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DER FREUND

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Als ich an diesem Nachmittag das Lokal betrat, schlug mir der typische Wirtshausgeruch nach Rauch und Essen entgegen. Wie in allen alten Wiener Raststätten war je ein massiver Tisch von zwei Langbänken umsäumt. Auf einer dieser Garnituren saß Tommy mit einem Burschen, der nervös mit einem Bein wippte und hastig an einer Zigarette sog. Die beiden spielten Schach und Tommy begrüßte mich kurz, während der Andere gar nicht aufsah und den Rauch arrogant in meine Richtung ausblies. Ich nahm auf dem Sessel an der kurzen Seite des Tisches Platz und die Hirschhoferin stellte mir abermals unaufgefordert einen Tee mit einer Zitronenspalte und einem Zuckerstreuer hin. Sie grüßte mich freundlich, während sie mir schweigend beide Hände von hinten auf die Schultern legte und dann in meine Haare griff, als wolle sie mir einen Zopf flechten. Ich war aufgeregt und versuchte ruhig zu atmen. Jetzt sah der Bursche mit fragen Augen und hochgezogenen Augenbrauen zu mir. Er lachte meckernd, als wisse er über etwas, was sich meiner Kenntnis entzog, bestens Bescheid. Tommy stellte mir Richard vor, als wäre er der geheime Zampano, indem er mit der Hand auf ihn wies und den Blick senkte. Richard zeigt keinerlei Reaktion. Seine Augen blieben ernst am Schachbrett verankert. Nur kurz später sagte er mit näselnder Stimme Schäch und es klang so höhnisch, dass ich erschauerte.

Tommy – ich wusste nicht, dass er der beste Spieler der Schule war – starrte ihn mit fassungslosen, wässrigen Augen an. Von da an dauerte es wenige Minuten, bis ich Richards tadelndes Schach und Matt hörte. In seinen brandmarkend ausgesprochenen Silben schwang die endgültige Vernichtung mit. Ich hatte geduldig das Ende des Spieles erwartet und jetzt brachen wir in Richtung Brunnenmarkt auf. Richard verabschiedete sich ganz spontan an der nächsten Straßenecke, obwohl ich den Eindruck hatte, wir würden gemeinsam etwas unternehmen. Es schien, als wäre er zu Höherem auserkoren. Er blickte mich noch herablassend von der Seite an, dann war er verschwunden. Die Banalität, uns zu begleiten, musste für ihn reine Zeitverschwendung sein.

Wir fuhren mit dem Lift in Mikes Mansarde und sein Bruder Charly, der in meinem Alter war, aber in eine Parallelklasse ging, öffnete die Türe. Er war ein wenig erstaunt, mich zu sehen. Wir kannten uns zwar vom Sehen, hatten aber noch nie miteinander gesprochen. Er war Winis bester Freund und ein sonderbarer Zeitgenosse, was seine Umgangsformen betraf. Seine Genialität die Mathematik betreffend, war sagenumwoben. Dieser kleine, bleiche Junge konnte die schwierigsten Aufgaben, ohne Anstrengung, im Kopf rechnen.

Er rief mit krähender Stimme: »Grün! Grün!«

Dann klatschte er geräuschvoll mit der flachen Hand auf seine Stirne. Im nächsten Moment riss er eines seiner pechschwarzen Haare aus und reichte es mir mit einem abweisenden Gesichtsausdruck. Ich verneigte mich theatralisch und steckte das Haar in meine Hosentasche. Ich hatte gehört, dass er sich, wenn er besonders schwierige mathematische Probleme zu lösen hatte, Haare rupfte. Nun würde ich Zeuge dieser künstlerischen Verrichtung. Tatsächlich befand sich – als er sich umdrehte, um den Weg freizugeben – eine kahle Stelle an seinem Hinterkopf. Er war zierlich, und sein Teint war genauso blass wie seine Lippen und die übrige Haut.

