Читать книгу Apostelchips - Gert Podszun - Страница 6
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ОглавлениеFast wäre Dieter Jens zu spät zu dem Termin gekommen. Rechtzeitig vor Beginn hatte Frau Essig, Assistentin des Chefs der Steig AG, ihn daran erinnert. Er klappte sein Laptop zu, klemmte ihn unter einen Arm und sprang eifrig die Treppe hinunter zum Sekretariat. Unterwegs knöpfte er sein Jackett zu.
„Sie wollten doch den Professor abholen, Herr Jens!“
„Ich habe noch gelesen. Vorbereitung auf den Vortrag.“
„Ist ja recht, aber Sie müssen jetzt los, sonst sind wir alle zu spät.“
Jens kannte den Weg zum Hotel Luisenhof. Den Professor kannte er noch nicht persönlich, aber er hatte ein Bild von ihm. Es war verabredet, dass der Professor vor dem Haupteingang des Hotels Luisenhof warten würde. Jens erkannte ihn vom Bild sofort. Er trug einen beigefarbenen Mantel, in der linken Hand hielt er eine Aktentasche mit schwer zu definierender Farbe. Jens winkte ihm zu und schaute in Richtung Lobby. Er hatte den Eindruck, als stünde dort ein kleiner Mann, der dem Professor nachschaute. Entweder war es ein Zufall des morgendlichen Lichtspiels oder aber die hellen Augen von diesem Mann, deren starkes Funkeln Jens im Gedächtnis blieb.
"Der Marketingchef persönlich! Guten Morgen."
Mehr als diese kurze Begrüßung gab der Professor während der Fahrt nicht von sich. Er schaute stur auf die Straße und hielt seine Tasche auf dem Schoß fest.
Auf der Luisenstraße gab es einen kurzen Stau. Jens blickte in den Rückspiegel und meinte den kleinen Mann aus der Lobby in einem roten Kleinwagen hinter sich zu sehen. Der bog in Richtung Hauptbahnhof ab. Sie erreichten die Firma nur wenig später als geplant. Stiller ging schnurstracks in das Büro von Steig, als wenn er es bereits kennen würde. Jens eilte in den Besprechungsraum und öffnete sein Laptop. Er war bereit.
Glücklicherweise machte der Chef keine Bemerkung über die kurze Zeitverzögerung. Er legte prinzipiell größten Wert auf Pünktlichkeit. Jens schaute auf seine Schuhe, die er seit zwei Tagen nicht mehr geputzt hatte und schob sie unter den Stuhl zurück. Professor Dr. Stiller hatte seinen Mantel abgelegt. Von Harry Steig und Frau Essig begleitet, betrat er den Besprechungsraum. Sein Platz war neben dem Chef reserviert. Der Beamer summte. Steig prüfte die Anwesenheit der geladenen Mitarbeiter mit einem kritischen Rundumblick, zeigte sich zufrieden und stellte den Gast vor.
„Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wandelt sich die Welt. Das hat auch Einfluss auf unsere Arbeit und unsere Produkte im Bereich der Messtechnik. Unser Gast, Professor Dr. Stiller, hat nach langer Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit unserem Hause und in Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen und Universitäten für uns eine Produktkonzeption entwickelt, die wesentliche Bereiche der Messtechnik und der Zukunftstechnologie „Augmented Reality“ revolutionieren wird. Ich freue mich, dass unser Gast eine Einführung in diese innovative Welten geben wird. Zu Ihrer Information teile ich Ihnen noch mit, dass Professor Stiller noch wenige Tage in der Stadt sein wird. Er hält eine Gastvorlesung an der Universität. Herr Professor, bitte!“
Stiller. Ein ziemlich unscheinbarer, eher kleiner Mann. Hohe Stirn. Brillenträger. Leicht gebräuntes Gesicht. Seine Aktentasche lag vor ihm auf dem Tisch. Zeigte klare Spuren langjähriger Benutzung. Spuren seiner Hände. Altes Hautfett. Messingschloss. Sein anthrazitgrauer Anzug war augenscheinlich schon seit längerer Zeit sein Begleiter. Leichter Glanz vom Bügeln. Er stand auf, rückte die Brille mit den runden Gläsern und dem silbergrauen Stahlrahmen zurecht, startete die Präsentation von seinem Laptop über den Beamer. Die Mitarbeiter hörten:
„Technologien zur Identifizierung von Flüssigkeiten in geschlossenen Behältnissen sind vornehmlich für die chemische Industrie, aber auch für die Abfallwirtschaft von außerordentlicher Wichtigkeit. Uns ist es nach einigen Jahren der Forschung gelungen, ein System zu entwickeln, mit dem Flüssigkeiten, egal welcher Art, in geschlossenen Behältnissen identifiziert werden können. Dies ist möglich, ohne auf traditionelle Weise Proben zu entnehmen oder die Flüssigkeiten unmittelbar zu berühren. Zum Beispiel ist es einfach, Blutbestandteile bei Menschen oder Tieren zu analysieren, ohne eine konkrete Probe zu nehmen, wie es derzeit bei Laboruntersuchungen üblich ist.“
Jens mochte Blut nicht. Er hatte als Kind oftmals Nasenbluten. Er hörte weiter zu.
