Читать книгу Leben zur Zeit Jesu. Ein Doku-Drama zum Schmökern - Gregor Bauer - Страница 5
Оглавление1. Einleitung
Wie hat Jesus eigentlich ausgesehen? Nicht mal das wissen wir. Irritiert Sie das nicht?
Es mag ja sein, dass sein Aussehen unwichtig ist. Dann ist es sicherlich auch unwichtig, welche Kleidung er getragen, was er gearbeitet oder wo er eingekauft hat. Wenn es auf all das nicht ankommt, worauf kommt es dann an? Auf Liebe, Bescheidenheit und Gewaltlosigkeit? Können wir diese Werte nicht auch ohne Jesus pflegen? Ist an Jesus überhaupt irgendetwas wichtig?
In meinem Zimmer hängt ein Bild, das von der Sehnsucht vergangener Zeiten zeugt, Jesus zu sehen. Es geht zurück auf ein verschollenes Tuchbild, für das Jesus nach einer Legende selbst Modell gestanden ist. Es –
„Mann Alex, wann hängst du das Bild endlich ab“, sagt Liz.
Liz ist mein Patenkind. Kind ist gut: Sie ist sechzehn, und wenn man danach geht, was sie sich zutraut, hat sie bereits alle Künste und Wissenschaften studiert. Ich fürchte, ihre bissigen Kommentare werden uns hier nicht erspart bleiben.
„Wenn du schon unbedingt ein Bild von Jesus aufhängen willst, Alex, dann nimm doch eins, das zeigt, wie er wirklich aussah.“ –
„Du meinst wohl das Turiner Grabtuch oder das Muschelseidentuch von Manopello?“ –
„Unsinn. Ich meine etwas Wissenschaftliches. Die BBC hat doch sein Gesicht rekonstruiert.“
Alex, das bin ich: Dr. Alexander Adler, Dozent für Aramaistik. „Du meinst doch nicht etwa dieses knorzige Gesicht aus der BBC-Doku ‚Son of God’?“ –
„Doch“, sagt Liz, „genau das. Was gefällt dir daran nicht?“ –
„Weißt du, wie die von der BBC zu dem Gesicht gekommen sind? Die haben einfach einen x-beliebigen Schädel aus dem antiken Palästina in ihren Computer eingescannt und mit ihrem Dinosaurier-Programm weiterbearbeitet. Das ist so, wie wenn ein Archäologe in 2000 Jahren mit dem Schädel von Keith Richards die Physiognomie des Dalai Lama rekonstruieren wollte.“
Etwas Wissenschaftliches! Wissenschaft kann so einfach sein: Man blättert beim Friseur ein wenig in Bravo, Stern oder Focus, stößt dabei auf einen aufgedonnerten Neandertaler, dem die Bildbearbeiter ein Schildchen mit dem Namen Jesus umgehängt haben, und schon weiß man, wie Jesus ausgesehen hat.
Letzte Woche hat Liz einen Roman in einer Nacht verschlungen. Darin entdecken Archäologen ein Video, auf dem ein Zeitreisender mit einer Videokamera Jesus gefilmt hat. Endlich weiß man also, wie Jesus tatsächlich ausgesehen hat. Die katholische Kirche spielt dabei eine üble Rolle. Hohe Würdenträger versuchen mit Mafia-Methoden, an das Video heranzukommen, um es zu vernichten. Denn der Anblick des „real existierenden“ Jesus – so fürchten sie – würde ihre Schäfchen dermaßen desillusionieren, dass sie scharenweise aus der Kirche austräten.
„Mann Alex, wann liest du endlich mal das Jesus-Video.“ –
„Mir reicht schon der Klappentext, Liz.“ –
„Wieso?“ –
„Dass die Kirche sich noch mal so dumm anstellt wie damals, als sie die Naturwissenschaftler bekämpft hat, obwohl sie wusste, dass sie recht hatten – das kann mir keiner erzählen.“ –
„Warum denn nicht? Die würden eben alle Archäologen umbringen, die von dem Jesus-Video wissen. Dann würde es keiner merken.“ –
„Guten Morgen. Diese Sorte Politik hat die Kirche schon lange abgestellt.“ –
„Wer kann das schon so genau wissen. Aber egal. Für die Zeitreise fehlt dir sowieso die Fantasie.“
Wie bitte? Für eine Zeitreise fehlt mir die Fantasie? „Aber Liz, wieso denn? Ich habe doch selbst eine Zeitmaschine.“ –
„Ach ja? Du meinst, du hast eine Maschine, mit der man in die Vergangenheit reisen kann?“ –
„Das ist doch nichts Besonderes.“ –
„Und wo steht sie, deine Zeitmaschine?“ –
„In der Garage.“
Wir gehen in die Garage. „Und wo ist jetzt deine Zeitmaschine?“ – „In dem Käfer da.“ –
„Wenn das so ist, dann nimm mich doch mal mit auf eine Zeitreise.“ –
„Wohin willst du denn?“ – „In die Zeit Jesu.“ –
„Was willst du denn da? Lass uns lieber einen Trip in die 60er-Jahre machen. Da wissen die Leute wenigstens, wie man einen Lichtschalter anknipst. Mit den Menschen der Welt Jesu kannst du doch gar nichts anfangen. Du hast in deinem Leben schon so viel gehört, gelesen, geklickt, gezappt. Und die haben noch nicht einen einzigen Film gesehen. Wenn sie wenigstens ab und zu ins Theater gehen oder einen griechischen Schmöker lesen würden. Aber die meisten haben in ihrem Leben nur Bibel gelesen. Ihre heiligen Schriften bedeuten ihnen alles. Manche haben schon so oft darin gelesen, dass sie ganze Bücher auswendig hersagen können. Und du hast darin höchstens mal ein wenig geblättert. Worüber willst du denn mit solchen Leuten reden?“
Um das gleich richtig zu stellen: Auswendiglernen können die alten Schriften natürlich allenfalls die Männer (j62 395ff). Die meisten Frauen haben nie lesen gelernt. In wohlhabenden Familien kommt es immerhin vor, dass man den Mädchen ein wenig Griechisch und weltliche Allgemeinbildung mit auf den Weg gibt. Aber dass sich Frauen bibelkundig machen – das wird von den wenigsten Männern gern gesehen.
