Читать книгу Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern - Gregor Bauer - Страница 16
ОглавлениеIV. Sauls Schwiegermutter mag keine Fanatiker
(Essen und Trinken: bö, bü 37f.50ff.26ff,
tö 99.101.110f.113.115ff.187f.224.226.232.236.248.300.306ff, j62 51.107f.115f.118, Berger (1993), va 60f, as I.2 613f, ow 246, abd Meal Customs, pr 513ff.652ff.618.651.679f.684)
Johanna erwacht von dem Krähen des Hahns auf der Mistgrube vor dem Haus.
Sie richtet sich auf. Wie jeden Morgen, gilt ihr erster Blick der Enkelin im Futtertrog bei den Ziegen.
Sie sieht das Baby gleichmäßig atmen und wendet sich den sieben Schlafenden zu, die sich neben ihr dicht an dicht auf Strohmatten, Webteppichen und Mänteln gelagert haben: Links ihr Mann Eleasar, dahinter der Schwiegervater und der achtjährige Thaddaios. Rechts ihr älterer Sohn mit seiner Frau, dahinter zwei ihrer Töchter. Die dritte, Naomi, ist schon vor elf Jahren zu ihrem Mann nach Gath Hepher gezogen.
So eng es in der kleinen Wohnhöhle auch zugeht: Johanna vermisst Naomi immer noch.
Für die morgendlichen Verrichtungen bleibt nicht viel Zeit, und Johanna will dabei jedes Geräusch vermeiden. Denn wenn erst einmal die kleine Sapphira im Futtertrog zu schreien beginnt, ist es um die Ruhe geschehen, die sie morgens so liebt.
Johanna flüstert ihr Morgengebet, erhebt sich, greift sich die beiden Schüsseln und den Wasserkrug neben dem Eingang und begibt sich ins Freie.
Nachdem sie Gesicht und Hände gewaschen hat, lässt sie sich vor dem Haus neben den mit Teig und Mehl gefüllten Schüsseln nieder. Flink formt sie den Teig zu Klößen, umgibt diese mit Mehl, klopft sie auf einem Stein platt und wirft sie auf ihren entblößten Armen hin und her, bis sie einen Durchmesser von etwa anderthalb Spannen (42 cm) haben. Der kleine Backofen neben ihr ist bereits mit Strauchwerk und trockenem Gras gefüllt, das die Kinder am Vortag zusammengetragen haben.
Nun kommt ein heikler Moment: Johanna muss in die Wohnung zurück und über die Schlafenden hinwegsteigen, um die Öllampe aus der Küche zu holen. Wenn dabei die Kleine aufwacht, ist es um Johannas Ruhe geschehen.
Vorsichtig wirft sie einen Blick durch die Tür: Noch schlafen alle. Mit drei Schritten ist sie bei der Öllampe. Die hat mit gutem Grund die ganze Nacht auf Sparflamme gebrannt: Wer will schon den Morgen damit zubringen, einen Holzstab auf einem Holzstück zwischen den Handflächen hin- und herzureiben, damit das Holzstück irgendwann zu glimmen beginnt. Bei der Nachbarin um Feuer zu bitten, verbietet Johannas Stolz: Sie hat einen Ruf zu verlieren als Hüterin des Feuers.
„Shalaam, Johanna!“ So leise sie auch mit der Öllampe in der Hand über die Schlafenden hinweggehuscht ist – ihren Mann hat sie doch geweckt.
„Shalaam, Eleasar.“ Sie küssen sich. „Ich muss bald aufs Feld, Johanna.“ –
„Ich weiß.“
Eleasar eilt, in sein mit Schaufäden behangenes Obergewand gehüllt, aufs Flachdach, befestigt seine Gebetskapseln an der Stirn und am linken Arm und richtet den Blick Richtung Jerusalem, um sein Morgengebet zu sprechen. Da beginnt auch schon die kleine Sapphira zu schreien.
Nun erwachen die größeren Mädchen und Berenike, die Schwiegertochter. Sie eilt zu ihrem Töchterchen, löst ihm die langen, breiten Stoffstreifen, mit denen sie es fest umwickelt hat, sortiert darunter die durchnässten Lumpen aus, wäscht das Kind, reibt es ab und wickelt es wieder ein.
