Читать книгу Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern - Gregor Bauer - Страница 6
ОглавлениеI. Saul bespricht einen Deal
Sepphoris, im Jahr 3789 nach Erschaffung der Welt,
dem 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius.
Am 27. Tag des Monats Nissan (1. Mai 29 n. Chr.).
Noch vor einer Woche war es ruhig in den Städten und Dörfern Galiläas. Wohl jede dritte Familie war nach Jerusalem zum Passah-Fest gepilgert. Jetzt strömen die Menschen an den Markttagen wieder in Scharen zusammen.
Auf dem Markt der Stadt Sepphoris, der „Zierde Galiläas“, schwirrt die Luft von Geschrei und Gelächter, vom Peitschenknall der Eseltreiber und dem Gebrüll der Ochsen. Beißender Schweißgestank mischt sich mit orientalischen Aromen, Kinder schnuppern nach ihrer Leckerei, gerösteten Gerstenkörnern.
Saul bar Gershom, ein Bauer aus dem nahe gelegenen Dorf Gath Hepher, kauert am Boden vor seinen ausgebreiteten Waren: Gerste, Feigenkuchen, Rizinusöl und allerlei Kräuter, die er am Wegrand gefunden hat.
Der kleine, in Gedanken versunkene Mann bemerkt den hoch gewachsenen Fremden nicht sofort, der sich seinem Stand nähert. Als Saul schließlich aufblickt, erschrickt er über den konzentrierten Blick, mit dem er offenbar schon eine Weile aufmerksam gemustert wird – er selbst, nicht etwa seine Ware.
Dass ein elegant nach Art der alexandrinischen Juden gekleideter Herr einem Bauern so viel Aufmerksamkeit widmet, ist ungewöhnlich.
„Was hast du in dem Fläschchen da?“, fragt der Fremde in bester judäischer Hochsprache.
„Ein edles Öl von auserlesenen Samen des Rizinusstrauchs, Herr. Ich habe es mit eigenen Händen gepresst. Es vertreibt dir jedes Kopfweh im Nu, Herr. Es –“ –
„Spar dir die Mühe. Ich kann ohnehin nichts kaufen. Leider habe ich es versäumt, einen Sklaven mit mir zu nehmen, der meine Einkäufe tragen könnte. Wenn du freilich hübsche Mädchen zu verkaufen hättest, das wäre etwas anderes. Die können ja selbst laufen.“
Saul holt tief Luft. „Solche Mädchen findest du dort am Tor, nicht hier.“ –
„Nicht doch, mein Freund. Solche Mädchen meine ich nicht. Im Ernst: Ich suche eine ehrbare Braut für einen Jungen, den ich liebe wie meinen eigenen Sohn.“ –
„Ich habe keine Braut im Angebot.“ –
„Ich kenne sein Elternhaus sehr gut. Sein Vater ist einer meiner erfolgreichsten Geschäftspartner.“ –
„Was hilft alles Geld, wenn einer gottlos ist und das Gesetz des Mose miss-“ –
„Aber nein, es ist ein sehr frommes Haus. Genau deshalb hat der Vater mich ja beauftragt, eine Braut aus dem Verheißenen Land mitzubringen.“ –
„So wohnt er in der Fremde?“ –
„Er wohnt nicht weit von mir in Alexandria in einer wunderschönen Villa.“
„Sag mir, Herr: Warum sollte ein Bewohner Israels seine Tochter in die Fremde verheiraten?“ –
„Nun, es würde sein Schade nicht sein.“ –
„Wer wäre so ehrlos, seine Tochter –“ –
„Aber die Tochter könnte sich kein schöneres Los wünschen! Sie wird einem großzügigen Haushalt vorstehen, Sklavinnen werden ihr zu Diensten sein. Und sie weiß ihre Lieben zu Hause gut versorgt. Denn es lässt sich doch ganz anders wirtschaften mit einem Brautpreis von 400 Silberdenaren im Säckel.“
400 Silberdenare. So viel Geld hat Saul in seinem Leben noch nicht auf einem Haufen gesehen. Ein Tagelöhner bräuchte mindestens zwei Jahre, um so viel Geld zu verdienen. Und Saul verdient mit seiner kleinen Landwirtschaft weiß Gott nicht mehr als ein Tagelöhner.
Ihm fällt kein Freund oder Verwandter ein, der eine Tochter im heiratsfähigen Alter hat – und keiner, dem er so viel Geld gönnen würde.
„Nun“, sagt Saul, ohne sich seine Verwirrung anmerken zu lassen, „ein Mann, der einen solchen Brautpreis bezahlen kann, erwartet natürlich auch, dass der Brautvater seiner Tochter eine üppige Morgengabe in die Ehe mitgibt.“ –
„Das wird nicht nötig sein. Mein Geschäftsfreund möchte sich im Ehevertrag verpflichten, der Schwiegertochter im Fall einer Scheidung finanziell beizustehen.“ –
„So etwas habe ich noch nie gehört.“ –
„Ihm liegt eben viel daran, eine Braut aus dem Verheißenen Land in sein Haus zu führen. Eine Braut aus einfachem, frommem Haus.“
Aus frommem Haus – das versteht Saul. Aber warum aus einfachem Haus? Es wünscht sich doch niemand arme Schwiegerleute?