In Mikes abgeschrägtem Zimmer brannte bereits eine Kerze und eine Platte lief ziemlich laut, als auch Crisly und Marc kamen. Wir rauchten in viel zu rascher Folge einen Joint und ein Chillum. Gleich darauf sollte ich noch ein Chillum fertigen, während ich bereits eine leichte Schwäche spürte und einen grünen Kranz sah, der mein Gesichtsfeld einzuengen drohte, wenn ich nicht dauernd blinzelte. Ich wollte meine Chance, einen Beitrag zu leisten, nutzen und getraute mich nicht zu sagen, dass ich momentan nichts rauchen wollte. Dann hatte ich auch noch als Baumeister die Ehre das Gerät anzurauchen. Ich wurde aufgefordert stärker anzuziehen, da sonst die die Mischung nicht anbrennen würde. Das Chillum wurde aufgeraucht und ich lehnte mich zurück, bis ich plötzlich eine unangenehme Übelkeit im Magen verspürte. Der Schweiß lief mir in Strömen den Rücken hinab und ich musste kreidebleich geworden sein, aber ich sagte nichts. Dann stand ich auf und ging zum Fenster. Durch die jähe Bewegung kämpfte ich gegen einen heftigen Brechreiz. Ich sah auf die Gasse. Wir befanden uns im fünften Stock, unter uns das bunte Treiben des Brunnenmarktes. Ich übergab mich geräuschlos und hörte, wie ein mächtiger Schwall Erbrochenes vermutlich auf den Bürgersteig aufklatschte und zog meinen Kopf schnell zurück. Ich machte mich auf den Weg zum Badezimmer, um den Mund zu spülen. Ich fühlte mich energielos, aber erleichtert. Im schmalen Durchgang stand Charly und musterte mich wie ein Irrsinniger. Er rollte mit den Augen und reckte den Kopf vor. Dann sagte er mit drohender Stimme: »Abenteuer … morgen teuer!«

Ich nickte verstehend. Als ich wieder zur Türe hereinkam, lehnte Mike fröhlich am Fenster und pfiff. Ich legte meine Ellenbogen neben ihm ans Fensterbrett. Ich erklärte ihm, dass ich mich soeben aus dem Fenster erbrochen hätte und jetzt wusste, wo der Mageninhalt gesammelt wurde. Die unappetitliche Mischung schwappte auf eine weißorange gestreifte Marquise, die einen Obststand vor Sonne und Regen schützen sollte. Der Stoff wies eine tiefe Delle auf, in der das Erbrochene wie eine Pfütze stand und sich Millimeter für Millimeter zum Rand quälte. Es dauerte einige Sekunden bis Mike begriff, was ich ihm da erzählte, dann brach er in ein hysterisches, hohes Gelächter aus, in das ich nur mehr einstimmen konnte. Wir warteten neugierig auf den Lauf der Dinge – doch nichts geschah – das Erbrochene hing zwar unheilvoll und schwer in dem imprägnierten Stoff, so wie das Wasser nach einem Regen, doch der Rand war zu hoch, um meinen Mageninhalt freizugeben. Erst als wir später, von unnatürlichem Hunger getrieben, gemeinsam etwas Schafkäse, Oliven und Weißbrot beim Griechen kauften, der in der Nähe des bewussten Standes war, fiel dem Inhaber des Marktstandes die Beule im Stoff auf. Wütend sah er am Plafond. Ungeduldig warteten seiner Kunden. Er nahm eine Holzstange und stieß erbost in die Höhe. Das Erbrochene platschte im Bogen auf seine Kunden, die sich vor Ekel schüttelten. Wir machten uns aus dem Staub und kicherten verhalten. Ich glaube, an jenem Tag wurde Mike, der sich bis jetzt distanziert und kühl zu mir verhalten hatte, mein Freund. Ich dachte erheitert an das Erbrochene im Gang der Schule, über das die Oberstufenschüler geschlittert waren.

Am nächsten Mittag machte ich mich nach meinen Yogaübungen, die ich mit gewissenhafter Regelmäßigkeit in der Früh absolvierte, am Weg ins Café Albert, das gegenüber dem Hirschhofer gelegen war. Über das Café Albert wusste ich mittlerweile, dass manche Schüler, die nicht den Unterricht besuchen wollten, oder ihm am späten Vormittag fernblieben, bei Kaffee und Zigaretten anzutreffen waren. Wer gar nichts, oder nur ein belegtes Brot essen wollte, war in diesem räumlich eher beschränkten Lokal, das damals auch noch ein Kino mit Tagesvorstellung war, gut aufgehoben. Ich hoffte, Tommy dort vorzufinden. Er hatte mir anvertraut, dass ich, wenn ich ihn sehen wollte, einfach ins Café Albert vorbei schauen sollte. Falls er die Schule schwänzte, hielte er sich da manchmal zum Nachdenken auf. Erst am späten Nachmittag, wenn er die Schule auch wirklich besuchte, würde er eher ins Buwo gehen.