„Du musst es fester wickeln“, sagt Johanna und schnürt die Lumpen so fest zu, dass das Baby unbeweglich wird wie eine Mumie (bü). „Es ist doch schon fast drei Monate alt“, wendet Berenike ein, „da können wir doch wenigstens seine Ärmchen zappeln lassen.“ Aber Johanna bleibt unerbittlich: „Es ist noch nicht so weit. Wenn wir es nicht festschnüren, haben die Dämonen leichtes Spiel, und außerdem werden ihre Glieder krumm.“
Im Backofen hat sich das Feuer zu Gluten zurückgebildet: Zeit für Johanna, die Teigfladen an die Innenwände des Ofens zu klatschen, wo sie kleben bleiben und rasch gar werden. Salome, die ältere ihrer beiden Töchter, füttert und melkt derweil die Ziegen.
Inzwischen sind auch die beiden Söhne und der Schwiegervater aufgestanden. Die zehnjährige Amma kehrt mit dem Uringefäß ihres gebrechlichen Großvaters ins Haus zurück, rollt die Schlafmatten um die Kopfstützen und stapelt sie: Aus dem Schlafplatz wird eine Essnische.
Die Frauen legen Brote, Feigen, Oliven, Ziegenmilch, Butter und Honig bereit. Man kauert sich kreisförmig nieder. Der Vater spricht den Segen: „Gesegnet du, Herr unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen lässt.“ –
„Amen“, sagen alle.
Dann bricht der Vater das Brot und verteilt es. Sie essen schnell, denn Eleasar will mit Judas rasch aufs Feld – nicht mit dem Großvater, sondern mit seinem gleichnamigen Ältesten –, Thaddaios muss zum Bibelunterrichtin die Synagoge, und die Frauen möchten möglichst rasch wieder abräumen: Sie haben noch viel Arbeit vor sich.
Nach dem Essen drückt Johanna Salome den leeren Wasserkrug in die Hand. Die freut sich, dass sie zum Dorfbrunnen geschickt wird. Denn hier kann sie mit den Frauen plaudern, die mit ihr um Wasser anstehen, die in dem Bassin unter der Quelle ihre Wäsche waschen oder die an der Brüstung ein Päuschen einlegen.
Derweil mahlen Johanna und Berenike Weizenkörner zu Mehl. Sie sitzen einander zugewandt vor zwei großen, aufeinander liegenden Rundsteinen. Der obere hat in der Mitte ein Loch, in das sie Weizenkörner schütten. Sie drehen den Stein an einem Holzgriff mal nach links, mal nach rechts um seine befestigte Achse. Der Weizen wird zwischen den beiden Steinen zu Mehl zerrieben und fällt schließlich nach außen in ein Tuch.
Über den Tag verteilt, werden sie etwa drei Stunden mit dieser Arbeit beschäftigt sein. Und es ist noch so viel mehr zu tun. Denn die Familie stellt nahezu alles selbst her, wovon sie sich ernährt und was sie am Leib trägt. So sind die Frauen nicht nur mit kochen, waschen, putzen, mit der Pflege des Großvaters und mit der kleinen Sapphira beschäftigt: Sie reinigen die Wolle, die die Männer den Schafen geschoren haben, zwirnen daraus Fäden, mit denen sie Stoffe weben, um sie zuzuschneiden und zu Kleidung zu vernähen. Sie knüpfen Teppiche, flechten Körbe und anderes mehr.
Vor der Mittagshitze verrichten die Frauen ihre Arbeit am liebsten im Freien. Dann sitzt auch der greise Judas gerne vor dem Haus. Um die Mittagszeit jedoch ziehen sich die Frauen mit dem Großvater in das kühle Höhleninnere zurück.
Jeden Nachmittag entfacht Johanna Feuer an der Kochstelle, um die Leckerei ihres achtjährigen Thaddaios zuzubereiten: frisch geröstete Gerstenkörner. Dabei weiß sie gar nicht, ob Thaddaios in der Schulpause tatsächlich vorbeikommt oder ob er es vorzieht, mit seinen Kameraden zu spielen. Seit er fünf Jahre alt ist, besucht er täglich von frühmorgens bis in den Abend hinein die Thoraschule in der Synagoge. Jetzt, nach drei Jahren Unterricht, kann er bereits viele lange Passagen aus den fünf Büchern Mose auswendig vortragen.