„Wie dem auch sei, ich muss dich enttäuschen, Fremder. Ich kenne niemanden mit einer Tochter im heiratsfähigen Alter.“ –
„Zu schade. Dann werde ich mich wohl anderswo umsehen müssen. Du selbst hast keine Tochter?“ –
„Für mich kommt das nicht in Frage.“ –
„Warum nicht? –
„Es – sie sind auch beide noch sehr jung.“ –
„Wie jung?“ –
„Debora ist sechs Jahre alt.“ –
„Und die zweite?“ –
„Sie heißt Bathseba. Ein sehr fleißiges und sanftmütiges Mädchen.“ –
„Wie alt?“ –
„Den Jungen kann man wohl nicht länger warten lassen?“ –
„Nun, du weißt doch, wie eilig sie es plötzlich haben. Sobald ihnen der erste Flaum steht, steht ihnen eben auch –“ –
„Bitte, Herr, keine Anzüglichkeiten. Das ist hier nicht der Brauch.“ –
„Darf ich mich höflichst noch einmal nach dem Alter des Mädchens erkundigen?“ –
„Sie ist zehn.“ –
„Zwei Jahre zu jung. Schade. Dann wünsche ich noch –“
„Warte, Herr. Du hast sie noch nicht gesehen. Es könnte sich wirklich lohnen, auf sie zu warten.“ –
„Donnerwetter! In der Tat, wenn sie außergewöhnlich schön ist, dann würde sie einer so frommen Familie durchaus gut zu Gesicht stehen. Aber der Junge ist bereits fünfzehn, da will man –“ –
„Bei einem Jungen kommt es doch auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an.“ –
„Auf zwei Jahre. Auf drei, wenn wir das Verlobungsjahr mitrechnen. Ich kann seinem Vater schlecht sagen: ‚Ich habe eine Braut für deinen Sohn, in zwei Jahren ist sie reif zur Verlobung, dann hole ich sie.’“
„Du könntest sie doch jetzt schon mitnehmen.“ –
„Du meinst, nach Alexandria? Und da soll sie dann die zwei Jahre bis zur Verlobung alleine herumsitzen?“ –
„Herr, man merkt, dass du nicht weißt, wie es zugeht unter armen Leuten.“ –
„So? Und wie geht es zu?“ –
„Wir – Mose hat doch erlaubt, ein Mädchen als Sklavin zu verkaufen.“
„Als Sklavin? Du willst deine Tochter versklaven?“ –
„Es wäre doch nicht für immer, Herr. Ich meine, sie würde sich eben bis zur Verlobung als Magd im Haus deines Geschäftsfreunds nützlich machen. Das Mädchen ist sehr tüchtig. Und sie wäre doch in einem anständigen Haus, nicht wahr?“ –
„Das ja.“ –
„Es würde sich ihr doch niemand unsittlich nähern?“ –
„Aber nein! Es sind fromme Leute.“ –
„Und was ist mit dir? Du würdest sie ja nach Alexandria bringen, nicht wahr?“ –
„Ich bitte dich, ein Kind, und noch dazu die Braut für den Sohn eines Freundes! Nicht anrühren würde ich sie!“ –
„Mir gefällt nicht, was für ein Mundwerk du führst.“ –
„Ich werde doch wohl unterscheiden können, ob ich ein gestandenes Mannsbild vor mir habe oder ein kleines Mädchen!“ –
„Hierzulande sind auch die gestandenen Mannsbilder anständig.“ –
„Um so besser. Es soll ja ein fromm erzogenes Mädchen sein. Aber sie ist zu jung.“
„Du solltest sie wenigstens einmal ansehen, Herr.“ –
„Ich sagte schon, der Junge ist fünfzehn.“ –
„Die Essener heiraten auch erst mit zwanzig.“ –
„Die Essener heiraten überhaupt nicht, und der Junge ist kein Essener! Dem wird schon das Verlobungsjahr zu lang!“ –
„Verlobung mit siebzehn, Heirat mit achtzehn, das ist doch für einen Jungen nicht –“ –
„Na na na! Sag selbst, das müsste schon eine außergewöhnliche Braut sein, für die sich ein gesunder Junge so lange geduldet.“ –
„Wie du meinst, Herr. Aber sie wäre im Haushalt deines Freundes eine große Hilfe. Sie ist von sehr einnehmendem Wesen. Und sie ist außergewöhnlich schön.“
Der Fremde blickt kurz hinüber zur Nachmittagssonne. Es ist um die neunte Stunde, noch drei Stunden also, bis die Sonne untergeht. „Wo seid ihr denn zu Hause?“