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3. Tante ausgebombt

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Eines Tages kam aus Bremen die Nachricht, dass Tante Betty ausgebombt sei. Nach kurzem Briefwechsel wurde von Vater entschieden, dass Tante Betty im Haus der Eltern Unterschlupf finden würde, bis der Krieg zu Ende war.

Das bedeutete, dass Uwe diese mondäne Frau der Großstadt noch einmal wiedersehen sollte. Er hatte sie kennengelernt, als er sie mit Opa kurz vor dem Krieg in Bremen besucht hatte. Damals hatte ihn – und da war er wirklich noch ein Bub gewesen – ihr Körper auf geheimnisvolle Weise interessiert. Was wohl würde sich jetzt tun? Fest stand, dass diese Tante offenbar ein Typ Frau war, für den er, Uwe, eine Schwäche hatte. Er konnte es sich nicht erklären, aber es war so. Sobald feststand, dass Tante Betty kommen würde, ergriff ihn eine bis dato ungekannte Unruhe. Was spielte sich ab bei ihm?

Es war das alles ohnehin seltsam genug: Männlein und Weiblein unterschiedlichster Figur und Ausstrahlung fanden zueinander. Dicke liebten Dünne, Große mochten Kleine. Man brauchte nur auf der Straße beim Bummeln einmal genau hinzusehen. Die unglaublichsten Paare zogen an einem vorüber. Manchmal war es geradezu rätselhaft, was sie wohl aneinander fanden. Offenbar mussten da Dinge im Spiele sein, die nicht äußerlich zu fassen waren.

Uwe gestand sich ein, dass seine mögliche Angebetete vor allem schön zu sein hatte. Aber was hieß das schon: schön! Reichte das aus? Im Bett muss es flutschen, hatte ihm mal ein Mitschüler gesagt, als sie im Gespräch auf das Problem gestoßen waren. Und obwohl Uwe sehr neugierig gewesen war und gern mehr erfahren hätte, hatte er souverän so getan, als sei ihm das völlig klar.

Eine Ausnahme war zweifellos, dass gelegentlich ein Reicher eine Arme liebte. Vielleicht, weil es da besonders gut flutschte. Wie das in Kitsch-Romanen ja vorkommt, und von doofen Leuten immer wieder geglaubt wird. Nur: Was ihn, Uwe, und diese Tante betraf, konnte es sich ja nicht um Liebe oder so etwas Ähnliches handeln. Was aber war es dann, das ihn so beschäftigte?

Als sie Tante Betty schließlich vom Bahnhof abholten, wo sie mit zwei kleinen Koffern sichtlich gealtert aus dem Zug stieg, war Uwe erst einmal enttäuscht. Er hatte sich vorzustellen versucht, wie sie wohl jetzt aussehen könnte, ohne zu beachten, dass ja ein verheerender Krieg tobte, dass Not und Hunger herrschten, dass Tante ausgebombt war und dass ihr Mann irgendwo in Russland seinen Kopf fürs Vaterland hinhielt.

Am nächsten Morgen, als Tante ausgeruht und sich etwas zurecht gemacht hatte, sah sie denn schon wieder ganz manierlich aus. Sie war schlanker, was kein Schade war. Und ihre Lippen höchst bemerkenswert. Uwe kriegte das mit, als sie ihm sozusagen zur Bekräftigung ihrer Ankunft einen Kuss verpasste, und zwar ohne Zaudern und Schnörkel kräftig mitten auf den Mund. Das kannte Uwe nicht, hatte ihn schon damals in Bremen überrascht. Wenn Mutter küsste, dann lieb und herzlich auf die Wange. Aber doch nicht auf den Mund! Vaters Küsse zählten nicht, auch wurden die, wenn überhaupt, auf die Stirn platziert. Jetzt also weich und warm innig auf den Mund. Uwes Blut geriet in Wallung. So also muss geküsst werden, dachte er und versuchte, seine Empfindung irgendwie wach zu halten. Noch war er ja sternenweit von irgendeinem hübschen Mädchenmund entfernt, der sich ihm zum Kuss geboten hätte. Aber seine Neugier auf die kussfreudige Tante war unerwartet mächtig mobilisiert.

Der Gast wurde im Erdgeschoss des Elternhauses einquartiert in der kleinen Wohnung von Tante Luise, die ihr Schlafzimmer hatte opfern müssen. Schließlich war Krieg, und ausgebombt zu werden war auf alle Fälle schlimmer, als aus Christenliebe ein Zimmer abzutreten. Ausstatten konnte sich Tante Betty ihre neue Bleibe mit ein paar Möbeln, die sie, als in Bremen die Bombenangriffe bedrohlich zunahmen, vorsorglich in Glauchau ausgelagert hatte, wo Vater vom Chef seines Betriebes einen ungenutzten Raum hatte anmieten können.

Faszinierend an Tante Betty war aus Uwes Sicht ihr berückend tadelloser Körper, besonders aber der Umstand, dass sie als junges Mädchen von zu Hause durchgebrannt war. Ganz genau erfuhr Uwe den Hergang zwar nie, aber so viel stand fest: Onkel Jupp, Tantes Mann, ein Kaffeehaus-Musiker, hatte im Ort gastiert, bei welcher Gelegenheit sie sich in ihn verliebte. Und als sein Gastspiel zu Ende ging, war sie über Nacht mit ihm davongezogen. Was ihr ihr Vater lange Zeit nicht verzieh, obwohl er hätte wissen müssen, dass seine Tochter Hummeln im Hintern hatte, denn ihre Mutter war auch recht reiselustig gewesen. Sie war von Opa auf einem Rummelplatz aufgelesen worden. Nicht als elternloses Kind, sondern als hübsche Tochter eines Schaustellers. Es hieß – zumindest hinter vorgehaltener Hand: Oma war eine Zigeunerin gewesen! Was für Uwe bedeutete, dass er irgendwie von Zigeunern abstammte. Eine wahrhaft aufregende Tatsache!

