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ОглавлениеSteig hielt den Telefonhörer noch am Ohr, als Jens in sein Büro kam.
„Ja, selbstverständlich kümmere ich mich persönlich um diese Angelegenheit, Herr Direktor. Natürlich, Herr Direktor!“
„Soll ich draußen warten, Herr Steig?“
Steig legte auf.
„Nein bleiben Sie bitte unbedingt hier. Ich brauche Sie jetzt. Das Gespräch mit diesem Direktor war nicht gerade erfreulich. Nehmen Sie doch Platz. Ich habe ein paar Dinge mit Ihnen zu besprechen. Zunächst: Ich habe veranlasst, dass die besprochene Presseinformation über die neue Produktgeneration an die Marketingagentur ADCONSULT für Europa herausgegeben wurde. Ich rechne mit einer lebhaften Reaktion. Daher bitte ich Sie, sich um den Rücklauf zu kümmern. Sie werden mir darüber berichten. Darüber hinaus will ich Sie jetzt über ein von mir gestartetes Geschäft informieren. Sie kennen doch sicherlich die McCartinson Corporation aus Hartfort, Connecticut?"
Er wartete nicht auf eine Antwort.
„Paul McCartinson, der Inhaber, ist mittlerweile ein guter Freund von mir. Wir haben uns vor vier Jahren auf einer Fachmesse kennen gelernt. Der verträgt vielleicht einen Stiefel Whisky, kann ich Ihnen sagen. Da gibt es eine nette Geschichte, die ich Ihnen lieber später erzählen werde. Jetzt aber gibt es Wichtigeres.“
Steig lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück und holte mit seinen Armen seitlich aus, fuhr mit seinen Händen über seinem Kopf durch die Luft hoch und stützte zuletzt seinen Hinterkopf mit seinen Händen.
„Seine Firma benötigt eine große Menge Messgeräte und Sensoren für den amerikanischen Markt. In der Medizin und vielleicht auch noch anderswo. Wir haben schon lange darüber verhandelt. In diesen Tagen hat er mich darüber informiert, dass wir als Hauptlieferant infrage kommen. Er ist sogar noch etwas weiter gegangen und hat sich ein Bild über die Versorgungslage mit Seltenen Erden, die für unsere Produktion benötigt werden, gemacht und selbst einen Vertrag ausgehandelt, um an einer Lagerstätte von Seltenen Erden direkt beteiligt zu sein. An diesem Vertrag haben wir, also unsere Firma, einen Anteil, weil wir mittelbar auch Vertragspartner sind. Will sagen, wir werden einen direkten Zugriff zu den Seltenen Erden haben.“
Steigs Augen glänzten. Jens schaute fragend. Er wollte sich nach dem Standort oder der konkreten Lage der Mine erkundigen.
„Also Jens, Sie sind ein wichtiger Leitender Angestellter in meiner Firma. Wenn Sie die Information, die ich Ihnen jetzt gebe, weitergeben sollten, sind Sie nicht mehr mein Mann. Und ich halte mein Wort. Ich gehe davon aus, dass die Versorgung mit Seltenen Erden in den nächsten Jahren nicht einfacher werden wird. Die Beschaffungsseite sieht zurzeit nicht besonders gut aus. Da gibt es eine untypische Wettbewerbssituation. Dagegen habe ich vorgebeugt. McCartinson und ich haben einen letter of intent auf ein Schürfungsgebiet in Kanada. Wir werden einen eigenen Zugang zu den Rohstoffen haben.“
Jens nickte anerkennend:
„Das nenne ich Voraussicht!“
Steig dachte an die letzte Nachricht von Li Mei, schaute an die Decke des Raumes und gab sich nur eine kleine Pause.
„Das bedeutet, dass seine Firma unter Berücksichtigung dieser Verbindung in der Rohstoffbeschaffung auch in Zukunft unsere Geräte kaufen wird, falls die erste Sendung zufriedenstellend ausfällt. Vielleicht gibt es die Chance für exklusive zusätzliche Anwendungen. Aber reden wir erst einmal vom ersten ausstehenden Auftrag. Das wäre alleine schon ein Volumen von - warten Sie mal…“
Er schloss für einen Moment die Augen.
„…noch in diesem Jahr zwanzig Komma sechs Millionen Dollar. Und das bei guten Deckungsbeiträgen. Was sagen Sie dazu?“
Jens war auf diese Frage nicht gefasst. Er fand es nicht angebracht, ein Lob zu äußern, sondern setzte diesen Betrag ins Verhältnis zum Jahresumsatz des Vorjahres.
