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13. Petermann verschwindet

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Petermann hat die Nacht im „Dar es Salaam Serena Hotel“ verbracht, dem früheren „Sheraton“, allein und ohne jegliche Lust zum Feiern. Was für ein beschissenes Silvester! Das in die Jahre gekommene Luxushotel schien ihm der sicherste, unverdächtigste Ort der Stadt, auch, weil es nicht direkt im Stadtkern liegt. Zuerst wollte er ja direkt zur Botschaft gestern. Doch mit jedem Schritt wuchsen die Zweifel, ob er sich dort über­haupt blicken lassen sollte. Nur dadurch würde es doch erst eine Verbindung zwischen ihm und Finn geben! Kein Eintrag im Hotel, nichts sonst weist auf ihn hin. Also hatte er sich lieber nicht gemeldet. Unangebracht schien im Moment aber auch, die Stadt fluchtartig zu verlassen, zu viel war zu bedenken.

Seit er seinen Freund gestern tot aufgefunden hat, fühlt sich Petermann als Finns Nachlass­verwalter. Er hat was zu erledigen, schließlich kannten sie sich von Kindesbeinen an. Was haben sie nicht alles gemeinsam erlebt! Demos mit fünfzehn, Persiko- und Bier-Gelage, diverses­te Beziehungen, die Pyramiden und Abu Simbel in den Achtzigern, damals, als man da noch mit dem Schiff hinfuhr, später Acapulco, Delphine im Orinoco, patzige Ranger im Grand Canyon, Schlittschuhlaufen von Stock­holm bis Uppsala, Drachenfliegen über den Victoria Falls – und jetzt das!

In Finns Brusttasche hat er nicht nur dessen Geld, Ticket, Pass gefunden, sondern auch die Kopie des Briefes, von dem Finn ihm immer wieder erzählt hatte. Darin beschreibt Finns Groß­vater auf den Baum genau die Lage seiner vergrabenen Hinter­lassenschaften, ohne allerdings eindeutig zu sagen, wo er sich eigentlich befindet. Eine Rallye ohne Start, dafür mit Ziel: Das sollte er sich einmal genauer anschauen, das ist er seinem Freund doch schuldig.

Am Abend war er noch einmal hinaus in die stockfinstere Nacht gegangen, die keine hundert Meter hinterm Hotel be­ginnt und in der Unendlichkeit des Ozeans versinkt. Bis er hinterm Barack Obama Drive plötzlich am Strand stand: Wie gern hätte er sich einfach so ins wannenwar­me Meer gestürzt, um auf Nimmerwiedersehen rauszuschwim­men. Über die im fahlen Mondlicht weiß schimmernden Schaum­kronen hinweg, bis einen die Kräfte verlassen. Doch le­ben­smüde war Petermann nicht. Schon gar nicht an Silvester, dem Tag des Neuanfangs und aller guten Vorsätze. Und auch eine ganz andere Beobachtung, die er am Nachmittag auf seiner Flucht am Ufer machte, sprach gegen das Hinausschwimmen: das verdreckte Wasser, das hier mit dem Müll Abertausender zu kämpfen hat. Gibt es in Dar es Salaam überhaupt Kläranlagen? Grassierte hier nicht gerade erst die Cholera?

Als Jens Petermann vom Strand ins Hotel zurückkehrt, tobt um ihn herum das Leben. Anscheinend war der Jahreswechsel längst vollzogen, ohne dass er es bemerkt hatte. Kein Feuerwerk schmückte den Nachthimmel, kaum Knallerei war zu hören gewesen im „Hafen des Friedens“ eines der ärmsten Länder der Welt. Im „Serena“ allerdings fei­ern die Menschen den Anbruch des neuen Jahres fast wie in Hamburg, fast wie zuhaus. Viele Hellhäutige, viel zu viele über­gewichtige Einheimische und noch viel mehr Menschen in un­verschämt teurer Abendgaderobe. Gerade bahnt sich ein schwer beleibter, riesiger Mann in Ausgehuni­form seinen Weg durch das Foyer, der Petermann unwillkür­lich an Ugandas weltberühmten Ex-Diktator Idi Amin Dada erinnert. In dessen Schlepptau folgt ein Kadett als Pseudo-Adjutant. Polizei?

