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Der Doppelgänger des Kaisers Eine österreichische Köpenickiade

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Es war eine Szene wie aus einem Film (der damals gerade in seinen Kinderschuhen steckte). Ein Herr in Uniform und dazu passender Kappe durchquerte forschen Schritts den Inneren Burghof in Wien. Sowohl Passanten als auch die Offiziere und Soldaten der vor der Residenz des Kaisers diensttuenden Leibgarde glaubten ihren Augen nicht trauen zu können. Denn Seine Majestät der Kaiser spazierte mutterseelenallein, ohne einen Adjutanten an seiner Seite, vom Ballhausplatz in Richtung Hofburg. An seiner Identität bestand kein Zweifel, der Mann war in Figur, seinen Gesichtszügen und Bewegungen, in seiner Haltung und mit seinem Bart ein Ebenbild Kaiser Franz Josephs. Allerdings gab es in den letzten Jahren der Monarchie ein Wiener Original, das gerne als Doppelgänger des Monarchen auftrat.

Den »Kaiserbart« zu tragen war damals in Österreich-Ungarn durchaus in Mode, bei Herrn Achilles Farina kam noch hinzu, dass er Franz Joseph auch sonst zum Verwechseln ähnlich sah – und er selbst tat alles, um diese Ähnlichkeit zu unterstreichen. Vor allem durch das stolze Tragen seiner Uniform und durch seinen gepflegten Backenbart mit dem ausrasierten Kinn, der mit dem des Kaisers identisch war.


Der Doppelgänger und das Original: Achilles Farina (links) und Kaiser Franz Joseph

Der Mann mit dem schönen Namen Achilles Farina war gebürtiger Wiener mit italienischen Vorfahren. Geboren 1844, war er vierzehn Jahre jünger als der Kaiser und sein Leben lang immer irgendwie in dessen Nähe. 27 Jahre lang versah er in der k. k. Trabantenleibgarde seinen Dienst, um nach seiner Pensionierung als Amtsdiener in der Generalintendanz der Hoftheater weiterzuarbeiten und sich abends als Logenschließer im Burgtheater und in der Hofoper ein paar Kronen dazuzuverdienen. So war er zu seiner schmucken Billeteurs-Uniform gekommen, die der eines Angehörigen der k. k. Armee ähnelte.

Die größte Ähnlichkeit war in den Jahren nach der Jahrhundertwende festzustellen, als der Kaiser über siebzig und Herr Farina an die sechzig Jahre alt war und beide weißes, schütteres Haar respektive Backenbart trugen. Und so kam es, dass der eingangs erwähnte Spaziergang des irrtümlich als Kaiser wahrgenommenen Herrn Farina ein skurriles Nachspiel hatte. Der Hauptmann der an diesem Tag vor der Hofburg aufgestellten Burgwache zog, als der falsche Kaiser näher kam, seinen Säbel und rief, wie es ihm angesichts des Erscheinens Seiner Majestät vorgeschrieben war, »Gewehr heraus«, worauf die Soldaten habt acht standen und ihre Gewehre in Stellung brachten, die zum Schutz des Monarchen dienen sollten.

Der Kaiser freilich war zu diesem Zeitpunkt in seinem Arbeitszimmer und wunderte sich über den Ruf »Gewehr heraus«, der üblicherweise nur zur Anwendung kam, wenn er durch den Burghof schritt. Franz Joseph ging also zum Fenster seines Arbeitszimmers, das zum Inneren Burghof hinausging, und sah fassungslos, dass da sein Ebenbild über den Platz ging. Schnell rief er seinen Adjutanten, der Franz Joseph peinlich berührt erklären musste, dass Herr Farina ein stadtbekanntes Wiener Original sei, das gerne als sein Doppelgänger durchs Leben schritt.

Der Kaiser lächelte gütig und erteilte dem Flügeladjutanten den Auftrag, Herrn Farina augenblicklich zu sich zu rufen. Der Adjutant gab den Befehl an einen Unteroffizier der Leibgarde weiter und der wiederum erwischte den Mann gerade, als er Richtung Schweizerhof einbiegen wollte. Im letzten Augenblick konnte Herr Farina noch aufgehalten und zum Kaiser befohlen werden.

Seit mehreren Jahren schon war Achilles Farina souverän als Kaiser »aufgetreten«, jetzt aber war er über alle Maßen aufgeregt. Er, der Amtsdiener und Logenschließer, sollte ins Allerheiligste, in die privaten Räumlichkeiten Seiner Majestät des Kaisers.

Man sagt, dass Franz Joseph nur selten gelacht hätte, doch als er jetzt seinem Ebenbild gegenüberstand und dabei den Eindruck hatte, in einen Spiegel zu schauen, lachte er laut und herzhaft auf.

Der Amtsdiener stand in seiner Uniform und in strammer Habtachthaltung vor seinem Kaiser und musste diesem nun von seiner militärischen Karriere berichten, in der er es bis zum Feldwebel gebracht hatte.


Musste dem Kaiser von seiner militärischen Karriere berichten: Achilles Farina in Uniform

»Haben Sie damals schon diesen Bart getragen?«, erkundigte sich der Kaiser.

»Nein, Majestät, erst als Amtsdiener und Logenschließer, und es war mein ganzer Stolz, da ich Eurer Majestät so zum Verwechseln ähnlich sah, auch deren Barttracht tragen zu dürfen.«

Der Kaiser lachte noch einmal, dann wurde Herr Farina entlassen. Vorher gab ihm der Monarch noch den Rat, in Zukunft die Umgebung der Hofburg zu meiden, damit es nicht wieder zu einer solchen Verwechslung käme. Farina war glücklich, so gnädig davongekommen zu sein, und hütete sich, die Geschichte an seinem Arbeitsplatz, der Generalintendanz, zu erwähnen.

Allerdings erzählte er in seinem Stammcafé Bauer, dem späteren Café Heinrichhof, dem Claquechef der Hofoper – er war für den bezahlten Applaus für die Sänger zuständig* – von seiner Allerhöchsten Begegnung.

Damit war klar, dass sich die Geschichte in Wien herumsprechen würde, und nach einigen Tagen rief ihn der Generalintendant der Hoftheater, Eduard von Wlassak, zu sich und befahl Herrn Farina, den Bart abzurasieren.

»Ausgeschlossen, Herr Generalintendant«, erwiderte der, »lieber gehe ich in Pension.«

Diese Weigerung meldete der Generalintendant dem Obersthofmeister, der wieder dem Kaiser Meldung erstattete. Doch Franz Joseph erklärte: »Warum denn so viele Geschichten machen? Wenn der Mann sonst seinen Dienst brav versieht, soll man ihm seinen Bart lassen, der ihm anscheinend so viel Freude macht!«

Herr Farina hat seinen Dienst in der Generalintendanz und als Logenschließer noch mehrere Jahre, bis zu seiner endgültigen Pensionierung, versehen. Der Mann, dem es so wichtig war, Franz Joseph ähnlich zu sehen, starb am 19. Mai 1917, nur sechs Monate nach seinem Kaiser, im Alter von 72 Jahren.

Eine österreichische Köpenickiade.

* Siehe auch Seiten 260–262

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