Читать книгу DIE LSD-KRIEGE - Gerald Roman Radler - Страница 12

DIE GUTEN UND DIE BÖSEN

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In der Oberstufe hatten wir nach dem Unterricht um vierzehn Uhr Schulschluss. Jimi stand vor dem Einlass und blickte, eine Zigarette rauchend, die Treppe empor. Er wartete, bis ich die Stufen hinab kam, hob diskret die Rechte, schüttelte mir kurz die Hand und bat mich im Buwo einen der beiden Flipper besetzt zu halten, während er nach Hause Essen und Umziehen ging. Ich nahm hundert Schilling in Zehner Münzen entgegen und machte mich auf den Weg ins nahe Lokal. Schon eine halbe Stunde später wäre jeder der Automaten besetzt gewesen. Ich war kein besonders guter Spieler, aber ich schaffte es, mit dem Geld auszukommen, bis Jimi kam und wir einen fliegenden Wechsel schafften. Er war ein angesehener Gast. Jeder Kostgänger grüßte ihn und behandelte ihn mit Respekt. Er wurde um Zigaretten gefragt, von denen er die Brusttaschen auffällig ausgestopft hatte, und plauderte zwanglos mit den Gästen. Die Kellnerin schien ein vertrautes Verhältnis mit ihm zu hegen. Sie stellte ihm unaufgefordert eine kleine Flasche Steffl auf seinen Tisch. Mit welcher Selbstverständlichkeit er sein Bier ins Glas laufen ließ! Er bewegte sich leger in der Welt, während ich alles analysierte, bezweifelte und befürchtete. Sie steckte ihm fünfhundert Schilling in die Brusttasche und küsste ihn flüchtig auf die Wange. Offensichtlich hatte sie Geld von ihm geborgt. Er bewegte sich so natürlich, als wäre er zu Hause in seiner privaten Atmosphäre. Mit einer Entschuldigung angelte sie eine Zigarette aus seiner geöffneten Packung. Er grinste gönnerhaft. Ihm gefiel die Rolle des Mäzens. Sein Onkel arbeitete in der Tabakregie und so wurde er mit Rauchwaren hinlänglich versorgt. Während die meisten der Burschen und Mädchen Hobby rauchten, konnte er mit Camel aufwarten. Er kannte all jene, die auf mich sehr eigenständig wirkten und eine markante Individualität ausstrahlten. Mein Ansehen in dieser neuen Formation, die ein Anhängsel jener Generation war, die durch eine Umstrukturierung eine neue Welt schaffen wollten, stieg, umso schlechter mein Notendurchschnitt wurde. Die gesellschaftlichen Regeln wurden wie bei einer schwarzen Messe auf den Kopf gestellt. Es funktionierte bei uns alles gegenläufig. Je mehr Fünfer, desto sicher die Position in der Gruppe.

Die Schande ausgelacht – ja ausgestoßen, als Versager extrahiert zu werden – verschwand völlig im Hintergrund. Das genaue Gegenteil war der Fall. Als braver, wohlbehüteter Junge, der ständig tat, was man ihm auftrug, wurde ich in die Isolation getrieben. Nunmehr hielt man mich für mutig, revolutionär und bereit einen eigenen Weg zu gehen. Ich war es wert, beachtet zu werden – die tadelnswerten Noten waren Beweis genug für meinen Widerstand. Ich kümmerte mich nicht um den auferlegten Zwang. Allmählich wurde ich ebenfalls zu einem Individuum. So schaffte ich die gebührende Anerkennung zu erwerben, von der ich geträumt hatte. Ich war auf dem richtigen Weg und wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Der informelle Umgang mit der vermeintlichen Niederlage, trug mir einen guten Ruf ein. Der Ruhm, den ich als Vorzugsschüler genossen habe, erblasste gegen die neue Erhöhung, bei der mein frühes Alter keine Rolle spielte, nicht auch von älteren Jahrgängen akzeptiert zu werden. Es wurde mir als Weiterbildung und Erweiterung meiner Persönlichkeit angerechnet und löschte den kleinen, braven Buben, der »lauter Einser« im Zeugnis nach Hause brachte, aus. Die Schüler, sogar die Streber der eigenen Klasse sahen auf zu mir und behandelten mich respektvoll.

Es ging hier nicht um ein aufgepfropftes Image, sondern um eine innere Veränderung, die den ungewohnten Umgang mit dem schulischen Versagen mit sich zog. Ich hielt zu meiner Note »nicht genügend«, wie ich früher zu meinem Vorzug stand.

Tatsächlich konnte ich meinen Vorzug nie ungetrübt genießen. Ich genierte mich, weil ich merkte, dass ich eine lächerliche Gestalt war. Abermals erinnerte ich mich schmerzlich, als mir übel mitgespielt wurde. Eines Tages wollte ich nach dem Französischunterricht, der in einem anderen Stockwerk stattfand, in meine Klasse gehen, um meine Schultasche und einige Bücher aus meinem Tischfach zu holen. Fremde Schüler anderer Klassen wurden inzwischen in meinem Klassenzimmer unterrichtet. Doch wie war ich verstört, ein leeres Fach anzutreffen. Auch der Platz neben dem Sessel war leer. Ich nahm an, einer der Schüler eignete sich meine Sachen an. So konnte ich nicht nach Hause gehen. Das Schulgebäude leerte sich allmählich. Meine Verzweiflung wuchs, denn ich hatte überall nachgesehen, wo ich meine Schultasche vermutete. Allein lief ich schluchzend durch die leeren Gänge, bis ich endlich auf eine Professorin traf, die gerade aus dem Konferenzraum kam. Sie erbarmte sich meiner und sperrte sämtliche Klassenzimmer auf. In einem der Räume lag dann auch meine Schultasche. Meine Bücher waren am Fußboden verstreut. Sie strich mir über den Kopf und tröstete mich.

