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Griechenland: der Hakuna-Matata-Verkäuferund der griechische Philosoph

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Einmal im Leben sollte jeder mal nach Athen reisen, die Stadt der großen griechischen Philosophen, wo die große Antike und die gebeutelte Gegenwart aufeinandertreffen. Für mich war schon immer klar, dass ich irgendwann die Akropolis mit eigenen Augen sehen wollte. Der verworrene Sommer 2016, der mich notgedrungen kreuz und quer durch Europa führte, bot mir hierfür die perfekte Gelegenheit. Nach Bulgarien ging es also in die Geburtsstätte von Sokrates, Platon und anderen großen Denkern. In die Stadt, die auch der Schauplatz von vielen individuellen Tragödien des kleinen Mannes war. Die wahren Leidtragenden der internationalen Finanzkrise mussten jeden Tag aufs Neue um ihre Existenz kämpfen.

Ich streunte durch die Straßen dieser geschichtsträchtigen Stadt und sah die vielen Menschen auf zusammengefalteten Kartons sitzen, die auf eine kleine Geldspende oder etwas zu Essen hofften. Irgendwie den Tag zu überstehen war ihre Devise. Ich ging in den erstbesten Supermarkt und kaufte ein paar Lebensmittel. Beim Anblick der Preise verdeutlichte sich mir die Not der Griechen. Grundnahrungsmittel kosteten teilweise das drei- oder vierfache im Vergleich zu unseren deutschen Preisen. Wie können die Menschen das hier nur bewerkstelligen, obwohl sie in der Regel deutlich weniger verdienten als wir in Deutschland – wenn sie überhaupt einen Job hatten?

Mir wurde bewusst, wie reich ich eigentlich war. Damit meinte ich nicht nur meine finanziellen Rücklagen, die ich systematisch über viele Jahre hinweg zurückgelegt hatte, sondern auch die Freiheit, die ich hatte, um meinen eigenen Weg zu gehen. Zweifelsohne plagten mich zu Hause große Zukunftsängste, und ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie es bei mir in beruflicher Hinsicht weitergehen sollte. Dennoch hatte ich die Gewissheit, dass es irgendwann in meinem Leben wieder bergauf gehen würde. Diese Menschen auf der Straße hatten diese Gewissheit nicht.

***

Das lebendige und vor allem geschäftige Viertel um den Monastiráki-Platz lag vor uns. Auf seiner Mitte stand die Kirche Monastirion, und man hatte einen herrlichen Blick auf die Akropolis, die hoch oben über der Stadt thronte. Wir waren im historischen Herzen Athens angekommen und wurden gleich zum Opfer auserkoren von den schlauen und listigen Verkäufern, die auf der Jagd nach kaufkräftigen Touristen waren. Keine Minute stand ich auf dem Platz, als sich der erste Verkäufer an mich heranpirschte. Ein Afrikaner begrüßte mich freundlich lächelnd mit einem überschwänglichen »Hakuna Matata«. Ich wusste, dass sich auch in Afrika keiner mit diesen Worten begrüßen würde, doch schneller, als ich reagieren konnte, band der Mann meinem Sohn ein angeblich selbst geflochtenes Armband ums Handgelenk.

»Das wird dein Kind beschützen und ihm großes Glück bringen«, sagte er.

Oh, Mann! Ich ärgerte mich und musste gleichzeitig ein wenig über seine Listigkeit lachen. Mir war klar, dass die Touristenfalle längst zugeschnappt hatte und ich aus dieser Nummer nicht mehr herauskam. Zumal der Knoten des Armbands so fest war, dass man das angeblich handgemachte Schmuckstück nur noch mithilfe einer Schere entfernen konnte. Der Verkäufer grinste mich sympathisch an. Er wusste, dass ich ihm nicht böse sein konnte.

»Okay, wie viel möchtest du für das Armband haben?«, fragte ich ihn resigniert.

»So viel dir das Armband wert ist«, war seine Antwort.

Ganz schön clever, dieser Kerl! Genau die richtige Antwort für ein lukratives Geschäft. Ich gab mich geschlagen. Was kostet die Welt?! Ich drückte ihm fünf Euro in die Hand. Er grinste mich zufrieden an und rief mir noch ein charmantes »Hakuna Matata« hinterher. Ich konnte seine Gedanken ganz deutlich lesen: Was für eine leichte Beute, diese Mutti!

Exakt zwei Minuten später mokierte sich mein Sohn lauthals über seinen neuen Talisman am Handgelenk. Er hatte voll keinen Bock auf den afrikanischen Glücksbringer. Ich musste mit ihm ins nächste Geschäft gehen und nach einer Schere fragen. Danach war er zufrieden. Zähneknirschend dachte ich an meine zerronnenen fünf Euro. Ich wollte schon zum nächsten Mülleimer laufen, um das durchgeschnittene Armband wegzuwerfen. Doch kurz vor der Tonne hielt ich inne. Ich musste an das breite Grinsen des Verkäufers denken. Sein keckes »Hakuna Matata«, mit dem er mich für dumm verkauft hatte, hallte mir noch in den Ohren. Kurzerhand verstaute ich das Armband in meiner Handtasche. Mal schauen, ob der afrikanische Glücksbringer aus Athen mir Glück bringen würde.

