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10. Hannes kommt kaum hinterher
ОглавлениеAls ich endlich in Dar es Salaam am Ubungu Bus Terminal ankomme, ist es stockfinster. Wir hatten unterwegs unsere Panne gehabt, keine Stunde vor der Stadt. Statt Plattfuß einen Getriebeschaden, der nach sechs Stunden und viel Hämmern notdürftig behoben war. Der riesige Busbahnhof liegt im Dunkeln, nur Autolichter huschen herum. Wieder mal die Rechnung nicht bezahlt, liest man jeden Tag. Direkt gegenüber liegt das Kraftwerk und die Zentrale des staatlichen Stromkonzerns, die legen dann einfach den Hebel um. Aber auch in den angrenzenden Straßen scheint jegliche elektrische Beleuchtung ausgefallen: kein Strom, kein Licht. Es ist noch nicht mal zehn Uhr abends und Tansanias Vier-Millionen-Metropole spielt toter Mann. Die Nacht ist fast so schwarz wie unterm Mangobaum in Moshi, trotz der abertausend Menschen und Autos um mich herum. Keine fünfzig Meter reicht die Ahnung, dahinter liegt gähnend der Großstadtdschungel. Wie soll man sich hier bloß zurechtfinden?
Beim Aussteigen aus dem Bus rennt eine der mitreisenden Frauen wie von der Tarantel gestochen auf und davon –um das letzte Taxi noch zu kriegen? Sah eher aus wie Flucht. Dieses Phänomen panisch davonstiebender Frauen auf unseren Bahnhöfen habe ich früher schon beobachtet. Meist scheint es ihnen nur darum zu gehen, so schnell wie möglich aus dem Blickfeld der Mitreisenden – der Männer? – zu verschwinden. Sarah hat mal erzählt, sie sei auf ihrer bislang einzigen Bahnreise vor Jahren, als es noch den Nachtzug von Moshi nach Dar’ gab, gleich viermal aggressiv sexuell belästigt worden. Mitten unter Menschen, niemanden kümmerte das. Nie im Leben aber hätte sie einen der Polizisten, die die Zugfahrt begleiteten, um Hilfe gebeten – für Vergewaltigungen seien auch die Bullen allgemein bekannt. Könnte es sein, dass das keine weibliche Panikmache ist?
Honni hat mir die Adresse ihrer Bekannten aufgeschrieben, bei denen ich „garantiert“ für ein, zwei Nächte unterkommen könne. Im diffusen Licht einer Gepäckraumleuchte kann ich ihren Zettel gerade noch entziffern. Das Haus liegt in Temeke, weit entfernt im Süden, in einem Vorort, der nur mit einem Sammeltaxi der grünen Linie, per daladala, zu erreichen ist. Honnis Bekannte hätten sogar ein mobile, mein Chip aber ist seit Wochen leer. Was würde es auch nützen sie anzurufen? Abholen würden die mich sowieso kaum können oder wollen.
Zum Glück war ich schon einmal hier und weiß, dass ich zu den daladalas nur über die große Kreuzung rüber muss. Ich muss auch nicht rennen. Daladalas gibt’s genug, sicher wartet meines schon auf mich. Doch dann wird und wird der kleine Toyota-Bus nicht voll. Mittlerweile gibt’s auch wieder Strom, fahles Licht überzieht jetzt das Gelände, besser als nichts. Laufend treffen drüben Busse aus allen Landesteilen ein, die letzten vor Beginn des Nachtfahrverbots, das seit Jahren für alle Überlandstrecken gilt. Schlag auf Schlag füllen sich nun auch die letzten Sitze. Um kurz vor Mitternacht schließlich bin ich an der Davis Corner, der Ecke im Stadtteil Temeke, von der Honorata gesprochen hat. Nirgends ein Licht, nirgends Straßenschilder, keine Laternen an den ungeteerten Straßen rundum, kein vorbeirumpelnder Autoscheinwerfer, nur ab und zu der Schein eines Feuers oder einer Petroleumlampe aus einem der Höfe. Ich zähle die Häuser ab.
Nach einigen Minuten wähne ich mich vor dem Haus, das mir meine Tante nannte, bergauf bis über die Schienen, dann rechts das zehnte, nah bei der Schule. Ich klopfe. Nichts rührt sich. Nochmal schlage ich gegen die Tür, diesmal lauter, rufe grüßend „hodi?“. Immer noch nichts. Jetzt gehe ich ein wenig zur Seite, um an einem Fensterladen zu pochen. Im selben Moment strahlen mich von drei Seiten Taschenlampen an. Mir bleibt die Spucke weg.