Auf der Straße überfiel mich einmal eine Bande Halbwüchsiger und leerte den Inhalt der Schultasche auf das Trottoir. Meine Kopfbedeckung, mit den abstoßend biederen Ohrenschützern, über die ein Metallkettchen genietet war, riss mir der Anführer mit einem Griff vom Kopf. Die braune, hässliche Knautschlederkappe, die ich wegen meiner labilen Gesundheit tragen sollte, warf er erheitert unter ein parkendes Auto. Im Befehlston zwang er mich, die Kappe unter der Karosserie hervor zu fischen. Das meckernde Gelächter der Buben verfolgte mich. Nach diesem unerfreulichen Einsatz war meine Kleidung ölig und schmutzig. Die Kappe allein reichte schon – obwohl ich die Ohrenklappen immer nach inne stülpte, wenn ich mich außer Sichtweite der Fenster unserer Wohnung befand – um gehasst und gequält zu werden. Es war so, als würde ich mich durch mein Aussehen verraten, als trüge ich ein leuchtendes Mal, dass mich als Feigling auszeichnete.

Ich war der Knabe, der sich nicht traute, einen Zweier nach Hause zu bringen. Und genauso war es auch. Manchen Eltern reichte es vollauf, wenn ihr Sprössling mit einem »genügend« die Klasse abschloss. Ich wurde bei der Note »gut« mit Missbilligung bedacht und eindringlich dazu angehalten, meine Leistung zu verbessern. Mein Magen verkrampfte sich, bei der Vorstellung an diesen ungerechten Zwang. Diesen schrecklichen Druck war ich mit einem Schlag los. Ich grämte mich, weil ich nicht schon früher auf die Lösung meiner Einengung gekommen war.

Aber im Grunde genommen, konnte ich mit mir zufrieden sein. Ich war ohnehin zum ehe möglichsten Termin auf die Idee der Verweigerung gekommen. Vielleicht hätte ich schon als fünfjähriger Knirps rebelliert, wenn ich die Ereignisse außerhalb der eigenen vier Wände beobachtet hätte. Zu diesem Zeitpunkt bemerkte ich, dass eine konstante Hemmung meiner Wissbegier unweigerlich zu Krankheit und Elend führen musste. Ein anderer Streber, der so wie ich unter allergischem Asthma litt, aber nicht so viel Intelligenz besaß, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, litt weiter unter Bronchialasthma und benötigte eine tägliche Dosis Cortison.

Nachdem ich für Jimi Tag für Tag den Flipper frei gehalten hatte, machte er mich mit einem introvertierten Jungen bekannt, mit dem ich schon lange in Kontakt treten wollte. Er war etwa so groß wie ich, doch sein wenig athletischer Körperbau, ließ seine Gestalt schlampig erscheinen. Er ging vorübergebeugt und ließ seine Haare über die Augen hängen. Sein Gesicht hatte ein ungewöhnliches Aussehen. Eine schmale, kurze Nase richtete sich über einem herzförmigen Mund auf. Die Augen waren nach oben geschrägt und die Brauen zusammengewachsen. Tommys Haltung war wenig einladend und man hatte den Eindruck, er sah über alle anderen absichtlich hinweg. Wenn er die Haare von seinen Augen wegblies, schien sein Blick sagen zu wollen: »Seht her, ich bin eingeraucht!«

Über einen längeren Zeitraum hinweg hatte ich den starken Wunsch gehegt, mich mit pflanzlichen Drogen zu beschäftigen. Damals, als mein Interesse erwacht war, gab es noch nicht den Dealer, der vor der Schule die Kinder ansprach und den Einstieg in die Sucht erheblich erleichterte. Man wusste zwar um die Disposition der Betreffenden, die sich allein durch ihr Aussehen verrieten, aber nicht, wie die Drogen erstanden und wo sie konsumiert wurden. Ich sollte bald in die Riten der Kundigen eingeweiht werden.

Momentan hatte ich den Eindruck, ich wurde auf Herz und Nieren überprüft, ob ich in meinem Alter überhaupt würdig war, in die Liga der Eingeweihten aufgenommen zu werden. Und da halfen mir meine Essays in der Schülerzeitung und meine Manuskripte, die jeden, der sich Gedanken über das Leben und den Tod machte, erfreuten. Dennoch entsprangen meine Texte dem puren philosophischen Geist – von praktischer Toxikologie hatte ich überhaupt keine Ahnung. Wohl hatte ich mit Begeisterung Andrew Weil – das erweiterte Bewusstsein – gelesen, aber ich wusste nichts über die Einnahme von Rauschgiften. In einem einschlägigen, seichten Buch aus der Bibliothek über weiche und harte Drogen fand ich auf den Autor Andrew Weil einen Hinweis. Dort stand, dass er ein Junkie war, der in seinem spannenden Werk darlegte, wie ein Heroinist mit gutem Stoff und sauberer Nadel – so wie er es selbst seit Jahrzehnten praktizierte – in einem geeigneten sozialen Umfeld weit über achtzig Jahre alt werden konnte. Mein Interesse war geweckt. Einige Wochen später fand ich sein Werk im Regal und verschlang es förmlich, noch bevor ich Carlos Castaneda gelesen hatte. Wenn auch der Inhalt des Buches gänzlich abwich von meinen Vorstellungen und der Präsentation, die ich in der anderen Lektüre gelesen hatte, so beeinflusste es stark mein Denken. Andrew Weil war alles andere als ein Junkie. In seinem leidenschaftlichen Werk räumte er ungeniert und schonungslos mit allen Vorurteilen auf. Er legte wirklichkeitsnah die tatsächlichen Hintergründe der Verteufelung gewisser Drogen dar, ohne ihren mächtigen Einfluss auf die Menschheit zu beschönigen. Er schrieb, dass die Untersuchungsergebnisse, die eine Zerstörung des Menschen durch Halluzinogene postulierten, unter falschen Voraussetzungen gemacht wurden. Niemand nahm in einer Klinik LSD. Niemand nahm THC oral ein, die Menschen rauchten Cannabis. Die Meinungsumfragen wurden bei auffälligen Jugendlichen debütiert, die offensichtlich ein Drogenproblem hatten. Sie konsumierten unzählige Joints an einem Tag und waren nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Es wurde für die Studien zugängliche Krankengeschichten einer Anzahl von Studenten aufgelistet, die einen längeren Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt absolviert hatten, nachdem sie nach einer hohen Dosis LSD einem Horrortrip erlegen waren.

