Читать книгу Die Meute - Gregg Hurwitz - Страница 8
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ОглавлениеTim trabte durch den Flur des Bundesgerichts, zog im Laufen seinen Blazer aus und krempelte die Ärmel hoch. Tannino hatte ihm telefonisch die Neuigkeit mitgeteilt – ein Notfall von hinlänglichen Ausmaßen, um Tim aus seinem einschläfernden Dienst am Gericht zu reißen, wo er gerade drei Tage lang die Auswahl der Geschworenen in einem Fall von Steuerhinterziehung durchgestanden hatte. Als Belohnung für eine großartig durchgeführte Ermittlung, die er im Frühjahr im Fall einer kriminellen Sekte durchgeführt hatte, hatte man ihm einen Weg zurück in den Dienst angeboten – wenn auch noch nicht die komplette Rehabilitierung. Der Dienst im Gericht war eine Art Buße, die er aber gerne ableistete. An diesem Nachmittag verspürte er jedoch keine Glücksgefühle, als man ihm die lang ersehnte Rückberufung in den Außendienst mitteilte – zwei Deputys waren tot, vier verletzt, und Den Laurey und Lance Kaner kurvten irgendwo im Central District von Kalifornien über den Asphalt.
Der Assistent des Marshal blickte von den blinkenden Lichtern der Telefone auf, die vor ihm standen, und gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er hineingehen sollte. Trotz seiner strengen Haltung nahm sich Tannino hinter diesem riesigen Eichenholztisch immer noch klein aus. Er musterte gerade das Loch, das in ein verbogenes Stück Metall geschossen worden war – vor wenigen Minuten war es noch ein Dienstabzeichen gewesen. Ein vornehm wirkender Mann mit dem Körperbau eines Linebackers, der nur durch sein fortgeschrittenes Alter etwas weicher geworden war, saß ihm gegenüber auf der Lehne eines Stuhls und hatte die Hände über einem Knie verschränkt. Ein rasiermesserscharfer Stoppelschnitt tat sein Übriges, um das Gesicht völlig viereckig aussehen zu lassen.
»Rackley, kennen Sie den Bürgermeister?«
»Natürlich. Wie geht es Ihnen, Euer Ehren?« Tim beobachtete den Gesichtsausdruck des Bürgermeisters genau. »Okay.« Sie gaben sich reihum die Hand, dann nahmen sie auf dem Sofa und den Stühlen Platz. Tims rechtes Knie knackste laut, als er sich setzte – von Zeit zu Zeit machte es ihm immer noch Probleme. Die Narbe auf seinem Kinn hatte sich mittlerweile jedoch ziemlich gut zurückgebildet. Souvenirs von einer acht Monate zurückliegenden Ermittlung. Er rückte seine altmodische Smith&Wesson in ihrem Hüfthalfter zurecht; diese Bewegung war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Den Schritt zur automatischen Waffe hatte er nie getan und würde ihn wahrscheinlich auch niemals tun.
»Wie geht’s den Jungs?«
»Geht so. Wie es aussieht, ist Jim momentan auf einem Ohr taub, aber die Ärzte meinen, das dürfte sich wieder geben. Wir organisieren gerade die Beerdigung von Frankie für morgen. Und die von Hank.« Tannino zupfte an seinem Gesicht herum, das ganz grau geworden war, und seine Augen wanderten zu dem verbogenen Metallstern auf seinem Schreibtisch. »Ich hab gerade mit Janice telefoniert und sie überzeugt, dass wir die Särge geschlossen lassen. Diese Schweine haben die Leichen total durchlöchert.«
»Lassen Sie uns zur Sache kommen.« Bürgermeister Strauss war, ebenso wie Tim, ein ehemaliger Army Ranger. In seiner kurzen Amtszeit hatte er sich bereits den Ruf erworben, ein Mann von großer Effizienz und wenig Taktgefühl zu sein.
