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2. Superintendent Makaïdi ermittelt

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Zweieinhalb Stunden nach dem Alarm der Zimmermädchen steht Superintendent Makaïdi – seinen Vornamen kennen selbst engste Mitarbeiter nicht – auf dem Flur vor Zim­mer 22 im „Continental“. Seine massige Gestalt – Makaïdis Umfang liegt zu dieser Jahreszeit deutlich über seiner kaum weniger impo­san­ten Größe von einsdreiundneunzig, „Maße wie einst Idi Amin selig!“, sagt seine Mutter – lässt niemanden rechts und links vor­bei. Der „Sup“, wie ihn seine Untergebenen ehrfürchtig rufen, ist in frühen Jahren einmal bei Scotland Yard in England auf Fortbildung gewesen, seitdem ist ihm nicht mehr beizu­kommen.

Seit acht Jahren allerdings sitzt er unbefördert in seinem Ses­sel im Präsidium und hat nicht mehr viel dazu gelernt. Das über­lässt er dem kleinen Stab subordiniert Ergebener, die ihn um­wieseln. Die würden zwar kaum jemals mal nach England dürfen, sind aber nichtsdestotrotz wissbegierig, ehrgeizig, dank­bar. Manchmal sogar loyal. Sie leben an Makaïdis langer Leine, und so schlecht nicht. Der kümmert sich, lässt sie Fortbil­dungen und Computerkurse besuchen, bezahlt von Apparaten und Ge­heim­dienstlern nördlicher Breiten. So kommen sie rum, zuwei­len gar ins benachbarte Ausland, werden seine Spesenritter, die ihm etwas schulden und Tribut zu zollen haben. Sollen sie sich dort ruhig mo­der­neres Wissen aneignen, zum Beispiel, wie man mit auf­müp­figen Slumbewohnern umspringt. Auch die neusten mo­biles be­sorgt Makaïdi ihnen gern, da spielen sie dann mit herum und helfen ihm beim Recherchieren. Alles ist erlaubt, solange nur er, Makaïdi, die Zügel in der Hand behält und sich sein Ruhm anhaltend mehrt. Davon gedenkt der Super­in­tendent sich bis zur Rente zu ernähren.

Vor langer Zeit hatte er mal einen Luftpiraten festgenommen, der als Jugendlicher das damals einzige tansanische Verkehrsflugzeug – eine betagte Boeing 737, Reichweite bis kurz hinter Nairobi – über den Kontinent hinaus bis nach London entführt hatte. Nach mehrjähriger Haft im kolonialen Mutterland, die ihn zu einem gebildeten oppositionellen Wirrkopf hatte reifen lassen, hatte der Entführer die Frechheit besessen, zurück in die Heimat zu fliegen. Kein Doppelbestrafungsverbot konnte ihn da retten, direkt nach der Landung legte ihm Makaïdi höchstselbst die Handschellen an. Zwei Tage später starb der Mann in tansanischer Haft, „an einer eingeschleppten Krankheit“, wie es hieß. Der Inspektor wusch beide Hände in Unschuld, sogar amnesty international kam mit Protesten nicht so recht in Fahrt, und drei Monate später war Makaïdi Assis­tant Superintendent, nun nahezu unkündbar, aber dank des internationa­len Auf­se­hens, das die Affäre erregt hatte, für höhere Aufgaben auf ewig disqualifiziert. Das zehrt.

Makaïdi hat es sich etwas kosten lassen, den Chef des Bereit­schaftsdienstes dazu zu bringen, ihm den Fall aus dem „Continental“ zu übertragen. Eine Stunde lang hatte er im Prä­sidium intrigiert, Gerüchte quer durchs Haus gehetzt, Verdacht geschürt und Tantiemen in Aussicht gestellt, bis nur noch er und keiner sonst für diesen Job in Fra­ge kam. Ein toter mzungu – der richtige kesi zum Jahresan­fang, vielversprechend fett wie der Weihnachts-Truthahn.