Ich verstand trotz meiner Jugend, was Weil eigentlich sagen wollte. Die Regierung und das Drogendezernat hatten ein dringendes Interesse, ein bestimmtes Bild von einem gefährlichen Drogenkonsum zu formulieren, ohne die tatsächlichen Risken zu erörtern. Ich hatte von einem studierten Menschen das Recht auf Bewusstseinsveränderung erworben. Es wundert nicht, dass ich die Thematik rasch in meine Prosa übernahm und aufbereitete. Unauffällig brachte ich meine Schriften in Umlauf. Ich steckte Jimi einige Blätter zu und tat so, als hätte ich gerade zufällig einige meiner Werke dabei. Außer über die Texte in der Schülerzeitung, für die er mir gratulierte, verlor Jimi kein Wort über den Eindruck, den er von meinen Aufsätzen hatte. Ich ging mit Bedauern davon aus, dass er keine Notiz von ihnen nahm, oder der Schwerpunkt doch eher bei der Schülerzeitung lag, weil die Situation bei Gymnasiasten bekannt war.

Den Ausschlag zu dem geheimnisvollen Treffen mit Tommy gaben also meine Schriften, die er mit mir besprechen wollte. Stundenlang redeten wir über unsere Ideologien und außersinnliche Wahrnehmungen. Ich war mehr als stolz, dass dieser vermeintlich arrogante Mensch gerade mir seine Zeit widmete. Von den Gleichaltrigen konnte ich nichts erwarten, aber bei dieser erquicklichen Zusammenkunft war ich in meinem Element. Jimi war der menschliche, joviale Typ. Mit Tommy konnte ich tief liegende Gedankenkomplexe austauschen, ohne ausgelacht, oder für verrückt gehalten zu werden.

Die Burschen in meiner Klasse beschäftigen sich allesamt ausschließlich mit Fußball und dem Besuch urzuständlicher Filme im Kino. Sie konsumierten triviale Popmusik und waren brav und angepasst. Sie hoben erstaunt den Kopf, wenn ich ihnen eigene Ideen zum Dasein unterbreitete und nahmen Reißaus. Meine Freude war unbeschreiblich, endlich über all die Themen reden zu können, die mir schon lange an Herzen lagen. Ich war nicht der Einzelgänger, für den ich mich gehalten hatte. Es gab Menschen, die sich ähnliche Gedanken über das Dasein machten.

In meinen Ausführungen über meine Vorstellungen vom Leben, baute ich immer wieder den Wunsch, meine Erfahrungen mit Drogen bestätigt – oder widerlegt – zu wissen. Irgendwann stellte mir Tommy die Frage, ob ich schon einmal etwas geraucht hätte. Endlich war ich am Ziel. Jetzt hieß es, vorsichtig zu agieren. Obwohl das Äußere meiner neuen Bekannten dem gängigen Klischee der Aussteiger und Rauschgiftsüchtigen am ehesten entsprach, legten sie Wert darauf inkognito zu bleiben. Ich wollte sie daher keinesfalls durch eine unbedachte Äußerung vergraulen. Es bestand kein Zweifel, dass seinem Wesen eine gewisse paranoide Unsicherheit innewohnte. Denn jedes Mal, wenn Tommy Rauchen, oder Haschisch sagte, drehte er den Kopf flink nach links und dann nach rechts – eine einstudierte Geste, die längst zum Reflex geworden ist. Vielleicht wollte er auch sicher sein, dass uns niemand belauschte. Auf mich wirkte sein Betragen konstruiert. So konnte ich die Situation einschätzen und erkannte, dass ich auf dem richtigen Weg war, wenn ich etwas über Drogen erfahren wollte.

Er genoss es über einige Themenkreise, die mich offensichtlich interessierten, Bescheid zu wissen und sich mit einer Aufklärung Zeit zu lassen. Trotzdem er mit beträchtlichem Klassendünkel sein Geheimnis noch nicht preisgab, steckt mehr hinter seiner Illustration des Insiders. Ich spürte mit jeder Faser meines Körpers, dass hinter der Fassade des Verbotenen, welches unter höchster Geheimhaltungsstufe weiter gegeben wurde, eine tiefere Suche nach der Wahrheit lag, an der ich nunmehr beteiligt war. Ich wurde zum Mitglied einer verschworenen Gemeinschaft, die am Weg war, hinter das Mysterium aller Existenzen zu blicken. Ich wurde nach bestimmten Kriterien – ihnen gefiel mein brillanter Geist und meine sprühende Fantasie – ausgesucht, um mich aktiv, mit einem genau definierten Aufgabenbereich zu beteiligen.

Als ich mich wieder mit Jimi im Buwo traf, stellte er mir die Frage, ob ich mit Tommy schon eine Unterhaltung geführt hatte. Ich bejahte, und er nickte nur schweigend und schien beruhigt, ohne weiter seine Frage zu erläutern. Ich drang nicht weiter in ihn. Dann tauchte Tommy auf und die beiden tuschelten hinter der schweren Gardine vor den Toiletten, die anscheinend nur dazu aufgebaut waren, um wichtige Konferenzen abzuhalten. Tommy telefonierte kurz vom Automatentelefon neben der Theke und warf mir während seines Gespräches tiefe, ernste Blicke zu.

