Читать книгу Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern - Gregor Bauer - Страница 7

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2. Grenzen orientalischer Gastfreundschaft

Falls Sie selbst mit dem Gedanken spielen, in die Zeit Jesu zu reisen: Stellen Sie sich das nicht zu einfach vor. Sie werden auf Ihrer Reise auf weit mehr verzichten als auf ein paar Annehmlichkeiten.

Reisen

Zunächst werden Sie sich abgewöhnen müssen, in Autostunden zu denken: Für eine Entfernung, die Sie bisher in 20 Minuten zurückgelegt haben, brauchen Sie jetzt einen Tag. Einen qualvollen Tag, wenn Sie im Sommer reisen. Wer wird Ihnen in der trockenen Hitze zu trinken geben? Im Winter kommen Sie nicht voran: Während der Regenzeit versinkt alles im Schlamm, was jenseits der wenigen befestigten Straßen liegt, die die verhassten Römer erbaut haben.

Reisen Sie nicht alleine. Besonders in unwegsamen Gegenden werden Reisende immer wieder von Räubern überfallen. Schließen Sie sich einer Reisegruppe an, oder noch besser einer bewachten Karawane. Solche Karawanen treffen Sie in den Karawansereien an den großen Handelsstraßen.

Schauen wir uns eine Karawanserei näher an (bü). Von außen sehen Sie ein großes, viereckiges Gebäude mit nur wenigen kleinen Fenstern. Sobald Sie das Tor durchschritten haben, stehen Sie in einem geräumigen Innenhof. Hier drängen sich die ankommenden Tiere um den Brunnen, bevor sie von den Kameltreibern in den umgebenden Säulengängen untergebracht werden. Griechische Händler breiten ihre Stoffe aus, Bauern aus der Umgebung verkaufen ihre Feldfrüchte. Fliegende Händler preisen nicht nur den ehrbaren Damen ihre Kosmetikartikel an. Äthiopische und sudanesische Reisende verhandeln mit einem Krämer, der seinen Fächerkasten mit Gewürzen gefüllt hat, daneben diskutiert ein Babylonier, in Seide gekleidet und mit schwerem Goldring in der Nase, mit einer Gruppe israelitischer Kaufleute und syrischer Großhändler.

Falls Ihr Herbergswirt Sie eines Nachts wecken sollte, weil eben eine Karawane auf der Durchreise ist, die Ihr Reiseziel ansteuert, seien Sie vorsichtig. Es könnte sein, dass er Sie Räubern ans Messer liefert, um anschließend mit ihnen die Beute zu teilen.

Toilette

(pr 645–651, az 198)

Erkundigen Sie sich rechtzeitig nach der Toilette. In der Karawanserei werden Sie sicherlich keinen weiten Weg dorthin haben, aber in manchen Dörfern müssen Sie weit hinaus aufs freie Feld. Da können Sie schon mal gut und gern 20 Minuten unterwegs sein. Nachts brauchen Sie freilich nicht solche Umstände zu machen, und auch in unübersichtlichem Gelände ist es erlaubt, sich selbst ein Plätzchen zu suchen. Oft können Sie das Stille Örtchen leicht an dem umgebenden Zaun erkennen. Bevor Sie das Revier betreten, machen Sie durch Räuspern oder Schnäuzen auf sich aufmerksam. Überlegen Sie vorher, welches Werkzeug Sie brauchen: An Stelle von Klopapier verwendet man Steinchen, die man in einem Säckchen mit sich führen kann, oder Tonscherben. Gehen Sie nur mit der linken Hand zu Werke, denn mit der rechten isst man. Passen Sie auf, dass Sie sich an den harten Scherbenkanten nicht verletzen, und dass Sie die entscheidenen Stellen nicht direkt mit der Hand berühren. Sonst müssen Sie sich die Hände waschen – Wasser ist aber in der Regel keines da.

Juden und Nichtjuden

(sd 210.233.242.266, fl, az 148, cm05, dr 81f, gla, tö 364f, j62 364f

verbotene sexuelle Handlungen: sd 211.218f.222.228.267f.524.573;

po 330.338f)

Erwarten Sie nicht, von den Einheimischen mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Sie sind in einem besetzten Land. Viele Bewohner sehnen den Tag herbei, an dem sie die römischen Besatzer und mit ihnen alle Andersgläubigen verjagen werden.

