Читать книгу Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern - Gregor Bauer - Страница 8
ОглавлениеII. Saul und der Stolz der Daviden
„Saul, Sohn des Gershom! Was stehst du schon wieder am Wegrand herum und pflückst irgendwelche Kräuter!“, ärgert sich der Fremde aus Alexandria, „Du traust dich wohl nicht nach Hause? Bald ist es dunkel.“ –
„Ich finde den Weg nach Hause auch in der Dunkelheit“, erwidert Saul. –
„Aber du hältst mich auf. Ich investiere auch so schon genug Zeit in deine Tochter. Ich hoffe, sie ist wirklich so schön, wie du sagst.“ –
„Sprich nicht mehr davon.“ –
„Du bist nervös. Das ist kein gutes Zeichen.“
Das Dorf, das die beiden endlich erreichen, besteht aus kaum mehr als drei Dutzend winzigen, dicht zusammengedrängten Häusern. In einem dieser Häuser wohnt Saul mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und mit zwei Ziegen. Es bietet gerade mal Platz für einen einzigen, wohl etwa 12 mal 15 Schritte großen Raum.
„Shalaam, sei gegrüßt, Fremder.“
Aquila – so der Name des Fremden – ist sichtlich angewidert, als er in das dunkle, stickige Innere tritt. Er lehnt das Wasser ab, das ihm Sauls Frau Naomi zum Waschen der Füße reicht, und lässt sich rasch über die Treppe auf das Flachdach führen.
Naomi bringt den Männern Wein, Brot, Käse und Oliven. Kaum ist sie ins Hausinnere zurückgekehrt, als Aquila auch schon auf den Zweck seines Besuches zu sprechen kommt: „Ich habe deine Tochter Bathseba noch nicht gesehen. Ruf sie doch zu uns.“ –
„Warte noch ein wenig. Lass uns noch ein wenig sitzen, damit meine Frau –“ –
„Für solche Geheimdiplomatie fehlt mir die Zeit. Ruf das Mädchen her.“
Saul stellt seine Schale nieder, erhebt sich langsam und steigt die Treppe hinab.
„Bathseba!“ –
„Ja, Vater?“ –
„Komm mit herauf aufs Dach, unser Gast möchte mit dir sprechen.“
Naomi greift Saul am Arm. „Goliath!“
Mit diesem ungeliebten Spitznamen wird er nur von seiner Frau und ihren Verwandten angesprochen. Ihre Stimme klingt argwöhnisch: „Es gehört sich nicht für unser Mädchen, mit Fremden zu sprechen.“–
„Schweig, Frau. Unser Gast wünscht es.“ –
„Was ist das für ein Mann?“, flüstert sie, „Was will er von ihr?“ –
„Komm, Bathseba.“
Oben angekommen, erwidert das Mädchen schüchtern den Gruß des Fremden, schaut immer wieder zur Treppe, wo sich aber die Mutter nicht blicken lässt, und setzt sich dann schutzsuchend in die Nähe des Vaters.
„Hab keine Angst, Mädchen“, die Stimme Aquilas klingt sanft und angenehm. „Dein Vater hat dich sehr gelobt, darum wollte ich ein wenig mit dir sprechen. Sicher gefällt es dir hier in Gath Hepher bei deinen Eltern?“ –
„Ja.“ –
„Wie schön. Warst du auch schon einmal auf Reisen?“ –
„Ja.“ –
„Wohin bist du denn gereist?“ –
„Nach Nazareth.“ –
„Nazareth, das Höhlendorf, zwei Wegstunden von hier. Was hast du dort getan?“ –
„Die Großeltern besucht.“ –
„Stell dir vor, du dürftest reisen, wohin du willst. Wohin würdest du reisen?“
Im flackernden Schein der Öllampe sieht der Fremde die Augen des Mädchens kurz aufleuchten. „Nach Jerusalem, zum Tempel.“ –
„Oh ja, da hast du gut gewählt. Wie das Gold und Elfenbein des Tempels in der Sonne glänzt! Die Pilger brechen jedes Mal in Jubel aus, wenn sie nach der langen Wanderung plötzlich den Tempel in seiner ganzen Pracht vor sich sehen. Aber sag, möchtest du nicht auch einmal aufs weite Meer hinaus, wie der Prophet Jona?“ –
„Niemals! Dann würde mich der Walfisch fressen. Ich möchte nicht fort von Gott wie Jona.“ –
„Aber Kind, Gott ist überall, auch auf dem Meer. Hab keine Angst. Ich war vor zwei Monden mitten im Meer auf einem großen Schiff, und schau mich an: Da bin ich noch. Kein Walfisch hat mich verschlungen.“
„Du warst auf dem Meer, Herr? Und hast die riesigen Walfische selbst gesehen?“ –
„Keinen einzigen. Die Walfische sind sehr scheu und fliehen die Menschen. Wie die Schrift sagt: ‘Furcht und Schrecken vor euch beherrsche alle Fische des Meeres.’“ –
„Auch auf die schrecklichen Seeungeheuer?“ –
„Liebes Mädchen, es gibt keine Seeungeheuer! Auf dem Meer siehst du allenfalls Delfine, Möwen oder ein paar springende Fische.“
„Aber Vetter Jakob war auch auf dem Meer, und er hat selbst ein Ungeheuer gesehen, mit eigenen Augen!“ –
„Das hat er geträumt. Du darfst nicht alles glauben, was man dir erzählt!“ –
„Und gegen furchtbare Piraten hat er gekämpft!“ –
