Читать книгу Das gibt's nur bei uns - Georg Markus - Страница 25

»Sogar der Liftboy ist Professor« Die Österreicher und ihre Titel

Оглавление

In Österreich gibt es keine Briefträger, sondern Postoberadjunkte, keine Kellner, sondern Ober, keine Beamten, sondern Kanzleiräte. Und jeder führt neben seinem Amtstitel noch mindestens einen Doktor.« So sah Ephraim Kishon die Titelsucht der Österreicher. Nicht genug damit, gelangte der israelische Satiriker auch noch zu dem Schluss: »Der Hotelportier ist der amtierende Verwaltungsrat für Hotelangelegenheiten, der Chauffeur wird Herr Parkrat tituliert, und sogar der Liftboy ist Professor.«

»Keine Kellner, sondern Ober …«

Die Gruppen des Titeldschungels

Natürlich werden in allen Ländern der Welt Titel verliehen. Aber in keinem anderen kommt diesen eine derartige Bedeutung zu wie in Österreich. Waren es einst aristokratische Ränge, so sind es bis heute neben akademischen auch Amts-, Berufs- und sonstige Titel, die uns zum ungekrönten Weltmeister in der Vergabe von Ehrenbezeichnungen aller Art machen. Österreichs Titeldschungel ist in mehrere Gruppen geteilt, zu ihnen zählen:

•die »gesetzlich geschützten Titel«, darunter akademische Grade wie Doktor, Diplomingenieur, Diplomkaufmann, Magister, Master und Bachelor,

•Berufstitel wie Universitäts- und andere Professoren, Kammerschauspieler, Kammersänger sowie Kommerzial-, Ökonomie-, Oberstudien-, Medizinal-, Veterinär-, Forst- und Bauräte, die allesamt durch den Bundespräsidenten verliehen werden,

Doktor honoris causa

•der von Universitäten vergebene akademische Ehrentitel Doktor honoris causa,

•Amtstitel wie Ministerial-, Regierungs-, Kanzlei- und Wirkliche Hofräte,

•kommunale Ehrentitel wie »Bürger« oder »Ehrenbürger« von Wien und anderen Städten.

•Begehrt sind auch die »Titel ohne rechtliche Grundlage« wie Direktor, Abteilungsleiter oder Oberingenieur. Doch dürfen diese von der Privatwirtschaft geschaffenen Bezeichnungen im Verkehr mit den Behörden nicht verwendet werden.

Oberrevident bis Sektionschef

Die klassische Titel-Karriere bietet sich dem österreichischen Beamten. Ihm steht auch im 21. Jahrhundert eine Hundertschaft an Titeln zur Verfügung, wobei die Palette vom Oberrevidenten bis zum Sektionschef reicht. Nicht wenige Titel entstanden als landesübliche Kuriosa. So war die Anrede »Professor« ursprünglich nur Universitätslehrern vorbehalten, als aber die sich unterbezahlt fühlenden Gymnasiallehrer höhere Gehälter verlangten, entschied Kaiser Franz Joseph sehr österreichisch: Er lehnte die Forderung unter Hinweis auf den chronisch leeren Staatssäckel ab und gestand den Lehrern stattdessen zu, sich ab sofort Professor nennen zu dürfen. Das erfreute die Pädagogen beinahe ebenso wie die erhoffte Gehaltserhöhung und führte zum geflügelten Wort vom »Titel ohne Mittel«.

Einstein legt seinen Professorentitel zurück

Als in der Ersten Republik durch Abschaffung des Adels ein arges Titeldefizit entstand, begann man auch verdiente Künstler mit dem Titel Professor zu schmücken, was sich bis heute erhalten hat.

