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III.

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Fröh­lich spie­gel­te sich der Son­nen­schein auf der Glat­ze des Lan­drats, als er den Hut lüf­te­te, um den her­an­brau­sen­den Zug mit sei­nen Gäs­ten zu be­grü­ßen. Der Re­stau­ra­ti­ons­wirt, die zwei Kof­fer­trä­ger und der Sta­ti­ons­vor­ste­her von Evers­ha­gen be­ob­ach­te­ten neu­gie­rig, wen er emp­fan­gen wür­de. Er sah so ver­gnügt aus. Ein hüb­sches Bild, wie er dem wür­di­gen äl­te­ren Paar aus dem Wa­gen half, und wie das jun­ge Mäd­chen leicht­fü­ßig hin­ter­her­sprang. Trotz all des Kran­ken und Wun­den in ihr und der schreck­li­chen Alt­jung­fer­ge­dan­ken bot Aga­the in ih­rem hel­len Som­mer­klei­de noch im­mer einen An­blick, der je­den un­be­fan­ge­nen Men­schen er­freu­en muss­te. Ihr in­tel­li­gen­tes Ge­sicht lach­te in ge­sun­der Blü­te un­ter dem run­den Stroh­hut mit der großen gelb­li­chen Spit­zen­schlei­fe. – Kei­ne Spur von Er­mü­dung nach der Fahrt. Sie hat­te sich un­ter­wegs die gan­ze Zeit mit dem jun­gen Dürn­heim gen­eckt, der von den El­tern auf­ge­for­dert war, an der Par­tie teil­zu­neh­men.

Das Pu­ri­ta­ni­sche, die stren­ge ta­del­süch­ti­ge Mie­ne war zu Haus ge­blie­ben. Und da­für die­se Fä­hig­keit, sich zu freu­en – dies Ent­zücken an Luft und Grün und Son­ne – über­mü­ti­ge Be­we­gun­gen – ke­cke klei­ne Ant­wor­ten … Das stand ihr! Ja – warum zeig­te sie sol­chen Reich­tum an Stim­mun­gen nicht öf­ter?

Der er­setz­te sehr hübsch die blu­men­haf­te Poe­sie der ers­ten Ju­gend.

Ein zar­ter, kaum merk­ba­rer Stem­pel von et­was Durchlit­te­nem über al­lem – das reiz­te den Lan­drat mit der Glat­ze.

Wie viel oder wie we­nig moch­te solch’ ein Mäd­chen ei­gent­lich vom Le­ben wis­sen? Wie wür­den die ver­schlei­er­ten, schmerz­lich glän­zen­den Au­gen bli­cken, wenn …?

Die Liä­sons mit den Frau­en sei­ner Freun­de – sie wa­ren ja sehr nett – ge­wiss – al­ler­liebst … aber … Man kann­te al­les zu ge­nau. Jede sag­te doch nur das­sel­be, was die Vo­ri­ge in ähn­li­cher Si­tua­ti­on auch schon ge­sagt hat­te.

Üb­ri­gens – eine tüch­ti­ge Haus­frau war die Heid­ling je­den­falls – der Re­gie­rungs­rat mach­te doch An­sprü­che im Es­sen und in al­lem.

Dürn­heim ver­lieb­te sich heu­te auch in sie. Nun seh’ ei­ner an, wie sie die Frei­hei­ten und Ver­trau­lich­kei­ten ei­ner al­ten Kin­der­freund­schaft be­nutz­te, um ihn zu lo­cken … Rai­ken­dorf be­merk­te es mit Ver­gnü­gen – es er­höh­te ihm die Span­nung, in der er sich dem Mäd­chen ge­gen­über seit neu­lich Abend be­fand.

Woll­te er wirk­lich ’mal hei­ra­ten, so war es hohe Zeit. Er rech­ne­te nach, wie alt er mitt­ler­wei­le ge­wor­den. Wahr­haf­tig – so nah’ den Vier­zig!

Also – dar­über war er sich jetzt klar – Aga­the ge­hör­te ein­fach zu den Mäd­chen, die man nicht im Ball­saal se­hen darf. Dazu wa­ren die Far­ben ih­res We­sens viel zu fein. Na­tür­lich wirk­te sie un­ge­fähr so, wie ein in­ti­mes Aqua­rell in ei­ner weit­läu­fi­gen Jah­res-Aus­s­tel­lung. Ver­rückt von den lie­ben El­tern – das Hin­schlep­pen der ar­men Din­ger an Orte, wo ihre Ge­gen­wart ein­fach ver­fehlt ist.