»Sie werden der Deputy, der in diesem Fall die Sonderkommission leitet.«
Bevor Tim seine Überraschung zeigen konnte, fuhr Tannino fort: »Wir haben Den und Kaner auf die Liste unserer fünfzehn meistgesuchten Verbrecher gesetzt. Eine Meldung ist schon an die Presse rausgegangen, und sämtliche Polizeieinheiten haben eine Suchmeldung bekommen.«
»Wir werden auch die Hilfe der örtlichen Polizeistationen brauchen«, sagte Tim. »Die Biker decken ein ganz schön großes Terrain ab.«
»Wir richten gerade eine Einsatzzentrale für Ihre Sonderkommission ein. Ich bin sicher, Sie wissen bereits, dass Jowalski jetzt mit Guerrera als Partner zusammenarbeitet. Können Sie und Guerrera miteinander?«
»Sehr gut sogar.«
»Dann arbeiten Sie jetzt zu dritt.«
»Wie sieht es mit einer Hotline aus, auf der wir Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehmen?«
Tannino nickte. »Wir haben unsere Telefonzentrale ordentlich aufgestockt, um alle diesbezüglichen Anrufe annehmen zu können.«
»Ich werde die Nummer während der Pressekonferenz bekanntgeben, die ich für heute angesetzt habe.« Strauss warf einen Blick auf seine Uhr. »Sie beginnt in circa zweiundfünfzig Minuten. Dabei nutzen wir auch gleich die Gelegenheit, die Fotos aus der Verbrecherkartei zu zeigen. Verschafft uns einen kleinen Vorsprung vor den Morgenzeitungen.«
»Irgendwelche Spuren?«
»Momentan haben wir einen Scheißdreck«, erklärte Tannino. »Die Helikopter kamen von Piper Tech und brauchten siebzehn Minuten, bis sie vor Ort waren. Das Team, das die Befreiungsaktion durchgeführt hat, war ganz schön clever, die haben den Transporter zwischen zwei dicht aufeinanderfolgenden Ausfahrten angegriffen – auf diesem Abschnitt gibt es jede Menge Auf- und Abfahrten, ganz zu schweigen davon, dass es um diese Jahreszeit auf allen Straßen von Motorradfahrern nur so wimmelt.«
»In wessen Zuständigkeitsbereich fällt das Ganze denn?«
»In unseren. Aber es gibt da noch einige Dinge zu klären. Da die Aktion auf einem Highway stattgefunden hat, mussten wir erst mal die California Highway Patrol wieder loswerden. Der Sheriff wird sich um die Morde kümmern – Dienststelle Walnut/Diamond Bar, aber ich bin sicher, sie werden uns auch noch jemanden vom Morddezernat schicken. Oh – und wir haben auch noch das Vergnügen, einen Agent des FBI begrüßen zu dürfen, der in unserer Sonderkommission mitdackeln wird. Ich habe gerade noch verhindern können, dass wir die Ermittlungen gemeinsam mit dem FBI führen, aber ihr Agent bleibt drin. Order von höchster Stelle.«
»Man hat mir gesagt, dass Sie früher auch schon mit Biker-Gangs zu tun hatten«, wandte sich Strauss an Rackley.
»Ein paar. Nicht viele. Ich kenne die Sinners, aber die kennt im Prinzip jeder, der in L. A. eine Dienstmarke trägt.«
»Geben Sie mir eine kurze Einführung.«
»Das Mother-Chapter sitzt in Fillmore. Ich wohne ein kleines Stück südlich von dort, in Moorpark. Ab und zu fahren sie bei uns durch die Stadt und nerven die Leute bis aufs Blut. Das Einzige, was einem Sinner heilig ist, ist die Loyalität zu seinem Club. Erwarten Sie keinen Ehrenkodex unter Dieben – sie sind bekannt für ihre Betrügereien, Drogengeschäfte und Polizistenmorde. Seit Jahren sind sie ganz dick im Methamphetamin-Geschäft – nach letzten Informationen von V-Männern hieß es, dass sie an der Westküste zwanzig Millionen mit Drogen und Waffenschmuggel gemacht haben.
Und sie expandieren weiter und funken den Cholos ins Geschäft, mit denen sie sich um die Vorherrschaft in und um L.A. streiten. Andere Gangs sind einfach in ihnen aufgegangen. Für viele im Land sind die Sinners so attraktiv, weil sie die Mexikaner hassen. Die Cholos haben zwar mehr Rauschgifte im Portfolio, aber die Sinners möchten ihnen das Methamphetamin ganz aus der Hand nehmen und sich das Monopol sichern. In Nevada, Arizona, New Mexico, West Texas, vielleicht auch Oregon haben sie das schon geschafft. Die One-Percenter kontrollieren bereits die ganze Küste und den Südwesten.«
»Die One-Percenter?«
An dieser Stelle mischte sich Tannino ein. »Die American Motorcycle Association hat nach dem Hollister-Vorfall – dieses eskalierte Biker-Treffen damals, das mit Brando verfilmt wurde, Sie wissen schon – öffentlich geäußert, dass neunundneunzig Prozent der Biker gesetzestreue Bürger sind. Die Outlaws bezeichnen sich seitdem gerne als das restliche eine Prozent – die One-Percenter.«
»Dieser Name ist also eine Art Auszeichnung.«
»Wären Sie lieber ein Versager oder ein Outlaw?«, wollte Tim wissen.