„So ein Unsinn, Alex.“

Da sind sie wieder, die Weisheiten meines Patenkinds. „Wieso Unsinn, Liz?“ –

„In der Bibel steht doch, dass die Israeliten die Fremden gut behandeln sollen, weil sie selbst Fremde gewesen sind in Ägypten.“ –

„Du bist ja bibelfester als ich dachte. Leider bezieht man aber solche Fremden-freundlichen Bibelstellen zur Zeit Jesu nur auf jüdische Fremde.“ –

„Steht das so in der Bibel?“ –

„Nein, aber viele Gelehrten sagen sich: Gott kann doch nicht im Ernst gemeint haben, dass man Götzendiener wie die Römer oder die Griechen gut behandeln, ja sogar lieben soll.“ –

„Warum denn nicht?“ –

„Du kennst die Sitten des Landes nicht (wu 2/02 24f). Es fängt schon damit an, dass viele Juden weder das Haus eines Nichtjuden betreten noch einen Nichtjuden in ihr Haus einlassen würden. Denn würden sie das tun, wäre ihr Haus für den Rest des Tages unrein. Würden sie einer Heidin wie dir zu trinken anbieten, müssten sie die Tasse anschließend wegwerfen. Nur wenn sie aus Stein ist, können sie sie im Feuer reinigen und weiterverwenden. Lebensmittel, die du berührt hast, müssen auf den Müll – auch solche, die du vielleicht berührt haben könntest. Deshalb darf man dich keinen Augenblick aus den Augen verlieren, wenn man dich einmal im Haus hat. Sonst muss man anschließend alle Lebensmittel wegwerfen, die sich in dem Raum befinden, in dem du dich unbeaufsichtigt aufgehalten hast. Und die meisten Häuser haben nur einen Raum (bü 59). Wie soll man bei solchen Vorschriften gut oder gar liebevoll mit Fremden umgehen?“

„So eng sehen das doch wohl nur die Ultraorthodoxen.“ –

„Sicher, nicht alle nehmen es so genau. Trotzdem dürfte es dir schwer fallen, einen Juden zu finden, der beispielsweise ein Haus an Nichtjuden verkaufen würde. Das darf er nicht, weil die Gefahr besteht, dass die Heiden in dem Haus Götzen aufstellen könnten.“

Die meisten Juden halten zumindest in ihrem Privatleben nach Möglichkeit Distanz zu den Nichtjuden. Allerdings haben sie dafür nicht nur religiöse Gründe: Viele fühlen sich bedroht. Wenn beispielsweise ein Jude nicht alleine mit einem Heiden baden will, dann liegt das möglicherweise daran, dass der Heide ihn ertränken könnte. Mancher, der sich von einem Heiden die Haare schneiden lässt, schaut lieber einmal zu oft in den Spiegel. Wer nicht vor einem Heiden die Treppe hinunter gehen oder sich nicht vor ihm bücken will, hat vielleicht Angst, der Heide könnte ihm den Schädel einschlagen. Und bevor man die Hilfe einer heidnischen Hebamme in Anspruch nimmt, wird man sich sehr genau nach ihrem Ruf erkundigen – nicht dass sie am Ende das Kind tötet.

Dass ein Jude zu seinem nichtjüdischen Nachbarn Vertrauen gewinnt, kommt durchaus vor. Dann kann ihm der Nichtjude sogar eine Hilfe sein, um sein religiöses Gesetz zu erfüllen. Beispielsweise, wenn ein jüdischer Bauer seinen Stier kastrieren lassen will. Das ist nach dem Gesetz des Mose verboten. Unkastriert ist der Stier aber für die Feldarbeit nicht zu gebrauchen. Was also tun? Schön, wenn man in einem solchen Fall auf einen einfühlsamen Nachbarn heidnischen Glaubens zählen kann. Der tut dann so, als ob er den Stier stehlen würde. Kaufen wäre zwar anständiger, geht aber nicht, weil Juden kein Großvieh an Heiden verkaufen dürfen. Der nichtjüdische Nachbar „stiehlt“ also das Vieh und bringt es einen Tag später reumütig dem jüdischen Besitzer zurück. Und sieh einer an: Da hat der „Dieb“ doch tatsächlich in der Zwischenzeit das Tier kastriert (tö 128f).