»Hast du Zeit heute?« fragte er, nachdem er zu Tisch zurückgekehrt war.

»Den ganzen Tag, wenn es sein muss!« gab ich aufgeregt zur Antwort.

Dann gingen wir die Josefstädter Straße über den Gürtel hinauf zum Brunnenmarkt und er hielt den Kopf gesenkt, als wäre er in tiefen Gedanken versunken. Wir betraten ein Haus mitten am Markt. Im fünften Stock wurden wir schon erwartet. Es war Mike, ein Bursch mit kurzem, rotem Haar, der uns mit spöttischem Grinsen die Türe zu einer geräumigen Dachwohnung öffnete. Ich kannte ihn bereits vom Sehen. Er gehörte ebenfalls zur Hofrunde, die gegen den Uhrzeigersinn wanderte und schwarze Brillen trug. Ihn hatte ich nicht erwartet. Die Überraschung war perfekt, ich wurde mit einem knappen Gruß bedacht und er schüttelte mir fest die Hand. Er hob den Kopf und ich wusste, er wollte meine Namen wissen.

Ich sagte: »Arthur!« und er sagte: »Angenehm, Mike!«

Dann kicherte er. Vielleicht lachte er über mich, doch ich musste genauso lachen. Unser knappes Gespräch war wie in einem alten Film. Er führte mich durch mehrere Räume, bis wir in sein Privatgemach gelangten. Die Wohnung war großzügig angelegt. Mikes Eltern dürften wohlhabend gewesen sein. Dort roch es nach teuren Räucherstäbchen und parfümierten Zigaretten. Er bot Tee an und gab sich ansonsten wortkarg, während er andauernd grinste und mir wiederholt streng in die Augen blickte und dann nickte. Es war eine äußerst geheimnisvolle Begegnung. Ich konnte es kaum fassen, bis ins Zentrum des Zyklons vorgedrungen zu sein. Nun saß ich tatsächlich bei den Alten, und die unmögliche Hürde, die ich in dem Schulgebäude gespürt hatte, war niedergebrochen. In den Gängen während der Pausen heischte ich eigentlich nur um Beachtung. Doch nun gehörte ich zu ihnen. Das wusste ich jetzt. Sie verhielten sich völlig anders, als der Rest der Burschen, die ich kannte. Möglicherweise spürten sie auch mein Anderssein. Sonst konnte ich momentan keine befriedigende Erklärung finden für ihre Warmherzigkeit.

Wir rauchten gemeinsam einen von Mike vorgefertigten Joint. Vor dem Anzünden hielt er ihn in die Höhe und ich sagte mit gespielter Bewunderung »oh«. Auch Tommy brachte recht spaßige Geräusche der Hochachtung hervor, die wie »hatschi halef Omar, Efendi« klangen. Mike verneigte sich stumm und blickte mir mit aufgesetztem Triumph in die Augen. Ich glaube, in diesen Sekunden wurde unser späteres Kommunikationsmuster während des Rauchens festgelegt. Wir unterhielten uns in den kommenden Jahren oft stumm in einer neu kreierten Gebärdensprache. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, den Rauch zu inhalieren. Ich füllte zuerst den Mund, dann atmete ich ein. Einige Male zog ich den Rauch direkt in die Lunge. Der Rauch war warm und aromatisch. Ich fühlte mich wohl und etwas abwesend, konnte aber keine grundlegende Änderung meines Zustandes bemerken. Plötzlich sprang Mike auf und sagte, er müsse noch für eine bevorstehende Mathematikschularbeit lernen. Ich hatte viel zu starke, eher unangebrachte Emotionen. Denn ich litt schrecklich unter der unerwarteten Trennung. Tommy schien aber meine Bangigkeit zu fühlen, denn er versuchte mich mit ungeschickten Gesichtsausdrücken aufzuheitern, die er mit einem Grinsen unterstrich. Mike verlor das Interesse an meiner Gegenwart. Er starrte mit glasigen Augen an mir vorbei und murmelte: »Mach‘s gut, bis bald!«

Ich verstand, dass er uns aufforderte, zu gehen. Ich brach also mit Tommy gemeinsam auf, der ebenfalls ganz in der Nähe des Brunnenmarktes bei seinen Eltern wohnte. Auf der Straße fragte er mich, ob ich alles flächig sähe. Ich verneinte, weil ich gar nicht wusste, was er genau von mir hören wollte. Ich war enttäuscht und wunderte mich, dass ich eigentlich keine richtige Wirkung spürte. Verzweifelt suchte ich nach einer optischen Veränderung. Tommy ermahnte mich rührend, auf eine intensivere Farbsättigung und Helligkeit zu achten. Ich sollte auch auf die Verschiebung in die zweite Dimension achten. Nichts von alledem traf für meinen Gesichtskreis zu. So etwas sei häufig vorgekommen, dass es beim ersten Mal nicht recht klappte, meinte er. Man müsse sich erst auf die neue Art zu sehen und zu empfinden einstellen. Ich nahm ihm seine Ausführungen nicht ab. Entweder sprach ich überhaupt nicht auf den Rauch an, oder die Dosis war schlichtweg zu gering. Tommy verabschiedete sich vor einer vergitterten Hauseinfahrt. Er wirkte traurig und ließ regelrecht den Kopf hängen. Ich kam nicht auf die Idee, dass er, so wie ich, schlimme Probleme mit seinen Eltern zu bewältigen hatte und nur ungern in sein Zimmer im Gemeindehof zurückkehrte. Ich fühlte mich schuldig, denn ich bezog seine Stimmung auf meine Unfähigkeit, etwas Ungewöhnliches zu spüren. Meine schlechte Laune verflog allerdings am Heimweg. Ich genoss den Triumph mein erstes, hochgestecktes Ziel erreicht zu haben. Alles andere war unwichtig geworden: die Schule, meine Familie, meine Karriere und meine einstigen Freundschaften. Beim Einschlafen dachte ich daran, wie oft ich im Laufe meines Lebens an den Haustoren zu Mike und Tommys Wohnung vorbeigegangen bin, ohne meine Zukunft ergründen zu können.