Das Lokal war voller bekannter Gesichter. Sie saßen um die winzigen, einbeinigen Tischchen, oder lümmelten an der Theke. Tommy war gerade ins Gespräch mit Richard vertieft, der mir wie ein gewiefter Schönling und Frauenliebling vorkam. Seine Brauen waren zynisch hochgezogen, seine Mundwinkel drückten Arroganz aus. Er hatte den Oberkörper zurückgenommen und sein Mund stand in gespieltem Erstaunen offen. Seine Haltung drückte Verachtung für das Gehörte, oder den Erzähler aus. Heute war ich ihm auf Anhieb zugetan. Zugleich empfand ich ihn als furchtbar unsympathisch, in seiner herablassenden Art Tommy gegenüber. Ich beobachtete ihn eine Weile, bevor ich näher kam. Er richtete sich auf und blies den Rauch seiner Zigarette unter höhnischem, verhaltenem Lachen in einem dünnen Strahl zu Boden. Es war eine deutlich zur Schau gestellte Geringschätzung meines Auftauchens. Tommy begrüßte mich mit seiner tiefen, hohlen Stimme. Er hob einen Zeigefinger und grinste schief. Tommy lachte selten. Es gefiel mir, dass er mich durch seinen Willkommensgruß für homolog empfand und meine Person respektierte, während Richard demonstrativ seitlich zu Boden sah und den Rauch in kleinen Wölkchen mit ausgestülpten Lippen langsam freiließ. Offensichtlich wollte er demonstrieren, dass er beschäftigt war und mich nicht ansehen konnte. Mich entnervte sein dummes Verhalten, aber ich ignorierte es, da ich der Jüngere war und das Gefühl hatte, auf Herz und Nieren überprüft zu werden, ob ich auch wirklich zu diesen elitären Leuten passte.

Richard stammte aus Kärnten und war mit seiner Mutter nach Wien zu ihrem neuen Mann gekommen. Der Gatte hatte sie verlassen und war in der Umgebung von Velden ein bekannter, wohlhabender Lebemann, den es nicht scherte, andere unglücklich zu machen. Richard stieß über Umwege auf Tommy, da er sich nur schwer in der Stadt zurechtfand und Kontakt zu Gleichgesinnten suchte. Ihn interessierte mehr das freie Leben, als der Wille zu Karriere.

Ich überlegte, ob ich einen Zugang zu halluzinogenen Substanzen erreichen würde, wenn ich es schaffte, sein Vertrauen zu erwerben. Wahrscheinlich hatte Richard eine leitende Funktion in der Gruppe. Sein Urteil konnte wichtig sein, wenn ich in ihre Aktivitäten eingeweiht werden sollte. Ein untrügliches Gespür sagte mir, dass diese Menschen noch ein Geheimnis hatte, von dem ich nichts wissen sollte. In den vergangenen Tagen hatte ich die Outsider, denen ich auf der Straße begegnete, eingehend studiert. Ich kam zu dem Schluss, dass sich das Benehmen meiner neuen Freunde vom Betragen anderer Jugendlichen abhob, die tranken und Haschisch rauchten. Derzeit fühlte ich mich nur als Mitläufer, dem es an Geduld fehlte. Mein erklärtes Ziel war es, selbst über den Stoff zu verfügen, den sie vielleicht zu sich nahmen. Ich würde den Zeitpunkt bestimmen, wo und wann ich etwas und aus welchem Grunde, einnehmen wollte. Mir gefiel der Gedanke nicht, von der Laune meiner Freunde abhängig zu sein. Inzwischen wurde wohl getestet, ob ich eine Gefahr für die Runde als jüngeres Mitglied darstellte. Ich überlegte, ob man es für wahrscheinlich hielt, dass ich durchdrehte und den Verstand verlor, oder mit den Veränderungen nicht zurechtkam, welche die Einnahme dieser verbotenen Drogen mit sich brachte. Ich las immer wieder über einzelne Fälle von Jugendlichen, die den Eltern in einer schwachen Stunde ihre Sünden beichteten und den Weg zurück in die Familie und ihr altes Leben suchten. Dann wurde die Schuld den Verführern gegeben und unvermeidliche Verhaftungen waren die Folge. Darum wurde alles im Verborgenen gehandelt und nach außen drang kaum etwas.

