Читать книгу Wie Buddha im Gegenwind - Gabriela Urban - Страница 14

Wir waren uns nicht einig

Оглавление

Die Dschungelwanderung auf den Perhentians war nichts im Vergleich zu dem, was uns in den Cameron Highlands, dem Garten Malaysias, erwartete. Als wir in der hügeligen, saftig grünen Landschaft ankamen, war klar, dass wir hier tun müssten, was alle andere auch machten. Tee trinken, Erdbeeren essen und natürlich wandern. Madeline und ich waren uns einig, dass wir uns keiner geführten Tour anschließen würden. Wir wollten lieber auf eigene Faust ein wenig die Landschaft erkunden. Als wir morgens beim Frühstück unsere Tagespläne schmiedeten, hatten wir so gar keine Ahnung, was uns tatsächlich noch erwarten würde.

Angestrengt studierte Madeline den Reiseführer, was sie normalerweise nie tat. Dann klappte sie das dicke Buch zu und sagte: »Ich weiß jetzt Bescheid.«

»Okay. Und wohin geht es ganz genau?«, erkundigte ich mich.

»Wir laufen einfach los. Der Rest ergibt sich von selbst.«

Klingt nach einem guten Plan, der hätte auch von mir sein können, dachte ich ein wenig amüsiert. Doch das Lachen sollte mir schon sehr bald vergehen.

Kurze Zeit später waren wir bereit. Mit den Kindern in der Trage und voll motiviert marschierten wir los. Erst Richtung Straße, dann an der nächsten Weggabelung rechts hoch, weiter geradeaus, links … Und dann?

»Keine Ahnung«, meinte Madeline. »Irgendwann wird schon ein Schild kommen.«

Den Reiseführer hatten wir in der Unterkunft gelassen, schließlich waren wir ja bereits schwer bepackt. Na gut, weiter geht’s.

Etwa 30 Minuten später fingen wir mit dem Stöhnen an. Erst ich. Dann Madeline. Dabei war es bis jetzt nur ein leichter Spaziergang gewesen. Nach einer kurzen strategischen Beratschlagung ging es weiter. Mittlerweile waren die Kinder in der Trage eingeschlafen. Was hätte ich darum gegeben, jetzt mit meinem Sohn tauschen zu können. Aber klagen brachte uns auch nicht weiter. Schließlich hatten wir uns beide aus freien Stücken für diese Wanderung entschieden.

Irgendwann kamen wir endlich am langersehnten Schild an: Trail 10. Alles klar! Wir waren wieder auf der Spur.

»Jetzt kann es losgehen!«, meinte Madeline.

Aber wir sind doch schon seit über einer Stunde unterwegs, dachte ich zähneknirschend.

Wir liefen und liefen. Um uns herum war keine Menschenseele, nur dichtes Gestrüpp, durch das uns ein kleiner Trampelpfad führte, immer weiter bergauf. Plötzlich fing es an, sehr steil zu werden und furchtbar heiß. Waren die Cameron Highlands nicht eigentlich für ihre angenehmen, kühlen Temperaturen bekannt? Ich war jedenfalls extrem nass geschwitzt, und Madeline vor mir sah auch ganz schön mitgenommen aus.

»Sag mal, sind wir denn mal bald am Gipfel angekommen?«, fragte ich völlig aus der Puste und mit einem hochroten Gesicht.

Madeline schaute mich mit ihren dunklen Rehaugen ein wenig skeptisch an. »Du, ich glaube, das wird noch steiler«, antwortete sie etwas kleinlaut.

Oje! Ich kann nicht mehr, hämmerte es die ganze Zeit in meinem Kopf, als ich erkannte, dass Madeline recht hatte. Der Pfad vor uns wurde immer schmaler und steiler. Wir kletterten weiter. Einen Schritt nach dem anderen. Es war zu spät, um umzukehren, da waren wir uns einig. Wir waren uns allerdings nicht einig, wer um Himmels willen diese verrückte Idee mit der blöden Wanderung gehabt hatte. Ich versuchte, mich zu entsinnen: Kam der entscheidende Impuls von mir? Oder war es doch Madeline gewesen, die uns zu diesem kräftezehrenden Schlamassel verleitet hatte?

Kurze Wasserpause. Wir schauten uns um. Wir waren mitten im Dschungel irgendwo in der Wildnis Malaysias und hatten beide keine Ahnung, wie lange wir noch laufen müssten. Am liebsten hätte ich ein Taxi gerufen, Madeline ging es genauso. Doch weit und breit war keine Menschenseele. Wir setzten unsere Wanderung also auf dem kleinen Lehmweg fort. Am nächsten Hang wurde es extrem schlammig, was uns hier und da einen sehr gekonnten Ausfallschritt abverlangte. Wir reichten uns die Hände, versuchten uns gegenseitig zu stützen. Trotzdem wurde unsere Wanderung phasenweise zu einer ordentlichen Schlitterpartie. Wir kämpften uns weiter voran, bückten uns, um tief herabhängenden Ästen auszuweichen, stiegen über umgefallene Bäume oder riesige Wurzeln, und ab und an mussten wir eine Trittleiter aus Holz und verrostetem Metall hinaufklettern. Zum Glück war daneben ein Seil befestigt, welches als Gelände diente. Doch allmählich fing das Dickicht aus Bäumen und Pflanzen vor uns an, sich zu lichten. Wir näherten uns dem Berggipfel. Es konnte nicht mehr viel fehlen. Bald hatten wir es geschafft.

Oben angekommen, schauten Madeline und ich uns atemlos an.

»Yes, we can! High five!«

Wir klatschten beide ab und genossen den herrlichen Ausblick. Um uns herum nichts als Wald und Berge. Meine euphorische Gefühlsduselei wurde allerdings plötzlich von einem ernüchternden Gedanken unterbrochen. Besagt eine alte Bergsteigerweisheit nicht, dass du den Berg erst besiegt hast, wenn du auch den Abstieg geschafft hast?

Und in der Tat forderte uns der Abstieg noch so einige Anstrengungen ab. Es fing an, in den Oberschenkeln ordentlich zu zwicken, mein Rücken schmerzte, und der Muskelkater in den Waden war bereits deutlich zu spüren. Ich war mir sicher, dass ich mich am nächsten Tag nicht mehr würde bewegen können.

Irgendwann nach unserer sechsstündigen Wanderung kamen wir wieder im Dorf Tanah Rata an. Wir hatten es geschafft, wir hatten den Berg tatsächlich besiegt und mobilisierten unsere aller-, allerletzten Kräfte, um es ins nächste Restaurant zu schaffen. Beim Inder angekommen, aßen wir uns kreuz und quer durch die Karte. Die Kellner vom Sri Bichang nickten uns anerkennend zu beim Anblick der riesigen Portionen, die wir verputzten. Wir hatten so einen Bärenhunger, dass wir schon bei der Vorspeise überlegten, was es zum Nachtisch geben sollte.

Nach unserem Fünf-Gänge-Menü lehnten wir uns todmüde, aber super glücklich zurück und prosteten uns mit einem Mango-Lassi zu: »Auf uns! Auf unsere Wanderung!« – wer von uns beiden auch immer diese verrückte Idee gehabt hatte.

Wie Buddha im Gegenwind

Подняться наверх