Schon tags darauf machten wir uns wieder auf den Weg zum Brunnenmarkt, allerdings war es abends. Tommy hatte mich am späten Nachmittag zu Hause angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätte und ich wusste gleich, was es bedeutete. Ich war stolz darauf, dass er sich tatsächlich bei mir meldete. Damit hatte ich im Verlauf des Tages gar nicht mehr gerechnet, weil ich nichts gespürt hatte, oder ich vielleicht doch nicht in ihren Kreis passte. Ich hatte also neue Freunde. Wir verabredeten, uns in einer Stunde im Buwo zu treffen. Er saß am letzten Tisch des Lokals, als Jimi grinsend auf mich zukam, als wäre er verspätet und etwas übereilt zu unserem Date aufgebrochen. Mit seinem extremen Äußeren veränderte er sofort die Atmosphäre in jedem Raum. Mir gefiel sein abgewetzter, bleicher Jeansanzug, mit den zahlreichen verschlissenen Stellen. Eine Zigarette wippte in seinem Mundwinkel. Sie behinderte ihn nicht in seinen Bestrebungen, sofort den Flipper zu belegen, mir die Hand zu schütteln und ein kleines Bier zu bestellen. Er strahlte so viel Lebenskraft aus, dass ich keine Gelegenheit hatte, an meine Konflikte zu denken. Er lud mich auf einen Großen Braunen ein.

Eine kleine grüne Stehlampe spendete mattes Licht, das kaum über die Tischplatte hinaus reichte. Ich fühlte mich unglaublich wohl. Ich hatte nicht erwartet, Jimi heute noch zu Gesicht zu bekommen. Wir tauschten einige belanglose Sätze aus, dann begab sich Jimi wie auf ein vereinbartes Zeichen zum vorpräparierten Flipper. Tommy betrat den Raum, ohne uns sofort zu erkennen. Dann aber steuerte er zielstrebig auf unseren Tisch zu. Er flüsterte Jimi einige für mich unverständliche Worte ins Ohr. Als der nickte, setzte er sich erleichtert. Kurz darauf brachte die Kellnerin Tommy ein kleines Bier und zwinkerte Jimi verschwörerisch zu. Er gab ihr ein großzügiges Trinkgeld und sie bat ihn um eine Zigarette. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Eva – so hieß die rothaarige Serviererin – mit unserer Allianz sympathisierte. Zumindest wusste sie über unsere Betätigungen Bescheid und fühlte sich zu Tommy, Jimi und den Anderen hingezogen. Wie wurden nicht müde, den roten Wirbelwind beim Servieren zu beobachten. Sie wusste sicher um die Faszination, die sie auf uns Halbwüchsige ausstrahlte, und setzte sich durch ihre Bewegungen in Szene. Sie drehte regelrechte Pirouetten und rutschte auf den Sohlen ihrer Schuhe durchs Lokal.

Dann nahm sie für einige Minuten auf einer unserer Bänke Platz, lümmelte mit ihrem Kinn in der aufgestützten Hand am Tisch und fragte arglos, was es so Neues gäbe. Sie legte ihre andere Hand auf den Tisch, wie um mit dem Aschenbecher zu spielen und Jimi schob ihr ein Stannioleckchen zu, das sie mit ihren Fingern angelte. Sie war einige Jahre älter als wir und genauso groß wie ich. Damit war sie eine imposante Erscheinung in der Welt der Frauen. Ihre Proportionen stimmten mit der ansehnlichen Statur überein. Sie erwiderte meinen Blick routiniert und streichelte meine Wange. Dann küsste sie mich mit einer gehauchten Berührung auf den Mund. Ich war mir sicher, dass es sich hier nicht um eine leidenschaftliche Regung, sondern um eine Art Aufnahmeritual handelte. Immerhin wusste ich jetzt von ihrem Geheimnis, dass sie mit uns teilte. Tommy setzte sich neben mich und erklärte mir umständlich, wie man einen Joint richtig rauchte, um das Gift optimal aufzunehmen und den Rauch gleichzeitig genügend filterte. Er unterschied dabei zwei Möglichkeiten: Entweder konnte man den Rauch schlucken, oder ihn mit Luft inhalieren. Er meinte, man solle ihn kurze Zeit in der Lunge behalten, damit das wertvolle THC aufgenommen werden könne, um ihn anschließend langsam auszublasen. Er gab mir einen kurzen Abriss der verschiedenen Sorten, ihren Beliebtheitsgrad und ihren Wirkungsradius. Er klärte mich über die mögliche, beigemengte Konsistenz von beliebten Streckmittel auf und wie man das Haschisch rauchfertig machte, indem es aufgebröselt und mit leichtem Tabak vermischt wurde. Jimi blickte von Zeit zu Zeit wissend zu uns herüber und grinste jedes Mal über beide Ohren. Tommys Stimme klang ernst und feierlich.

