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Warum gibt’s das nur in Österreich? Vorwort
ОглавлениеNatürlich gibt es auch anderswo Kronprinzen, Kammerdiener, Liebschaften, Scheidungsaffären, Riesen, Schnorrer, Doktoren honoris causa, komische Tanten, geniale Maler, Komponisten und Kaffeehausliteraten. Aber nirgendwo sonst in dieser Häufung, Ausprägung und vielleicht auch in dieser Originalität.
Zwei kaiserliche Kammerdiener als wichtige Kronzeugen
Einen wie Johann Loschek etwa wird man anderswo vergebens suchen. Er war als Kammerdiener des Kronprinzen Rudolf der Kronzeuge von Mayerling und schrieb im hohen Alter seine Erinnerungen nieder, die zu seinen Lebzeiten niemand zu sehen bekam. Seine Erben zeigten mir mehr als achtzig Jahre nach Loscheks Tod bisher unbekannte Schätze aus dem Nachlass, die er auf seinem Landgut bei Wiener Neustadt archiviert hatte, darunter die handschriftliche Schilderung der Nacht von Mayerling.
Aus dem Leben eines anderen Kammerdieners erfährt man im Kapitel »Der treue Diener Ketterl«, der über seinen Kaiser nur in den höchsten Tönen sprach, an dessen Frau Elisabeth aber überraschenderweise kein gutes Haar ließ.
Kriminelle Machenschaften im Umfeld des Kaiserhauses
Aus dem ehemaligen Kaiserhaus gibt es natürlich noch mehr zu berichten, das »nur bei uns« möglich ist. Auch Kronprinz Rudolfs Schwager Prinz Philipp von Coburg befand sich im Jagdschloss Mayerling, als die tödlichen Schüsse fielen. Es sollte nicht lange dauern, bis auf ihn ebenfalls Eheprobleme ungeahnten Ausmaßes zukamen: Philipps Frau Louise – sie war die Schwester der Kronprinzessin Stephanie – ging mit einem jungen Ulanenoffizier durch und verprasste mit ihm Millionen aus dem Vermögen ihres Gemahls. Irgendwann riss dem gehörnten Ehemann die Geduld, und er reichte die Scheidung ein. Mehr als ein Jahrhundert später wurden mir die bisher unbekannten Scheidungsdokumente zugespielt, die auf ein familiäres Desaster hinweisen: Inkriminiert waren nicht nur eheliche Untreue, sondern auch gesetzwidrige Machenschaften, die die Betroffenen ins Gefängnis brachten. Ähnliches hat es im Umfeld des Erzhauses nie zuvor oder danach gegeben.
»Zweites Mayerling« – mit umgekehrten Vorzeichen
Noch schlimmer als Louise und Philipp traf das Schicksal den einzigen Sohn des Ehepaares: Prinz Leopold von Coburg, der wie sein Vater im prächtigen Palais auf der Wiener Seilerstätte residierte, verliebte sich in eine Schauspielerin und wurde von ihr grausam ermordet, ehe sie sich selbst richtete. Der Grund: Coburg hatte ihr die Ehe versprochen, sich’s dann aber anders überlegt. Man sprach von einem zweiten Mayerling – mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal war es die Geliebte, die zur Schusswaffe griff.
Erstaunlich ist, dass sich der Räuberhauptmann Johann Georg Grasel als »Robin Hood des Waldviertels« immer noch einer gewissen Popularität erfreut. Ganz im Gegensatz zum k. u. k. Oberleutnant Adolf Hofrichter, der 1909 an zwölf Offiziere Kuverts verschickte, in denen sich »Potenzmittel mit verblüffender Wirkung« befinden sollten, die in Wahrheit aber tödliches Zyankali enthielten. Ein Hauptmann des Generalstabs ist nach Einnahme der Giftpillen gestorben. Der Hintergrund des Attentats: Hofrichter hoffte nach Beseitigung der vor ihm gereihten Kameraden in den begehrten Generalstab aufrücken zu können.
Paula Wessely als Opfer einer Erpressung
Für ein anderes Kapitel ging ich drei Kriminalfällen nach, die in den Jahren 1936 und 1937 ob der Prominenz ihrer Opfer Aufsehen erregten, heute aber vergessen sind: Die Schauspielerin Paula Wessely wurde erpresst, und die Wiener Wohnungen Franz Lehárs und des weltberühmten Tenors Leo Slezak wurden ausgeraubt. Kammersänger Slezak »gratulierte« den Einbrechern zu ihrem Coup: »So viel ich auf den ersten Blick feststellen konnte, haben sie aus der Kasse alles geraubt … sie leisteten wirklich ganze Arbeit.« Die Täter aller drei »Prominentenfälle« wurden dennoch gefasst.
»Habedjehre, Herr Hofrat«: Österreich und seine Titel
Apropos Kammersänger. Hierzulande können an die neunhundert Berufs-, Amts-, akademische und sonstige Titel verliehen werden. So viele gibt’s tatsächlich nur bei uns – und sie gelangen auch nur bei uns zur praktischen Anwendung: »Guten Tag, Herr Ingenieur, grüß Gott, Frau Oberstudienrätin, habedjehre, Herr Hofrat!« Die ausgeprägte Titelfreudigkeit der Österreicher hat natürlich historische Wurzeln, die tief in die Monarchie hineinreichen und im Kapitel »Sogar der Liftboy ist Professor« erzählt werden.