Johanna ist stolz auf ihren frommen Sohn, der jeden Morgen so freudig in die Schule geht. Weder ihre Brüder noch Judas, ihr Ältester, wurden je so für ihren Lerneifer gelobt wie Thaddaios: „Wie er aus der Thora vorträgt – das ist ein Fest für die Ohren“, sagt Elija, der greise Dorflehrer. Das Hebräische fehlerfrei auszusprechen, ist eine hohe Kunst, an der auch mancher Lehrer scheitert.
Heute gibt Thaddaios der Mutter und ihren gerösteten Gerstenkörnern den Vorzug vor dem Spiel mit den Freunden.
„Die sind aber lecker, Mutter!“ –
„Wie war es in der Schule, mein Junge?“ –
„Wir haben wieder im vierten Buch des Moses gelesen. – Mutter, ich habe am letzten Sabbat gesehen, wie unser Onkel Andreas Brennholz gesammelt hat. Wenn ich das dem Lehrer sage, wird Andreas dann gesteinigt?“ –
„Aber warum denn?“ –
„Wir haben heute gelesen, dass Gott befohlen hat, einen Mann zu steinigen, weil er am Sabbat Holz gesammelt hat.“ –
„Das war in der Wüste. Jetzt sind wir nicht mehr in der Wüste.“ –
„Und wenn Er es uns doch befiehlt?“ –
„Das wird Er nicht tun. Aber du brauchst es Elija dennoch nicht zu sagen.“ –
„Warum nicht?“ –
„Weil es ihn nichts angeht.“ –
„Und wen geht es dann etwas an?“ –
„Deinen Onkel Andreas und den Vater im Himmel, sonst niemanden.“ –
„Aber wenn Onkel Andreas die Gebote nicht einhält und wir ihn nicht bestrafen, dann bestraft Gott uns alle.“ –
„Das tut Er nicht.“ –
„Das hat Er aber früher getan. Früher hat Gott das ganze Volk bestraft, wenn die Israeliten einen Verbrecher nicht bestrafen wollten.“ –
„Früher vielleicht.“ –
„Nein, nicht vielleicht, ganz sicher!“ –
„Aber heute haben wir doch den Tempel. Da können wir opfern und Gott um Verzeihung bitten. Das wird Andreas tun.“ –
„In der Wüste konnten sie auch opfern und Gott um Verzeihung bitten. Da war Gott seinem Volk sogar näher als jetzt. Aber den Sabbatschänder mussten sie trotzdem steinigen.“
Johanna seufzt. Elija, der Mann mit den sanften Augen, verhext die Kinder. Er ist so fanatisch, dass er sich weigert, eine Münze entgegenzunehmen oder auch nur anzublicken, auf der das verbotene Bildnis eines Kaisers oder eines heidnischen Götzen zu sehen ist. Dass er sich diesen Rigorismus nur leisten kann, weil seine Frau alle Einkäufe erledigt, lässt er nicht gelten: „Ich habe sie nie aufgefordert, mit heidnischen Münzen einzukaufen“, sagt er. Die Kinder lieben ihn, die Mütter hassen ihn: Sie haben Angst, dass er ihre Kinder zur Gewalt gegen die Römer anstachelt. So stolz Johanna auf den Eifer und die Frömmigkeit ihres Jungen auch ist: Am liebsten würde sie Elija davonjagen lassen oder ihren Thaddaios von der Schule nehmen.
Johanna will mit ihrem Mann noch einmal über den verdächtigen Lehrer sprechen. Als Eleasar jedoch am Abend mit dem Erstgeborenen nach Hause kommt, ist ihr sofort klar, dass der Zeitpunkt ungünstig ist: „Du siehst müde aus, Eleasar.“ –
„Mir tut alles weh.“ –
„Komm herein, Lieber.“
Eleasar lässt sich zu Boden sinken. Amma bringt vom Herd einen Topf mit warmem Wasser. „Reich auch noch von dem Öl“, bittet Johanna ihre Tochter und beginnt, Eleasar Gesicht, Hände und Füße zu waschen.
Während Johanna ihrem Mann die Gliedmaßen mit Olivenöl einreibt, richten die Mädchen die zweite und letzte Mahlzeit des Tages zu. Sie tragen einen Eintopf aus Bohnen, Linsen und verschiedenen Gemüsen auf, dazu das Brot, mit dem alle aus dem gemeinsamen Topf essen werden. Auch Feigen und Oliven liegen bereit. Zu Trinken gibt es neben Wasser süße und saure Milch. Für die Männer steht leichter, mit reichlich Wasser verdünnter Wein bereit.
