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Spanien: dieser ewige Kampf gegen Windmühlen

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Kaum war die Tagesmutter wieder einsatzfähig, meldete sie sich erneut krank. Es hatte Komplikationen gegeben. Die nächsten Wochen musste ich meinen Sohn wieder allein betreuen, also buchte ich den nächsten Flug, diesmal nach Madrid. Ich mietete mir ein WG-Zimmer bei einem Argentinier, Gabriel. Er war Musiker und Dichter und hatte vielleicht deswegen den beliebten Stadtteil Las Letras als seine neue Heimat gewählt. In diesem Stadtviertel haben bereits große Schriftsteller des Spanischen Goldenen Zeitalters wie Lope de Vega, Francisco de Quevedo und Miguel de Cervantes gelebt. Ich musste an mein Romanistikstudium mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft denken. Die ganze Studienzeit über hatte mich der gute alte Cervantes verfolgt. Immer wieder hatten mich meine Professoren mit dem großen spanischen Epos »Don Quijote de la Mancha« konfrontiert. Und ganz ehrlich, ich hatte damals so gar keinen Bock auf diesen tragisch-komischen Don Quijote, der komplett in seiner eigenen Welt lebte und von den anderen Romanfiguren ausgelacht wurde. Konnten sie mich nicht endlich in Ruhe lassen mit diesem verstaubten, öden tausendseitigen Buch aus dem 15. Jahrhundert?

Gabriel und ich waren nicht nur Namensvetter, sondern wir teilten noch einige andere Gemeinsamkeiten. Ich kannte seine Heimat Argentinien recht gut, und wir liebten die argentinische Belletristik. Dementsprechend hatten wir uns viel zu erzählen, während mein Sohn fröhlich auf der Couch in der viel zu heißen Altbauwohnung hoch und runter kletterte.

Anschließend war es Zeit, die Straßen von Madrid zu erobern. Die Stadt, die uns für die nächsten zwei Wochen gehören sollte. Gemeinsam mit meinem Kind steuerte ich den ersten Spielplatz an. Nur 100 Meter von unserer Haustür entfernt war der wunderschöne Santa-Ana-Platz. Drumherum zahlreiche Cafés, Tapas-Bars, die Cervecería Alemana, wo sich sogar schon Hemingway rumgetrieben hatte, und in der Mitte ein toller Spielplatz. Hier werden wir die nächsten Tage öfters sein, dachte ich, während ich mein Handy hervorholte, um meine Mails zu checken. Mein Sohn rutschte gerade die Rutsche herunter, als mir in meinem Postfach eine Nachricht von der Firma ins Auge fiel, bei der ich kurz zuvor zum Bewerbungsgespräch eingeladen war.

»Liebe Gabriela,

es hat uns total gut mit dir gefallen, und deine Expertise und Leidenschaft für deinen Job hat uns begeistert. Gerne würden wir dich in einem zweiten Termin noch besser kennenlernen.«

Sí!, dachte ich und dann: Mist! Der zweite Termin sollte ausgerechnet auf den Tag unseres Abfluges fallen. Aber das war sicherlich nicht so schlimm, tröstete ich mich. Überschwänglich schrieb ich zurück, dass ich mich sehr freute und ob auch ein anderer Termin denkbar wäre. Alternativ bot ich an, dass ich notfalls auch einen früheren Rückflug buchen könnte.

Mit tänzelnden Schritten schob ich den Buggy die Fußgängerzone hinauf bis zum majestätischen Plaza Mayor. Wow, was für ein Platz! Die lebenslustige Einstellung der Spanier wirkte ansteckend auf mich. Ich fühlte mich voller Lebensfreude und Entdeckerlust und war glücklich, diesen verworrenen Sommer mitten in Madrid erleben zu dürfen. Abends, als mein Sohn bereits in seinem Bett schlief, gönnte ich mir zur Feier des Tages ein Gläschen Wein. Und während Gabriel im Nachbarzimmer auf seiner Gitarre spielte und liebevoll seine Heimat Argentinien besang, saß ich auf meinem klitzekleinen Balkon und beobachte die lebensbejahenden Madrileños, die draußen auf den Straßen feierten. Ich genoss meinen Wein und fühlte mich beschwingt. Endlich hatte ich wieder das Gefühl von Zuversicht.

***

Um der urbanen Hitze zu entkommen, zogen mein Sohn und ich uns am nächsten Tag in den schattigen Retiro Park zurück. Wir flanierten über die Prachtstraße Gran Via, besuchten den königlichen Palacio Real und ließen den Tag auf dem lebhaften Plaza Santa Ana vor unserer Haustür ausklingen. Ich wollte Madrid natürlich nicht verlassen, ohne eins der bedeutenden Kunstmuseen zu besuchen. So versuchte ich mein Glück zuerst im Museo del Prado, dessen Kunstschätze zu den größten und wertvollsten weltweit gehören. Doch meinem Sohn war an dem Tag nicht unbedingt nach der Kunst aus über fünf Jahrhunderten zumute, daran ließ er keinen Zweifel. Nach 30 Minuten musste ich die ambitionierte Kunstmission abbrechen und das beeindruckende neoklassizistische Gebäude mit einem kreischenden Kind verlassen.