„Was machst du da, ey?“, blökt mich eine kräftige Männerstimme an. „Einbrechen, wie? Das haben wir hier aber gar nicht gern. Jungs, holt schon mal Reifen und Benzin!“
„Was wollt ihr denn? Ich bin ein Freund des Hauses!“ Panik steigt in mir auf: Die wollen mich doch nicht etwa lynchen!? Dar es Salaams Bürgerwehren sind im ganzen Land berüchtigt. Sie patrouillieren nicht nur nachts, aber vor allem dann, vollkommen unkontrolliert. Wer ihnen als vermeintlicher Täter in die Hände fällt, hat schlechte Karten. Die Gruppe von Männern um mich herum wächst schnell bedrohlich an. Auch von drinnen kommen jetzt Geräusche: klägliches Bellen und anschwellende Rufe.
„Wer schreit denn hier so rum vor meinem Haus? Was soll diese keifende Versammlung hier?“ Endlich kommt ein Mensch aus dem verfluchten Haus: Eine kleines, altes, lautes Weib, an deren Hüfte ein halbhoher Straßenköter kläfft.
„Man hat mich hierher geschickt!“, rufe ich und winke.
„Und was treibt das Gesinde hier? ‚Bürgerwehr’, ha! Dass ich nicht lache! Ich pass schon auf mich selber auf! Mordsbrüder seid ihr, verzieht euch, haut schon ab, aber hurtig!“ Die Wirkung ihrer Stimme ist beachtlich. Die Machos treten drei Schritte zurück, und dann den Rückzug an. Die Greisin genießt ganz offenbar Respekt. Nun wendet sie sich an mich. „Und wer bist du, junger Mann? Was willst du hier mitten in der Nacht und störst?“
„Ich bin ein Neffe Honoratas! Aus Moshi. Sie hat mir eure Adresse gegeben, sagt, hier könne ich übernachten. Mein Bus hatte eine Panne, deshalb komme ich so spät. Wo sonst hätte ich denn hin sollen?“ Meine Stimme bröckelt, es dauert, bis ich wieder ruhiger werde.
„Wer ist denn diese Honorata? Was für ein Name! Den müsste ich doch kennen ...“ Die Frau wird leiser, spricht ohne jede Furcht. Die Männer sind verschwunden, man kennt sich, wie es sich gehört.
„Meine Tante, verflucht, hat sie sich etwa vertan? Sie gab mir diese Adresse, Temeke, Weg-13-ost-Haus-zehn.“
„Deine Tante kenn’ ich nicht. Haus zehn stimmt, aber hier ist Weg-13-west. Nicht deine Verwandte hat sich vertan, sondern du! Nun komm aber erstmal rein, damit du dich beruhigst.“
Drinnen sehe ich im matten Licht der Kerze, die die alte Frau vor sich her trägt, ein Dutzend anderer, fast durchweg alter Männer auf dem Boden liegen. Manche sind wach und schauen zu uns auf. „Hey, mama, was’n los?“, fragt einer leise.
„Schlaft weiter, Männer. Hat sich alles geklärt.“ Sie scheint die Wirtin hier zu sein. „Und du, du Neffe dieser ‚Ehrenwerten’, solltest dich auch hinlegen. Die Straßen sind nicht sicher um diese Zeit. Also bleib für heute hier. Du musst natürlich bezahlen wie jedermann.“
Damit hab ich nicht gerechnet. „Oh, lassen Sie nur. Ich hab wenig Geld. Lassen Sie mich nur wieder gehen, ich find schon meinen Weg.“
„Neffchen, du glaubst doch nicht, dass die Bürgerwehr-Machos dich heute Nacht noch einmal laufen lassen? Also bleib lieber hier und bezahl für eine Nacht.“
Trotz nachlassender Angst immer noch leicht bibbernd, willige ich todmüde in den Handel ein. 2.000 Shilling muss ich entbehren können. Ich drücke ihr einen Braunen in die Hand, dann reicht mir die mama zwei Decken und verschwindet hinter einem quer durch den Raum gespannten Vorhang. Ich such mir einen freien Platz, lege meinen kleinen Rucksack zur Seite, breite eine der Decken unter mir aus, ziehe die zweite über Bauch und Ohren, und weile schon bald unter den Schnarchenden.
Viel zu früh weckt mich das Gemurmel der vielen Männer. Draußen ist es noch stockduster. Einer meiner Nachbarn hat eine Armbanduhr, die die Zeit europäisch anzeigt: Fünf vor sechs. Wenige Minuten später scheint vor der Tür gleißend hell die Morgensonne. Null Uhr, der Tag beginnt. Ich schnappe mir meinen Rucksack, lasse die Decken einfach liegen und mache mich auf den Weg zu Honoratas Bekannten.
Im Hellen sieht die Welt gleich weniger feindlich aus. Die umstehenden Gebäude allerdings sind immer noch ähnlich grau wie gestern Nacht. Und gleichen sich. Viereckig mit rostigen Wellblechdächern reiht sich Haus an Haus. Früher mal weiß getüncht, kriecht Zentimeter hoch überall schimmlig schwarz Feuchtigkeit in die Lehmwände. Davor begleiten übel riechende Rinnsale die unbefestigte, braunbeigerote Straße. Keine zehn Meter sind die Grundstücke breit, vor den Gängen dazwischen sorgen senkrecht in den Boden gerammte Wellblechbahnen und verrostete Eisenbahnschwellen für Sichtschutz. Überall stinkt es nach Urin und verbrannter Holzkohle, Dreck allerdings liegt kaum herum.