„Ich werde morgen sehr früh mit Judas zum Weizenfeld im Nordosten aufbrechen“, sagt Eleasar, nachdem er den Segen gesprochen, das Brot gebrochen und an die Umsitzenden ausgeteilt hat.
„Wann werdet ihr zurück sein?“, fragt Johanna.
„Wenn alles gut geht, werden wir einmal dort übernachten, sonst zweimal.“ –
„Dein Bruder Andreas wollte die Tage vorbei kommen, Eleasar“, sagt Johanna.
Thaddaios blickt überrascht von seinem Essen auf.
„Was er wohl von uns will?“, fragt Eleasar –
„Nun, sein Sohn Jonathan ist mittlerweile auch schon 14 Jahre alt.“
„Ob Jonathan wohl ein Auge auf unsere Salome geworfen hat?“
Salome und Amma kichern.
„Onkel Andreas ist ein Sabbatschänder“, ereifert sich Thaddaios. „Ich habe gesehen, wie er am letzten Sabbat Brennholz gesammelt hat. Zur Zeit der Wüstenwanderung haben sie solche Sabbatschänder gesteinigt.“ –
„Jonathan ist nicht Andreas“, wendet sein Vater ein. Aber das lässt Thaddaios nicht gelten: „Gott straft die Sünden der Väter auch noch an den Urenkeln! Salome darf Jonathan nicht mehr ansehen!“ –
„Mein Sohn, ich kenne nicht einen Bauern, der alle Gebote einhält. Wenn ich danach gehen würde, könnte ich überhaupt keinen Schwiegersohn finden.“
„Thaddaios redet so, weil Elija die Kinder aufhetzt“, wirft Johanna ein, „ihr Väter müsste ihn endlich von der Schule nehmen und einen anderen Lehrer einsetzen.“ –
„Aber Elija ist ein Prophet!“, ruft Thaddaios.
„Dieses Urteil steht dir nicht zu, mein Sohn.“ –
„Bitte lasst uns unseren Elija“, fleht Thaddaios, doch seine Mutter warnt: „Elija macht aus Thaddaios noch einen Terroristen!“ –
„Nun“, Eleasar wiegt bedächtig mit dem Kopf, „wir bekommen keinen anderen Lehrer. Immerhin: Sein Hebräisch ist perfekt. Die Kinder lernen viel bei ihm, und er nimmt nicht einmal Geld dafür. Natürlich ist er den Römern nicht sehr freundlich gesonnen.“ –
„Das sind wir auch nicht“, stellt Johanna klar, „aber das ist noch kein Grund, Selbstmord zu begehen.“ –
„Es ist nicht Selbstmord, gegen die Feinde Gottes zu kämpfen“, ruft Thaddaios, „Gott wird uns beistehen, wie Er den Israeliten gegen die Ägypter beigestanden ist.“
Der greise Judas blickt voller Wärme auf seinen Enkel: „Wie schön Thaddaios gelernt hat, aus der Thora zu deklamieren. Völlig akzentfrei. Das hat er von Elija, man mag ja sonst gegen ihn einwenden, was man will.“ Dann richtet er sich aus seiner gebückten Haltung auf, und seine Stimme wird fest: „Du wirst nichts gegen Elija unternehmen, Eleasar. Ich dulde keinen Widerspruch.“ Eleasar und Johanna schauen ihn erstaunt an. So energisch ist Judas schon lange nicht mehr aufgetreten. Seit Jahren schon überlässt der greise Patriarch alle Entscheidungen seinem Sohn.
„Thaddaios“, spricht der alte Judas, und seine Stimme klingt wieder mild und freundlich, „heute Abend deklamierst du uns noch einmal das Lied des Mose: ‚Singen will ich dem Herrn, denn er ist herrlich: Ross und Mann stürzt er ins Meer!’“ –
„Ich kann euch sagen, wo er das Lied in ein paar Jahren wird deklamieren können, wenn ihr diesen Elija nicht davonjagt“, empört sich Johanna. –
„In einem befreiten Jerusalem werde ich es singen, Mutter“, entgegnet Thaddaios, und seine Augen leuchten. –
„Am Kreuz wirst du es singen, wenn du so weitermachst“, gibt sie wütend zurück, „akzentfrei, versteht sich.“