Sehr zum Ärger des Kritikers Hans Weigel. Als nämlich dem durch seine Fernsehserien bekannt gewordenen Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler Fritz Eckhardt der Berufstitel »Professor« verliehen wurde, telegrafierte ihm Weigel: »Hiermit lege ich meinen Professorentitel zurück. Albert Einstein.«

Anderswo herrscht Erstaunen darüber, dass es in Österreich hundert Jahre nach Abschaffung des kaiserlichen Hofs immer noch Hofräte gibt. Der Titel wurde 1765 unter Maria Theresia »erfunden«. Als man den Staatskanzler Metternich im März 1848 aus seinem Büro am Ballhausplatz jagte, trat ein trotz Revolution immer noch treu ergebener Beamter auf den Fürsten zu und fragte ihn besorgt: »Was soll denn jetzt aus uns werden, wenn Durchlaucht uns verlassen?«

»Beruhigen Sie sich, lieber Hofrat«, antwortete Metternich, »Kaiser werden in Österreich gestürzt, Regierungen kommen und gehen – aber die Hofräte, die bleiben!«

Wirkliche und unwirkliche Hofräte

Metternich sollte irren, denn der Titel Hofrat wurde nur zwei Jahre nach der Revolution abgeschafft und durch den Ministerialrat ersetzt. Doch die ihres klangvollen Titels beraubten höheren Staatsdiener protestierten so lange, bis der Hofrat wieder eingeführt wurde. Wobei der Ministerialrat selbstverständlich zusätzlich erhalten blieb. Heute kann man den Hofrat sowohl als Amtstitel (Wirklicher Hofrat) als auch als ehrenhalber verliehenen Berufstitel (Hofrat) tragen. Womit Metternich letztlich doch recht behalten sollte: »Die Hofräte, die bleiben!«


»Die Hofräte, die bleiben«, meinte Österreichs Staatskanzler Klemens Fürst Metternich.

»Der alte Herr Kanzleirat«

Auch später gab es immer wieder Bemühungen, die Amtstitel zu reduzieren. So wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Titel Kanzleirat »wegen Überalterung« aus dem Dienstgradverzeichnis der Stadt Wien gestrichen. Bis im Jahr 1948 der Film Der Herr Kanzleirat den Titel wieder ins Rampenlicht brachte. Besonders populär wurde er durch das von Hans Moser im Film interpretierte Lied Der alte Herr Kanzleirat von Hans Lang. Daraufhin beschloss man, den Titel wieder einzuführen, wie einem in der Zeitung Express veröffentlichten Bericht zu entnehmen ist: »Das Verdienst, dass der alte Herr Kanzleirat reaktiviert wurde, gebührt unserem Hans Moser. Sein Lied hat Wiens Stadtväter jetzt bewogen, den Titel wieder zu neuen Ehren kommen zu lassen.«

Das Führen glorioser Titel erfreut sich in Österreich einer jahrhundertealten Tradition und hat seine Wurzeln in der Aristokratie.

Wie man geadelt wird

In der ersten Reihe stand in der Monarchie, wer über zumindest 16 tadellos aristokratische Ahnen – in mütterlicher und väterlicher Linie verteilt – verfügte. Bis zu achtzig solcher Familien erfüllten als Fürsten und Prinzen die strengen Richtlinien und galten somit als »hoffähig«, womit ihnen der uneingeschränkte Zutritt zum Kaiserhaus gestattet war. Zu dieser Kategorie zählten neben dem Haus Habsburg die Dynastien Liechtenstein, Arenberg, Coburg, Lobkowitz, Salm, Dietrichstein, Auersperg, Fürstenberg, Schwarzenberg sowie Thurn und Taxis – und zwar genau in dieser Reihung, die nach dem Zeitpunkt der Erhebung in den Fürstenstand erfolgt war. Die Urahnen dieser Eliten hatten ihre Karrieren als Raubritter begonnen, wobei sie sich im Lauf der Jahrhunderte zusätzlich noch besondere Verdienste um die Krone erwerben konnten – oft durch Beteiligung an den enormen Kosten, die Kriege verursachten.

