Читать книгу heute wirst du gehenbleiben - Gertraud Löffler - Страница 12
ОглавлениеFreitag, 20. April. Tante Astrid
Der Kuraufenthalt an der Ostsee tat so richtig gut. Nicht auf Kassenkosten. Da legte sie Wert darauf und würde auf Nachfragen diese Tatsache mit Sicherheit nicht unerwähnt lassen. Oh, war das herrlich. Man konnte ausgedehnte Strandspaziergänge machen, die Kurherren begleiteten sie bereitwillig und, wenn sie allein sein wollte, pfiff sie das Rudel einfach zurück an die Bar und stahl sich davon. Das Essen schmeckte hervorragend trotz des hohen Prozentsatzes an gesundheitsfördernden Zutaten, das Wetter war brillant und Eile existierte nicht an einem Ort, an dem sich das Meer seit Jahrtausenden ausrollte und zusammenzog, nach dem Sand griff und wieder weit nach draußen wich.
Entspannte Wochen breiteten sich vor ihr aus wie ein Blumenteppich wie an Fronleichnamsumzügen. Jeder Tag ein Feiertag. Hektik und Stress gab es zu Hause eigentlich auch nicht.
Sie lebte alleine und ihre nächsten Verwandten, ihre Schwester, deren Mann und ihre Nichte Lizzy wohnten weit genug weg, um nicht selbst in der Funktion als Tante zum täglichen familiären Schwammtuch zu verkommen, welches zwischenmenschliche Verunreinigungen aufsog, Mutter-Tochter-Konflikte wegwischte und spiegelglatte Oberflächen hinterließ. Von solchen Konfliktherden hielt sie sich gerne fern, indem sie eher sporadische Besuche pflegte. Ihr eigenes Leben war geprägt von schwerelosem Herumschwimmen in einem Meer aus Zeit.
Die Wellen trugen sie bereitwillig durch den Alltag und, wenn sie wollte, kraulte sie eifrig oder glitt einfach so dahin. Aber hier war alles noch entschleunigter als ohnehin. Na, Urlaub eben. Kururlaub. Abends ein paar Vorträge. Man sollte selbstverständlich auch etwas Lernen über rückengerechtes Verhalten, orthopädisch sinnvolle Stühle und Entspannungstechniken.
Oh und der Strand! Wie herrlich! Vor allem bei Dunkelheit, wenn man die Lichter der Strandpromenade glänzen sah. Der Wind zauste an ihren Haaren und pluderte warme Spätabendluft in ihre Hosenbeine. Beinahe hätte sie ihr Handy gar nicht wahrgenommen. Der Klingelton Meeresrauschen direkt neben dem Meer geht schnell mal unter. Vibrationsalarm in flatternden Leinenhosen auch. Das Display zeigte ihr Schwesterherz an. In letzter Sekunde ging sie ran.