In klei­nem Krei­se – in der frei­en Luft – an so ei­nem net­ten Kaf­fee­tisch, wie er ihn im Gras­gar­ten hin­ter sei­ner Dienst­woh­nung hat­te her­rich­ten las­sen – da war sie lieb und frau­lich in dem hüb­schen licht­blau­en Kleid­chen. Zum Teu­fel – man sah doch sei­ne Frau öf­ter am Kaf­fee­tisch als im Ball­saal.

Dem Ma­ler da­mals hat­te sie auch ge­fal­len. Sie wür­de sei­nem Ge­schmack kei­ne Schan­de ma­chen. Das war sehr wich­tig.

Es wäre viel­leicht gar nicht dumm von ihm … – Lan­drat Rai­ken­dorf zeig­te den Da­men die schö­nen ge­schnitz­ten al­ten Schrän­ke, die zum In­ven­tar der Woh­nung ge­hör­ten, die Men­ge lee­rer Zim­mer – ein we­nig nied­rig aber von herr­schaft­li­chem An­se­hen. Das Haus lag dicht am Tor der klei­nen Stadt, mit dem Blick auf einen grü­nen Wie­sen­plan, wo im Herbst das Se­dan­fest ge­fei­ert wur­de.

»Hier kön­nen Sie sich doch ein rei­zen­des Heim grün­den«, be­merk­te Frau Heid­ling.

»Ja – gnä­di­ge Frau – so ein al­ter Jung­ge­sel­le, wer wird sich des­sen noch er­bar­men?«

»– Glau­ben Sie mir, man sehnt sich manch­mal recht nach ei­nem lie­ben Ver­ständ­nis …« Das wur­de ein we­nig spä­ter zu Aga­the ge­spro­chen – »pro­phe­zei­en Sie mir ein­mal: Kön­nen Sie sich vor­stel­len, dass ein jun­ges, hüb­sches, klu­ges Mäd­chen so einen al­ten, kah­len Kerl … was? Hat nicht viel Aus­sicht?«

»Tun Sie doch nicht so be­schei­den, im Grun­de sind Sie ja schreck­lich ein­ge­bil­det.«

»Aga­the, Kind, komm ein­mal her.«

»Mama – was möch­test Du?«

»Nimm das Tuch um, es war mir vor­hin, als wür­de es kühl.«

Zu den Müt­tern, die ihre Töch­ter zu ver­hei­ra­ten ver­ste­hen, ge­hör­te Mama Heid­ling nicht. Sie wünsch­te es ja so sehr, aber die Er­re­gung mach­te sie un­ge­schickt.

Der Lan­drat fand, es sei ver­nünf­tig, sich die Sa­che noch ein­mal zu über­le­gen.

Er küss­te Aga­the beim Ab­schied die Hand. Als sie schon im Ei­sen­bahn­wa­gen saß, sprang er auf das Tritt­brett, um die dün­nen wei­chen Fin­ger­chen noch ein­mal zu um­schlie­ßen.

»Ein schö­ner Tag«, sag­ten die El­tern be­frie­digt und wa­ren zärt­lich ge­gen Aga­the.

Im Som­mer­son­nen­schein – Sieg über ein küh­les, mü­des Män­ner­herz. Ja – Sieg …

Und un­treu al­lem, was hei­lig, recht und gut ihr schi­en … Das kla­re, rei­ne Ide­al ver­leug­net! Feh­ler und Lich­ter ih­res Ich be­wusst zu dem Zwe­cke be­trach­tet: was lässt sich da­mit un­ter­neh­men? Aus Er­fah­rung und Beo­b­ach­tung ein Vor­bild zu­sam­men­ge­fügt und sich da­nach ge­rich­tet – ihre Rol­le durch­ge­führt!

Das Ge­meins­te, des­sen ein Mäd­chen sich in ih­ren Au­gen schul­dig ma­chen konn­te, war ge­tan – von ihr selbst.

Sie woll­te ihn hei­ra­ten – den sie nicht lieb­te. Und ge­ra­de der Mann muss­te es sein, der auf je­nem ers­ten Ball ihr die un­ver­ges­se­ne De­mü­ti­gung an­ge­tan und ihr den Vor­ge­schmack ge­ge­ben hat­te von dem gal­len­bit­te­ren Trank ih­rer Ju­gend.

So also wur­den Män­ner ge­won­nen?

So ein­fach war es? Nur ein Re­chenexem­pel? Und sie hat­te vier­und­zwan­zig Jahr alt wer­den müs­sen, um das zu ler­nen?

Nicht wei­ter so – nein – nicht wie­der­ho­len … Bren­nen­de Ver­ach­tung – ein wun­der, blu­ten­der Hass – re­si­gnier­te Freu­de … Und ganz im nächt­lichs­ten Dun­kel der Ge­füh­le kau­ernd, das zit­tern­de, gie­ri­ge Ver­lan­gen, sich an dem Ge­won­ne­nen zu be­rau­schen.

Ja – ein schö­ner Tag.

Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

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