Zurück zur Ecke, an der letzte Nacht das daladala hielt, dann alles noch mal von vorn. Es hat geregnet in der Nacht, die unzähligen Schlaglöcher sind randvoll mit erdbraunem Wasser. Der richtige, der östliche Weg, den ich gestern verpasste, unterscheidet sich in nichts von seinem westlichen Gegenstück. Weit und breit kein Asphalt, wild durcheinander baumelnde Telefonleitungen, ab und an eine Palme. Irgendwo hoch oben surrt auch Strom. Ich frage zwei Frauen nach Haus Nummer zehn. Zwischen verlockend duftenden Plastikschüsseln haben sie gerade damit begonnen, kleine Imbissstände aufzubauen, um ihren täglichen Geschäften nachzugehen. Danach ist das Anwesen von Honoratas Bekannten schnell gefunden.
Ein älterer Herr begrüßt mich dort aufs Freundlichste. „Karibu! Honoratas Neffe? Hujambo! Was die doch für einen großen Neffen hat! Komm rein, mein Junge, sei unser Gast! Wir haben schon gestern mit dir gerechnet! Ich bin Nyaucho Kabako, Majories Vater, die, die mit Honorata so dicke ist. Wie geht es ihr?“
„Sijambo, mzee! Meiner Tante? Als ich wegfuhr, war sie in allerbester Verfassung: Kämpferisch wie eh und je und gut im Geschäft.“
„In welchem Geschäft?“
„Na, bei ihrer Familie.“ Ich will nicht gleich zuviel erzählen; die Sache mit der Schatzsuche hört sich ja doch etwas verwegen an.
„Und wie geht es ihren Eltern?“
„Gut, gut, so viel ich weiß.“
„Und den deinen?“
„Auch gut, noch vorgestern saßen wir beim großen Weihnachtsschmaus zusammen.“ Das hätte ich vielleicht nicht erwähnen sollen, nachher denkt der alte Nyaucho noch, ich komme aus reichem Hause. „Mzee, wie geht’s denn hier so ihren Leuten?
„Oh, auch gut, danke. Mein treues Weib Brigitte stampft gerade Brei fürs Frühstück, das kann ich riechen. Also geht es ihr wohl gut. Dann sind da noch irgendwo meine vier Töchter Majorie, Amina, Alice und Zuleha, denen geht’s wohl auch ganz gut, nichts Beunruhigendes, wovon ich wüsste. Die müssen bald zur Arbeit. Bislang hat sich keine krank gemeldet, also muss es denen prächtig gehen. Wohnen hinten auf dem Hof und sind anscheinend noch beim Waschen. Zuguterletzt: unser Kleinster, Yahya, mein ganzer Stolz, topfit. Der wird bald zwölf! Zuleha bringt ihn nachher zur Schule. Ein schlaues Kerlchen!“
Nachdem mir Nyaucho seine Sippe vorgestellt und auch von sich ein wenig berichtet hat, setzen wir uns zu den anderen in den Hinterhof. Auf dem Feuer steht ein Topf Milchtee, Nyauchos Frau Brigitte reicht mir, dem Gast ihres Mannes, mit einem Gruß eine Tasse und einen Kloß gekneteten Maisbrei, von dem ich mir ein Stück abreiße. Allmählich sammelt sich die ganze Familie um den Tee und beginnt, mich auszufragen. Woher ich komme, wie ich mit Honorata verwandt sei, die doch so offensichtlich jünger ist als ich, was ich in Dar es Salaam wolle, wie es in Moshi so zugeht, ob es wirklich Schnee da oben gebe, und so weiter. Am meisten wissen will Majorie, Honoratas bildhübsche Freundin, bei deren Anblick mir die Luft weg bleibt, und Sprössling Yahya. Viel Zeit bleibt ihnen zum Glück nicht, denn Majorie muss Yahya zur Sonntagsschule bringen. Sie ist nahe dran, mich innerlich aufzufressen.
Auch Nyaucho, das Familienoberhaupt, muss weg in die Stadt, wo er als Verkäufer im Tuchladen eines Asiaten arbeitet, der zur sonntäglichen Inventur geladen hat. Schon fünfzehn Jahre sei er dort angestellt, erzählt er stolz. Das verdiente Geld reicht zwar vorne und hinten nicht für aller Unterhalt, aber er hat es trotzdem ganz gut getroffen. Sein Chef vermietet ihm günstig Haus und Hof, gibt einen Zuschuss zum Fahrgeld und zahlt selbstredend auch die Medikamente, wenn’s jemanden aus der Familie mal erwischt. Was an Geld fehlt, müssen die Töchter mit nach Hause bringen. Wie sie das machen, bleibt mir vorerst schleierhaft. Von Majorie, der Ältesten, erzählte Honorata immerhin, sie dolmetsche irgendwo und mache dort „Karriere“.