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Auf zum Blind Date nach Penang

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Leicht orientierungslos öffnete ich die Augen. Ich musste wohl eingeschlafen sein. Es dauerte einen kurzen Moment, bis ich mich wieder gesammelt hatte. Ich befand mich gerade im Flieger nach Kuala Lumpur, auf meiner ersten Reise alleine mit meinem kleinen Sohn – und ahnte in jenem Moment noch nicht, dass ich schon bald gekündigt werden würde, mich eine Menge turbulente Ereignisse heimsuchen und dass ich knapp 14 Monate später in Lissabon meinen persönlichen Plan vom großen Glück über Bord werfen würde. Schläfrig blickte ich auf meinen rechten Nachbarsitz. Mein zehnmonatiges Baby schlief seelenruhig. Wir hatten Glück gehabt, dass der Flug nach Kuala Lumpur relativ leer war. So bekamen mein Sohn und ich eine ganze Viererreihe für uns allein. Ich kramte in meiner Handtasche und holte mein Handy hervor. Es war 4:27 Uhr Dubai-Zeit, denn in Dubai waren wir als letztes zwischengelandet. Wie spät mochte es gerade in Deutschland sein? Ich hatte keine Ahnung und war zu faul, den Zeitunterschied zurückzurechnen. Warum auch? Ich befand mich gerade in einem Schwebezustand. Zirka sechseinhalb Stunden von Malaysia entfernt.

Ich schaute mich um. Die meisten Passagiere schliefen. Eine Flugbegleiterin schlich mit einem Getränketablett in der Hand durch den Gang. Ich nahm mir einen Mangosaft zur Einstimmung auf meine bevorstehende Asienreise. Ein großes Abenteuer wartete auf mich: ein Treffen am Flughafen von Penang mit einer völlig fremden Frau, die ich bis auf ein paar Chat-Gespräche nur von ihrem Profilfoto auf Facebook kannte. Noch zweimal fliegen, und dann stehe ich vor meinem Blind Date. Ein bisschen crazy war das schon.

Der gleichen Meinung war mein Mann allerdings auch gewesen, als ich ihm erzählte, dass ich in einer Facebook-Gruppe eine Mama kennengelernt hatte, die gerade mit ihrem 14-monatigen Baby auf Weltreise war, und dass wir uns in Malaysia treffen wollten, um sechs Wochen durchs Land zu reisen.

»Du willst waaaasss machen???«, fragte er mich ungläubig. Zweifelsohne war mein Mann schon einiges von mir gewohnt, aber diese Informationen musste er erst mal verarbeiten.

Ich wollte das Ende meiner Elternzeit nutzen. In knapp zwei Monaten würde ich wieder an meinem alten Schreibtisch im Büro sitzen. Die letzten Wochen waren gezählt. Wieso also nicht noch ein letztes Mal in die Ferne fliegen, bevor der berufliche Alltag mich wieder fest in seinen Klauen hatte. Dieser Gedanke kreiste ununterbrochen in meinem Kopf, seit meine Familie und ich von unserer ersten gemeinsamen Reise zu dritt wiedergekommen waren.

Mein Mann, mein Baby und ich hatten unsere gemeinsame Elternzeit auf Bali verbracht. Das erste Mal mit Kind unterwegs! Das erste Mal zu dritt! Ich war davor mega aufgeregt gewesen. Und das, obwohl ich mich als sehr reiseerfahren bezeichnet hätte und sogar in verschiedenen Ländern gelebt habe. Aber Reisen mit einem kleinen Geschöpf? Das war für mich eine ganz neue Erfahrung gewesen. Immer wieder hatte ich mich gefragt, ob vielleicht die anderen Recht hatten, die uns naserümpfend für völlig bekloppt erklärten, weil wir mit unserem Kind in so ein exotisches Land fahren wollten. Waren wir dem wirklich gewachsen? Was würde unser Kind essen? Was würden wir machen, wenn es krank würde? War unser Vorhaben absolut unverantwortlich? Waren wir Rabeneltern? Fragen über Fragen.

Als wir damals zu dritt in den Flieger stiegen, fühlte ich mich auf einmal machtlos. Ich wusste, dass ich ab jetzt nicht mehr alles kontrollieren konnte. Eine Rucksackreise nach Bali war anders als das traute Heim, wo alles geregelt nach einem gut strukturierten Zeitplan verlief. Auf Reisen musste man flexibel sein, eventuell nach neuen Wegen suchen und natürlich viel Gelassenheit und Grundvertrauen mitbringen. Ich kann mich noch sehr gut an das heftige Zittern in meinen Beinen erinnern, als ich mit meinem Baby in der Trage das Flugzeug betrat. Hatte ich an alles gedacht?, schoss es mir panisch durch den Kopf, doch es half nichts. Die Entscheidung war getroffen, und ein Zurück kam nicht mehr infrage. Also ermutigte ich mich: Schön einen Schritt nach dem anderem, bis du deinen Sitzplatz gefunden hast.

Im Gegensatz zu mir war mein Sohn völlig entspannt. Er quiekte fröhlich vor sich hin und schien sich zu freuen, dass er endlich ein wenig Action erleben durfte.

