Читать книгу Die Meute - Gregg Hurwitz - Страница 14
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ОглавлениеZwanzig Motorräder fuhren dem offiziellen Bestattungszug voran – unter diesen Umständen lag in diesem Geleit eine gewisse Ironie –, gefolgt von fünfzig schwarzweißen Polizeiautos. Hinter den Kastenwagen mit den Särgen und den zwei reiterlosen Pferden mit hochgeschlagenen Steigbügeln – eine Tradition, die noch aus alten angelsächsischen Tagen stammte – kam die nächste Polizeiphalanx, gefolgt von einem feierlichen Konvoi aus Pkws, die äußerlich nicht als Polizeiautos kenntlich gemacht waren. Die Prozession verlangsamte sich bei Chinatown, um einer Band mit Dudelsack und Trommeln Platz zu machen. Zu den Menschenmengen, die sich rechts und links der Straßen in der Innenstadt eingefunden hatten, gesellten sich die Crews lokaler Fernsehsender, um die Highlights für die Sechs-Uhr-Nachrichten einzufangen. Die Menschen schwenkten die amerikanische Flagge, um zu zeigen, dass sie sich bewusst waren, im Zeitalter des Terrorismus zu leben, sie beteten stumm und hielten die Hände vor der Brust gefaltet. Ordner in Uniform hatten einen schwarzen Trauerflor an ihren Dienstmarken befestigt. Die Trauer war groß, aber die Angst nicht weniger.
Als die Särge mit der Flagge an ihnen vorbeirollten, ließen sich die Zuschauer von ihren Gefühlen mitreißen. Die martialische Choreographie der Veranstaltung war vor allem für die Augen der Bürger bestimmt, die entweder persönlich gekommen waren oder das Ganze zu Hause vor ihren Fernsehern mitverfolgten. Die Lücke, die ein ermordeter Polizist hinterließ, konnte nur durch symbolische Handlungen wieder geschlossen werden, durch eine überwältigende Demonstration von Macht und Tradition, um so die Bürger davon zu überzeugen, dass sie nicht in Gefahr waren, dass das Fundament noch keine Risse bekommen hatte, sondern solide im Boden verankert war.
Die Prozession zog sich durch mehrere Haupt- und Zufahrtsstraßen, wobei sie die Freeways so würdevoll wie möglich umging. Schließlich war man beim Friedhof Forest Lawn angekommen.
*
Mit Beinen wie Betonpfeilern stand Onkel Pete breitbeinig über der gelb gestrichelten Fahrbahnmarkierung, die hinter dem Clubhaus verlief. Die übertriebene Klinge von Dens Bowie-Messer, das dieser ihm für diesen Anlass mit großem Trara überlassen hatte, glänzte in der Sonne auf. Vor ihm röhrte und ruckelte eine Schlange von Motorrädern wie wütende Schlachtrösser. Sinners von allen Clubniederlassungen aus dem ganzen Land waren zusammengekommen, den Aufschriften auf ihren Jacken nach eine bunte Mischung aus west- und südwestlichen Chapters.
Hinter der von den Sinner-Officers gebildeten Vorhut unterbrach ein Leichenwagen, der von einem Harley Road King gezogen wurde, die Zweierreihe. Jeder Zentimeter des glänzenden Sargs war mit Clubsymbolen bedeckt – Flammenzungen, Haufen von Totenschädeln, ein Ebenbild von Nigger Steve, auf einem Drachen reitend. Davor und dahinter fuhren Vans, Streitwagen, die von Schnitten gelenkt wurden und für den Fall eines Angriffs die Waffen bereithielten. Und als ultimative Wunderwaffe saß Dana Lake auf dem Soziussitz von Diamond Dogs Motorrad und wirkte ausnahmsweise so fehl am Platz wie Dukakis im Panzer.
Onkel Pete hob beide Hände über den Kopf und stach sich mit der Spitze des Bowie-Messers in den Daumen. Dann streckte er den Arm aus und massierte seinen Daumen direkt unterhalb der Wunde, bis ein Blutstropfen austrat und auf den Boden fiel.
»Möge dies das einzige Sinner-Blut sein, das dieses Jahr auf den Asphalt fließt!«, brüllte Onkel Pete.