Es gibt übrigens auch den schönen Titel »Bürger von Wien«, und mit diesem wurde zu Kaisers Zeiten der Fleischermeister Johann Georg Lahner bedacht, nachdem er jene Würstel kreiert hatte, die nur in Wien Frankfurter heißen, überall sonst aber Wiener. Die wohlschmeckende Fleischspeise ist das Ergebnis einer Liebesbeziehung des aus Frankfurt eingewanderten Selchermeisters mit einer Wiener Baronin.
Klimts Geliebte auf Tonband
Unglaubliches vertrauten mir die Nachkommen von Gustav Klimt an. Lucina Zimmermann befragte im Jahr 1974 ihre Urgroßmutter Mizzi Zimmermann, die ihr Details über ihre Liebe zu dem Jahrhundertmaler verriet. Lucina nahm das Gespräch mit einem Tonband auf und überließ mir die Kassette mehr als vierzig Jahre später zur Veröffentlichung. Mizzi beschreibt, wie Klimt sie auf der Josefstädter Straße ansprach, wie er sie zu seinem Modell und zur zweifachen Mutter machte. Sie führt aus, dass er Musik ebenso liebte wie die Malerei, wie sozial und tierliebend er war, und schließlich, wie er starb. Auf die anderen Modelle, mit denen er gleichzeitig Verhältnisse hatte, geht Mizzi hingegen nur in einem Nebensatz ein.
»Darf ich die Feuerwehr verständigen?«
Auf Klimt folgen drei Kapitel, deren Reihung sich wie von selbst ergab: Im ersten geht es um den Brand der Rotunde im Prater, die als Folge sehr österreichischen Obrigkeitsdenkens zu einem Raub der Flammen wurde: Ein Arbeiter, der das Feuer aus der Kuppel des Wiener Wahrzeichens hervorschießen sah, verständigte nicht die Feuerwehr, sondern ging zur Direktion, um anzufragen, ob er die Feuerwehr verständigen dürfte. Als er zurückkam, gab es die Rotunde nicht mehr.
Was von der Rotunde blieb, ist das Fiakerlied, das wohl populärste aller Wienerlieder, das dort seine Uraufführung erlebt hatte, also erzähle ich im Kapitel nach dem Rotundenbrand die Entstehungsgeschichte der Wiener Volkshymne. Ihr erster Interpret war der Volksschauspieler Alexander Girardi, dem das letzte Kapitel in dieser Reihung gewidmet ist: es beinhaltet die Geschichte seiner Ehe mit der Schauspielerin Helene Odilon, die ihn beinahe ins »Irrenhaus« gebracht hätte.
Beethoven, Liszt, Strauß und Karajan
Aus dem Bereich Musik schildere ich Beethovens letzte Reise vor seinem Tod und wie es kam, dass Franz Liszt jedes Klavier, auf dem er spielte, zertrümmerte. Es geht um die bedeutsame erste Frau des »Walzerkönigs« Johann Strauß und um die zweite Frau Herbert von Karajans. Spricht man von dem Dirigenten, denkt jeder an Eliette, die den Höhepunkt seines Ruhms an seiner Seite erleben durfte. Weit weniger bekannt ist hingegen die Geschichte seiner Frau Anita, die ihm zum Aufstieg verhalf, letztlich aber unbedankt blieb.
Jeder Österreicher kennt die Tante Jolesch, aber kaum jemand weiß, wer sie wirklich war. Ich begab mich auf Spurensuche, erkundete vieles über sie und ihre Familie, fand heraus, wo sie wohnte und dass Friedrich Torberg, ihr geistiger Vater, sie gar nicht persönlich gekannt hat.
Die Überlieferung passender Anekdoten
Und weil wir grade bei der Tante Jolesch sind: Was es in dieser Form auch »nur bei uns« gibt, ist die Überlieferung bestimmter, zur jeweiligen Situation passender Anekdoten. Davon mache ich in diesem Buch reichlich Gebrauch: Jedes Kapitel hat ein Unterkapitel, in dem ich teils komische, teils nachdenklich stimmende Episoden zu den Personen im Hauptkapitel erzähle. Anekdoten über Franz Lehár wie über Paula Wessely und Leo Slezak, über Kronprinz Rudolf und seinen Kammerdiener, über Kaiser Franz Joseph und Ketterl, über Johann Strauß, Klimt, Girardi, die Wiener Fiaker, Peter Altenberg und so weiter.
Die zahlreichen von mir aufgestöberten Anekdoten – darunter etliche »Klassiker« – bestärken mich in der Annahme, dass eine solche Vielfalt an heiter-besinnlichen Geschichten wirklich nur in Österreich existiert.
Eine Mischung, wie sie eben »nur bei uns« möglich ist
All das hat, man muss es bekennen, einiges mit einer Mischung aus Größenwahn und fehlendem Selbstbewusstsein zu tun, mit Schlamperei und ein bisserl Raunzen, mit dem erwähnten Obrigkeitsdenken, einer hierzulande ausgeprägten Mir-San-Mir-Mentalität sowie den beliebten Liedzeilen »A Kutscher kann a jeder wer’n, aber fahren, des kennans nur in Wean«, »Glücklich ist, wer vergisst« und »Es wird a Wein sein und wir wer’n nimmer sein«.
Aber auch mit einer gehörigen Portion Schmäh und Charme.
Georg Markus
Wien, im August 2018