Tommy war neugierig, was ich fern vom Rahmen der Schülerzeitung schrieb und ich hatte einige Texte vorbereitet, die ich ins Café Albert mitnahm und ihm vorlegte. Er führte sich stumm und sichtlich angestrengt ein Manuskript zu Gemüt. Der Inhalt der zusammengehefteten Blätter behandelte die Begegnung mit meiner eigenen schon stark gealterten, vergreisten Person. Dieses gealterte Ich stand an einem verlassenen Bahnsteig, eine Laterne schwenkend und rief immer wieder: »Apleptschn! Apleptschn!«

Richard vertiefte sich demonstrativ in seine Zeitung und tat so, als säße er allein am Tisch. Er bestellte jedoch zwei kleine Braune und schob mir – ohne von seinem Blatt aufzusehen – eine Tasse hin, als die Serviererin das Gewünschte brachte. Als Dank legte ich ihm eine Seite einer kurzen Geschichte über die aufgeschlagene Seite seiner Zeitung, die er gerade hingebungsvoll studierte. Er zeigte überhaupt keine Reaktion. Weder fegte er das Papier weg, noch lachte er hämisch. Er veränderte einfach unmerklich die Ausrichtung seiner Pupillen und las in meinem Text weiter. Die maschinebeschriebenen Seiten handelten von einem Fallschirmspringer, der noch, bevor er an der Reißleine zog, begriff, dass es ihm freistand, zu tun, was ihm beliebte. Er war Herr über Leben und Tod. Er war zu Gott geworden und er traf eine Entscheidung. Er zog nicht an der Reißleine. Ich hatte das Richtige, auf ihn förmlich maßgeschneiderte, Treatment ausgesucht. Richard hob plötzlich den Kopf und sah mir direkt in die Augen.

»Das ist allerdings arg. Der Typ hat das alles begriffen.«

Entweder sprach er von dem Fallschirmspringer, oder von mir in der dritten Person. Er gab sich übergangslos entspannt und stellte mir Fragen zu meinen Vorstellungen vom Leben. Ich hatte eine höhnische Zurechtweisung erwartet, doch stattdessen begannen wir eine angeregte Diskussion über die Entscheidung, nicht an der Reißleine zu ziehen und dadurch zu Gott zu werden. Ich merkte sofort, dass er am Lande zu einem gläubigen Christen erzogen werden sollte und gezwungen war, sich in der Enge eines Dorfes mit der Existenz Gottes auseinander zu setzen. Ich stellte mir genauso die Frage nach einer übergeordneten Macht, hatte aber kein besonderes Problem mit dem katholischen Gott, dem Teufel und der Sünde. Mein Vater hatte stets Entschuldigungen geschrieben, um uns Kinder vom Religionsunterricht und einer kalten, ungeheizten Kirche, in der wir uns nur verkühlen konnten, fernzuhalten. Die wenigen Anlässe, bei denen wir als eine Familie die Messe besuchten, verhielt sich mein Vater lausbubenhaft. Zu meiner Erstkommunion furzte mein Vater, drehte sich entsetzt zu den hinteren Reihen um und rief: »Pfui, Teufel. Wer war das?«

Bei einer Messe, zu der die Eltern eingeladen wurden, rülpste er und sagte, ihm sei von der Oblate schlecht, weil sie zu üppig fabriziert wurde. Schließlich täuschte er einen quälenden Schüttelfrost vor und hauchte in die Hände, hustete erbarmungswürdig und stellte den Mantelkragen auf. Wir Kinder dachten dann, unser Vater sei ein Vampir, der das Gotteshaus tunlichst meiden sollte, wenn er überleben wollte.

Bei Richard aber war die Beschäftigung mit der Problematik jenseits der witzigen Komödie. Wie sich herausstellte, haderte er mit den eingefleischten Vorstellungen der Christen. Seiner Erziehung durch den strengen Großvater, zeigte ihm den Weg des Menschen entweder geradewegs in die Hölle – durch einen liederlichen Lebenswandel, wie ihn sein lasterhafter Vater führte – oder mittels fleißiger Arbeit und Rechtschaffenheit in den Himmel.

Richard und ich wurden von diesem Zeitpunkt an die besten Freunde. Wir kannten keine zeitlichen und räumlichen Beschränkungen. Alle Menschen, die ich kannte, wollten irgendwann schlafen gehen, oder hatten sonstige einschränkende Verpflichtungen zu erfüllen. Ich fürchtete jedes Mal, wenn wir uns zu einer Rauchsession trafen, das Ende des Meetings. Dann hieß es nach Hause gehen, vernünftig sein, denn Morgen war auch noch ein Tag. Für mich war Morgen kein Tag mehr. Ich liebte das Jetzt. Obwohl ich eigentlich nur bis zehn Uhr Ausgehzeit hatte, hielt ich mich nie an die erzwungene Übereinkunft. Ich wollte die Heimkehr hinauszögern.

