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ОглавлениеSam wischt hastig mit einem nassen Lappen den frei gewordenen Tisch ab. Dann holt er eine weiße Tischdecke aus der Schublade und breitet sie ganz nach der Manier eines geübten Kellners aus. In einer schlanken Vase platziert er eine rote Nelke mit etwas Grün in die Mitte des Tisches. Darauf folgt das Gedeck. Rechts je ein Wasser- und ein Weinglas, links einen kleinen Teller für das Jour-Gebäck. Sam beeilt sich sichtlich, denn der Kunde, der jeden Tag erscheint, wird in wenigen Minuten eintreffen und er möchte ihn nicht an den unfertigen Tisch setzen. Mit dem letzten Handgriff schiebt sich die Schiebetür zur Seite und ein hagerer Mann mit Hut rollt in das Bistro.
Aufrecht wie ein Haftrichter sitzt Adi Finder in seinem Rollstuhl, als er in das Lokal kommt. Kurz bleibt er zwischen zwei Tischen stehen, um dann mit wenigen abgehackten Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen – einem argentinischen Tangotänzer gleich – an ihnen vorbei zu navigieren. Noch bevor er seine Jacke abstreift, die an der Rückenlehne seines rollbaren Gefährts hängen bleibt, zwängt er sich an die für ihn bereitete Tischseite. Seinen Hut schiebt er in den Nacken. Als er endlich in seiner gewünschten Position ruht, schnippt Adi Finder kurz, aber laut mit den Fingern.
„Kommt sofort“, ertönt es vom Tresen, wo Sam mit dem Kassieren des Tankgeschäftes zu tun hat.
Sam kennt Finders Wünsche auswendig, aber sein Gast legt Wert auf Etikette, weshalb er ihn selbst noch nach Wochen jedes Mal nach seiner Bestellung fragt.
„Was darf ich Ihnen bringen, mein Herr?“
„Hast du noch etwas von dem Braida, Barbera d’Asti? Von dem Fläschchen um zweiundfünfzig?“
„Nicht von dem um zweiundfünfzig“, druckst Sam verlegen herum, „aber von dem um einundsechzig.“
„Also gut, ein Gläschen von dem. Und du weißt, ich brauche kein Wasserglas.“
Sam hebt mit einem leichten Grinsen die Schultern und entfernt das Glas.
„Und zu essen, mein Herr?“
„Das Übliche“, antwortet der Mann im Rollstuhl. Das Übliche ist ein Teller mit verschiedenen kalten, italienischen Vorspeisen, die Sam gekonnt anrichtet und mit zwei Scheiben Ciabatta serviert.
Adi Finder kommt seit einiger Zeit täglich ins Stop & Go. Dabei verlangt er immer denselben Tisch und dieselben Getränke und Speisen. Weder vertreibt er sich die Zeit mit Lesen, noch spielt er mit anderen Gästen Karten – wie er kaum mit jemandem spricht. Adi Finder kommt, bestellt, speist und geht. Er zählt keineswegs zu den unangenehmen Gästen, wenngleich er trotz seiner täglichen Besuche stets eine gewisse Unnahbarkeit ausstrahlt. Das, was er an Lob für Sams höfliche Umsichtigkeit einspart, wendet er großzügig an Trinkgeld auf, sodass er zu jenen Gästen gehört, die durchaus gerne gesehen sind.
Mit einem beinahe unmerklichen Nicken nimmt Finder seine Bestellung entgegen. Nach einer kurzen Probe des Weines, den er wie üblich für gut befindet, starrt er essend aus dem Fenster auf die hastige, mobile Welt, wo sein Blick von dem abendlichen Treiben im Haus gegenüber gefesselt wird.