Die Biker grölten und applaudierten. Pete saß auf und trat mit dem Absatz kraftvoll auf den Kickstarter. Die ganze Biker-Kolonne setzte sich zeitgleich in Bewegung und erfüllte die Luft mit dem sprotzenden Donnern ihrer Motoren.
*
Die Motorräder wälzten sich vom Gipfel von San Gabriel herab, als würden sie aus dem Horizont quellen. Die Cholos saßen aufrecht auf ihren Bikes, Ritter in Habtachtstellung, die wie eine Fata Morgana über den Asphalt von Palmdale glitten. Sie fuhren langsam, und ihre schweren Maschinen schnurrten ruhig unter ihnen. Ein Sarg war wie ein Beiwagen zwischen zwei Motorräder montiert, und über dem Namen CHOOCH MILLAN war ein Kreuz aufgesprüht. El Viejo führte die Gang an. Er hielt sein wettergegerbtes Gesicht in den Wind, und die Federn seiner Kopfbedeckung flatterten. Er kultivierte die Legende, halb Navajo, halb Mexikaner (und damit auch ein Nachfahre der Azteken) zu sein. Die meisten Cholos trugen Helme, aber ein paar, wie zum Beispiel El Viejo, missachteten das Gesetz, um der Beerdigungsprozession mehr Würde zu verleihen.
Die Cholo-Streitwagen fuhren an der Spitze und ganz am Schluss und hielten respektvollen Abstand zu den Motorrädern. Dann bog der ganze Konvoi auf einen zweispurigen Highway und folgte der geplanten Route zum katholischen Friedhof.
*
Ein Dudelsackspieler führte die Prozession durch Forest Lawn bis zum ersten ausgehobenen Grab. Der innerste Kreis der Trauernden schritt weiter voran, während Presse und Zaungäste von hier an Abstand hielten. Paltons Geliebte erschien und blieb mit gerötetem Gesicht im Hintergrund stehen, bis Jim schließlich zu ihr ging und sie ohne viel Federlesens bat, anderswo zu trauern. Vier Helikopter flogen über den Friedhof, und direkt über dem säuberlich ausgehobenen Rechteck in der Erde scherte einer von ihnen aus, um zu symbolisieren, dass nun ein Mann der Mannschaft von ihnen gegangen war. Während ein Trompeter den Zapfenstreich spielte, ging die Ehrenwache mit ihren weißen Plastrons in Habtachtstellung. Nachdem die Flagge feierlich zusammengefaltet worden war, trat Marshal Tannino vor und übergab das steife Nylondreieck Janice Palton, die die Zeremonie in stoischer Haltung durchstand. Eine von Paltons Töchtern brach zusammen, und die Deputys, die in der Nähe standen, waren froh über die Gelegenheit, helfen zu können, und stürzten sofort herbei, um sie zu stützen.
Die in Zivil gekleideten Zuschauer zerstreuten sich, und die Katharsis war abgeschlossen. Die Polizisten und Deputys blieben noch und bemühten sich um Gleichmut, obwohl man auf mancher unbewegter Wange ein paar feuchte Spuren glitzern sah. Nachdem die höher dekorierten Herren ihre üblichen Lobreden auf die Opfer und zur niemals wankenden Entschlossenheit abgegeben hatten, betrat Jim das Podium. Auf dem rechten Ohr konnte er immer noch nichts hören, deshalb legte er den Kopf unbewusst etwas schräg, während er sprach.
»Mir war nie so ganz klar, was der Ausdruck ›Personalres-sourcen‹ eigentlich bedeuten soll. Ich hielt es für dieses typische offizielle Firmensprech, das ich so hasse. ›Personalres-sourcen‹ – ich meine, was soll das denn bitte sein?«
Ein paar Leute in der Menge rutschten nervös auf ihren Sitzen hin und her.
