Читать книгу Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag - Gerhard Ebert - Страница 18
16. Kein Faible für Vaters Farbtöpfe
ОглавлениеSo aufregend auch war, was draußen im Lande geschah. Uwe durfte sich nicht zu arg ablenken lassen. Das Abitur rückte unerbittlich näher! Also musste langsam eine Entscheidung fallen, was nach erfolgreicher Reifeprüfung mit ihm geschehen sollte.
Uwe war ganz und gar unschlüssig. Aus lauter Verlegenheit besuchte er in der Volkshochschule einen Kurs für künftige Architekten. Sein Klassenkamerad Gerhard Meyer interessierte sich und hatte ihn geworben. Uwe spürte allerdings sehr bald, dass das Hantieren mit Lineal und Zirkel, noch mehr das exakte Operieren mit Zahlen nicht so sehr sein Fall war. Alle Dinge, die haargenau auf Punkt und Komma stimmen mussten, waren ihm irgendwie unheimlich. Alsbald sagte er dem Zirkel Ade.
Als ihm Vater zu Hilfe kam und riet, sich für eine Laufbahn im behördlichen Dienst zu bewerben, ließ Uwe dies zunächst mit sich geschehen. Ein erster Besuch im Landratsamt zur Vorstellung beim Landrat endete jedoch trotz Voranmeldung irgendwo bei einem untergeordneten Beamten, und Uwe hatte außer an saubere und kalte Räume schon kurz danach keinerlei brauchbare Erinnerung an diese kurze Begegnung. Dass das so absolut schief lief, war ihm letztlich sogar sehr recht, denn als knickrigen Beamten irgendwo im Büro, und wenn das noch so schön in irgendeiner Parkvilla untergebracht wäre, sah er sich eigentlich nicht. Der Umgang mit Papier, Stift und Schreibmaschine war ihm lieb, aber irgendwelche Papiere verwalten und abheften, und das möglichst hurtig für irgendeinen brummigen Chef, das war für ihn keine Perspektive.
Da Vater wusste, wie gern sich Uwe mit irgendwelcher Schreiberei befasste, recht erfolgreich einen Schreibmaschinen-Kursus besucht hatte und neuerdings auf seiner uralten Maschine sogar kleine Artikel für die örtliche Kreiszeitung fabrizierte, schlug er ihm vor, er solle einen seriösen Beruf erlernen und Schriftsetzer werden. Es gäbe in der Stadt drei Druckereien, und er wolle, so Uwe zustimme, einmal herum hören. Für solche Hilfe war der unschlüssige Sohn außerordentlich dankbar, zumal ihm klar war, dass Vater eigentlich gern gesehen hätte, wenn er in dessen Fußstapfen getreten, wenn er also Färbermeister geworden wäre.
Allerdings kannte Uwe ziemlich gut, was da auf ihn zugekommen wäre. Er hatte als Bub Vater das Mittagessen in den Betrieb bringen müssen und dort natürlich so in etwa gesehen, was Vati beruflich am Halse hatte. Faszinierend waren die vielen unterschiedlichen Farbtöpfe und –fässer schon, die in seiner mit hellen Fenstern ausgerüsteten Meisterbude herumstanden, und auch die vielen wunderschönen Stoffe, die es immer zu bewundern gab. Toll auch die mächtige schnaufende Dampfmaschine, die über zahllose sich im Betrieb verzweigende lederne Riemen und eiserne Räder diverse hölzerne Wellen in Bewegung hielt, auf denen in großen kochenden Farbbottichen riesige Stoffbahnen wunderbar farbenprächtig gefärbt wurden. Selbst wenn Vati mittags sein bescheidenes Essen mampfte, kamen Arbeiter zu ihm herein, brachten ein Stück Stoff mit, und Vati verglich dann mit irgendwelchen Mustern, wie weit der Farbton stimmte. Wenn nicht, griff er zu einem Löffel und gab dem ehrfürchtig wartenden Arbeiter aus diversen Farbtöpfen in eine Kanne sorgfältig abwägend kleine Portionen, worauf der Arbeiter loszog zu weiterer Verrichtung. Gewiss, das war durchaus faszinierend, aber Uwes Welt war es nicht.
Vater wusste das, drängte ihn nicht und mühte sich zu helfen. Sein erster Versuch, nämlich bei der Druckerei Pickenhahn in der Leipziger Straße, wo die Zeitung der Stadt gedruckt wurde, war aber leider nicht erfolgreich. Der Chef da schien zwar nicht ganz abgeneigt, aber mit Verweis auf die missliche wirtschaftliche Lage sah er keine Möglichkeit, einen Lehrling einzustellen. Anders dann glücklicherweise bei der kleinen Druckerei Berger ein wenig abseits vom Markt in der verwinkelten Nikolaistraße.
Der alte Herr Berger, ein schlanker grauhaariger Mann von väterlicher Güte, der im Krieg seinen Sohn verloren hatte, erwog offenbar, einen möglichen Nachfolger für seinen Betrieb auszubilden. Zwar war bei ihm bereits ein Lehrling beschäftigt, aber der hatte schon deutlich gemacht, dass seines Bleibens nicht sei. Wie auch immer, die Perspektive Schriftsetzer schien Uwe durchaus passabel. Es gab da die Möglichkeit, auf die Meisterschule nach Leipzig zu gehen, also selbst, wenn er letztlich in einer Druckerei würde hängen bleiben, müsste Schriftsetzer nicht schon die letzte berufliche Station gewesen sein.
Doch bis zu solcher Entscheidung würde noch viel Zeit ins Land gehen. Jetzt galt es erst einmal, das Abitur zu bewältigen. Das Fach Latein lag Uwe schwer im Magen. Es konnte das Zünglein an der Waage werden. Also traf sich Uwe mehrmals in der Woche mit Klassenkameraden, die in Latein besser drauf waren, und paukte Vokabeln, vor allem jedoch die Grammatik. Grauenhaft! Während in Englisch und auch in Russisch mit einigermaßen vertretbaren Zensuren zu rechnen war, drohte Latein wirklich zur Katastrophe zu werden. Gegen dieses Fach steckte in Uwe irgendwo eine massive Abneigung. Solch Empfinden kam immer in ihm auf, wenn ihm eine Angelegenheit im Grunde seines Herzens gegen den Strich ging. Bei Latein war das der Fall, weil ja wirklich sonnenklar war, dass er diese tote Sprache im Leben nie ernsthaft brauchen würde. Und Sensation! Wenige Wochen vor dem Abitur erfüllte die Schulleitung Uwes geheimen Wunsch. Latein wurde nicht geprüft! Mit welcher Nachricht ihm ein großer Stein von der Seele genommen wurde.