Kein Wunder also, dass Uwe seine Tante Betty besonders im Auge hatte. Wozu sie ihm im Sommer unvermutet gute Gelegenheit bot. Sie war eben doch eine moderne Frau der Großstadt, der die Spießbürgerlichkeiten einer Kleinstadt einfach schnuppe waren. Sobald sich nämlich im Frühjahr die erste günstige Gelegenheit bot, schnappte sich Tante einen Liegestuhl und legte sich zum Sonnenbad in den Hof. Aber nicht etwa wie Tante Luise in voller Montur, sondern in einem modernen Badeanzug, wie sie ihn schon damals an der Weser getragen hatte.

Das musste ausgenutzt werden! Leider fand sich nicht immer ein Grund, sich unmittelbar neben ihr zu platzieren, um sie aus den Augenwinkeln in aller Ruhe gründlich betrachten zu können. Sich stets zu gleicher Zeit wie Tante zu sonnen, wäre möglicherweise aufgefallen und hätte unangenehme Fragen auslösen können. So reizvoll und aufregend es also war, die heimlich angebetete Schöne aus der Nähe zu begutachten – Uwe musste es geschickt anstellen. Daher schlich er sich, wenn es sich machen ließ, unauffällig ins Schlafzimmer der Eltern, von wo er relativ ungestört beobachten konnte.

Worin Uwe bisher noch immer ein bisschen unsicher gewesen war, stand alsbald fest: Tante Betty war der Typ Frau, den er als Mann bevorzugen würde. Je öfter er schaute, desto gewisser wurde seine Überzeugung. Es war ja eine zunehmend beunruhigende Frage für ihn, an welche Frau er dereinst geraten würde. Irgendwann würde es gewiss geschehen. Und einfach nicht auszudenken der Glücksfall, dass die, die er würde haben wollen, prompt einverstanden sein könnte. So problemlos würde sich das wohl kaum zutragen. Soweit kannte Uwe bereits das Leben.

Wahrscheinlich würde sich gerade die, in die er sich verguckte, nicht mit ihm einlassen wollen. Und er, Uwe, das stand schon jetzt fest, würde sich nicht in jede verlieben können. Die Mädchen seiner Schulklasse beispielsweise waren ihm im Grunde völlig gleichgültig. Uwe wusste nicht, woran es lag. Es war einfach so. Und jetzt ahnte er den Grund: Die Auserwählte musste zumindest eine Figur haben, wie sie seine Tante Betty aufweisen konnte. Das heißt: deutliche „Wespen-Taille“, üppigen Busen, schlanke, wohlgeformte Beine, schöne, etwas muskulöse Schenkel und einen festen, kräftigen, aber nicht zu ausladenden Popo. Nach Möglichkeit außerdem braune Augen und schwarzes Haar. Wenn man sich dann auch noch nett mit ihr würde unterhalten können, wäre das der absolute Gipfel bei der Erfüllung aller seiner Sehnsüchte.

Aber das Leben ging weiter ohne die geringste Aussicht auf eine auch nur leise Annäherung an ein Mädchen. Für einen jungen Burschen, wie Uwe nun einer war, hieß das quälend: Wohin mit der Potenz? Quälend deshalb, weil die Natur einem mannbar werdenden Burschen zwar diverse Mengen „Zwirn“ unerbittlich reichlich zur Verfügung stellt, die blöde Zivilisation aber ganz und gar verhindert, dass dafür zugleich auch ein williges Weib greifbar wird.

Wie phantastisch natürlich musste sich das früher bei den sogenannten Wilden abgespielt haben! Uwe verschlang einschlägige Literatur, soweit sie in der Stadtbibliothek zu haben war. Zwar wurde darin das Eigentliche nie genau geschildert, aber so viel war doch wohl klar: Wenn diese vitalen Naturmenschen nach glücklicher Jagd und ausgiebigem Mahl abends auf dem Dorfplatz anfingen, nach der dumpfen Trommel immer ausgelassener zu tanzen, und sich wenig später angeblich Pärchen für Pärchen fröhlich in die nahen Büsche verdrückte, dann bestimmt nicht, um sich über den Trommler zu unterhalten. Man kam ganz gewiss ohne viel Hin und Her zur Sache, und zwar höchstwahrscheinlich ohne sich vorher mit Küssen auf Tour zu bringen. Uwe konnte sich berauschend sogar lebhaft vorstellen, dass die Männer nach wildem Tanz wahrscheinlich bereits mit ziemlich steifem Pimmel loszogen und die halbnackten Mädchen lüstern danach fassten. Zumindest hatten die Männer gewiss nie Ärger mit Rock und Höschen. Im Gegenteil. Die grundsätzlich bloßen Brüste der Frauen ließen sich gewiss ohne weiteres ergreifen. Und gewiss waren die Frauen nach ausgelassener Tanzerei besonders gierig darauf, sich das pralle Männerteil zwischen die Schenkel stemmen zu lassen. Welch ideales Leben!

Wie der Fünfzehnjährige den Krieg überlebte und einer Hoffnung erlag

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