»Aber jetzt habe ich es verstanden, glaube ich. Wissen Sie, wie lange es dauert, bis man einen Deputy von Frankies Kaliber hat? Zu seiner Zeit einer der besten Verteidiger im High-School-Football. Ein B. A. in Strafrecht. Er durchlief die Polizeiakademie, bevor er ins Federal Law Enforcement Training Center ging. Zwei Jahre auf Streife, dann wechselte er zu uns, machte die Ausbildung für die Spezialeinheit. Ein sechsmonatiger Aufenthalt bei der Drogenbehörde.«
Janice weinte jetzt zum ersten Mal.
»Glauben Sie, so was interessiert einen beschissenen Biker mit einem AR-15 in der Hand?«
Nervöses Rascheln in den vordersten Reihen. Miller wollte schon zum Podium gehen, hielt sich dann aber doch zurück.
»Ich habe in letzter Zeit darüber nachgedacht, wie einfach es ist, etwas zu zerstören. Etwas zu ruinieren. Wie lange haben wir gebraucht, um fliegen zu lernen? Ich meine, um Flugzeuge zu bauen. Und das World Trade Center. All die Ingenieure und Architekten, die dafür nötig waren. Das ganze Material. Die Gerüste. Die Arbeitsstunden. Eine ganze Zivilisation baut auf sich auf, ein Jahrzehnt ums andere, und dann?« Jims Wangen glänzten, aber seine Stimme blieb fest, während er sich langsam in Rage redete. Miller stand jetzt neben ihm, bereit, ihn am Ellbogen zu fassen und taktvoll zu unterbrechen. »Eine Meute von Arschlöchern mit Teppichmessern reicht, um alles zum Einsturz zu bringen. Das ist ja das Schreckliche: Es ist so verdammt einfach. Und was machen wir? Wir geben Gelöbnisse. Wie heute. Recht und Ordnung. Gesetzestreue. Gerechtigkeit.« Zwischen seinen Zähnen presste er ein Geräusch des Ekels hervor. »Selbst wenn wir die Typen drankriegen, die Frankie umgebracht haben ...« Er hielt inne und nickte Tanninos Frau zu. »Tut mir leid. Es tut mir leid.«
Miller legte Jim einen Arm um die Schultern und führte ihn langsam vom Podium, während er beschwichtigend in die Menge lächelte. Jim lehnte sich noch einmal zurück und sagte ins Mikro: »Wir werden dich nicht ersetzen, Frankie. Weil wir es nicht können.«
Die Menge brauchte einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Janice nahm Jim vor den Stufen des Podiums in Empfang, umarmte ihn und schluchzte in seine Schulter. Als der Sarg langsam in die Grube gelassen wurde, feuerte man eine Salve von drei Schüssen in die Luft, die von den Hügeln widerhallte.
Tannino klingelte mit der Bronzeglocke und entließ Frank Palton ein letztes Mal aus dem Dienst.
*
»Habt ihr sie schon?« Guerreras Stimme tönte krächzend aus dem Funkgerät. Tim drückte sein Fernglas an die getönte Scheibe des Chevy Vans und konzentrierte sich wieder auf den Gipfel des gegenüberliegenden Hügels. Neben ihm nahmen Roger Frisk und ein anderer Inspektor von der Überwachungsspezialeinheit ihre Diskussion über Drachenbau wieder auf. »Nein. Nichts.«
Tim, Bear und Guerrera hatten sich rund um den Friedhof postiert, jeder begleitet von einem Überwachungsspezialisten. Sich schon am Clubhaus an die Biker-Prozession zu hängen, wäre zu offensichtlich gewesen. Die streng geheime Route der Sinners, die sowohl die Polizei als auch rachsüchtige rivalisierende Gangs in die Irre führen sollte, war höchstwahrscheinlich gestern ausgearbeitet worden. Tim wollte keine Ressourcen verschwenden, indem er sich in Hellseherei versuchte, darum hatte er entschieden, das Lager gleich an der Ziellinie aufzuschlagen.
Der Boden vibrierte ganz leicht, und jetzt verstummten endlich auch die beiden Männer von der Spezialeinheit und griffen nach ihren Ferngläsern. Das Geräusch schwoll zu einem entfernten Donnern, dann zu einem Brüllen an, während eine metallene Lawine über die Straße hinwegrollte.
