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Grimmige Haie und ein gigantischer Napoleonfisch

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In den ersten paar Tagen erlebten wir gleich so einiges: In Kuah verpassten wir ganz knapp die Autofähre auf die Insel Langkawi. Deswegen landeten wir völlig ungeplant am surreal wirkenden Tasoh Lake in der Nähe von Thailand. Dort lernten wir eine Großfamilie aus dem Jemen kennen, die uns zum Picknick einlud, mit köstlichen orientalischen Leckereien versorgte und uns ständig vor den monströsen Alligatoren im See warnte. Ich glaube, sie waren wirklich davon überzeugt, dass am Ufer des Gewässers Alligatoren lauerten, die womöglich auch noch Menschen verschlangen. Anschließend fuhren wir zum kunterbunten Markt nach Padang Besar und nutzten die Gelegenheit, um an der thailändischen Grenze im Duty-Free-Shop einzukaufen. Danach wartete eine lange, einsame Autofahrt von über 400 Kilometern auf uns, bis wir die Ostküste Malaysias endlich erreicht hatten und spät abends im kleinen Ort Tumpat strandeten. Nach ein paar Tempelbesuchen steuerten wir am nächsten Tag die Stadt Kota Bharu an, wo wir uns in einem großen Supermarkt mit ausreichend Windeln, Milchpulver, Feuchttüchern, Haferflocken und sonstigem eindeckten. Denn wir alle waren jetzt definitiv reif für die Insel! Die Babys sollten rumtollen und im Sand spielen, während wir Mamas nach Entspannung, Strand und Meer lechzten. Pulau Perhentian Kecil schien uns für dieses Vorhaben perfekt zu sein.

Wir parkten unseren weißen Bus am Hafen von Kuala Besut und hatten so gar keine Ahnung, ob wir ihn jemals heil wiedersehen würden. Aber die Vorfreude verdrängte unsere Bedenken, sobald das Speedboot übers kristallklare Meer losbretterte. Unsere Aufregung färbte sofort auf die Kinder ab. Auch sie schienen sich zu freuen, obwohl sie keinen blassen Schimmer hatten, wohin die Reise sie als nächstes führen würde. Auf den Perhentians angekommen, wussten wir sofort: Hier würden wir erst mal bleiben. Vorher mussten wir zwar noch den langen Weg vom Anlegesteg zur Unterkunft bewältigen, und das in der Mittagshitze am Strand mit Kindern, Gepäck, zwei Buggys und zwei Reisebetten. Aber Mütter können bekanntermaßen Heldenkräfte mobilisieren. Vor allem auf Reisen.

Wir waren da! In unserem kleinen Paradies. Völlig geschafft sackten wir vor unserer Unterkunft zusammen, breiteten für die Kinder unter einer Palme die Decke aus und streiften unsere Flipflops ab. Keine Minute später begrüßten uns bereits die neuen Nachbarn. Ich konnte im ersten Moment kaum meinen Augen trauen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir auf unserer Malaysiareise keinen weiteren europäischen Eltern mit Kindern begegnen würden. Von wegen! Leonie aus Österreich stellte uns gleich ihre Familie vor, Ehemann Gerrit und ihren einjährigen Sohn Simon, der wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her lief, um irgendwelche Stöcker und Steine in Augenschein zu nehmen.

Leonie konnte meinen verdutzten Gesichtsausdruck gleich richtig deuten. »Zwei Bungalows weiter wohnt noch eine Familie mit zwei kleinen Töchtern.«

Wenig später kamen ordnungsgemäß auch unsere anderen Nachbarn zu uns, um sich vorzustellen. Ein älteres Paar aus den Niederlanden, das sich entschieden hatte, ab sofort seine Rente zu nutzen, um die Welt zu bereisen.

»Wenn nicht jetzt, wann dann?«, sagte Grietje und lachte laut.

Oh ja, dieser Spruch kam mir sehr bekannt vor.

Das sympathische Ehepaar machte uns mit den neuen Strandregeln vertraut: »Tagsüber kann jeder machen, wonach ihm beliebt. Aber pünktlich zur Dämmerung treffen wir uns alle hier, um gemeinsam auf den Sonnenuntergang anzustoßen«, verkündete Grietje.

Madeline und ich schauten uns an. Wir wussten beide, was die andere gerade dachte: Hier gefällt es uns. Diese Insel wird uns garantiert nicht so schnell los.

Grietjes Mann Hendrik mahnte uns zur Eile: »In 30 Minuten geht die Sonne unter, und bis dahin müssen wir noch Getränke besorgen.« Großzügig bot er gleich an, Bier holen zu gehen. Ohne unsere Reaktion abzuwarten, stapfte er mit großen, eiligen Schritten durch den Sand, als ob er eine wichtige Mission zu erledigen hatte.

Kurz bevor der feuerrote Ball im Südchinesischen Meer unterging, ließen wir die eisgekühlten Bierflaschen klirren.

»Lasst uns auf diesen kostbaren Moment trinken«, sagte Grietje. »Und darauf, dass wir es alle hierher auf diese wunderbare Insel geschafft haben.«

Während sich der Himmel in den buntesten Rottönen färbte und die Kinder bei Oma Grietje und Opa Hendrik auf dem Schoß ihr Unwesen trieben, fühlte ich mich unendlich dankbar. Das alles erleben zu dürfen war definitiv der perfekte Abschluss meiner Elternzeit.

Plötzlich unterbrach Gerrit meine Gedanken. »Übrigens, Mädels, habt ihr nicht Lust, dass wir uns morgen zusammen ein Boot mieten und schnorcheln gehen? Hier kannst du sogar mit Schildkröten, Gelbkopfmuränen und anderen Meeresbewohnern schwimmen.«

»Gemeinsam mit unseren Kindern?« Ich schaute ihn ungläubig an. »Geht das überhaupt?«

»Na klar!«, antwortete Gerrit.

