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Steig setzte sich nach dem Gespräch mit Jens in seinen Wagen. Langsam nach Hause. Nachdenken. Sein Haus in einem Vorort im Westen der Stadt an der Flanke des Deisters ermöglichte einen weiten Blick über das Land. Das Genießen dörflicher Ruhe. Die Stille, die Mut erfordert.

Das Anwesen der Familie Steig war ein ehemaliger Bauernhof. Die ursprünglichen Gebäudegrundrisse waren seit ihrer Herstellung unverändert. Im Innern der Gebäude waren im Laufe der Zeit nach und nach einigen Umbauten vorgenommen worden, die insgesamt zu dem Eindruck geführt hatten, es handele sich um ein Landschloss. So jedenfalls hatten es verschiedene Besucher des Anwesens bezeichnet. Ein besonderes Merkmal der Anlage war der weite Innenhof, in den Steig einfuhr, um den Wagen in eine der Garagen abzustellen. Daneben befanden sich Stapel von Kaminholz, das Steig zu großen Teilen selbst gehackt hatte. Um den eigentlichen Wohntrakt zu betreten, gab es zwei Möglichkeiten: entweder vom Hof aus durch den hinteren Eingang zu gehen oder durch eine in der Hofmauer integrierte Tür durch den Haupteingang einzutreten. Früher hatte Steig sich einen Spaß daraus gemacht, mal von vorne und mal von hinten in sein Haus zu gehen, um dabei seine Frau oder seine beiden Kinder zu überraschen. Heute versuchte er sich zu erinnern, wann er das letzte Mal einen solchen Schabernack getrieben hat. Das war vor fast fünf Jahren. Seine Tochter Christel wurde damals dreizehn. Da es zudem noch ein Freitag war, hat er ihr eine als Schornsteinfeger verkleidete Puppe mitgebracht, in deren Taschen kleine Schmuckstücke mit kleinen Rubinen versteckt waren. Steig trat heute wie gewöhnlich - seit vielen Jahren - durch den hinteren Eingang ein. Seine Frau Else begrüßte ihn:

"Na, wie war es in der Firma?"

Es gibt Luftfragen. Routine. Sinnfreies, dennoch Verbindendes. Steig wusste das. Dennoch. Auf diese Frage hatte sie noch auf eine Antwort erwartet und auch nicht bekommen. Schon lange dachte Steig über diese Luftfragen und fehlende Antworten nicht mehr nach. Er hielt es für die letzte Stufe des täglich notwendigen Überganges von seinem geschäftlichen zu seinem privaten Leben und betrachtete es darum als letzte Stolperkante, die zu überwinden er sich zutraute, indem er einfach keine Antwort gab. Seine Kinder schienen das begriffen zu haben. Sie stellten keine Fragen mehr. Tochter Christel umging mögliche Fragen, indem sie sich einfach öfters neben ihn setzte und ihm so zeigte, dass sie da war.

Er stand nun in seinem Heim. Ende der Tagesarbeit. Eine Frage. Keine Antwort. Der nächste Morgen würde kommen. Mit neuen Fragen. Auch dieser Frage von soeben. Auch dieser nicht gesprochenen Antwort. Steig zuckte. Seine Aktentasche fühlte sich schwerer an als sonst. Else hielt ihm die Wange hin, still, lieb und beruhigend, so dass man meinen könnte, die Welt sei in Ordnung. Eine Wange, noch eine Wange. Steig spitzte seinen Mund. Zweimal. Er war froh, dass ihr Parfüm leicht und zart war, keine Übertreibung. Die Tasche aus seiner Hand fand ihren üblichen Platz. Sein Gang war nicht leicht. Ihm kam es vor, als wenn seine Beine stottern würden. Langsam in den Abend. Auf dem Weg ein Blick zurück.

Die erste Begegnung mit Else ergab sich in einer Gaststätte. Sie stand gedankenverloren an der Theke und wartete, wie er, auf einen Sitzplatz. Es war eine preiswerte Kneipe, die seinem damaligen Geldbeutel angemessen war. Else sah blass aus, fror ein wenig und schaute starr gerade aus, als wenn sie einen festen Punkt im Unendlichen suchen würde. Die vergangenen Wochen und Monate waren für beide unabhängig voneinander eine Periode voller Qualen gewesen. Wegen einer vertrackten Beziehung zu einem Studienfreund war sie durch alle Prüfungen gesegelt. Geld hatte sie auch nicht mehr viel. Es reichte gerade noch, um ab und zu auf ein kleines Essen hinauszugehen. Sie war nicht sicher, ob sie das Studium wieder aufnehmen sollte. Alternativ würde sie einen Job suchen müssen.