Obwohl sie nicht weit auseinander waren, musste Tim die Stimme heben, um sich verständlich zu machen. »Gebt der lokalen Polizeistation Bescheid. Die haben schließlich die Verantwortung.«
Ein Sheriffauto fuhr vor und blockierte die Straße, um die Prozession zu stoppen, und zwei mutige Männer stiegen aus. Dana Lake hatte sich bereits vom Motorrad geschwungen und faltete die Ausnahmegenehmigung auseinander. Tim musste grinsen, als er daran dachte, dass sie die Trauergäste begleitete, um sicherzustellen, dass diese keine Helme tragen mussten, und auch dafür schön ihr Stundenhonorar berechnete.
Es folgte eine angeregte Diskussion, der Deputy blickte von dem Papier zu den Bikern, die ihrerseits mit drohenden Mienen ihre Ungeduld bekundeten. Tim hoffte, dass Guerreras Team, das im Lager neben ihnen wartete, genug Zeit hatte, um die nötigen Fotos zu machen. Den kompletten Aufmarsch der Sinners ohne Helme vor die Linse zu bekommen, bedeutete eine Unmenge von Informationen über die Rangordnung im Club.
»Wer ist denn dieser Typ vorne rechts, gleich neben Onkel Pete?«, sagte Tim in sein Funkgerät.
Guerrera flüsterte: »Wir werden Gesichter und Namen nachher in Verbindung bringen, aber das ist die Position des Road Captain.«
»Wie – für den Fall, dass Onkel Pete sich verfährt, oder was?«
»Genau. Er hat einen notorisch schlechten Orientierungssinn. Einmal hat er eine ganze Motorradkarawane in einen anderen Staat geführt als in den Zielstaat, via Montana in die Black Hills.«
Bear klinkte sich ein. »Hat ja auch keiner behauptet, dass man was im Kopf haben müsste, um diese Show abzuziehen.«
»Nein«, entgegnete Tim, »aber Onkel Pete hat was im Kopf.«
Schließlich hob der Deputy die Hände, um zu zeigen, dass er nachgab, stieg mit seinem Partner wieder ins Auto und fuhr davon. Die Sinners fuhren weiter den Hügel hinab und parkten schräg einer neben dem anderen. Innerhalb weniger Sekunden waren beide Straßenseiten voll.
»Okay«, meinte Tim. »Das ist unsere beste Chance, ihre Gesichter zu kriegen. Zoomt so stark ran, wie ihr nur könnt. Konzentriert euch auf Mitglieder des Mother-Chapters und auf ihre Frauen. Und achtet darauf, dass ihr bei den Frauen auch die Jacken mit fotografiert.«
Während mehrere Sinners nun den Sarg anhoben und auf die grüne Wiese losmarschierten, hörte man im Van nur noch das hektische Klicken von Hightech-Kameras und das Summen von Linsen, die sich automatisch selbst justierten. Mitarbeiter des Friedhofs waren nicht anwesend: Nur ein Sinner durfte Erde auf einen anderen Sinner werfen.
Toe-Tag, Whelp und Diamond Dog blieben zusammen und hielten sich dicht bei Onkel Pete, der seine Rolle als Zeremonienmeister zu genießen schien. Neben ihm stand ein dürrer Biker mit Augenklappe, dessen ganze Haltung mehr als die normale Ehrerbietung verriet. Anstelle der Jacke mit den Clubemblemen trug er eine Armbinde im Nazistil, auf dem das Logo der Sinners prangte. Auf dem Ring an seinem kleinen Finger glänzte ein Edelstein auf. Neben ihm stand eine Frau mit männlich wirkendem Körperbau, die seine kurzen einführenden Worte an die Mitglieder der anderen Clubniederlassungen weiterzugeben schien.
Tim sprach wieder in sein Funkgerät: »Wer ist denn dieser Himmler-Verschnitt auf neun Uhr?«
»Der Armbinde nach zu urteilen, ist er ein Striker«, erwiderte Guerrera. »Das bedeutet, dass er schon einen Schritt vom Prospect aufgestiegen ist, aber noch ist er kein offizieller Sinner.«
»Wie ist er aufgestiegen?«, kam es von Bear.