Ein Ballsaal des „Serena“ ist belegt von der „Vereinigung der Truthahnzüchter Tanganyikas“, die alle politischen Stürme vor und seit der Unabhängigkeitserklärung überstanden hat. Deren wohlriechende rosa Schinken verbreiten Appetit im gesamten Erdgeschoss. Wenn überhaupt irgendwohin, zieht es Petermann zu ihnen. Doch stattdessen nimmt er den Fahrstuhl und fährt hinauf in sein Zimmer, das sich in nichts unterscheidet von all den anderen „Sheraton“- oder „Serena“-Gemächern, in denen heute weltweit gefeiert wird.

Der Fernseher bietet freie Auswahl zwischen drei Lokalsen­dern, Bbc, Cnn, Fox und sechs weiteren Kabelprogrammen. Ab Kanal 13 folgen Sexkanä­le, die kosten extra. Nach drei Konyagi aus der Minibar schaltet Petermann ab und alles aus. Noch auf dem Sofa überkommt ihn ein todesähnlicher, tiefer Schlaf.

Mitten in der Nacht schreckt er trotzdem plötzlich hoch. Vom Flur her poltert es, fast so, als hätte es geklopft. Als er durch den Türspion schaut, bleibt ihm der Atem weg: Direkt vor seinem Zimmer steht Idi Amin in Uniform und blickt ihm grimmig ins Gesicht. Ganz leise schleicht sich Petermann zu­rück zur Couch, nur kein Geräusch jetzt, bitte. Adrenalin pul­siert in seinen Adern, erst Stunden später schläft er wieder ein.

Beim Aufwachen um kurz nach sieben ist er stock­nüchtern. Zweihundertdreißig Dollar für eine Nacht auf dem Sofa! In den Ohren rauscht die Klimaanlage und im Kopf Tansanias Kognak. Was für ein Kater! Als ihm ein Hotelpage trällernd mit einstudiertem „Häppchen nu jeah!“ das Frühstück aufs Zimmer bringen will, möchte Petermann ihn samt Kaffee und Brötchen am liebsten aus dem Fenster werfen.

Sind die Bullen schon hinter ihm her? Die Polizei besitzt sicher längst eine Personenbeschreibung des „Weißen“, der zwei Tage lang mit dem Toten das Zimmer teilte und seit dessen Entdeckung verschwunden ist. Soweit, so schlecht. Vielleicht hat sie sogar ein Phantombild des Mannes erstellen lassen, der die Treppe des „Continental“ herunterkam, kurz bevor die Putzfrauen den Alarm auslösten. Petermann möchte am liebsten im Hotelboden versinken und taucht im Pool des Hotels tief unter.

Am Empfang beruhigt man ihn: Niemand hat nach ihm gefragt, seit er gestern eingecheckt hat. Noch ist ihm niemand auf den Fersen, so schwer es ihm auch fällt, daran zu glauben. Alles andere allerdings wäre in einer derart kommunikations­gestör­ten Millionenstadt wie dieser, wo weder Notruf- noch Taxiservice funktionieren, auch ziemlich unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz: Wer war das dann vor seiner Tür letzte Nacht?

Nur der Einreisestempel in seinem Pass weist darauf hin, dass Petermann bereits im Land war, bevor Finn Schütte starb. Ins Meldebuch des „Serena“ hatte er sich als direkt aus Hamburg kommend mit dem 31. Dezember als Ankunftstag eingetragen. Wenn er seinen Pass vernichten würde – was hoffentlich nicht nötig wird –, gäbe es seinen Namen nur noch auf den Passagierlisten der Klm und auf dem Doppel der handschriftlichen Ein­reise­erklärung, die er am Flughafen abgeben musste. Beide Pa­piere dürften für die tansanische Polizei nicht besonders greif­bar sein: Das eine steckt irgendwo im Klm-Computer, das an­dere liegt unsortiert unter Bergen weiterer Kopien am Flughafen herum. Noch kann Peter­mann sich also halbwegs si­cher fühlen, säße er nicht in einem 230-Dollar-Zim­mer, das er sich nicht lange leisten kann.