»Keins von beiden. Aber ich verstehe schon.« Der Bürgermeister seufzte. »In welchen Sachen haben sie sonst noch ihre Finger drin?«
»Sie sind gut im Geschäft mit Handfeuerwaffen und automatischen Waffen und Prostitution der untersten Kategorie. Das Business mit den Callgirls überlassen sie anderen, ebenso das Glücksspiel und den Diebstahl von Elektrogeräten. Auf eine Art beweisen sie damit durchaus Klugheit – sie beschränken sich auf ihr Gebiet, aber das beherrschen sie dann auch.«
»Ein richtiges Wirtschaftsunternehmen«, meinte Strauss.
»Eher ein Konglomerat.«
Tannino heftete seine dunkelbraunen Augen auf Tim. »Was sagt dein Gefühl?«
»Ohne die Beweislage zu kennen?«, fragte Tim.
Der Marshal winkte ungeduldig ab.
»Normalerweise schlucken die Biker brav die bittere Pille und sitzen ihre Zeit ab. Sie wollen vermeiden, dass die Organisation durch sie Ärger bekommt, also fügen sie sich einfach in ihre Strafe. Eine Entscheidung wie diese Befreiungsaktion musste von oben kommen. So ein Risiko wäre der Club nie eingegangen, wenn es nicht wichtig gewesen wäre. Und Kaner und Laurey haben eine Schlüsselrolle in diesem Spiel.«
»Und zwar?«
»Das müssen wir erst noch herausfinden. Aber was es auch sein mag, die Sinners brauchen dafür offensichtlich die Anführer ihrer Nomad-Chapter zurück.«
»Was glaubst du, wer die Befreiungsaktion durchgeführt hat?«
»Die anderen Nomads der Sinners stehen ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Sie sind die Auftragskiller, die Schlägertypen, die Männer mit dem nötigen Know-how und den Nerven, so eine Aktion durchzuziehen. Guerrera kennt diese Szene. Ich bin sicher, Bear und er sind in diesem Moment dabei, die Namen herauszufinden.«
»Wer sind die Nomads?«, wollte Strauss wissen.
»Das ist ein Chapter, das nicht ortsgebunden ist. Ständig in Bewegung. Kein festes Territorium. Wenn ein Clubmitglied vor dem Arm des Gesetzes fliehen muss, schicken sie es zu den Nomads – so kann es der Polizei leichter entkommen, und andere Chapters werden nicht mit in die Ermittlung hineingezogen. Die verschiedenen Chapters helfen den Nomaden jeweils, sich zu verstecken, während sie durchs Land ziehen.«
»Ein Untergrundnetzwerk für Arschlöcher also«, stellte Strauss fest.
»Richtig. Und im Gegenzug erledigen die Nomads landesweit die Drecksarbeit für den Club, denn gefahndet wird ja sowieso schon nach ihnen.« Tim wandte sich an Tannino. »Eines muss uns von vornherein klar sein: Typen wie diese kriegt man selten lebend.«
Tanninos Gesicht zeigte den müden Ausdruck, der früher ein ärgerlicher gewesen sein mochte. »Für mich geht das in Ordnung.«
»Es sind Weiße, oder?«, erkundigte sich Strauss. »Diese Laughing Sinners?«
»Ja.«
»Gut. Dann kann die Presse schon mal nicht die Nummer mit dem Rassismus bringen. Auf die Art kommen wir besser mit den Leichensäcken durch.« Strauss beobachtete Tim, und auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Spur von Neugier ab. »Wissen Sie, warum Sie in diesem Fall hinzugezogen wurden, Deputy Rackley?«
»Ich hab da so eine gewisse Vorstellung.«
»Dieser Freelance-Auftrag, den Sie da vor einer Weile durchgeführt haben. Als Sie diese Bürgerwehrtruppe infiltriert und auseinandergenommen haben.« Obwohl Strauss die Version der Geschichte wählte, die für die Öffentlichkeit bestimmt war, verriet ein Aufglänzen seiner Augen, dass er wusste, wie es sich in Wirklichkeit verhalten hatte. »Im Stadtrat haben Sie einen Spitznamen.« Strauss zog die Pause in die Länge, und sein Gesichtsausdruck zeigte eine seltsame Mischung aus Respekt und Verachtung, als er weitersprach. »Der Troubleshooter. Und in diesem Fall? Wie wir bei den Rangers immer sagen – Feuer frei.«
Tim fing Strauss’ Blick auf. »Wenn ich kann, werde ich sie Ihnen lebend bringen.«
»Und wenn Sie das nicht können?«
Tim musterte den Bürgermeister, danach die verbogene Dienstmarke von Frank Palton. »Dann nicht.«