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ОглавлениеKapitel 3 Ein seltsamer Gruß
Lisa setzte sich im Bett auf, Alwin schien noch zu schlafen. Sie musterte das Innere der kleinen Strandhütte und lauschte den Geräuschen der sterbenden Nacht. Weit entfernt ließ eine Sumpfohreule einen fauchenden Laut hören. Ein Weibchen, dachte Lisa. Es dauerte nicht lange, da drang durch die aneinandergebundenen Bambusstäbe der Hüttenwand Licht. Einer der Strahlen zauberte Maracellas Nasenspitze hervor. Das Südeseemädchen machte es sich auf Lisas Bettdecke gemütlich und lächelte ihre Schöpferin an. Lisa lächelte zurück.
Eine Männerhand wanderte langsam Lisas Bein hinauf.
„Hey Kat, schon gefrühstückt? Komm, wir setzen uns raus! Wo ist Lerry?“, meinte Maracella plötzlich und sah zur Tür. Auch Lisa blickte auf die geschlossene Tür, ohne jedoch den verschlafenen und sehr ernsten Blick ihres Mannes zu sehen.
Kurz darauf saßen Alwin Richard und seine Frau an einem Tisch vor der Hütte. Vom Wind durch Sanddünen geschützt, verzehrten sie ihr Frühstück. Lisa hörte, wie sich Alwin nach ihrem Schlaf erkundigte. Sie gab eintönige Antworten, ihre Phantasie hingegen wurde bunter und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Während Alwin nach Worten suchte, war Lisas Aufmerksamkeit von dem gefangen, was in ihrem Geist geschah: Als Lerry erschien, holte er etwas aus seiner Hosentasche und zeigte es Kat.
„Tja, es gibt ein Rätsel auf…“, meinte Kat nachdenklich. Nach einer Pause, in der Alwin die Hawaiianischen Koch- und Essgewohnheiten schilderte, fügte Kat leise hinzu: „Entschuldigung, Miss Richard, könnten Sie sich das bitte ansehen! Es könnte wichtig sein!“
Lisa schluckte. „Ein Stück Korken am Morgen und vielleicht landen Sie am Abend in einem Topf Gemüsesuppe und wundern sich, warum Sie noch immer keine Karotte geworden sind...“, leierte sie ohne mit der Wimper zu zucken vor sich her. Alwin blickte auf das Treibgut in Lisas Hand, dann auf die Ananas. Er schnitt weitere Scheiben davon ab und fragte sich im Stillen wieder einmal, ob die Ereignisse des letzten Jahres nicht vielleicht doch zu viel für seine Frau gewesen waren.
Ein Hawaiibussard schrie landeinwärts, während das Rauschen der Brandung mit den vergehenden Minuten stärker zu werden schien. Kat, Maracella und Lerry starrten schweigend auf Lisa, während Alwin die Lippen schürzte.
Lisa nahm eine der unzähligen Ananasscheiben und biss hinein. Wieder einmal strich sich Larry seine Haare glatt. Beide Ellbogen auf den Tisch und ihr Kinn in die Hände gestützt, ließ Maracella ihren Blick nicht von Lisa.
„Hmm..., klingt nach einem ungereimten Rätsel...“, murmelte diese und erschrak.
„Wie wirklichkeitsnah“, warf Alwin ein und legte das Messer weg. Er verschränkte seine Hände vor der Brust und versuchte zu lächeln, was sehr komisch aussah. Denn während sich sein Mund verzog, als hätte er auf einen unreifen Papayakern gebissen, standen seine Augenbrauen in Startposition für einen Paragleitflug.
Lisa starrte auf den Korken, der von den meisten Muscheln und dem Seetang befreit worden war.
Gefangen im Nichtigen Reich,
Unerhört ihre Geschichte,
Sie brauchen
Hilfe
Bald!