„Das sind ja über drei Prozent vom Gesamtumsatz eines Jahres! Zusätzlich! Und das im ersten Jahr mit einem neuen Kunden!“
Steig streckte sich, und verlieh damit seiner gesteigerten Freude Ausdruck. Er nahm wieder eine normale Sitzhaltung ein, warf einen Blick auf die auf seinem Schreibtisch liegende Umsatzstatistik, nickte Jens zustimmend zu und erklärte:
„Es fehlen nur noch ein paar formelle Überprüfungen, ob die Geräte auch die gewünschten Anforderungsprofile und Spezifikationen der amerikanischen Behörden erfüllen. Die dazu nötigen Testreihen werden in Frankreich durchgeführt. In Lille. Dort hat McCartinson eine kleine Tochtergesellschaft, die SudMet Sarl. Aber da sehe ich kein Problem.“
Steig war ein Zupacker. Er wollte den Erfolg. Sein Gesicht zeigte Willen.
Frau Essig trat in den Raum ohne anzuklopfen.
„Wie wäre es mit einem Kaffee, die Herren?“, fiel ihre Stimme direkt hinter dem kein Problem ein.
„Ja, und vielleicht ausnahmsweise einen kleinen Cognac?“, schloss sich Steig ihrer Frage an. Jens lehnte Cognac am Vormittag ab. Er trank nie Alkohol im Büro. Er beantwortete stattdessen höflich Essigs Frage nach den Kaffeezutaten. Nur Zucker. Kaffee schwarz, wie meine Seele. Das Lächeln von Essig fiel sparsam aus. Bei dieser Gelegenheit studierte Essig durch ihre Goldrandbrille seine Augen. Jens ließ seinen Blick kurz an ihr herunter gleiten und gewann den Eindruck, dass sie es verstand, sich sorgfältig und geschmackvoll zu kleiden. Er wusste immer noch nicht, wofür das K. ihres Vornamens stand.
Für eine weitere Viertelstunde nistete sich Paul McCartinson in dem Raum ein. Steig ging etwas von seiner Art, die Dinge direkt zuzupacken, ab und erging sich in einem amerikanisch orientierten Ausflug. Hierbei erkannte Jens seine Sehnsucht, der Erste aus der Branche der Messtechnik zu sein, der eine neue digitale Generation von Messgeräten in die USA verkaufen würde. Steig wollte unbedingt Pionier auf diesem Gebiet sein. Dieses Geschäft sollte auf jeden Fall gelingen. Dann würde er es geschafft haben. Die Konkurrenz aus der Bahn geworfen, gesiegt. Einer der Konkurrenten, er würde ihn von den Anfängen her kennen, habe ihm schon immer den Rang ablaufen wollen. Aber nichts da. Steig war stolz.
„Ein großer Markt, ein großer Schritt. Das macht mir Freude und ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass die französische Tochtergesellschaft von McCartinson die notwendigen Geräte zum Test erhält. Sorgen Sie dafür, dass die notwendige Geheimhaltung und Sicherheit gewährleistet wird. Sie werden das Projekt persönlich begleiten.“
„Danke, das werde ich gerne übernehmen.“
„Und berichten!“
„Natürlich!“
„Zuletzt noch einen Punkt: Gestern erhielt ich einen ersten Anruf wegen einer Reklamation. Ausgerechnet wegen der Geräte aus der Null-Serie. Ich habe Doering gebeten, sich darum zu kümmern. Aber Sie sollten bitte ein Auge darauf haben und über den Vorfall berichten. Als Sie in mein Büro kamen, hatte ich den nächsten Reklamationsanruf. Da kann irgendetwas nicht stimmen. Sie kümmern sich bitte darum!“
Auf den fragenden Blick von Jens fügte er hinzu:
"Kontrolle ist besser als... Sie wissen schon und ein Führungsinstrument."
Als Jens das Büro verließ, blätterte Frau Essig gerade in den Lokalnachrichten der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und sprach Jens an:
„Stellen Sie sich vor, da ist ein Mann in Alfeld tot aufgefunden worden. Man vermutet Mord. Die Polizei ermittelt. Es gibt keinen Täter und kein Motiv. Und so was vor den Toren unserer Stadt! Ich bin richtig aufgeregt.“
Jens hörte zu.
„Es gibt eben doch viele Übel auf dieser Welt.“