***

Am nächsten Morgen, nachdem wir alle gemeinsam haufenweise pancakes verdrückt hatten, ging es gut gestärkt los. Hinaus aufs Meer, um mit der faszinierenden Unterwasserwelt auf Tuchfühlung zu gehen. Ich schnallte meinen Sohn im Maxi-Cosi an, und er schien die Bootsfahrt zu genießen. Zumindest quiekte er vor Freude. Rechtzeitig vor unserem ersten Stopp fiel er in einen komatösen Schlaf. Nun gut, mit einer frischen Brise um die Nase und dem gleichmäßigen Schaukeln des Bootes war dieser Ort nicht unbedingt der schlechteste, um ein Mittagsschläfchen zu halten.

Noch ein paar Anweisungen vom Kapitän, und ganz nebenbei erinnerte er uns daran, dass es hier auch Haie gab: »Ihr müsst aber keine Angst haben. Das sind nur Riffhaie. Die tun eigentlich nichts.«

Hatte er EIGENTLICH gesagt??? Mir war schon ziemlich mulmig zumute. Schließlich war ich ein gebranntes Kind, das mit Steven Spielbergs Film »Der weiße Hai« groß geworden ist – und jahrelang gebraucht hat, um zu begreifen, dass in einem Pool oder See nicht plötzlich ein monströser Hai mit einem weit aufgerissenen Maul rausspringen konnte.

Aber es half nichts. Mit Maske und Schnorchel sprang ich den anderen hinterher ins Wasser, und sofort war ich von der Vielfalt an Fischen und Korallen total überwältigt. Während mein Sohn an Bord sein wohlverdientes Mittagsschläfchen hielt, tauchte ich hinab in eine farbenfrohe Welt. Um mich herum die verschiedensten Fischarten: Skorpionfische, Stachelrochen, Clownfische, Seepferdchen und viele andere Meeresbewohner kreuzten meinen Unterwasserweg. Oder besser gesagt, ich ihren. Immer wieder tauchte ich auf, um zu prüfen, ob mein Sohn mittlerweile wach war. Aber der Kapitän streckte bloß seinen Daumen in die Luft und grinste. Augenscheinlich war alles okay. Und ich konnte weiterhin durch die pittoreske Meereswelt mit ihren buntesten, schillerndsten Farben schwimmen.

Beim nächsten Stopp hatte ich die drohende Hai-Gefahr schon längst vergessen. Da mein Sohn immer noch schlief und ich völlig gebannt von den Korallen und ihren leuchtenden Bewohnern war, entfernte ich mich immer weiter vom Boot. Ich genoss die Freiheit unter Wasser, die ihrem ganz eigenen Rhythmus folgte, und merkte gar nicht, dass um mich herum weit und breit keine Menschenseele mehr war. Ich war völlig eins mit dem Hier und Jetzt, als plötzlich, einen knappen Meter unter mir, ein Hai vorbeischwamm. Aus dem Nichts heraus kam noch ein anderer. Klar und deutlich konnte ich seinen grimmigen Gesichtsausdruck erkennen. Er gewährte mir noch einen Blick auf seine spitzen Zähne, und schon war er wieder verschwunden. Genauso schnell, wie er gekommen war. Mein Puls stieg ins Unermessliche. Ich war mir dessen bewusst, dass erfahrene Tauchsportler über meine Panikattacke nur lachen würden, dennoch hatte ich erst mal genug gesehen. Ich tauchte auf und erkannte in der Ferne unser Boot. So schnell ich konnte, schwamm ich zurück.

Sobald ich in die Nähe von Menschen kam, löste sich meine Anspannung. Und als ich an Bord wieder sicheren Boden unter meinen Füßen spürte, fing ich sofort euphorisch an zu erzählen.

»Ich habe da hinten zwei Haie gesehen, die waren mindestens sooo groß!«, sprudelte es aus mir heraus. Ich deutete mit meinen Händen eine beachtliche Größe an und konnte so gar nicht einschätzen, ob ich gerade maßlos übertrieb oder nicht. Mit einem anerkennenden Nicken schauten mich gebannt mehrere Augenpaare an. Ich konnte selbst kaum glauben, was ich gerade erlebt hatte. Dieser Moment war einfach unbeschreiblich und würde mich noch viele Jahre tief in meinem Herzen begleiten. In jenem Augenblick ahnte ich noch nicht, dass kurze Zeit später dieses Erlebnis noch getoppt werden sollte.

***

Drei Tage danach machten wir eine zweite Schnorcheltour. Als Gerrit an Bord auf die schlafenden Kinder aufpasste, damit Leonie und ich schnorcheln konnten, tauchte unter uns ein gigantischer Napoleonfisch auf. Ich schätzte seine Länge auf mindestens zwei Meter und das Gewicht auf weit über 150 Kilo. Diesmal war ich mir sicher, dass ich keineswegs übertrieb. Voller Respekt schauten Leonie und ich uns gegenseitig an und rissen dabei ganz weit die Augen auf. Ich wagte kaum, zu atmen beim Anblick dieses riesigen Fisches. Völlig unbeirrt passierte der Napoleonfisch uns zwei Mädels. Er würdigte uns eines neugierigen Blickes, und ich konnte dabei ganz klar seine markante, wulstige, abgeschrägte Oberlippe erkennen, die ihn – zugegeben – nicht zum hübschesten Meeresbewohner machte. Trotz seiner beeindruckenden Größe war er mir um einiges sympathischer als die windigen Riffhaie vor ein paar Tagen.

Wie Buddha im Gegenwind

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