Читать книгу DIE LSD-KRIEGE - Gerald Roman Radler - Страница 10
ALTLERCHENFELD DIE HEIMAT
ОглавлениеDie frische Erinnerung an mein erstes Abenteuer löste Gefühle und Bilder von ihrem Sitz im Unbewussten und trug sie in mein Wachbewusstsein. Bisher für unbedeutend gehaltene Einzelheiten, bahnten sich einen Weg nach oben. Anfangs redete ich mir eine andere Szene ein, die sich am Bahnsteig ereignet hatte, wohl um die Bedeutung der tatsächlichen Situation herunterzuspielen. Nach einigen Wochen aber hatte ich Klarheit über die ungewollte Wiederholung der Ereignisse. Immer wieder spielte ein geheimer Kinovorführer den Streifen ab, bis ich ihn verstand.
»Was ist dir denn da eingefallen, uns solche Sorgen zu bereiten?« sagte meine Mutter vorwurfsvoll mit ihren ersten Worten am Bahnsteig.
Ihr ging es also schlecht und sie dachte gar nicht an meinen Zustand!
Was mich aber schockierte war, dass mein Vater in meiner Rückbesinnung übernächtigt und bleich aussah. Seine Augen waren unkontrollierbar aufgerissen, sein Kinn wich nach hinten.
»Na so was!« sagte er mit zaghafter, leiser Stimme. Dieser Ausspruch drückte bereits die höchste Stufe der Betroffenheit über mein misslungenes Vorhaben aus. Er war innerlich schockiert, dass ich mit derartiger Verzweiflung vom Vater wegwollte. Doch er hatte nicht begriffen, worum es mir ging. Vielleicht glaubte er an eine Kurzschlusshandlung. In meiner Erinnerung hielt ich die beiden für zerbrechlich und hinfällig – schwächer, als ich mich trotz meiner begreiflichen, subjektiven Niederlage fühlte. Ich hatte damals gar keine Chance auf die Erfüllung meiner Träume gehabt. Aber ich wähnte mich stark genug, in einer Welt aus Blei, das Fliegen zu lernen.
Wir fuhren in der Straßenbahn nach Hause. Mein Bruder wartete niedergeschmettert auf die Heimkehr des Helden. Er war erst zwölf Jahre alt und vielleicht beeindruckte ihn meine Schilderung so, dass er zwei Jahre später auch durchbrannte. Für ihn ging das Abenteuer nicht so problemlos und schnell zu Ende. Er blieb über ein Jahr verschollen und als er doch wieder kam, war er hager und gealtert. Seine Träume waren gestorben und sein Weg schien fortan mühsam und von Entbehrungen gezeichnet.
Auch für mich sollte es nicht das letzte Mal sein, dass ich versuchte als Minderjähriger zu entkommen. Ich geriet aber nur ein einziges Mal noch beim Autostoppen drei Jahre später in die Nähe von Hinterwildalpen. Diese märchenhaft abgelegene Gegend begann sich, sehr zu verändern. Die Autobahn von Gleisdorf nach Graz wurde gebaut und heute ist der Ort längst nicht mehr so idyllisch, wie er 1974 war, als der Highway für mein Leben fertig gestellt wurde.