An einem dieser Tage begleitete ich Richard bis vor die Haustüre. Er wohnte im selben Bezirk mit den Eltern im Studentenheim, nur einige Gassen weiter. Wir standen im separierten Eingang neben dem kippbaren Garagentor und unterhielten uns angeregt. Als kein Ende der Gespräche in Sicht war, beschloss er, mich noch bis zu mir nach Hause zu begleiteten. Bald darauf standen wir in der Stolzenthalergasse vor meinem Haustor mit dem Schmiedeeisengitter und sprachen weiter. Noch immer waren wir munter. So bot ich an, ihn wieder nach Hause in die Pfeilgasse zu begleiten. Wir schlenderten die menschenleere Gasse hinan. Auf der Josefstädterstrasse landeten wir vor der Auslage der Buchhandlung König. Wir nahmen auf der Stufe zum Geschäftseingang Platz. Wir diskutierten immer noch, als es drei Uhr morgens war.

Wir wollten uns niemals wieder schlafen legen. Ich hatte einen Partner gefunden, der genauso wie ich, ein ruhelos Suchender war und nicht einfach den Tag beendete, weil man ihn eben aus Sachzwängen beschließen musste. Somit bahnte sich eine tägliche Routine an, die damit begann, dass wir uns zufällig am Vormittag trafen. Regelmäßig verließ ich einer Eingebung folgend die Wohnung und ging ziellos im Bezirk herum, bis er plötzlich auftauchte. Meist schritt er geschäftsmäßig aus, als käme er zu einem vereinbarten Termin zu spät. Wir grüßten und von der Weite mit einem indischen Handzeichen. Arrangierten wir aber ein zeitlich abgemachtes Rendezvous, kam er immer zu spät. Allmählich ergab sich aber doch ein unvereinbarter, aber fixer Treffpunkt.

Pünktlich um zehn Uhr saß Richard im Albert, manchmal schon früher. Er las Zeitung, plauderte angeregt mit der Serviererin und trank Kaffee und rauchte Chesterfield. Je nach Budget lud er mich täglich zu einer warmen Mich um sechs Schilling, einen Tee Natur um acht Schilling, oder einen kleinen Braunen um zehn Schilling ein. Ich hatte nie Geld mit. Es war so schrecklich, dass er die Schillinge eigens abzählen musste. Ich legte meine kärgliche Barschaft hinzu. Was ich so in den Manteltaschen meiner Mutter an Kleinigkeiten fand, die zu nachlässig war, ihr Restgeld zurück in ihre Börse zu stecken, wanderte in meinen Besitz über und bildete einen Grundstock für meine Kaffeehausbesuche. Anscheinend ging es ihm nicht viel besser, aber eben um diesen notwendigen Betrag war er dennoch reicher. Richtig peinlich war es uns vor dem Personal in den Lokalen nicht. Obzwar oft eine winzige Summe fehlte, taten wir erstaunt und sagten, dass der Betrag gerade noch gestimmt hatte. Besonders die bedauernswerte Serviererin des Alberts – sie musste nebenbei noch das Portal waschen und das Klo putzen – sagte öfters: »Ist schon gut, Richard, gib mir’ s morgen!“

»In Ordnung, ich zahle morgen«, antwortete er heiter.