„Mann Alex, ich kenne doch die Geschichten von der Erschaffung der Welt und von Noah und Abraham und Mose und so weiter.“ –
„Ich rede doch nicht von der Teletubbie-Kinderbibel aus deinem Religionsunterricht. Euer Religionslehrer pickt sich die schönsten Geschichten aus der Bibel heraus und lässt alles weg, was euch seltsam vorkommen könnte. Aber genau diese seltsamen Sachen sind es, auf die sich die Leute stürzen, die du kennen lernen willst. Über was für skurrile Fragen die sich die Köpfe heiß diskutieren (bt 66f, 177)! Gibt es einen Unterschied zwischen Wohltätigkeit und Taten der Barmherzigkeit? Muss man beim Wallfahrtsfest sein Festopfer in Form von zwei Silberstücken entrichten, oder darf man stattdessen auch zwei Stück Vieh opfern? Darf man trotz des Bilderverbots in der Bibel bestimmte Bilder betrachten, und wenn ja, welche und in welchen Situationen? Das brennt den Leuten auf den Nägeln. Kannst du da mitreden? Interessiert dich das überhaupt?“
Wenn ich sie schon auf die Idee bringe, sich an einer toten Sprache zu versuchen, dann doch besser Latein. „Warum willst du eigentlich unbedingt nach Palästina reisen? Warum nicht nach Rom? Da gibt es wenigstens auch vor 2000 Jahren schon eine ordentliche Infrastruktur und etwas zu sehen. Stattdessen willst du in Dörfern herumstreichen, von denen man nicht weiß, ob sie vom nächsten Regenguss weggeschwemmt werden (bü 59).“ –
„Wir können gerne auch einen Abstecher nach Rom machen.“ –
„Einen Abstecher? Du müsstest dich schon entscheiden, Liz. In der Zeit Jesu gibt es nicht nur keine Flugzeuge, es fahren auch keine Passagierschiffe (tö 247ff.275ff). Wenn du von Palästina nach Rom reisen willst, wirst du dich mit einem Frachtschiff begnügen und deinen eigenen Proviant mitbringen müssen. Wie lange dein Proviant halten muss, weißt du vorher nicht, denn die Ankunftszeit ist vom Wind abhängig.“ –
„Gut, dann bleiben wir eben in Palästina. Erzähl mir nicht, dass es da nur Dörfer gibt. In Jerusalem steht ein prächtiger Tempel, den will ich sehen.“ –
„Der ist zur Zeit Jesu noch gar nicht fertig. Warum besuchst du ihn nicht ein paar Jahrzehnte später, sagen wir im Jahr 65? Da ist er nach etwa 85 Jahren Bauzeit endlich fertig, und es ist immerhin noch ein Jahr Zeit bis zum Krieg und fünf Jahre bis zu seiner Zerstörung. Aber auch dann bekommst du den Tempel nicht in seiner vollen Pracht zu sehen. Denn weiter als bis in den Vorhof der Heiden wirst du nicht vorgelassen.“
„Und wenn ich doch weitergehe?“ –
„Nun, das wäre eine gravierendere Angelegenheit als im Halteverbot zu parken. Was glaubst du, worauf zurzeit Jesu nicht alles die Todesstrafe steht. Du bleibst hier.“ –
„Jetzt musst du mich schon mitnehmen. Sonst glaube ich dir kein Wort mehr.“ –
„So eine riskante Reise macht man nicht, um seinem Patenonkel eins auszuwischen.“ –
„Ich würde wirklich gerne mal mit eigenen Augen sehen, ob das stimmt, was man sich so über Jesus erzählt. Weiß man eigentlich, in welchem Jahr genau er gekreuzigt wurde?“–
„Sicher sind sich die Bibelforscher nicht, aber das 16. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius könnte hinkommen.“ –
„Sehr witzig.“ –
„Pardon, ich meine das Passah im Jahr 3790 nach Erschaffung der Welt.“ –
„Und wann wurde die Welt erschaffen deiner Meinung nach?“ –
„Nicht meiner Meinung nach, sondern nach Überzeugung der Menschen, die du besuchen willst: vor ungefähr 5770 Jahren. Wenn du jetzt schon solche Probleme hast, eine einzige Jahreszahl zu verstehen, wie willst du dann in der Welt Jesu klarkommen mit der Umrechnung zwischen Denaren, Drachmen, Schekalum und Perutoth, zwischen Ellen, Stadien und Tefachim, zwischen Talenten und Minen und was es noch so alles gibt an Währungen, Maßen und Gewichten (tö 334ff)? Die würden dich ganz schön übers Ohr hauen!“