Mit vielleicht nur 15 hochadeligen Vorfahren …

Mit Maria Theresia setzte der sukzessive Verfall des Adels ein. Sie war es, die dem blauen Blut die wichtigsten Privilegien nahm, vor allem die Befreiung von Steuern und Abgaben. Und doch blieb der Adel eine geschlossene Gesellschaft, deren Lebensform und Standesethos dazu beitrugen, sich vom gemeinen Volk zu distanzieren. Ganz vorne in den Reihen der »hoffähigen« Dynastien fand man auch die Fürsten Esterházy, Hohenlohe, Schönburg und Windisch-Graetz, danach kamen Angehörige der gräflichen Häuser Lamberg, Kinsky und Pálffy. Je weiter oben der Name stand, desto näher beim Kaiser durfte man bei Hofbällen, Galadiners und sonstigen Anlässen sitzen. Die Hoffähigkeit jedes Individuums wurde vom Kaiserhaus mittels »Ahnenproben« überprüft. Bei Hof angestellte Experten achteten durch Studium von Stammbäumen, Heirats- und sonstigen Urkunden penibel darauf, dass sich nicht irgendein Bastard mit vielleicht nur 15 hochadeligen Vorfahren in die Hofgesellschaft einzuschleichen wagte.

Industrielle, Bankiers, Beamte, Militärs und Künstler

Mit Einsetzen der industriellen Revolution war das Bürgertum drauf und dran, immer mehr Einfluss auf die Geschicke des Reichs zu nehmen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Industrie- und Finanzdynastien, Beamte, Militärs und Künstler, die sich als treue Stützen des Throns erwiesen, mit erblichen Titeln beglückt.

Diese neu geschaffene Gesellschaftsschicht war in der hierarchischen Ordnung zwar nicht mit den alten Familien zu vergleichen, wer sich dem Kaiser gegenüber aber loyal verhielt und die Stufenleiter des Erfolgs kontinuierlich emporstieg, durfte sich immerhin Baron, Freiherr, Edler oder Ritter nennen. Im Sprachgebrauch als »Kleinadelige« bezeichnet, waren diese genau genommen weder Teil der Aristokratie noch des »Volkes«, sondern gehörten der »Zweiten Gesellschaft« an.

Johann Strauß wird kein Baron

Allein unter Kaiser Franz Joseph wurden 5700 Bürgerliche geadelt, darunter prominente Kaufleute und Bankiers wie Schoeller, Epstein, Mautner Markhof, Drasche, Wertheim und Rothschild. Bei Künstlern war der Kaiser strenger. So lehnte er die Ernennung des Walzerkönigs Johann Strauß in den Adelsstand ab, da dieser 1848 einen Revolutionsmarsch komponiert und mit den Aufständischen sympathisiert hatte. Der wohl populärste Musiker seiner Zeit kam auch nach Jahrzehnten noch nicht für eine »Baronie« infrage, obwohl er inzwischen eine ganze Reihe von habsburgtreuen Texten vertont hatte.

Dichter erben ihre Titel

In der Donaumonarchie hat man es – bezüglich der Titelvergabe – auch sonst nicht zuwege gebracht, die Bedeutung großer Künstler richtig einzuschätzen. Die wenigen österreichischen Dichter von Rang, die dem Adel angehörten, hatten ihre Titel allesamt geerbt: Hugo von Hofmannsthal ebenso wie Marie von Ebner-Eschenbach geborene Freifrau von Dubsky, Ferdinand von Saar, Bertha von Suttner geborene Gräfin Kinsky oder Heimito von Doderer. Kein Einziger wurde für seine Leistung nobilitiert, auch die Größe eines Grillparzer, eines Raimund, Nestroy oder Schnitzler hat der Hof nicht erkannt – oder nicht erkennen wollen. Jedenfalls wurde keiner der wirklich Großen in die »Zweite Gesellschaft« erhoben.

Kaiser Karl wird auch »Sehadler« genannt

In der letzten Dekade der Habsburgermonarchie wurden die Angehörigen des Kleinadels mit »Prädikaten« versehen, mit denen sie ihre oft sehr schlichten bürgerlichen Namen schmücken durften. Da hieß einer plötzlich Johann Huber von Prinzenbach oder Emmerich Pribil von Greifenwald. Als einmal vier Herren im Zug von Ischl nach Wien fuhren, stellte sich der erste Reisende vor: »von Bergheim«, der zweite: »von Meyendorff«, der dritte: »von Birkenstein«. Worauf der vierte sagte: »Sie werden lachen, meine Herren, ich heiß’ auch Pollack!«