„Dann ist dein Vetter mindestens 100 Jahre alt. Man kann gegen die Römer sagen was man will, aber mit den Piraten haben sie gründlich aufgeräumt. Ihre Nachkommen sind heute friedliche Bauern. Nein, wenn man nur einen wetterkundigen Kapitän an Bord hat, ist das Meer heute viel sicherer als der Landweg. Viele Händler fahren mit ihren teuren Schätzen eher übers Meer, als sich einer Karawane anzuschließen. Es ist schneller, weniger mühselig und sicher vor Räubern.“ –
„Hast du auch teure Schätze?“ –
„Ich bin Kaufmann und bringe viele Kostbarkeiten nach Alexandria: Vorhänge aus babylonischem Purpur und Byssus, feinstes Linnen aus Beth Sean. Außerdem Balsam, der so köstlich duftet, dass jeder Tropfen mit Gold aufgewogen wird. All das vertraue ich dem Meer an. Es gibt nichts Herrlicheres, als in den Großen Hafen von Alexandria einzufahren: rechter Hand der riesige Leuchtturm von Pharos, eines der sieben Weltwunder, linker Hand die Lochiasküste mit dem königlichen Palast. Überall Schiffe, die in den Wellen schaukeln. Sie tragen Gold, Silber, kostbare Stoffe und Gewürze aus Arabien und Indien bis nach Rom.“ –
„Wohnen in Alexandria nur fremde Völker?“ –
„Keineswegs, es sind viele Juden dort – viel mehr als in ganz Galiläa! Zwei große Stadtteile sind nur von Juden bewohnt. Tagelang kannst du durch die weiten Straßen laufen und hast doch noch nicht alle Straßen gesehen, in denen Juden wohnen. Sie lieben den Tempel genauso wie du. Jedes Jahr pilgern zehntausende zum Passahfest nach Jerusalem. Und sie lieben die Menschen aus dem Verheißenen Land. Wenn du zu ihnen fahren würdest, sie würden dich mit offenen Armen wie eine Fürstin empfangen.“ –
„Fährst du wieder dorthin zurück?“ –
„Sobald ich hier meine Geschäfte erledigt habe, kehre ich nach Alexandria zurück. Und da ich sehe, dass du so ein liebes Kind bist: Frag doch deinen Vater, ob er dich ziehen lässt. Wenn er es dir erlaubt, nehme ich dich gerne mit.“
„Nach Alexandria?“ –
„Nach Alexandria.“ –
„Auf deinem Schiff?“ –
„Auf meinem Schiff.“
Aquila lächelt einladend. Die Kleine sitzt mit offenem Mund eine Weile stumm da und sagt dann: „Darf ich dann auch die Stoffe aus Babylon berühren?“
Jetzt hält es die Mutter nicht länger hinter der Treppe: „Bathseba! Bathseba, sofort zu mir! Goliath, was redest du da!“ –
„Ich habe kein Wort gesagt!“ –
„Vater, bitte sag, dass ich nach Alexandria darf mit dem fremden Mann!“ –
„Goliath! Was redest du da!“ –
„Ich habe kein Wort gesagt!“ –
„Das Kind bleibt hier!“ –
„Schweig, Frau, und höre was ich dir sage!“ –
„Ich höre nichts! Was hast du vor!“ –
„Beruhige dich, ich werde dir alles erklären, aber unten im Haus. Du machst uns zum Gespött der Nachbarn!“ –
„Du willst unser Kind in die Fremde verkaufen!“ –
„Es ist eine fromme Familie!“ –
„Wie kann man fromm sein in der Fremde!“ –
„Es wird ihr dort sehr gut gehen!“ –
„Wie kann es einem gut gehen in der Fremde!“
Das Kind beginnt zu weinen. „Mutter, ich habe Angst!“ –
„Runter ins Haus mit dir! Was hast du auch mit fremden Leuten zu sprechen!“
Die Mutter wirft ihrer Tochter einen zornigen Bick hinterher: „Goliath! In ihren Adern rollt das Blut des Löwen von Juda!“ –
„Glaube nicht, dass ich meine Töchter an deine Nazarenischen Hungerleider verheiraten werde!“
Von den Nachbardächern dringt Gelächter herüber. Vor dem Haus haben sich Trauben von feixenden Kindern gebildet.
Naomi ist außer sich: „Gott hat mich gestraft, weil ich das Haus Davids verlassen und dich geheiratet habe, einen Mann von niedrigem Geblüt. Hart bestraft hat er mich und mir einen Sohn verweigert. Aber ich habe Sühne geleistet, und er wird sich erbarmen und meine Töchter dem Haus Davids zurückführen!“ –
„Schweig, Frau!“
Von den Nachbardächern klingen bereits die ersten Sprechchöre herüber: „Saul! Stopf dem Nazarenerweib das Maul!“
Die Stimme der Frau überschlägt sich, als sie über die Dächer brüllt: „Und ihr bekommt keine von ihnen! Keine!“ –
„Frau, bist du rasend, ins Haus mit dir!“
Zwei Dächer weiter lässt Sauls Vater seine Stimme vernehmen: „Und das von meiner Schwiegertochter! Saul, gebiete der Nazarenerin zu schweigen!“
„Schweig jetzt, Weib, ins Haus mit dir!“ –
„Ich schweige nicht, wenn man mir meine Tochter rauben will!“
„Ehre das Gastrecht, und schweig!“ –
„Meine Tochter bleibt hier!“
„Gute Frau, beruhige dich“, schaltet sich Aquila ein. „Ich werde deine Tochter nicht mitnehmen. Saul, führe mich zur Straße nach Sepphoris.“