Während der Wartezeit, die sie ziemlich nahe beieinander vor der Theke verbringen mussten, kamen beide ins Gespräch. Steig hatte damals gerade seine Firma gegründet, hatte zwar schon seinen ersten größeren Auftrag, steckte aber noch in finanziellen Startschwierigkeiten. Damals schaute er selbstsicher auf die vor ihm liegenden Jahre und war fest entschlossen, die sich ihm bietenden geschäftlichen Gelegenheiten bei den Hörnern zu packen. Er würde es schaffen. Er konnte auf ein gut abgeschlossenes Studium zurückblicken. Nebenbei hatte er sich sportlich fit gehalten und bei einem kleinen Unternehmen ein Praktikum absolviert. Praxis hilft, hatte er sich überlegt. Das hatte er sich auch bewiesen. Er hatte so die besten Voraussetzungen. Sein Wahlspruch war schon damals:

„Man muss hart gegen sich selbst sein, um Erfolg zu haben!“

Nach diesem Motto lebte er. Das hatte für ihn zur Folge gehabt, dass er alle Dinge seines Lebens alleine bewältigen wollte und sich selbst danach richtete. Er war immer der Meinung, dass man die berühmte Suppe auch alleine auszulöffeln hat. Darum hatte er immer sein geschäftliches von seinem privaten Leben getrennt. Damit bekannte er sich auch dazu, seine Geschäfte allein regeln zu können, was auch bedeutete, dass er privat nicht darüber zu sprechen pflegte.

Else ist über einen Kopf kleiner als er und hat klitzekleine Sommersprossen auf der Nasenspitze. Das war ihm schon damals aufgefallen, als sie sich in diesem Lokal näher kennen lernten, das geschah fast zwangsweise, weil an einem Tisch zwei Plätze frei wurden.

Er vermisste jetzt diesen Platz neben ihr. Ist da nur diese eine Frage nach dem Arbeitstag in der Firma übrig geblieben? Seine Füße gingen weiter. Langsam. In seinem Heim. In das Wohnzimmer. Im schlossähnlichen Heim. Vor dem Deister. Die Tageszeitungen lagen an ihrem Ort. Daneben Fachzeitschriften. Eine davon war schon vierzehn Tage alt. Immer gibt es neue Informationen. Sind sie alle immer so nützlich? Er fragte sich nach sich selbst. Else war einfach vorbei gegangen. Ohne richtigen Kuss. Steig erlaubte sich Zweifel. Unsicherheit. Würde sich irgendetwas ändern? Würde das sein weiteres Leben sein? So ganz ohne Spannung im Zwischenmenschlichen? Einfach so weiter? Sein Sessel war wie immer.

„Hallo, großer Meister!“

Das war die Anrede, die Sohn Florian seit einiger Zeit benutzte.

„Was machen die Dollars?“

Steig verstand nicht, warum Florian immer nur von Dollars redete.

„Guten Abend, mein Sohn. Die Dollars gibt es jenseits des Grossen Teiches. Dazu gibt es durchaus immer Konkurrenz im Geschäftsleben. Was willst Du denn eigentlich wissen?“

„Nur so. Nichts Besonderes.“

Florian war Mitglied bei attac, einer Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger und Bürgerinnen, und betrachtete die Welt der Wirtschaft kritisch.

„Ihr müsst immer nur kämpfen!“

„Christel ist noch in ihrem Zimmer. Sie schaut sich einen Film an.“, reagierte Else auf den suchenden Blick ihres Mannes. Wenig später saß die Familie um den runden Esstisch aus altem Mahagoni beim Abendessen. Man schwieg. Steig mochte seine Tochter besonders und hätte sich ihre Nähe gewünscht, weil er hoffte, dass sie ihn allein mit ihrem Dasein unterstützen würde. Ihre Abwesenheit machte ihn unsicher.

„Ich habe heute Abend noch eine geschäftliche Besprechung. Man will die Einkaufskonditionen verschlechtern.“

Er war sicher, dass ihm niemand zuhörte.

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