Unbekannterweise
Aus ganzem Herzen
Respektvolle Grüße an
…
„An wen diese Zeilen adressiert sind, ist nicht zu erkennen…!“, murmelte Lisa mehr zu sich selbst, währendAlwin sanft meinte: „Hm, Liebling, vielleicht legst du dich wieder etwas nieder!“ Dann nahm er Lisa den Korken aus der Hand. Er konnte die Schriftzüge jedoch nicht leugnen und wiederholte kopfschüttelnd die eingeritzten Worte. Schließlich ergänzte er, „Eine moderne Form, Grüße zu schicken. Wir leben ja im Zeitalter permanenter kommunikativer Erneuerungen. Vermutlich haben wir hier auf unserem Strand übersehen, dass Apple ein neues Tablet auf den Markt brachte! Aber wie dem auch sei…!“
Er sah kurz auf, ob sich seine Frau ein Lächeln abringen würde. Doch nichts dergleichen geschah. So fuhr er seufzend fort, „Tja, leider sitzt eine besonders ausdauernde Muschel über den Namen. Das dauert Wochen, bis die Anhaftung am Korken nachlässt. Das sagt der Biologielehrer in mir. Mr Holmes, da ist nichts zu machen! Um die Adressaten herauszufinden, müssen wir warten, bis die Muschel sich ablöst. Wenn wir versuchen, das Schalentier gewaltsam zu entfernen, wäre die Schrift vermutlich völlig unleserlich! Watson. Ende.“ Mit übertriebenem Ernst verschränkte er die Hände. „Aber dann können wir die Grüße ja weiterleiten!“
„Alwin, hör doch auf, vielleicht braucht jemand Hilfe!“, entgegnete Lisa ungeduldig, bereute es aber sofort. Paragleiter wurden durch einen Fallwind zur Stirnmitte gedrückt und Alwin meinte energisch, „Lisa, du mußt überhaupt niemanden retten! Das ist ein Stück Treibgut, das hat nichts zu bedeuten!“ Er beugte sich zu seiner Frau herab und sah ihr tief in die Augen.
„Nichts zu bedeuten?! Aber da steht doch, dass irgendwer ohne seine Geschichte rumläuft, genauso wie ich!“ Obwohl Lisa schwieg, spürte Alwin Maracellas Worte und ihren Blick. Ihr junges Gesicht sprühte vor Energie. Lisa hatte kurz den Eindruck, als wäre Maracella eine weise Furie, die sich gegen den Dämon der Vergessenheit wehrt wie eine ihren Nachwuchs verteidigende Wolfsmutter.
Alwin sah lange in die Augen seiner Frau. „Gut Lisa, mag sein, dass es eine Botschaft ist…“
Den Rest des Tages war Alwin besonders fürsorglich und verbrachte den größten Teil des Nachmittags mit Lisa innerhalb der Hütte. Als sie abends in ein nahe gelegenes Dorf essen gingen, fasste Lisa einen Entschluss. Bei einem Glas Cherry meinte sie leise, „Cherie, es ist zwar wunderbar hier, aber ich habe das Gefühl, wir sollten nach Schottland reisen!“ In diesem Moment knackte es. Alwin hatte auf die Sauerkirsche gebissen. Er zog das Stäbchen, an welchem die Kirsche gesteckt hatte, sehr langsam aus dem Mund. „Lisa…“
„Schau, wir haben die Hütte doch den ganzen Sommer über gemietet, wir könnten doch einen kleinen Abstecher nach Schottland machen und dann die zweite Hälfte der Ferien wieder hier verbringen!“
Ihr Mann sah ihr noch tiefer in die Augen. „Es ist wegen deiner Geschichte…“, meinte er langsam.
Lisa musterte den vorbeieilenden Kellner als würde er auf einem Laufsteg Pyjamas präsentieren.