Heute aber lässt sich nichts Rechtes mehr unternehmen. Die halbe Welt hat Feiertag. Wie diesen Tag aushalten? Vierund­zwanzig Stunden tatenlos in einem der teuersten Hotels der Stadt herumsitzen? Dar es Salaam zu verlassen, kommt schlicht noch nicht in Frage. Bevor er von der Bildfläche ver­schwindet, braucht er zumindest zweierlei: die Golftasche mit dem Metalldetektor und Finns Karte aus dem Staatsarchiv. Oh­ne diese beiden Sachen sind Finns Informationen über den zu erwartenden Fundort des Familienschatzes wertlos, da hilft auch keine baumgenaue Angabe in irgendeinem Brief.

Was steht überhaupt in den Erinnerungen von Finns Groß­vater? Petermann liest den Brief noch mal, um sich die Worte einzuprä­gen: „Von der Südostecke des Hauptgebäudes 620 Fuß nach Süden, bis an die Wurzeln des alten Mangobaums, von dort siebzig Schritte nach Osten, dann nochmals dreißig nach Sü­den.“ Wenn der sich man nicht vertan hat! Und dann dieses Maß: 620 Fuß! Zur Jahrhundert­wende, das hat Petermann schon in Hamburg recherchiert, waren das ganz nach Weltanschauung mal 150, mal mehr als 200 Meter! Ob es das Gelände so überhaupt noch gibt, ob der Baum nicht schon hundertmal überflutet und entwurzelt wurde? Petermann hofft, dass es zumindest nicht zu viele alte Mangobäume auf dem Gelände gibt, wenn er es denn jemals finden sollte.

Fieberhaft überlegt er, wie er an die beiden noch fehlenden Ausrüstungsteile kommt. Ein Metalldetektor lässt sich zur Not vielleicht nochmals irgendwo beschaffen, die Karte jedoch gibt es nur hier. Hätte Finn sie bereits in der Hand gehabt, hätte er sie ihm bestimmt gezeigt. So liegt die Kopie wohl noch bei der Sekretärin im Nationalarchiv. Solange er sich aber verfolgt fühlt, zögert er Risiken einzu­gehen. Abschalten oder Abbrechen, das ist jetzt die Frage: ent­weder den Feiertag im „Serena“ aussitzen, Angst abbauen und Pläne schmieden, oder aufgeben und direkt zur Botschaft, um heil aus der Sache herauszukommen. Ein einfaches Umbuchen seines Rückflugs, der erst für den 27. Januar geplant ist, kommt nicht in Frage. Das wäre allzu auffällig, auf sowas achtet jede Polizei.

Nachlassverwalter haben es nicht leicht. Irgendwann am Nachmittag, nach einem halben Dutzend Colas am Pool des „Serena“, hat Petermann sich entschieden. Er wird die Suche nach Finns Schatz durchziehen, auch wenn’s gefährlich werden sollte. Was kann ihm als Ausländer schon groß passieren? Er hat nichts verbrochen, und für Notfälle ist die Botschaft da.

Heute ist Donnerstag, der erste Januar, die Nacht kostet über 200 Dollar, aber lässt sich auch per Kredit­karte bezahlen. Morgen wird er weitersehen und schauen, wie er an Direktor Rohs Sekretärin heran­kommt. Unwahrschein­lich, dass sie vom Tod ihres Auftragge­bers, der sie die Karte kopieren hieß, bereits etwas weiß. Irgendwann danach würde er noch mal ins „Continental“ müs­sen, um den Detektor zu holen – falls den nicht längst die Polizei beschlagnahmt hat. Vorher kann er ja versuchen herauszubekom­men, ob sich so ein Ding auch in Dar es Salaam auftreiben lässt. Da das erneute Auftauchen im „Continental“ das größte Risiko birgt, will er damit bis kurz vor seinem Verschwinden warten.

Der Schatz von Njinjo

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