„Praktisch geht das so. Man hält eine entsprechende Vorrichtung, wie etwa diesen neu entwickelten Sensor, hier sehen sie einen Prototyp, “ - ein graues Gerät, einem schnurlosen Telefonhörer ähnelnd, wurde in die Luft gehalten - „an die Haut oder die Außenwand eines flüssigkeitführenden Systems und erhält umgehend die Analyse des Inhalts. Das wäre unter anderem auch eine Diagnosehilfe für Ärzte und Krankenhäuser, um etwa Blutkrankheiten zu behandeln oder den Zuckergehalt zu bestimmen. Sicherlich auch ein Potenzial zur Kostensenkung.
Weitere Anwendungsgebiete sind in der Chemie- und Pharmaindustrie wie auch in allen Entsorgungsbereiche, in denen es um flüssige Stoffe unterschiedlicher Viskosität geht, zu finden. Das Arbeitsprinzip ist identisch. Die Behältnisse der Flüssigkeiten müssen nicht geöffnet werden. Der Sensor wird lediglich an die Wandung gehalten und liefert die gewünschte Analyse sofort. Weitere Anwendungsgebiete liegen in der Ferndiagnose von Flüssigkeiten, wie etwa Flüsse oder Seen, was aber die heutige Veranstaltung sprengen würde.
Die Herstellung dieser neuen Messgeräte und Sensoren passt ideal in das Profil Ihrer Firma, der Steig AG. Das ist auch der Grund, warum ich heute bei Ihnen sein darf.
Für die Produktion dieser Messgeräte ist selbstverständlich spezielles Know-how erforderlich. Ihnen ist bekannt, dass dafür Bausteine erforderlich sind, die ohne die Verfügbarkeit von Seltenen Erden, also Metallen seltener Erden, auch Seltenerdemetalle, oder Rare Earth genannt, nicht produziert werden können. Das gilt auch für einen weiteren Unternehmenszweig, in dem hier im Hause hervorragende Arbeit für die Zukunftstechnologie AR geleistet wird. Das ist aber heute nicht unser Schwerpunkt. Nur noch eine kurze Anmerkung.
Die Bedeutung Seltener Erden nimmt immer mehr zu. Seitdem China, das derzeit mit etwa 90 Prozent den weltweit größten Anteil an der Verfügbarkeit dieser Metalle stellt, den Export stark eingeschränkt hat, steigen die Preise dieser Rohstoffe stark an. Unter dem Begriff Seltene Erden werden Metalle einer bestimmten Gruppe des Periodensystems zusammengefasst, die für die Industrie sehr wichtig sind. Unter anderem werden Seltene Erden bei der Herstellung von Mobiltelefonen, Laptops, Fernsehern, Hybridfahrzeugen, bestimmten Waffen- und Radarsystemen, Röntgenapparaten und Photovoltaik-Anlagen benötigt. Der wachsende Einsatz dieser Metalle spricht neben einem zu erwartenden Angebotsengpass für einen weiteren Preisanstieg. Davon profitieren natürlich Förderunternehmen.
Mir ist bekannt, dass die bisherigen Laborarbeiten in Kooperation mit ihrem Hause erfolgreich waren, wenngleich dies auch in erweiterter Zusammenarbeit mit einem ihrer Lieferanten, der Firma Dorn, zustande gekommen ist. Man muss Spezialisten eben ihren Platz geben.“
Steig bedankte sich nach weiteren Ausführungen des Gastes und dem abschließenden Frage- und Antwortspiel für dessen Vortrag und beendete die Sitzung mit einem Schlusswort:
„Diese Präsentation zeigt uns neue Wege für den Bereich Messgeräte auf. Dafür sprechen auch schon erste Reaktionen vom Markt. Das bringt neue Anforderungen, die wir zu kanalisieren haben. Das hat selbstverständlich auch Einfluss auf unsere Organisation. Damit gebe ich bekannt, dass wir die zukünftige Marktbearbeitung auf höchster Ebene personifizieren werden. Herr Jens als Direktor Marketing wird den Bereich Chemie- und Pharmaindustrie sowie Entsorgung übernehmen und Herr Doering übernimmt weiterhin den Bereich Medizin, Krankenhäuser und Laborunternehmen. Weitere Fragen oder Anregungen werden wir in Einzelgesprächen erörtern. Falls jetzt keine weiteren Fragen bestehen, nehmen Sie bitte die Unterlagen, die Professor Stiller für uns vorbereitet hat, an sich und studieren sie, damit wir bei den nächsten Gesprächen einen gleichen Informationsstand haben.“
Die Sitzung war damit beendet.
Jens nahm die angesprochenen Unterlagen an sich. Er konnte gerade noch sehen, dass der Professor Schuhe trug, deren Absätze schief abgelaufen waren. Sein Laptop begleitete ihn zurück zu seinem Büro.
Es wurde Zeit, den Akku zu laden.