„Lisa…, wieso jetzt?“
„Es ist dringend…!“
Alwin lachte auf, der Lampion über ihnen wackelte. „Aber es war doch von vornherein klar, dass du diese Geschichte nie wirst veröffentlichen können! Was willst du denn in Schottland, vielleicht über Schlossgeister recherchieren? Warum vergisst du das Ganze nicht und schreibst eine neue, eigene Geschichte. Vielleicht eine, die zufälligerweise in Hawaii beginnt?!“ Genervt blickte Alwin zu dem pendelnden Lichtkegel hoch.
Lisa holte tief Luft und richtete ihre Wirbelsäule gerade. „Weißt du, es sind diese Figuren, die ich erschaffen habe – aus dem Nirgendwo. Die brauchen mich!“
Ihr Mann stöhnte auf, dann sah er seine Frau an, als wäre sie ein Küken, das soeben aus einem Ei geschlüpft war und meinte sanft: „Natürlich, Jim Hicksley wird irgendwo in einem Kellergewölbe seinen Rausch ausschlafen und warten, bis Schneewittchen ihn wachküsst, und Elester Claw braucht deine Hände, damit er sich die Zähne putzen kann. Hast du dir überhaupt jemals überlegt, wie sich der Kapuzenmann die Zähne putzt?“ Endlich lächelte Lisa.
„Und Eulalia Birdwitch hat sich zu einer fliegenden Suffragette verwandelt und braucht Flugstunden zur Behebung ihrer Startschwierigkeiten. Aber vielleicht sollten wir Alice Schwarzer aufsuchen und sie informieren, dass das Patriarchat endlich im Untergang begriffen ist!“ Lisa schlang die Hände um ihren Mann, zerzauste seine Haare und küsste ihn lange.
Eine für den Radarschirm unsichtbare Mücke umkreiste schon seit drei Runden den Sonnenschirm, unter dem das Eis in Cocktail- und Fruchtsaftgläsern knackte. Vielleicht wartete sie auch auf den geeigneten Moment, um in einem der Riesenvögel zwischenzulanden und sich in einen anderen Kontinent fliegen zu lassen.
Als Lisa schließlich Maracella, Kat und Lerry in der großen Halle des Flughafens verabschiedete, musste sie sich einiges anhören.
„Ihr seht klasse aus... tolle Kostümierung, sehr unauffällig…“, maulte Lerry. Mit gemischten Gefühlen schielte er auf die beiden Erwachsenen. Sie wirkten wie Privatdetektive im Auftrag für den Scheich von Dubai. Alwin hatte eine Sonnenbrille von Armani auf und trug ein beiges Cordsakko von Lagerfeld, während Lisa in einem Rock von Gucci und in einer Seidenbluse von Channell steckte. Lerry hingegen steckte seine Hände tief in die Hosentaschen. Nur Maracella schien einigermaßen frohen Mutes, obwohl natürlich auch sie gerne mitgeflogen wäre. Ihre Augen strahlten Lisa an.
„Pass auf dich auf, ich verspreche dir, wir werden unser Möglichstes tun... vielleicht auch unser Unmöglichstes!“ Lisa umarmte ihre Jacke fester. Eine kleine Ewigkeit gehörte jetzt nur ihr und Maracella, eine Ewigkeit, die aber nicht länger als der Flügelschlag eines Pfauenauges dauerte.
„Na ja, dann alles Gute!“, murmelte Lerry. Er blickte zu Boden, als prüfe er, ob seine Sandalen sauber wären. Schließlich sah er lange in Lisas Augen.
Die Koffer waren schon eingecheckt, an der Sicherheitskontrolle standen kaum Passagiere. Das Flugpersonal an den Kontrollen war freundlich, es hatte heute schon genug Streitereien mit Fluggästen gehabt. Als Alwin sein Mobiltelefon mit einem Aufkleber zurückbekam, war keine Zeit mehr, sich zu wundern. Der Flug wurde zum dritten Mal aufgerufen, als die beiden Erwachsenen zum Terminal rannten.