»Er hat Köpfe rollen lassen.«
»Man muss tatsächlich jemanden umbringen?«
»Einen von der Liste der handverlesenen Feinde des Clubs. Zum Beweis, dass man kein Polizist ist.«
»Tja«, meinte Bear, »das dürfte wohl reichen.«
Tim erhaschte einen Blick auf eine attraktive Brünette, die durch die Menge stolzierte. Ein paar Sinners machten ihr den Weg frei, eine Ehrerbietung, die Tims Aufmerksamkeit erregte. Bei seinem Versuch, sie im Auge zu behalten, musste er aufstehen und den Kopf gegen das Dach des Van drücken. Einen kurzen Moment konnte man den Schriftzug auf ihrer Jacke erkennen – Eigentum von Den –, bevor sie hinter einer Baumgruppe verschwand.
Tim machte sein Funkgerät wieder an. »Bear. Hast du Dens Schnitte gesehen? Ganz da hinten bei den Bäumen?«
»Wir können sie von hier aus nicht so gut erkennen. Wie ist es bei dir, Guerrera?«
»Wir haben hier gerade einen Möbelwagen, der uns die Sicht nimmt.«
Tim schnappte sich eine Kamera, schlüpfte aus dem Van und zog vorsichtig die Tür hinter sich zu. Dann trabte er halb gebückt ein paar Meter am schmiedeeisernen Zaun entlang und ließ sich zum Schluss in Scharfschützenstellung auf den Bauch fallen. Die Brünette trat zurück in die Reichweite seines Objektivs, und er schoss eine ganze Reihe von Fotos. Plötzlich war ihm, als hörte er ein Echo auf das Surren, mit dem seine Kamera den Film weitertransportierte. Er fuhr herum und suchte nach der Quelle des Geräuschs.
Ungefähr zwanzig Meter hügelaufwärts saß ein auffallend kleiner Biker auf seiner Indian und hatte eine Kamera vor seinen Helm gehoben. Für einen Moment blickten Tim und er einander durch ihre Objektive an. Dann klappte der Biker sein Visier herunter und fuhr durch eine Nebenstraße davon. Tim war sofort wieder auf den Füßen und sprintete zum Van zurück, wobei ihm dämmerte, was dieser Vorfall zu bedeuten hatte: Chief, der Nachrichtendienst der Sinners, hatte Tim beim Fotografieren fotografiert.
Tim sprang auf den Fahrersitz und fuhr so abrupt los, dass es den beiden Jungs von der Spezialeinheit den Hintern von den Sitzen lupfte. Rackley bellte ins Funkgerät, dass sie Verstärkung benötigten, und bog gerade noch rechtzeitig um die Ecke, um zu sehen, wie das Motorrad in die nächste Seitenstraße verschwand. Bis sie bei der Sackgasse angekommen waren, hatte Chief schon gedreht und kam direkt auf sie zu. Ungefähr zwanzig Meter, bevor es zu einem Frontalzusammenstoß kommen konnte, beschrieb er eine scharfe Kurve und fuhr die Auffahrt zu einem Haus hoch. Eine Fusion aus Mensch und Maschine sprang die drei Stufen auf die breite Veranda hoch, dann bog sie mit qualmenden, quietschenden Reifen nach links ab. Das Motorrad segelte von der Veranda und landete in einem Blumenbeet, wobei es einen Schauer aus Erde und Blütenblättern aufwirbelte. Chief riss das Vorderrad hoch, durchbrach damit den wackligen Zaun und verschwand anschließend im Hinterhof.
Schlitternd brachte Tim das Fahrzeug zum Stehen, so dass Frisk auf die gepolsterten Vordersitze zuflog, dann legte der Deputy grob den Rückwärtsgang ein. Er bog gerade noch rechtzeitig um den Block, um zu sehen, wie das Motorrad auf einer gewundenen Straße landete und auf der falschen Straßenseite davonraste, während ihn die entgegenkommenden Autos und Trucks anhupten und ihm auswichen.
Als Tim einen Blick in die andere Richtung warf, entdeckte er Bears Auto und Guerreras Flitzer, die in einer Menge strategisch geschickt plazierter Harleys stecken geblieben waren.
Frustriert, aber nicht ohne ein gewisses Maß an Bewunderung, konnte Tim nur noch zusehen, wie Chief verschwand.
