Читать книгу heute wirst du gehenbleiben - Gertraud Löffler - Страница 19
ОглавлениеSonntag, 22. April. Lizzys Parkleben
Zusammengekauert wie ein Igelbaby lag Lizzy in ihrem Schlafsack und tastete schläfrig nach einem kleinen Kiesel, der ihr in den Beckenknochen drückte. Fahles Morgenlicht drang durch ihr selbstgebautes Minifenster zwischen den Brettern. Die morgendliche Feuchtigkeit von draußen kroch durch die Ritzen der morschen Hüttenwand und vermischte sich mit der modrigen Atmung des in die Jahre gekommenen Holzes. Der Geruch erinnerte an ein altes Bootshaus. Sie rollte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf.
Rein messbar war es empfindlich frisch, aber ein taffes Mädchen in ihrem Alter fror Gott sei Dank nicht so schnell. Die Kälte packte eher ihren Abenteuergeist beim Schopf und trieb ihre inneren Turbinen auf Hochtouren. Erzeugte ein kraftvolles Gefühl von Unabhängigkeit, dessen wärmende Intensität sie so bisher nie kennen gelernt hatte. Natürlich wartete zu Hause der Komfort eines Boxspringbettes, eines Morgenkaffees und eines wohltemperierten Badezimmers mit Wellnessregenwalddusche. Aber hier in ihrer Dschungelbehausung genoss sie den Status, Königin ihres eigenen kleinen Reiches zu sein. Lizzy sog die Luft ein und genoss das Kitzeln in der Magengegend, das ihr Trip immer öfter in ihr auslöste. Sie richtete sich auf, streckte sich und griff nach dem Rucksack in der Ecke. Vorsorglich hatte sie noch in der Küche ein großes Stück Brot und einen Apfel aus Martins gut gefüllter Obstschale heimlich in ihren Rucksack wandern lassen, als sich der Hausherr frustriert mit Weinflasche Richtung Wohnzimmer verzogen hatte. In solchen Situationen galt es geistesgegenwärtig zu handeln, schließlich musste sie für ihren Unterhalt im Moment selbst aufkommen. Illegale Spenden dieser Art waren natürlich herzlich willkommen. Im Geiste ging sie ihren Tagesplan durch. Schlafsack und Rucksack unter dem Tresen verstauen, um beides vor neugierigen Blicken zu verbergen, falls doch irgendwer auf die unwahrscheinliche Idee kommen sollte, an den vernagelten Brettern vorbei einen Blick ins Innere der Hütte zu erhaschen. Spurenbeseitigung war oberste Prämisse. Dann Katzenwäsche am Brunnen und Wasser zapfen. Danach würde ihre kurze Morgenrunde folgen. Trimm-dich-pfand, wie sie ihn scherzhaft nannte. Sie wollte definitiv die Erste sein, die die gläsernen besten Freunde der abendlichen Parkbesucher, die sie in den Müllbehältern hinterlassen hatten, abgriff. Ihre zweite Runde pflegte sie abends gegen sechs auf ihrem Rückweg vom ZEITLOS zu machen, da in dieser Tagesetappe die nachmittäglichen Parkbesucher bereits weg, die Penner aber noch nicht aufgekreuzt waren. Oft quollen die Glas- und Plastikflaschen derart aus den Behältern, dass Lizzy mehrfach ausrücken musste. Aber sie tat das gerne, genoss sie doch den Spaziergang und den Nutzen, den sie daraus zog. Schließlich spülte dieser Wertstoffkreislauf Kleingeld in ihre Haushaltskasse, was die täglichen ZEITLOS-Aufenthalte inklusive Ladezeit sicherte. Im Übrigen müssten Lizzy ohnehin keine Geldsorgen plagen. Von ihrem eigenen Ersparten hatte sie einiges mitgenommen und als Notgroschen zusätzlich zweihundert Euro aus der Schublade im Flur stibitzt. Was aber völlig in Ordnung war, schließlich handelte es sich bei diesem Geldtransfer eher um eine Art Haushaltskassensummenverschiebung, gerechtfertigt durch örtliche Abwesenheit eines von drei Familienmitgliedern, als um handfesten Diebstahl. Wichtig war, dass man immer etwas auf der hohen Kante hatte, trotz täglicher Ausgaben. Und für Lizzy bedeutete der regelmäßige Cafébesuch viel, nachdem er eine Möglichkeit war, unauffällig am normalen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
„Autsch! Blödes Ding!“
Eine vorstehende Schraube unter ihrem rechten Schulterblatt bohrte sich schmerzhaft in ihre Gedanken, sodass sie sich gerne entschloss, in den Tag zu starten. Als sie aufstand, merkte sie, dass auch in den übrigen Knochen noch der steife Abdruck des harten Kioskbodens steckte.
„So, Lizzy, keine Müdigkeit vorschützen.“
Es klang fröhlich und sie klatschte gut gelaunt in die Hände. Ja, sie strotzte vor Energie und freute sich auf den Tag.