Seit mehreren Minuten nun steht Makaïdi im Flur im zweiten Stock des „Continental“ und sieht seinen beiden besten Männern bei der Arbeit zu. Die Füße verschnürt in Plastiktüten aus einem kenyanischen Duty Free Shop („Nirgendwo sonst sind diese Dinger noch zu bekommen, Sup!“), durchsuchen sie Schüttes Zimmer, während ihr Chef auf den angeforderten Gesandten der deutschen Botschaft wartet. Dass es sich um eine deutsche Leiche handelt, hat der Kommis­sar sofort erkannt: blond, hellhäutig, Bierbauch, Pockenimpfung, Bürsten­schnitt – fehlten nur noch Sprin­ger­stiefel. Stand dann so auch auf der Hotelanmeldung. Den Pass allerdings suchten sie noch.

„Nackte Gewalt, Sup! Blutig geplatzter Schädel, zerschmet­terter Oberarm ...“, murmelt einer von Makaïdis Assistenten in den Raum. Sie waren schon zwanzig Mi­nu­ten nach Eingang des Notrufs am Tatort gewesen und haben bereits einiges ent­deckt: Schuh­spuren auf dem arg versifften Teppich, mit Profil, ver­mut­lich Größe neun; ein unversehrtes Türschloss (was ange­sichts amerikanischer Knauföffner nicht viel zu be­deuten hat, wie Makaïdi sie erinnert); eine auf vollen Touren laufende Kli­maanlage; Erbrochenes neben und auf der trotz ab­gestellter Du­sche anfangs noch tropfnassen Leiche; Fingerabdrücke von min­destens vier Personen; eine Golftasche und zwei Rucksä­cke, ge­füllt mit Männerklamotten, weitge­hend sau­ber. Kein Laptop, kein mo­bile, geschweige denn ein iPhone. Sechs Fla­schen Safari Lager auf der Fensterbank, leider leer. 23 unver­brauchte Präser von der Abreißrolle im linken, sieben im rechten Nachttisch, nor­­male Größe, kenya­ni­sches Fabrikat. Könnten schon ewig dort liegen. Drei verschie­dene Malariamittel, Mülleimer frisch geleert.

„War da schon jemand vor uns drin? Die Putzen?“, ruft Makaïdi lustlos in den Flur, als er davon hört. „Wenn überhaupt, der Doc!“, nuschelt einer seiner Männer zurück.

Der Arzt, der als Erster bei der Leiche war, hatte ausrichten lassen, er habe nicht länger warten können. Dem mzungu sei nicht mehr zu helfen gewesen, und wegen des recht kühlen Zimmers ließe sich nur schätzen, wann der Tod eingetreten war. Etwa gegen zehn Uhr wohl ungefähr. Dass der Mann unter der Dusche tot sei, daran gebe es keinen Zweifel. Deshalb war er, der Arzt, bereits seit über einer Stunde wieder fort, um sich um die Lebenden zu kümmern, wie es sich gehöre. Dem verblichenen Weißen zuliebe wer­de er aber später nochmal vor­bei­schauen und sich mühen, einen Totenschein aufzutreiben. So ein Formular sei hier wohl wich­tig, allerdings auch nicht ganz billig.

„Chef! Sup!“, brüllt plötzlich Wilfrem Fundikira, Makaïdis beste Hilfskraft. Fundikira braucht stets etwas länger, bevor er spricht, dann stets laut. Der Mann ist schon Mitte 30, aber im­mer noch eine Sportskanone, groß, schnell, muskulös. „Chef! Nirgends im Zimmer liegt Geld. Keine Schecks, kein Pass, kein Ticket. Trotzdem sieht es hier nicht nach einem Raub aus, nichts ist durch­wühlt. Stattdessen überall Männerzeug einer weiteren Person. Und ein teurer Stein im Ohr. Riecht irgendwie schwul. Sowas kommt bei diesen Blassen doch dauernd vor, oder?“