Noch wesentlich mehr Titel als Kaiser Franz Joseph vergab dessen Großneffe und Nachfolger, Kaiser Karl I., den man deshalb auch »Sehadler« nannte, weil er jeden, den er gesehen, auch gleich geadelt hat. Und zwar in atemberaubendem Tempo. So brachte es General Viktor Dankl 1917 zum Freiherrn und nur ein Jahr später, am 10. November 1918, zum Grafen – zum allerletzten allerdings in der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Denn schon am Tag danach gab es die Monarchie nicht mehr. General Dankl durfte nur ein einziges Dokument – seine Ernennung zum Grafen – mit seinem schönen neuen Titel unterzeichnen.

»Gesetz über die Aufhebung des Adels«

Am 3. April 1919 wurde mit Beschluss der jungen Republik das Führen aristokratischer Titel unter Strafe gestellt. Wer gegen das »Gesetz über die Aufhebung des Adels« verstieß, konnte zu einer Zahlung von bis zu 20 000 Kronen oder Arrest bis zu sechs Monaten belangt werden. Es ist allerdings kein Fall eines Fürsten, Grafen oder Barons bekannt, der in der Republik seinen ehemaligen Titel auf dem Türschild vermerkt hätte – und dafür ins Gefängnis musste.

Betroffenheit unter den Beamten

Besonders groß war nach dem Ende der Monarchie die Betroffenheit unter den Angehörigen des Beamten- und Dienstadels, die ihr ganzes Berufsleben ein geringes Salär in Kauf genommen und auf Gehaltssprünge verzichtet hatten, weil man ihnen in Aussicht gestellt hatte, sie bei Pensionsantritt zu nobilitieren. Dass nun auch dieses Zeichen der Wertschätzung verschwunden war und sie von einem Tag zum anderen von einer privilegierten Klasse zu einer Art Volksfeind wurden, der plötzlich »an allem schuld« sein sollte, ertrugen viele nur schwer.

Weit weniger dramatisch stellte sich der Titelverlust für die Mitglieder der Hocharistokratie dar. »Uns«, sagte die Fürstin Fanny Starhemberg nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs, »macht die Aufhebung des Adels gar nichts. Wir sind immer die Starhembergs, ganz egal ob mit oder ohne Titel.«

»Entadelt von Karl Renner«

Ein Graf Sternberg rächte sich bei den »Roten«, die er als eigentliche Titelvernichter verdächtigte, für den Verlust seiner äußeren Würde, als er sich Visitenkarten drucken ließ, auf denen zu lesen war: »Adalbert Sternberg, geadelt im Jahre 800 von Karl dem Großen, entadelt im Jahre 1919 von Karl Renner«.

Wie wenig man von der Abschaffung des Adels in der Zeit des Ständestaates hielt, zeigt ein Blick in die Kabinettslisten der Regierungen ab 1933. Da gab es Minister mit Namen Baron Egon Berger von Waldenegg, Eduard Baar von Barenfels, Edmund Glaise von Horstenau sowie den Grafen Rudolf Hoyos als Vorsitzenden des Staatsrates und schließlich den Unterrichtsminister Kurt von Schuschnigg, der nach der Ermordung Dollfuß’ Bundeskanzler wurde.

Jetzt auch noch der Kammertänzer

Die österreichische Freude an der Schaffung und Vergabe eindrucksvoller Titel muss, so scheint es, ansteckend sein. Anders ist’s nicht zu erklären, dass Dominique Meyer, der aus Frankreich gebürtige Direktor der Wiener Staatsoper, noch im Frühsommer des Jahres 2018 allen Ernstes vorschlug, verdienten Mitgliedern des Corps de ballet künftig den bislang selbst in Österreich unbekannten Titel Kammertänzer zu verleihen.

Fest steht, dass sich in keinem anderen Land auch nur annähernd so viele Titel einbürgerten wie in Österreich, oder wie Dieter Chmelar es formulierte: »Wäre Shakespeare Österreicher gewesen, sein Stück hätte geheißen: Der Diplomkaufmann von Venedig

Das gibt's nur bei uns

Подняться наверх