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Lettland & Estland: das schwermütige russische Lied

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Ich saß auf einem Spielplatz in Riga und schaute meinem Sohn dabei zu, wie er mit einem lettischen Jungen eine Sandburg baute. Ich war unentschlossen. Soll ich oder soll ich nicht? Ich fasste mir ein Herz und griff zum Handy. Einige Tage zuvor hatte ich mein erstes vielversprechendes Vorstellungsgespräch gehabt. Ich hatte mein Glück kaum fassen können. Genau bei der Firma wollte ich schon immer arbeiten. Das Gespräch war super gelaufen. Die Personalchefin war entweder sehr gut gelaunt oder total von mir überzeugt. Wir unterhielten uns zwei Stunden. Fast hätte man den Eindruck bekommen können, dass ihr Entschluss bereits feststand.

»Frau Urban, es hat uns so gut mit Ihnen gefallen«, verabschiedete sie sich euphorisch von mir und drückte dabei mehrere Sekunden lang meine Hand. »Ich rufe Sie am Montag an. Wann geht Ihr Flieger nach Riga noch mal?«

»Um 11 Uhr«, antwortete ich.

»Perfekt, ich rufe Sie um 10 Uhr an. Dann besprechen wir alles weitere.«

Ich wartete vergebens. Die Personalchefin rief weder am Montag um 10 Uhr noch am darauffolgenden Tag an. Mittlerweile war es Mittwoch, und ich hielt dieses Warten nicht mehr aus. Also griff ich zum Handy und rief in Deutschland an. Das Telefonat war sehr knapp und bündig. Sie hatten sich nicht für mich entschieden. Ich legte auf. Und schaute weiter meinem Sohn beim Spielen zu. Nicht die Fassung verlieren, pochte es in meinem Kopf. Doch für mich war gerade eine Welt zusammengebrochen. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich diesen Job bekommen würde. Mein Gefühl hatte mich jedoch getäuscht. Wie gut, dass ich eine Sonnenbrille aufhatte, so konnte keiner sehen, wie sich meine Augen mit Tränen füllten vor lauter Enttäuschung.

Rückblickend betrachtet, bin ich mir sicher, dass es mir in jenem Moment sehr weitergeholfen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass die besagte Firma ein paar Monate später Insolvenz anmelden würde. Aber davon hatte ich an jenem Sommertag in Riga natürlich noch keine Ahnung. Bedrückt packte ich die Spielsachen zusammen. Wir gingen am Freiheitsdenkmal vorbei, zurück in die Altstadt. Als wir am Schwarzhäupterhaus am Rathausmarkt ankamen, war mein Sohn im Buggy eingeschlafen. Ich hatte jetzt also ein bisschen Zeit für mich. Ich setzte mich auf eine Bank, und in der Ferne sang ein älterer Herr ein schwermütiges russisches Lied. Diese traurigen, melancholischen Töne passten perfekt zu meiner Stimmung. Welchen Fehler hatte ich beim Vorstellungsgespräch gemacht? Woran lag es, dass sie sich nicht für mich entschieden hatten? In meinem Kopf kreisten immer wieder dieselben Fragen, obwohl ich wusste, dass ich auf diese nie eine Antwort erhalten würde.

Benommen von den ganzen Selbstzweifeln stand ich auf und ging zu dem älteren Herrn, der immerfort sang. Ich lauschte seiner tiefen Bassstimme, die so klar und gefasst wirkte, und fühlte mich von ihr völlig ergriffen. Ich holte einen Geldschein aus meiner Hosentasche, warf diesen in seinen antiken Koffer und drehte mich um. Gerade in dem Moment, als ich losgehen wollte, hörte ich den älteren Herrn »may the sun shine on your way« sagen. Verdutzt drehte ich mich wieder um. Solche Worte hatte ich von ihm nicht erwartet. Wie ein kleines Mädchen stammelte ich leise »thank you« und schaute ihn dabei fragend an. Hatte er gesehen, dass es mir gerade nicht gut ging? Zumindest wirkten seine Worte besänftigend auf mich. Ich ging los und hörte wenige Momente später, wie der ältere Herr ein neues Lied anstimmte und mit seiner tiefen, gefassten Bassstimme »Somewhere Over the Rainbow« sang. Wie kitschig, dachte ich. Aber das Lied passte gerade wie die Faust aufs Auge.

Zwei Tage später sah meine Welt schon wieder anders aus. Mein Sohn und ich schlenderten durch die wunderschöne Altstadt Tallinns, und die mittelalterliche Atmosphäre, die ein wenig märchenhaft anmutete, gab mir neuen Mut. Es hatte halt nicht sein sollen! Zufälligerweise entdeckte ich am gleichen Abend eine neue Stellenanzeige, die wie für mich gemacht war. Bingo, dachte ich, und ein paar Tage später hatte ich tatsächlich die nächste Einladung zum Bewerbungsgespräch.

Wie Buddha im Gegenwind

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