„Ein schwules Opfer? Männer, zieht sofort die Handschuhe an!“, brüllt Makaïdi und schüttelt sich vor Abscheu. Für seine Homopho­bie ist er bekannt. Erst kürzlich hatte er ein schwulenfeindliches Gewitter losgetreten, als er in einem Radio-Inter­view Ugandas Vorstoß begrüßte, für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe einzuführen. Ein sol­ches Gesetz wünsche er sich auch in Tansania. Er empfinde es „als empörende, widerliche Zumutung, wie die Schwulen sich gegen die Gesetze der Natur, gegen unsere Moral und religiösen Glauben versündigen“, zeterte er im Radio. Alle waren sie in seine Hetze eingefallen, Zeitungen, Politiker, moslemische wie christlich-funda­mentalistische Kleriker, Moderatoren. Kaum jemand von Rang im Land traute sich danach noch, wenigstens halbwegs liberale Positionen zu vertreten. Makaïdis Name stand mal wie­der überall ganz obenan.

„Welche Handschuhe? Die sind doch längst zerschlissen“, mischt sich Ma­kaïdis zweiter Assi empört ein, ein untersetzter, eher behäbiger Sergeant namens Nehemiah Baregu, der seinem Kollegen Fundikira stets nur ungern zur Hand geht. Baregus Brauen über den glupschigen Augen und der breiten Nase zucken böse. „Krieg ich jetzt Aids? Chef, Sup, Sie müssen uns doch schützen!“ Unbeeindruckt aber befielt sein Vorgesetzter: „Weitermachen!“

Makaïdi selbst rührt sich nicht von der Stelle. An den Hotel­chef gewandt, der die Traube neugieriger Angestellter auf dem Flur anführt, verlangt er stattdessen barsch nach einem Stuhl. Die beiden kennen sich schon ewig und waren sich noch nie grün. Mehrmals die Wo­che sitzen sie sich beim Pokern ge­gen­über, und fast immer hat Oscar Kambona die bes­seren Karten. Jetzt wittert Makaïdi seine Chance, es dem arro­gan­­ten Ho­tel­direktor einmal heimzu­zahlen. „Kambona, steh hier nicht faul rum, sorg dafür, dass ich arbeiten kann!“

Noch bevor der Hotelchef reagieren kann, drängt sich ein schlaksiger Weißer durch die Menge, offenbar der erwartete Diplomat. Der Aufzug des Mannes würde keiner Prüfung standhalten, so gehetzt sieht er aus. Seine hochgradige Unlust, an diesem Sil­vestermittag mit einer Leiche konfrontiert zu werden, ist unverkennbar. Makaïdi sieht sofort: Der Mann will hier so schnell wie mög­lich wieder weg. Eine gute Voraussetzung zum Abkassieren. Hellhäutige Gesichter einzuschätzen, zählt zu den anerkannten Fähigkeiten des Superintendenten.

„Zur Lippe, First Secretary, German Embassy“, weist sich der Botschaftssekretär dem Superintendenten gegenüber aus und fuchtelt mit seinem Diplomatenpass vor dessen Gesicht herum. „Woher wollen Sie wissen, dass es sich bei dem Toten um einen Deutschen handelt?“

Karibu, Herr zur Lippe. Sie haben wenig Zeit, wie ich ihrem gehetzten Ton entnehme. Kann ich verstehen. Darf ich mich trotzdem erst einmal vorstellen?“ Makaïdi macht es Spaß, den unantastbaren mzungu auflaufen zu lassen. „Mein Name ist Makaïdi, Superintendent Makaïdi, Tanzanian State Police. Und diese beiden Herren hier“ – Makaïdi zeigt auf seine Helfer – „sind der bal­dige Assistant Superintendent, Inspektor Wilfrem Fundikira und Ser­geant Major Nehemiah Baregu. So weit, so gut. Leider müssen wir uns noch ein wenig gedulden. Wir brauchen noch einige Informa­tionen.“

„Hören Sie, Herr Kommissar, ich bin hier außerhalb aller Zeiten. Heute ist Silvester! Geben Sie mir meine Antworten, und Sie sind mich sofort wieder los. Andernfalls ...