Er war überhaupt ein melancholischer, ernster Mensch, der kaum Humor hatte, oder ihn vertrug. Er lachte höchstens einmal kurz auf, oder grinste schief. Ich war ein aufmerksamer Schüler, der das Gehörte gierig aufsog, und wusste gleichzeitig, dass Jimi die Aufklärungsstunde nicht unbedingt für notwendig erachtete. Mit Jimis Einverständnis verbrauchte ich noch die verbleibenden Spiele auf dem Flipper. Wäre er noch länger geblieben, so hätte er selbst am Flippertisch gestanden. Theoretisch hätten wir mit drei Spielen noch Stunden im Buwo verbringen können. Aber so drückte ich unkonzentriert eine Kugel nach der anderen ab, ohne auf ihr silbernes Rollen zu achten. Ich war ganz von den momentanen Ereignissen eingenommen.

Es passierte alles genauso, wie ich es mir gewünscht hatte, als ich Louis Lewin‘s Buch Phantastica und Hans Peter Dürr‘s Schilderungen in Traumzeit über die Wirkungen der Halluzinogene aus der Bibliothek ausgeborgt hatte. Lewin war der Begründer der Toxikologie. Das Buch war schon damals längst nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Aber gerade seine altertümliche Art zu schreiben und sein höchst unwissenschaftlicher Stil faszinierten mich. Lewin brachte erst Ordnung und System in die Reihe der Giftstoffe. Vor rund zweihundert Jahren warf niemand ein kritisches Auge auf die, in Verwendung stehenden Chemikalien. Das Volk benutzte die Stoffe eigenmächtig, oder bekam sie sogar vom Arzt verschrieben. Ursache und Wirkung blieben lang im Verborgenen. Ich entdeckte Jahre später, dass seine Feststellungen auf Hörensagen, Vermutungen und höchst subjektiven Berichten von Vergiftungen basierten, die genauso erfunden hätten sein können, um sein Theorem zu untermauern. Er begann Sätze mit »es wurde von einer Frau erzählt, die …«, oder »es soll ein Mann gelebt haben, der …«, oder »man berichtete vom Fall einer Dame, die es innerhalb kürzester Zeit auf einen Liter Äther pro Tag gebracht hatte …«

Eine studierte Person hatte im vergangenen Jahrhundert als absolut integer und wahrheitsliebend gegolten. Was Professor Lewin schrieb, wurde als gesichert angenommen. Er musste gründlich recherchiert haben und wählte vielleicht nur aus Bescheidenheit die Möglichkeitsform, oder aber er rechnete mit keiner kritischen Begutachtung.

Ich bezweifelte überhaupt jede einst als Dogma geltende Theorie und ließ keinen einzigen Grundsatz gelten. Egal ob ich über ein gestelltes Thema diskutierte, oder ein Buch las, ich focht alles und jeden an. So rutschte ich immer tiefer auf der Leiter der Beliebtheit hinab. Die Lehrer hatten längst vergessen, dass ich jener Musterschüler war, der ihnen die Worte von den Lippen ablas und aufzeigte, so oft er etwas wusste. Und nun saß ich mit diesen Leuten in einer parallelen Welt, von der ich nichts geahnt hatte.

Tommy und ich machten uns schweigend auf den Weg nach Ottakring. Wieder waren wir in der Nähe des Brunnenmarktes. Wir blieben vor einem grauen, gigantischen Haustor stehen. Ein geräumiges, feudales Beleuchtungsgeschäft befand sich gassenseitig, neben dem Hauseingang. An dieser Mauerfront war ich schon viele Male vorbeigegangen, ohne zu ahnen, einmal hier meine Freunde beherbergt zu wissen. Wir gingen schnurstracks in den ersten Stock des feudalen, geräumigen Flurs. Die Luft im Parterre war kühl und muffig. Ich befand mich in einem für Wien typischen Gang, der verkündete: Hier wohnen sowohl Menschen, die sich nur winzige Garçonnièren leisten können, als auch Mieter, die für Wohnungen über hundert Quadratmeter zahlen. Der Geruch nach gekochtem Kohl lag über dem Gang. Die kultivierten Domizile befanden sich einen Stock höher. Auf zwei nebeneinander liegenden Türen stand der gleiche Name. Nur die Vornamen zeigten, dass die Kinder über eigene Gemächer verfügten. Tommy läutete kurz und runzelte angespannt die Stirne. Ein dünner, großer Bursche mit runden Brillen und feinem, langem Haar öffnete uns nach wenigen Sekunden.

Er kicherte und gluckste und sagte: »Grüß sie, grüß sie!«

Er bat uns durch einen dicken Filzvorhang zu schlüpfen, in dem ich mich mit den Haaren verhedderte. Schließlich stolperte ich auch noch über eine Stufe. Meine Ungeschicklichkeit wurde mit einem wissenden Gekicher quittiert. Er sagte nur »aha«, als er sich, während er voranging, umdrehte und mich genauer musterte. Wir passierten ein gemütliches Jugendzimmer mit Schreibtisch, Bücherregal, Bett und zahlreichen Posters an den Wänden, um in ein schlauchartiges Zimmer, in dessen Dämmerlicht nur eine Stehlampe und eine Matratze zu erkennen war, zu gelangen, auf der andere Jünglinge mit dem Rücken an die Wand gelehnt saßen.

»Alles ist genauso, wie im Schulhof«, witzelte ich und Crisly, der uns geöffnet hatte, klopfte mir lachend auf die Schulter.

»Willkommen, Alice im Wandland« sagte er mit kehliger Stimme, die von einem glucksenden Lachen unterbrochen war. Die dunklen Laute passten gar nicht zu seiner leicht gebeugten, zierlichen Gestalt. Ich erkannte sofort die Ähnlichkeit mit Charly Watts von den Rolling Stones. Besonders der charakteristische Mund war mir schon in der Schule aufgefallen, als ich ihn zum ersten Mal sah.

