Читать книгу Asphaltblüten - Gabi Paumgarten - Страница 3
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ОглавлениеBlutrot ist die Farbe des Lippenstifts, mit dem Daisy zweimal kräftig über ihre Unterlippe fährt. Sie setzt den cremig fetten Stift in der Mitte des Amorbogens an und führt ihn in einem einzigen Zug zuerst in den rechten, dann in den linken Mundwinkel. Sanft drückt sie ihre Lippen aneinander, sodass sich die intensive Farbe gleichmäßig darauf verteilt. Die Lippen sind das Finish ihres Make-ups. Daisys prüfender Blick in den Spiegel zeigt ein blasses, makellos geschminktes Gesicht – der Mund sticht wie ein leuchtendes Ampelsignal hervor.
Die mandelförmigen Züge ihrer Augen, die durch eine Linie von schwarzem Kajal dezent verstärkt werden, lassen eine Rarität durchschimmern. Eine Rarität, die man sich zu besonderen Anlässen gönnt, die möglicherweise kostspielig, auf jeden Fall aber Genuss versprechend ist. Und für einen Genuss dieser Art ist Daisys Kundschaft gerne bereit, tief in die Tasche zu greifen. Mit einem letzten Griff rückt sie die blauschwarze Pagenkopf-Perücke zurecht. „Daisys“ Haare sind ihr unverkennbares Markenzeichen. Die etwas strenge, aber durchaus jugendliche Perücke aus Echthaar muss jeder Bewegung standhalten. Kein noch so kleines Verrutschen darf das Gegenüber an der Echtheit des eindrucksvollen Erscheinungsbildes zweifeln lassen oder gar die darunter verhüllte Haartracht preisgeben.
Als letzten Schritt fasst sie sich mit beiden Händen an ihre schlanke Taille, um das enganliegende Mieder aus schwarzem Lackleder straffend nach unten zu ziehen. Ihre Figur entspricht noch immer der einer topfitten Mittdreißigerin. Die muskulösen Pobacken, die nur knapp von dem roten Minirock verdeckt werden, lassen eine trainierte Sportlerin erkennen.
Daisy ist mit ihrem Aussehen zufrieden. Jedes Stück ihres Kostüms ist mit Bedacht gewählt, um der Erwartung ihrer Kunden zu entsprechen.
Nachdem sie ihre Alltagsklamotten in einem schäbigen Metallspind neben der Toilettentür verstaut hat, schreitet sie auf roten High Heels und mit großen Schritten durch das Bistro des Stop & Go – einer Rast- und Servicestation am Stadtrand – hinaus auf die Straße, hinaus in die Nacht.
Es ist Montag – und Montag ist gut für das Geschäft. Nach einem Wochenende, das für manche Kerle aus reizlosem Sex bestanden hat, der sie wie Haferschleimsuppe zwar satt gemacht, aber nicht richtig befriedigt hat, verlangt Daisys Kundschaft etwas richtig Scharfes. Sex so scharf wie eine Carolina Reaper, die einem beim gierigen Verzehr den heißen Schweiß aus den Poren jagt und an deren Feuer man sich noch zwei Tage später erinnert.
Es ist früher Abend und der Feierabendverkehr hat bereits eingesetzt. Die Dämmerung verstärkt das grelle Scheinwerferlicht der Autos, das sich wie ein helles Band durch die dunkle Landschaft zieht. Am Straßenrand stehend, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wartet Daisy – und sie wartet nicht lange.
Eine auf Hochglanz polierte Limousine hält auf dem staubigen Bankett. Lautlos schiebt sich die Scheibe nach unten. Ein kurzer Blickaustausch und Daisy öffnet die schwere Wagentür an der Beifahrerseite. Wortlos steigt sie ein.