Zwei Tage später versuchte ich es erneut im Museo Reina Sofía. Und siehe da, meinen Sohn schienen die ganzen Picassos, Dalís und Mirós besser zu gefallen. Bevor ich den großen Saal mit Picassos »Guernica« betrat, war er eingeschlafen, und ich konnte in stiller Demut das brachiale Werk auf mich wirken lassen. Beim Betrachten dieses Gemäldes merkte ich erneut eine gewisse Unruhe in mir aufsteigen. Ich habe auf meine Mail an die Firma, bei der ich mein Bewerbungsgespräch gehabt hatte, noch keine Antwort bekommen.

An unserem letzten Tag in Madrid nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und rief bei der Firma an. Ich schaute meinem Sohn beim Spielen zu, während vor meinem inneren Auge erneut eine Tür zugeschlagen wurde. Freundlich, aber gewaltvoll.

»Es tut mir leid, dass ich mich bei dir nicht gemeldet habe, aber mittlerweile haben wir …«

Die Worte waren ausgesprochen. Ich irrte durch die Straßen von Madrid und fühlte mich ganz elend. Klein und nichtsnutzig. Plötzlich entdeckte ich Parallelen zu Don Quijote. Nun verfolgte mich sein Schöpfer – der gute alte Miguel Cervantes – also auch hier in Madrid. Mit seinem irrwitzigen Helden, der denkt, dass er ein großer Ritter sei und gegen Windmühlen kämpfe, weil er sie für feindliche Riesen hält. In diesem Moment empfand ich großes Mitleid mit dem armseligen Don Quijote und fühlte mich selbst, als ob ich gegen gigantische Windmühlen ankämpfen würde und mir nicht eingestehen wollte, dass mein Kampf zum Scheitern verurteilt war.

Vorm Museo Thyssen-Bornemisza erwachte ich aus meiner Lethargie. Ich schaute zu meinem Sohn im Buggy, der tief und fest schlief, und überlegte, ob ich die Gelegenheit nutzen und mir auch dieses Kunstmuseum anschauen sollte. Kurze Panik kam in mir auf. Was passiert, wenn du es nicht schaffst, einen Job zu finden? Musst du dich dann arbeitslos melden? Droht dir der finanzielle Ruin? Und was ist mit der Tagesmutter? Wird sie wieder gesund? Existenzängste kamen in mir auf. Ich war mir unsicher, ob es wirklich schlau war, das Eintrittsgeld für das nächste Museum auszugeben. Sollte ich meine Ersparnisse nicht besser nach bestem Wissen und Gewissen zusammenhalten und wie meinen Augapfel hüten? Ich schob meine Vernunft und Zweifel beiseite und entschied mich für die Kunst.

Mit all den van Goghs, Rubens, Monets, Kandinskys, Chagalls, Lichtensteins und natürlich auch Dalís und Picassos auf den apricotfarbenen Wänden konnte ich auf einmal viel besser denken. Ich schlenderte durch die italienische und deutsche Renaissance, vorbei am Impressionismus, Expressionismus und russischem Konstruktivismus, ließ mich betören von Avantgarde und Surrealismus und landete schlussendlich bei der Pop Art. Ein Boulevard an beeindruckenden Kunstwerken, der mich meine Probleme für ein paar Stunden vergessen ließ.

Ein Künstler schaffte es dabei ganz besonders, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der französische Maler Paul Gauguin, der in der heutigen Zeit vor allem für seine Gemälde aus der Südsee bekannt ist. Leuchtende Farben, üppige Pflanzenwelten und müßiggängerische, leicht bekleidete Menschen. Ich las etwas über seine Vita und erfuhr, dass er infolge eines Börsenkrachs seine Anstellung verlor, dies zum Anlass nahm, seinen biederen Bankberuf ganz aufzugeben, und sich gegen alle Widrigkeiten entschied, sein restliches Leben der Malerei zu widmen. Aus finanzieller Sicht eher eine fatale Entscheidung, zumindest zu seinen Lebzeiten. Denn bis zu seinem Tod wurde sein künstlerisches Schaffen von massiven Geldsorgen überschattet. Ich musste schmunzeln. Immerhin ist er seiner Berufung gefolgt und hat seine große Passion gelebt. Diesen Reichtum dürfen nicht viele Menschen erleben.

***

Am letzten Abend in Madrid ging ich zum Plaza de España. Menschen unterhielten sich lautstark, tranken Bier, amüsierten sich, Kinder rannten kreuz und quer, und aus der Ferne ertönte ein schallerndes Lachen. Ich ließ die Atmosphäre Madrids noch einmal auf mich wirken. Klammerte mich an der Szenerie fest. Als ob ich jedes kleine Detail noch sehr lange in meiner Erinnerung behalten wollte. Ich ließ meinen Blick schweifen und hielt inne bei dem großen Monument in der Mitte des Platzes, das dem großen spanischen Nationaldichter Miguel de Cervantes gewidmet ist. Da war er wieder, thronte da ganz selbstgefällig und blickte herunter auf seine zwei verworrenen Romanfiguren, den Möchtegernritter Don Quijote auf seinem Pferd und den treuen Sancho Panza auf seinem Esel, der seinem Herrn nur folgt, weil der ihm eine Insel versprochen hatte.

Wie war es noch mal mit dem Kampf gegen die Windmühlen? Trotz aller Widrigkeiten lässt sich Don Quijote nicht beirren und verfolgt aus vollster Überzeugung seinen eigenen Weg … Anerkennend schaute ich hinauf zu dem guten alten Cervantes und nickte ihm zu – überzeugt, dass ich jetzt nach all den vielen, vielen Jahren endlich die Botschaft seines Werkes verstanden hatte.

Wie Buddha im Gegenwind

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