Crisly war Winis Bruder, der in meine Klasse ging. Er war zwei Jahre älter und kannte keinen Schüler meines Jahrgangs, mit dem er sich strapaziert hätte. Zwischen der Fünften und der Siebten bestand schon ein beträchtlicher Unterschied. Selbst ich sah die Gleichaltrigen als unreife Kinder und wünschte mir ältere Gefährten. Wini würde den Mitschülern erzählen, dass er mich mit den Freunden seines großen Bruders gesehen hatte.

Wini konnte ich gut leiden, aber wir hatten nichts gemeinsam. Er war ein begeisterter Skiläufer und gewann sogar Jugendrennen, wobei er über die modernste Ausrüstung verfügte. Die Eltern waren reiche Geschäftsleute und erkannten, dass ihr älterer Sohn keine Chance mehr hatte, zur Matura anzutreten, wenn es so weiterginge. Von meinem Vater hatte ich erfahren, dass sie an einem Elternabend die wissenschaftliche Ausrüstung der Schule kritisierten und beschlossen hatten, uneigennützige Geschenke der Leitung zu stiften. Zur Verbesserung des biologischen Anschauungsunterrichts spendeten sie ein modernes Mikroskop. Das alte Mikroskop aus Messing war womöglich noch aus der Zeit Anton van Leeuwenhoeks.

Wini hatte keine Unterstützung nötig, er war trotz einer leichten Sprachbehinderung ein interessierter, aufmerksamer Schüler. Er war das genaue Gegenteil seines Bruders – klein, stämmig, schwarzgelockt und durchtrainiert. Eine längere Unterhaltung entpuppte sich als mühsam, da er stotterte. Wenn er sich aufregte, brachte er nur mehr die Wiederholung einzelner Silben hervor. Dabei bewegte er den Kopf auf und ab, als könne er die Worte so besser aus dem Gehirn schütteln.

Crisly brachte uns auf einem Tablett mehrere Gläser Himbeersaft. Mein Glas drückte er mir freundlich grinsend in die Hand, legte den Kopf schief, damit seine blonden Haare sein Gesicht freigaben und sah mir mit leuchtenden Augen ins Gesicht.

»Hmm!« sagte er, als wollte er seinen Himbeersaft preisen. Er wirkte irgendwie ätherisch, wie ein netter Geist aus der Flasche. Seine Erscheinung konnte man fast als zerbrechlich beschreiben.

In dem Raum saßen noch andere falsche Hofgeher. Einer davon war Mike. Die zwei übrigen Burschen besuchten ebenfalls das Gymnasium. Marc hatte die Augen geschlossen und öffnete sie nur kurz, um mich mit zusammengekniffenen Augen zu fixieren.

»Irre!« sagte er, als er mich erkannte hatte und schüttelte den Kopf. Dann schloss er seine Augen und lachte heiser. Er dürfte der Jüngste der Liga gewesen sein, da er nur eine Klasse höher war und nie repetieren musste. Mit seinem starken Kinnbart wirkte sehr selbstsicher. Bei ihm war es wahrscheinlich, dass er das Maturaniveau erreichte, schließlich leistete seine Mutter schon jahrelang vorzügliche Dienste an der Quelle der Macht – im Vorzimmer des Mannes, der die letzten Entscheidungen traf. Ihre vielen Überstunden zu vergelten, wäre eine sehr aufwendige Arbeit gewesen. Man munkelte, dass Marc schon jetzt das Abitur in der Tasche hatte. Marc hielt etwas in der Hand, dass einer hölzernen, kleinen Vase glich, die er mit einem Tuch umwickelt hielt. Er hatte beide Hände in einer absonderlichen Haltung um das untere Ende des Geräts geschlungen und zog durch den Hohlraum seiner Hände dicken, duftenden Rauch. Der Hausherr war der nächste. Er umfasste in derselben Art die Vase, nur dass er wie eine feine Dame den kleinen Finger wegstreckte. Er inhalierte den Rauch eher in kurzen, hastigen Zügen, die er immer wieder unterbrach, indem er den Blick von uns abwandte.

Der rote Mike gab die eindrucksvollste Vorstellung. Er sog gierig den Rauch mit eingezogenen Wangen in die Lunge, sein Gesicht verzerrte sich in unvorstellbarem Leiden, während er das Gerät weit von sich wegstreckte und den Rauch, mit im Nacken gelegten Kopf, an die Zimmerdecke blies, um mit einer hastigen Bewegung erneut anzuziehen. Dieses Spiel wiederholte er viermal. Damit schloss er sich den anderen an und ich wusste, ich durfte viermal rauchen. Jimi, den seine verkrüppelte Hand behinderte, filterte den Rauch nicht mit den Handflächen. Er warf das Safi achtlos neben sich und steckte den Stiel des Chillums unzeremoniell in den Mund und sog mit langen Zügen. Dabei bewegte sich sein Adamsapfel, als würde er den Rauch schlucken.

Dann war ich an der Reihe. Ich bediente mich des einfachen Griffes, den Tommy mir gezeigt hatte und ich kühlte, und vermischte den Rauch erfolgreich mit Luft.

