt es nicht „New Africa“, sondern „International“, aber immerhin. Dort ist die Rezeptionistin ein wenig schlauer.

Tourist Information? Am Ende der Samora Avenue beim Askari-Denkmal!“ Zum zweiten Mal höre ich diesen selt­samen Begriff: Ein Denkmal für die Hilfstruppen der deutschen Kolonialisten, mitten im vormals sozialistischen Dar es Salaam des 21. Jahrhunderts: Ich kann’s kaum glauben, ob­wohl ich schon in der Schule davon hörte. Errichtet 1927! Auch in Moshi gibt es Relikte aus der ach so tollen Kolonialzeit: Mehrere Dutzend deutsche und englische Soldatengräber. Aber hier? Ein Denk­mal der Kolonialisten für ihre Helfer? Da stimmt doch irgend­etwas nicht.

Als ich zehn Minuten später ans Ende der Hauptstraße komme, steht da wirklich auf einem zwei Meter hohen Podest lebensgroß ebendieser Kolonialsoldat, Sturmgewehr mit Bajo­nett im Angriff, Tornister auf dem Rücken. „Zur Erinnerung an die einheimischen kämpfenden Truppen, an die Träger, die Fuß und Hand der Armee waren.“ Zu dessen Füßen verfrühstückt gerade eine Handvoll Hellhäutiger auf der Terrasse des benach­barten „New Africa“-Hotels das übliche Monatseinkommen der Askari-Enkel. Für Momente wähne ich mich im falschen Jahr­hundert.

Drinnen im Hotel erinnert eine Plakette an die wechselvolle Geschichte dieses wohl bekanntesten Kolonialhotels Tansanias, das bis in die 60er Jahre noch „Kaiserhof“ hieß. Dem Zeitgeist folgend gehört es heute einer südafrikani­schen Investorengruppe, die als Erstes die Fassade weißen ließ. Jetzt strahlt das Haus wie die Gletscher des Kilimanjaro: außen gleißend, innen hohl. An der Rezeption erklärt man mir, ich sei schon wieder am falschen Ort. Der „State Travel Service“ unterhalte sein Informationsbüro schräg gegenüber. Vom Portal aus kann ich es sehen – jedoch verschlossen. Heute ist Sonntag! Es öffnet erst in knapp zwei Stunden.

Was tun bis dahin? Ich schlendere zurück zum ‚New Africa’. Einfach so, vielleicht treffe ich dort ja sogar diesen Deutschen. Noch bevor ich nur einen Fuß auf die Frühstücksterrasse setzen kann, fragt mich ein hoteleigener Kellner nach meinen Wünschen. Wie zuvor­kommend! Da ich unsicher bin und nicht weiß, was ich mir hier leisten kann, zögert er, mir einen Platz zuzuweisen. So setze ich mich auf eigene Faust. Während ich die herumwieselnden Menschen auf der Straße beobachte, passiert dann eine halbe Stunde lang gar nichts mehr. Irgendwann jedoch kommt ein befrackter Oberkellner, um mich höflich hinauszukomplimen­tieren: „Entschuldigen sie, Sir, ihr Platz ist leider reserviert!“ „Oh, tut mir leid, ich bleibe nicht lange. Bringen Sie mir doch bitte rasch einen Tee.“ So werde ich dann doch noch eine Be­stellung los: eine Tasse chai. Zwei Minuten später stellt mir der Oberkellner Tasse samt Rechnung vor die Nase, und mich schaudert’s: Viertausend Shilling für ein Tässchen chai! Das ist der Hammer. Zwanzigmal mehr als üblich! Noch dazu fehlen Milch und Zucker, der Tee ist englisch braun wie Regen­wasser, ungenießbar. Der Kellner wartet neben mir, bis ich bezahle. Wenn das so weiter geht, bin ich in vier­und­zwan­zig Stunden pleite.

Kurz darauf steht der Oberkellner schon wieder vor meinem Tisch. Betont lässig fragt er: „Darf ich Ihnen noch etwas bringen, Sir?“ Ich stehe auf und gehe. Bis das Touristenbüro öffnet, sind es immer noch drei Viertelstunden, so schlendere ich hinunter zum Wasser. Die See in der Hafenbucht ist ruhig, darüber steht feuchtheiße Luft. Am strahlend blauen Himmel macht sich die Sonne immer breiter. So allein und nah am Meer war ich noch nie. Weit entfernt ragen Ladekräne in den Himmel, davor liegen zwei Containerfrachter am Kai. Mein Ufer säumen ein paar Palmen und verrostete Schiffswracks. An der Böschung bauen Frauen Kochtöpfe, Bratroste und Pfannen auf und schüren kleine Feuer. Bis mittags werden daraus Volksküchen, aus denen sich die halbe Stadt versorgt.

Die riesige Fläche blauen Wassers zieht mich magisch an. Ich schlendere am Ufer entlang auf die Fähr­anleger zu, vorbei an Dutzenden konkurrierender Coca- und Pepsi-Buden, die alle das gleiche zum gleichen Preis anbieten – Softdrinks, Seife, Kekse, Zigaretten, Pillen und Kondome –, vorbei auch am alten Postamt und haushohen, mit knallbunten Bourgainvillea bewachsenen Mangobäumen, bis zur frisch gestrichenen katholischen St.-Joseph-Kathedrale. Kurz hin­term Bahn­hof, den noch die Deutschen bauten, stoße ich aufs Polizei­präsidium. Da drehe ich lieber um. Auf dem Rückweg sehe ich schon von weitem die Turmuhr der Luther-Kirche: Sie steht – ganz europäisch, pädagogisch wertvoll wie ihre Erbauer – auf kurz vor zehn. Ich spute mich.

Punkt vier Uhr Swahili-Zeit stehe ich vor dem Büro des „State Travel Service“, kurz darauf öffnet ein verschlafener Angestellter die Tür. Auf englisch begrüßt er mich freundlich: „Good morning, Sir, what can I do for you, Sir?“ Als ich auf Swahili antworte, ich bräuchte einen Stadtplan und eine Hotel­liste, stutzt er erst verblüfft, um dann rasch steif zu werden. Für Leute wie mich seien die nicht gedruckt worden, lässt er sich vernehmen. Sein Informationsmaterial sei schließlich aus Steuergeldern be­zahlt und ausschließlich für wazungu da, und nur für diese kos­tenlos. Als ich ihn frage, wer denn die Steuerkasse gefüllt habe, wenn nicht ich als tansanischer Staatsbürger, antwortet er um­standslos: „Die Europäer.“ Einheimische koste ein Stadtplan eben eine „Schutzgebühr“, ebenso wie die von mir erwünschte Liste, basta.

Nein, ich rege mich nicht auf. Es ist mein erster Tag in der großen Stadt, da sind Fehler wie das Sprechen der eigenen Landes- und Muttersprache noch erlaubt. Ab jetzt werde ich also nur noch Englisch sprechen, wie jeder vernünftige Tourist, woll’n doch mal sehen. Brav gebe ich dem Touristenknecht tausend Shilling, ganz wie verlangt, und ziehe mit Plan und Liste los. Kartenlesen war eines meiner besten Fächer im Erdkundeunterricht.

Der Schatz von Njinjo

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