Das gleiche Spiel trieb er mit Eva vom Buwo. Aber morgen war doch so ein Tag wie heute und die finanzielle Lage konnte sich nicht verändert haben. Dann gab es auch noch die Festtage, wo Richard zum Zahlen einen Hunderter aus der Hosentasche zog und ich wusste wir würden noch viel unternehmen – viel warme Milch und kleine Braune trinken. Manchmal hatte er sogar mehrere Hunderter einstecken und er zahlte in allen Lokalen unsere lächerlich geringen Schulden. Zur Feier des Tags aß er dann ein belegtes Brot und ich konsumierte mehr Kaffee, als gesund war. Von nun an führte ich ständig einen Teil meiner Schriften mit mir und las sie vor, oder übergab sie Richard zum Vortragen. Ständig schuf ich neue Manuskripte auf meiner mechanischen Schreibmaschine. Meine Mutter hatte mir die flache Schreibmaschine in den Farben Weiß und Orange zum Festhalten meiner literarischen Ergüsse geschenkt – so nannte sie scherzhaft meine Aufzeichnungen. Ich freute mich, von ihrer Seite eine unerwartete Unterstützung zu erhalten. Dieses Gerät wurde mein verlängerter Arm und dokumentierte lückenlos meine täglichen Erlebnisse. Jeder Tag fühlte sich plötzlich wie eine endlose, jungfräuliche Welt an, über die ich in lyrischer Form oder fragmentarischer Prosa Zeugnis ablegte. Die Füllfeder und der Kugelschreiber lagen nur mehr auf einem Schreibblock unter meinem Bett. Wenn ich nicht einschlafen konnte, oder in der Nacht aufwachte, hielt ich meine Ideen in Kurzform fest. Die Spannungen in meiner rechten Hand, die mich, ausgelöst durch meine stundenlangen Niederschriften plagten, ließen bald nach. Die Schreibmaschine war im Gebrauch wesentlich leiser, als die alte schwarze Underwood meiner Mutter. Vielleicht konnte sie das nächtliche Geklapper nicht mehr ertragen und beschenkte mich aus diesem Grund so großzügig.

Es war trotz der beginnenden Turbulenzen eine Zeit der Sicherheit für mich. Ich löste mich endlich von den unpassenden, lediglich zugeteilten Freunden. Ich hatte Menschen gefunden, bei denen ich einen Platz zu haben schien. Ich lernte das Gefühl kennen, tägliche Übungen zu praktizieren. Ich wollte diszipliniert Leben, um mein Asthma zu verlieren und endlich ein vollständiger Mensch zu werden. Auf meinem Nachtkästchen sollten sich nicht Medikamentenschachteln stapeln. Ich hatte Angst in die Fußstapfen meines kränkelnden Vaters zu treten, der umgeben war von Augentropfen, Nasensprays und Antibiotika. Antihistaminikum und Spasmen lösende Dragees standen ihm bei, um ruhig schlafen zu können. Es war mir schon ziemlich gleichgültig, was die Eltern von mir forderten und dennoch versuchte ich, sie noch in mein Leben einzubeziehen.

Ich saß stundenlang mit Richard im Kaffeehaus – bei Schönwetter zumeist im Hamerlingpark – und wir lasen entweder aus meinen Werken, oder aus denen von Carlos Castaneda. Die ersten drei Bände existierten bereits. Mindestens ein Exemplar war fixer Bestandteil meiner täglichen Ausrüstung. Wir schlugen einfach eine Seite auf und die Stelle, auf die wir blind zeigten, musste die Passende sein. Wir betrachteten diese Textstellen wie ein Tageshoroskop und verstanden die kryptische Message sofort. Der gewählte Absatz, den wir mit feierlicher Stimme zelebrierten, war ein Spiegel unserer Tagesverfassung und beinhaltete einen Fingerzeig, an dem wir uns orientierten.

Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich nicht wirklich am Pulsschlag des Lebens meiner Freunde teilhatte. Eine ständig wechselnde energetische Dynamik des Einzelnen verband die Mitglieder miteinander. Diese Energien spürte ich wie Stromschläge im Gehirn und sie mussten einen Ursprung haben. Ich kam aber nicht hinter das Geheimnis ihrer wortlosen und doch spürbaren Übereinkunft. Richard hatte, wie ich bereits vermutete, einen bedeutenden Einfluss auf den harten Kern der Gruppe. Was er dachte und aussprach, nahmen die Gefährten ernst. Einige Monate ersprießlicher Zusammenkünfte, veranlassten ihn, mir zu vertrauen. Ich war ein verankerter Bestand seines Lebens geworden. Ich merkte, wie mich meine Begleiter näher rücken ließen. Richard war auf meiner Seite. Bei einem Treffen warf er wie beiläufig ein, ich sei ein Suchender. Er sagte, mir sei die Erkenntnis wichtiger, als alles Andere im Leben. Daraufhin umarmte mich Crisly und Mike hob anerkennend eine Augenbraue. Jimi schüttelte mir die Hand, als wollte er mir gratulieren. Etwas hatte sich in diesem Moment an unserer Beziehung verändert. Sie alle waren erleichtert, als wären sie über ein bestimmtes, mich betreffendes Thema, uneins gewesen und hätten jetzt durch Richards Worte Gewissheit erhalten.

So kam es, dass ich eines Tages eingeweiht wurde.

DIE LSD-KRIEGE

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