„Aufpassen, allesamt!“, platzt Makaïdi laut dazwischen. „Der mzungu droht ...“

Per zur Lippe ist alarmiert. Wenn sich das hier hochschau­kelt, dauert’s nur erheblich länger. „Oh, pardon. Ich wollte ja gar nicht ... Sagen Sie mir doch wenigstens mal rasch, woher Sie wissen, dass der Tote aus Deutschland stammt. Wie heißt er?“

„Wissen wir noch nicht.“ Makaïdi tut eingeschnappt.

„Aber wieso bitte, Herr Superintendent, wieso haben Sie mich denn dann jetzt schon holen lassen?“ Der Botschaftsse-kretär ändert jetzt nuanciert den Ton.

Herr Sekretär!“, antwortet Makaïdi betont förmlich, „von ‚schon’ kann gar keine Rede sein. Vor gut drei Stunden haben die zwei Putzfrauen hier“ – der Kommissar weist über die Traube neugieriger Angestellter hinweg auf irgendwelche Frauen ganz weit hinten – „die Polizei gerufen. Denen floss eimerweise Wasser entgegen, das halbe Hotel ist ruiniert. Seit­dem ermitteln wir.“ Ein bisschen Dramatik fördert jedes Geschäft.

Zur Lippe zückt sein Handy, er will sich anscheinend in der Botschaft melden. „Lassen Sie das!“, bellt ihn der Superintendent an. „Noch haben wir hier nichts bekannt zu geben. Also ersparen Sie uns ihrerart Verwicklungen.“ Makaïdi hat keine Lust darauf, dass sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt höchste Chargen mit seinem kesi befassen und ihm dazwischenfunken. Dafür hat er in den letzten Stunden zu viel investiert, als dass er es zulassen könnte, dass man ihn schon am ersten Nachmittag beim Commissioner anschwärzt, um den Fall betrügt und abzieht. Der Botschaftssekretär wird geärgert, bis der ihn bezahlt, so ist es Brauch. Bei den paar hundert Dollar Monatslohn, die er verdient, ein gängiger Weg, sich abzusichern. Deshalb ist er schließlich hier.

„Gut, einen Moment warte ich noch gern. Aber sagen Sie mir doch bitte endlich, wieso Sie vermuten, dass es sich um einen deutschen Toten handelt! Es könnte doch schließlich auch ein Australier sein!“ Zur Lippe klingt nun ganz versöhnlich.

„Oder Engländer, Däne, Hamburger ..., klar. Die Rezeptionistin sagt, der Gast habe sich als Deutscher eingetragen, roter Pass, aus Moshi kommend. Kennen Sie da jemanden?“

Zur Lippe muss sich zusammenreißen, um nicht empört zu klingen. „Ndugu Superintendent, um Moshi herum gibt’s Hunderte von Deutschen: Touristen, Angestellte, Entwicklungshelfer, Missionare samt Familien. Wie stellen Sie sich das vor!“ Verladen kann es sich alleine.

„Behindern Sie doch meine Arbeit nicht, monsieur.“ Ungerührt spielt der massige Kommissar sein Mensch-ärgere-ihn-Spiel weiter. „Bevor wir unsere alten 486er warmlaufen lassen, können Sie mir doch sicher mit Erkenntnissen aus ihren Überwachungsprogrammen und Vorratsdatenbanken weiter­helfen. Andernfalls wird alles überaus lange dauern. Zu­dem fehlt uns Geld für das Fingerabdruck-Spürprogramm der Inter­pol. Wie wär’s, könnten Sie es nicht besorgen?“

Diesen Hinweis versteht der Diplomat sofort. „Kann ich Sie mal kurz unter vier Augen sprechen, Superintendent?“

„Sicher.“ Zum ersten Mal seit einer guten halben Stunde be­wegt sich Makaïdi jetzt von der Stelle. Mit dem Botschaftsangehö­ri­gen verzieht er sich in Schüttes Nachbarzimmer. Dort wech­selt oh­ne langes Reden ein Umschlag den Besitzer. Kurz danach verlässt zur Lippe die Geschäftsräume, während Makaïdi Schei­ne zählt: Fünfzig Rote, ein halbes Monatsgehalt. Ein guter An­fang.

Der Schatz von Njinjo

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