Drei Flüge und etwa 30 Stunden später waren meine anfängliche Angst und Nervosität verschwunden. Ich hatte sie irgendwo über den Wolken zwischen Istanbul und Jakarta abgelegt. Als wir auf Bali ankamen, war ich zwar geschafft und müde, aber gleichzeitig freute ich mich wahnsinnig. Ich war endlich wieder unterwegs. Meine große Leidenschaft für das Reisen war erneut entfacht. Und auch wenn in unserem ersten Familienurlaub nicht alles glatt lief, genoss ich jeden einzelnen Moment.

Auf unserem Rückflug verbrachten wir zwei Tage in Istanbul. Den ersten Tag musste mein Mann das Bett im Hotelzimmer hüten, da er aufgrund einer Entzündung am Fuß nicht laufen konnte. Meine Neugierde war zu groß, um bei ihm zu bleiben. Schließlich konnte er ja bei der Rezeption anrufen, wenn er etwas brauchte. Er stimmte mir zu und wünschte uns einen schönen Tag.

Noch etwas übermüdet vom Flug, aber voller Tatendrang, schnallte ich mein Kind im Buggy an und ging ohne Plan mit ihm auf Erkundungstour durch Istanbul. Als ich den Bosporus über die Galatabrücke überquerte, wurde mir bewusst, dass ich gerade das erste Mal ganz allein mit meinem Sohn in einem fremden Land unterwegs war. Mitten im Gewusel Istanbuls. Ich hielt kurz inne und schaute rüber zum Galataturm. Wie fühlte ich mich? Unwohl? Fremd? Unsicher? Nichts davon! Voller Entdeckungslust setzte ich meinen Weg durch die Gassen fort, folgte den Straßenbahnschienen, ging zur majestätischen Hagia Sophia und setzte mich auf eine Bank vor der weltberühmten Moschee. Ich kaufte meinem Kind einen Sesamring, mir einen Tee und ließ das geschäftige Treiben auf mich wirken. Ein Straßenverkäufer hielt bei uns an und schenkte meinem Sohn eine Holzrassel. Einfach so, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Ich war gerührt. Vom Verkäufer und der ganzen Atmosphäre um mich herum.

Wie gut, dass ich in jenem Moment keine Ahnung davon hatte, dass 48 Stunden später genau an diesem Platz eine Bombe explodieren würde, die unter anderem sechs deutsche Touristen mit in den Tod riss.

***

Angekommen! Nervös stand ich am Gepäckband in Penang und wartete auf Rucksack, Babybett, Maxi-Cosi und Buggy. Ich musste grinsen. Nicht nur über das viele Gepäck, das ich mitschleppte, sondern auch weil ich gleich mein Blind Date treffen würde. Meine neue Reisepartnerin und ihren Sohn. Eine unbekannte Frau, die ich aus einer undefinierbaren Laune heraus wenige Tage zuvor bei Facebook angeschrieben hatte. Ich hatte in einer Gruppe mitbekommen, dass sie gerade allein mit ihrem Kind in Asien unterwegs war. Ihr Mann war aus heiterem Himmel verstorben, und die Reise diente sozusagen als Trauerbewältigung. Da ich meine restliche Elternzeit noch mal zum Reisen nutzen wollte, kontaktierte ich sie kurzerhand. Mit einer Antwort hatte ich jedoch nicht gerechnet.

Ein paar Tage später war das Flugticket gebucht. Wir hatten uns auf Malaysia geeinigt. Außerdem wollten wir ein Auto mieten. So einfach und unkompliziert können Frauen manchmal sein.

Ich erkannte Madeline schon aus der Ferne, noch bevor ich durch die Glastür getreten war. Ihr dunkles, sanftmütiges Gesicht, die markante, krausige Kurzhaarfrisur und diese riesigen, warmen Rehaugen. Mit fuchtelnden Armen winkte sie mir grinsend zu, und auch ich strahlte übers ganze Gesicht. Wir schlossen uns in die Arme. Zwei wildfremde Frauen, mit völlig unterschiedlichen Geschichten, die ab sofort sechs Wochen lang einen Roadtrip durch Malaysia machen wollten. Zwei Mamas und zwei Babys. Madeline holte uns mit unserem Auto ab. Ich hatte nur am Rande mitbekommen, dass sie vorhatte, ein größeres Auto zu mieten.

»Damit es für uns vier komfortabler ist«, war ihr Argument.

»Mach ruhig«, war meine Antwort. Ich hatte dabei nicht unbedingt an einen Minibus mit zwölf Sitzen gedacht. Aber auch gut. So hatten wir alle ausreichend Platz und konnten unbesorgt das ganze Gepäck reinstopfen.

Da es bereits spät war, fuhren wir erst mal in ein Hostel in Georgetown, wo wir die erste Nacht bleiben wollten, bevor es dann am nächsten Tag weitergehen sollte. Wohin? Keine Ahnung. Soweit reichte unsere gemeinsame Planung nicht. Klar war, dass wir in sechs Wochen den Bus am Flughafen in Kuala Lumpur abgeben mussten. Und bis dahin wollten wir so viel wie möglich von Malaysia sehen.

Wie Buddha im Gegenwind

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