„Aber Alex, der Kontakt zu den Nichtjuden beschränkt sich doch nicht auf solche Tricksereien. Du blendest völlig aus, dass es auch Heiden gibt, die zum Judentum übertreten.“ –

„Das tun vor allem Sklaven in jüdischen Haushalten (j62 364). Auch Bettler versuchen es gelegentlich. Die spekulieren darauf, dass sie nach ihrem Übertritt aus der Armenkasse der jüdischen Gemeinde mitversorgt werden (j62 354f).“

Anziehungskraft hat der jüdische Glaube durchaus. Aber die meisten Heiden, die sich dem Judentum verbunden fühlen, treten deshalb nicht gleich zum Judentum über: Als sogenannte „Gottesfürchtige“ halten sie den Sabbat, wie es eben geht, sind in der Synagoge gern gesehene Gäste (sd 265), stellen vielleicht auch an Chanukah, dem Lichterfest der Juden, Lichter in ihre Fenster. Oder sie halten sich wenigstens im Verborgenen an die Regeln, die nach jüdischem Glauben für alle Völker verbindlich sind.

„Jüdische Regeln, die für alle Völker gelten? Sowas gibt es?“ –

„Ja, Liz.“ –

„Was für Regeln sind das?“ –

„Man kann sie in fünf Geboten zusammenfassen (sd 267.269):

Erstens. Erkenne an, dass es nur einen Gott gibt.“ –

Zweitens: Behandle andere Menschen so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest.

Drittens: Halte dich fern von allen götzendienerischen Kulten.

Diese Forderung ist schwieriger, als sie aussieht, Liz. Danach darf man nicht einmal miteinander Geburtstag feiern, weil auch dabei die Götzen angerufen werden.

Viertens: Iss kein Opferfleisch aus heidnischen Tempeln.“ –

„Das mache ich sowieso nicht, Alex.“ –

„Kunststück! Du lebst auch nicht in einer Gesellschaft, in der solches Opferfleisch in rauen Mengen auf dem Markt verkauft wird!

Fünftens: Enthalte dich von allen verbotenen sexuellen Handlungen.“

„Und welche Handlungen sind das?“ – „Verboten sind vor allem: Inzest mit Verwandten ersten Grades, Sex mit Tieren, Homosexualität und Onanie.“ –

„Und ein Heide, der sich an diese Regeln hält, wird also von den Juden als guter Mensch akzeptiert?“ –

„Im Prinzip ja.“ –

„Aber?“ –

„Erstens halten sich die wenigsten Nichtjuden daran. Zweitens: Diejenigen, die sich an diese Regeln halten wollen, schaffen es nicht. Drittens: Wenn es einer doch schafft, glaubt man ihm nicht (sd 270).“ –

„Dann läuft es ja doch darauf hinaus, dass die Juden in der Welt Jesu alle Nichtjuden unterschiedslos für schlechte Menschen halten?“ –

„Könnte man meinen. Aber warum sind sie dann in den Synagogen als Besucher willkommen? Und warum setzen sich angesehene jüdische Bürger persönlich bei Jesus für einen heidnischen Soldaten ein? Sie sagen, dass er die Juden liebt und ihnen eine Synagoge gestiftet hat. Deshalb habe er es verdient, dass Jesus seine Bitte erhört. Dabei gehört dieser Mann sogar zu der verhassten Besatzungsarmee.“

Bei allen Kontakten, die es zwischen Juden und Nichtjuden eben doch gibt: Familiäre Bindungen sind ausgeschlossen. Kein jüdischer Vater würde sein Kind mit einem heidnischen Partner verheiraten (s74 515). Seine Kinder werden auch kaum den Wunsch dazu verspüren: Jeder Junge will, dass seine Kinder einmal von einer jüdischen Mutter aufgezogen werden, und jedes Mädchen möchte seine Kinder einmal jüdisch erziehen. Schließlich sollen sie eines Tages nicht Isis oder Asklepios anbeten, sondern den Gott Israels.

* * *

Die Abscheu vor den Nichtjuden spiegelt sich im Sprachgebrauch: Juden bezeichnet man liebevoll als „Kinder“, Nichtjuden nicht ganz so nett als „Hunde“. Auch Jesus tut das. Die Bitte einer Kanaanäerin, ihre Tochter zu heilen, weist er mit den Worten ab: „Es ist nicht gut, das Brot den Kindern vorzuenthalten und es den Hunden vorzuwerfen.“

Passt es in Ihr Bild von Jesus, dass die Antwort der „Hündin“ ihn beschämt haben könnte – und dass er bei dieser Gelegenheit vielleicht etwas dazugelernt hat (Mk 7)?


Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern

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