Crisly drehte das Licht ab. Wir hörten Pink Floyd und eine riesige Tropfkerze verbreitete einen sanften Schimmer. Ich lehnte mich erwartungsvoll an die Wand und fühlte, wie ich schwach wurde. Die Geräusche, die Tommy beim Aufbröseln der Droge machte, als er, kurz nachdem das hölzerne Rauchgerät erloschen war, eine neue Mischung fertigte, hörte ich hallend wie aus weiter Ferne. Bald hatte ich schon eine schwarze, verzierte Pfeife mit langem Stiel in der Hand, die ein zweites Loch am anderen Ende des Stiels hatte. Auf dieses Loch musste man den Zeigefinger beim Ansaugen legen. Ließ man unvermittelt aus, schoss ein Schwall des würzigen Rauches in die Lunge. Die Bewegungen der Anderen wurden langsamer und unbeholfener. Die Musik war aus und niemand bediente den Plattenspieler. Tommy fragte mit hohler Stimme in die Stille, ob nicht einer die Platte umdrehen könne. Kurze nervöse Lacher waren die Folge. Als sich dann doch Jimi erbarmte, brach ein hysterisches Gekicher aus, in das ich einfiel. Wir beobachteten jeder seiner Bewegungen, die darauf hinzielten, eine neue Platte auf den Teller zum Klingen zu bringen. Seine Bestrebungen waren wie in einem Slapstickfilm mit beträchtlichen Mühen verbunden. Ich lachte am Lautesten, aber die abgehackten Geräusche klangen, als wäre es jemand anderes, der von der Zimmerdecke herab lachte.

Anknüpfend fertigte Crisly noch einen Joint. Die Stimmung konnte man mittlerweile als gehoben bezeichnen. Den Joint rauchte ich wie eine Zigarette, nicht ohne die Stellen, die schief abzubrennen drohten, mit Speichel einzulassen. Danach verständigten wir uns hauptsächlich durch Lachen und lachähnliche Töne, deren Rhythmus und Nuance den Inhalt der nonverbalen Kommunikation bestimmten.

Die Gruppe von Suchenden, auf die ich gestoßen war, agierte einigermaßen verantwortungsbewusst. Ihre Mitglieder gaben sich Mühe, mir einen guten Einstieg zu verschaffen. Es wurde nicht wahllos nach Drogen gegriffen, sondern selektiert, was für ihren weiteren Weg von Nutzen war. Mir wurde rasch klar, dass es der harte Kern ernst meinte und nur an den Rauschmitteln, die eine Veränderung des Bewusstseins brachte, Interesse zeigte. Der Alkohol spielte eine vollkommen untergeordnete Rolle. Ich selbst konnte dem Trinken nichts abgewinnen. Die anderen tranken zur Geselligkeit gelegentlich Bier oder Wein. Tabletten lehnten sie alle ab, obwohl es am Rand unserer kleinen Gemeinde Personen gab, die Captagon und Valium, oder Antapetan und Romilar nahmen.

Ich lieferte schließlich ein neues Element, das unsere Treffen bereichern sollte. Ich brachte sie vorsichtig mit den indischen Lehren, die mein ganzes Wesen gefangen nahmen, in Kontakt.

Ich zeigte meinen Freunden Yogaübungen und erklärte ihnen, was sie bewirken konnten. Meine genauen Ausführungen trafen auf offene Ohren. Bald hatten sie das Bedürfnis, genauere Kenntnisse über die »verborgene Methode« zu erhalten. Ich gab ihnen den Rat, sogleich mit einigen Übungen zu beginnen. Auf diese Weise würden sie sich Einblicke in die verborgene Methode aneignen.

Ich verlor meine Minderwertigkeitsgefühle, als ich eine Aufgabe in einer Gesellschaft von Menschen zugeteilt bekam, die sich ernstlich mit ASW beschäftigten und mir einen Zugang zu den Drogen verschafften, die mich in Gedanken Jahre zuvor gefesselt hatten. Ich ließ mich voll auf meine neuen Freunde ein. Es gab nicht jeden Tag etwas zu rauchen – aber wir trafen uns doch sehr oft. Ich hatte immer Zeit, wenn Tommy anrief. Wir besprachen meine Texte und ich musste erkennen, dass Tommy ein begnadeter Gitarrist war. Während wir herumsaßen und sprachen, spielte er Variationen einzelner Nummern von Frank Zappa als Antwort auf die, an ihn gerichteten Fragen. Darin bestand oft seine Beteiligung an Gesprächen. Eines Tages stellte er mir dann das letzte Mitglied der psychedelischen Entente vor.

Richard wurde mein bester und mein schlechtester Freund. Er teilte meine schrecklichsten Stunden mit mir und bescherte mir aber auch die finstersten Tage meines Lebens. An einem Nachmittag traf ich mich mit Tommy im Hirschhofer, einem Gasthaus nächst dem Gymnasium, in dem viele Schüler günstig zu speisen pflegten. Um achtzehn Schilling gab es dort Cevapcici, mit Pommes frites und Unmengen an Senf und Ketschup. Wer nicht gleich zahlen konnte, wurde trotzdem bedient. Überhaupt kümmerte sich die Hirschhoferin rührend um die Burschen. Sie war oft wie eine ältere Schwester, die sich an den Tisch setzte und mit tröstenden Worten weiterhalf, wenn sie den Eindruck hatte, dass Not am Mann war. Ich bekam kein Taschengeld von den Eltern, weil sie meinten, ich hätte alles, was ich brauchte. Erst vor einigen Tagen wollte ich mich mit Tommy in diesem Lokal treffen und wartete bange auf die mollige Wirtin mit den aufgetürmten blonden Haaren. Als sie kam, um meine Bestellung aufzunehmen, verlangte ich zögerlich nach einem Glas Wasser. Sie fragte besorgt, ob ich nicht noch etwas anderes bestellen wolle. Ich gab ihr zur Antwort, dass ich auf einen Freund wartete. Daraufhin stellte sie mir wortlos einen Tee mit Zitrone hin, als hätte ich tatsächlich bestellt und bezahlt, denn sie zerknüllte die am Tablett liegende Rechnung. Sie meinte freundlich, in einem Gasthaus sei es üblich, dass am Tisch ein Getränk stehe. Sie war eine attraktive, charaktervolle Frau um die vierzig, die gewiss nicht nur bei mir einen dauerhaften Eindruck hinterließ.


DIE LSD-KRIEGE

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