*
Die Cholos rollten weiter, ein Fluss aus fliegenden Farben. Hinter dem Streitwagen, der zwanzig Meter vorausfuhr, führte El Viejo seine Karawane an – sein Ansehen wurde nicht durch einen Road Captain beeinträchtigt. Sein Gesicht und seine Haltung waren absolut klassisch: Er sah aus, als wäre er dem Titelbild eines Western-Romanheftchens entstiegen oder einem dieser zweitklassigen Cowboybildchen, wie sie sich Teilnehmer einer Pauschalbusreise gern in ihre Badezimmer hängen. Der schmale Highway erstreckte sich flach und gnadenlos durch das Antelope Valley, wo die hohen Mojave-Kakteen widerstrebend einer staubigen Zivilisation Platz machen. Ab und zu flog auf der anderen Straße ein Auto vorbei, in dem ein oder zwei ängstliche Insassen ihre blassen Gesichter gegen die Scheiben pressten.
Es war windstill und ruhig auf ihrer Fahrt. Man hörte nur das Brummen der Motorräder, das Geräusch von synthetischem Gummi auf dem Asphalt, das Pfeifen des Fahrtwinds in den Helmen.
Die vorn und hinten fahrenden Streitwagen explodierten gleichzeitig. Sie wurden in die Luft katapultiert, und eine Welle von Hitze und orangefarbenen Flammen verbreitete sich in alle Richtungen.
Die Cholos kippten um wie Dominosteine, nur den Fahrern in der Mitte des Konvois gelang es, sich aufrecht zu halten. Die eingekesselten Biker wussten nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollten, und ließen die Motoren aufheulen. Sie wirkten wie wilde Pferde, die man in einen Pferch getrieben hatte.
Zwei Harleys kamen hinter einer Böschung hervor. Den und Kaner saßen hinter dem Lenker, während Goat und Tom-Tom seitlich auf den Soziussitzen saßen und ihre AR-15 im Anschlag hielten. Sie schossen durch den Feuerball, der den ersten Streitwagen umgab, dann rasten sie seitlich am Konvoi entlang und ließen ihre AR-15 aufblitzen. Die Cholos, ein einziges Knäuel aus Metall und Fleisch, waren den Salven hilflos ausgeliefert. Motoren heulten auf, Reifen zerfetzten Kleidungsstücke und menschliche Haut.
Mit quietschenden Reifen und rauchenden Waffen kamen die Sinners am Ende des Zuges zum Stehen. Die Cholo-Prozession war bereits sichtlich dezimiert worden. Hie und da mattes Stöhnen oder Husten. Zwischen den Leichen und den Maschinen vereinzelt die schwache Bewegung von Gliedmaßen. Die vier Sinners stiegen von ihren Harleys und zogen Handfeuerwaffen aus dem Hosenbund. In aller Ruhe schritten sie durch die Gefallenen wie Kinder bei Ebbe am Strand durch die zurückgebliebenen Meerwasserpfützen und schossen den Verletzten in den Kopf.
Vorne lag El Viejo mit gebrochenen Gliedmaßen zehn Meter neben seinem rauchenden Bike und bildete die ideale Vorlage für die Kreide der Forensiker, die später die Umrisse seiner Leiche auf dem Asphalt nachzeichnen würden. Sein brennender Kopfputz fand sich hinter ihm. Die Hitze hatte seine bronzefarbene Haut zu einer rotbraunen Masse verbacken. Seine Wange war am Asphalt festgeklebt.
Den schlenderte auf den Anführer der Cholos zu und starrte auf ihn herab. »Schau mich an.«
Mühsam hob El Viejo den Kopf an, bis er seine Wange vom Asphalt gelöst hatte. Herausfordernd blickte er Den in die Augen, und sein von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht verhärtete sich zu einer Grimasse.
Ein einzelner Schuss.
Goat kam mit dem Motorrad heran, und Den stieg hinter ihm auf die Maschine. Während sie Kaner und Tom-Tom folgten, fraß sich die Hitze noch tiefer in die Streitwagen, bis schließlich auch die Munition der Cholos explodierte.