***

Bereits tausendmal auf Bildern gesehen, und doch war es ein sehr erhebendes Gefühl, als ich vor ihr stand. Die Akropolis ist der höchster Punkt Athens, die Wiege der Demokratie und sagenumwobene Festungsanlage der Antike – und der Weg dorthin gestaltete sich als ziemlich atem-raubend. Die kürzeste Route führte unten an der Agora, dem antiken Marktplatz, vorbei und eine kleine Gasse hinauf in die mythenreiche Welt. Bereits nach ein paar Minuten wurde mir bewusst, dass mein Vorhaben ziemlich kräftezehrend werden würde. Schon nach wenigen Metern musste ich den Buggy zusammenklappen, meinen Sohn auf den Arm nehmen und die vielen, vielen Stufen zum höchsten Punkt der Stadt hinaufschnauben. Während ich den Buggy mit einer Hand hinterherschliff, verfluchte ich meine reiselustigen Ideen, die mich schon so oft an die Grenzen meiner physischen Kondition gebracht hatten. Mein Sohn wiederum fand das Abenteuer höchst amüsant. Freudig zappelte er wie ein Fisch auf meinem Arm und erschwerte mir somit das Tragen umso mehr. Schweißgebadet musste ich an die Legende des Boten Pheidippides denken, der nach der gewonnen Schlacht bei Marathon die frohe Kund ins 40 Kilometer entfernte Athen bringen sollte und am Ziel vor Erschöpfung tödlich zusammenbrach. Dabei hatte ich gerade erst ein paar Hundert Meter hinter mich gebracht. Nun gut, wer die Akropolis mit einem gehfaulen Kleinkind erleben wollte, musste halt ordentlich schwitzen.

Am Eingang zur Akropolis gab ich den Buggy ab und lieh mir eine Trage für mein Kind aus. Das war wesentlich komfortabler, und ich hatte so auch endlich die Hände frei zum Fotografieren. Nur noch ein paar sehr steile Meter, die mich von Sokrates, Platon und anderen großen Künstlern und Denkern trennten. Ein großer Schluck aus der Wasserflasche – ein paarmal kräftig Schnauben – und plötzlich stand ich vor dem weltberühmten Dionysostheater, der Geburtsstätte des Dramas, wo einst die Stücke von Sophokles, Aischylos und Euripides uraufgeführt wurden. Was für ein Gefühl! Mit meinem Kind auf dem Rücken schlängelte ich mich an Hunderten wissbegierigen Touristen vorbei, tauchte immer tiefer in die antike Welt ein und kroch dabei noch höher zum Parthenon, dem wichtigsten Tempel. Leider wurde meine geschichtstrunkene Stimmung ein wenig gestört. Nicht unbedingt von den vielen Touristen, die sich mit mir um die antiken Bauwerke drängten, sondern von den zahlreichen Kränen und Baugerüsten. Ich hatte zuvor irgendwo gelesen, dass die Griechen bereits seit über 20 Jahren mit den Renovierungsarbeiten an der Akropolis beschäftigt waren. Als ich mich umschaute, wurde mir klar, dass ein Ende noch lange nicht in Sicht war. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Wie war es möglich, dass die alten Griechen die Akropolis innerhalb von neun Jahren erschaffen konnten und die heutigen Griechen seit über 20 Jahren immer noch nicht ihre Renovierungsarbeiten vollbracht hatten?

***

Den letzten Abend in Athen nutze ich, um mir zahlreiche kleine Details einzuprägen, um ein Stück Griechenland in meiner Erinnerung mit nach Hause zu nehmen. Es war kühl geworden und deutlich zu spüren, dass der Herbst auch hier in Athen im Anmarsch war. Mittlerweile war der Oktober fast rum. Ich schlenderte durch die belebten Gassen, vorbei an vollen Tavernen und Straßenmusikern. Ich war verwundert, wie ausgelassen die Stimmung hier trotz Pleiten, Krediten und Schulden war. Ich setzte mich in ein gemütliches Lokal, um eine Kleinigkeit zu essen. Ein älterer griechischer Mann mit verwachsenen Augenbrauen und Nickelbrille im Gandhi-Stil prostete mir freundlich mit seinem leeren Glas zu. Kurze Zeit später setzte er sich zu meinem Sohn und mir an den Tisch. Dimítris war sein Name. Wir fingen an zu plaudern. Natürlich über die Finanzkrise und das gebeutelte Griechenland. Als ich ihn fragte, wie es denn sein konnte, dass trotz wachsender Armut die Lokale voll mit Einheimischen waren, lachte er.

»Das ist ein Stück unserer griechischen Identität. Das kann uns weder unser Präsident Tsipras noch der strenge Wolfgang aus Deutschland nehmen«, erklärte er mir freudig.

Er musste wohl Schäuble meinen, dachte ich.

»Zu Hause wollen uns unsere Frauen nicht. Deswegen ziehen wir die Gesellschaft auf den Straßen vor. Am Tag gönnen wir uns in geselliger Runde einen Kaffee und halten uns krampfhaft an der Tasse fest, weil wir uns mehr nicht leisten können. Und abends gibt es dann ein, zwei oder mehrere Ouzos. Je nachdem, was der Geldbeutel hergibt. Ohne Ouzo ist das Leben für uns Griechen doch nur halb so viel wert. Und allein zu Hause zu sitzen ist für uns unvorstellbar. Das kommt ja schon fast dem Tod nahe.«

Ich fand seine Erklärung plausibel und entschloss mich, ihn auf einen Ouzo einzuladen. Zum Schluss unseres Gespräches fragte ich ihn, wie er die Zukunft Griechenlands sehen würde.

Er schaute mir tief in die Augen und sagte: »Jede Krise, möge sie noch so dramatisch sein, kann auch ihre guten Seiten haben. Sie kann das Fundament für einen Neuanfang bieten.«

Wie Buddha im Gegenwind

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