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IV. Methode im Plural

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Wenn ich von Methode im Plural spreche, so ist das natürlich einerseits eine Anspielung auf den Titel, den der vorliegende Band trägt, andererseits aber auch eine Selbstverständlichkeit: Wahrscheinlich mit allen Fächern, die gegenwärtig im Kanon europäischer Universitäten vertreten sind, teilt die Theaterwissenschaft die Annahme, dass es zur wissenschaftlichen Komplexitätsbewältigung nicht eine methodos ariste, nicht einen Königsweg gebe, unter anderem auch deswegen, weil das ,Wesen‘ oder der zentrale Gegenstand eines Fachs nicht mehr so eindeutig bestimmbar scheint, wie vor 100 Jahren: „Will die Theatergeschichte eine Wissenschaft werden, so muss sie ihre eigene Methode erhalten“,1 schrieb Max Herrmann zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an der Wiege einer akademischen Disziplin – und er schlug aus Gründen, die verschiedentlich erörtert worden sind, die Methode der „Rekonstruktion des verpassten Ereignisses“ vor.2 Noch bis in die 1940er Jahre konnte Artur Kutscher der Überzeugung sein, dass die Methode sich aus dem Gegenstand des Fachs zu definieren und dessen Ort im Kanon der akademischen Disziplinen zu bestimmen habe.3

Heute hält sich die Theaterwissenschaft ein breites und heterogenes Spektrum an Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Dass nicht mehr von einer Methode auszugehen ist, die ein fachliches Selbstverständnis oder eine akademische Disziplin konstituiere, hat seine Gründe sicherlich auch in einem Wissenschaftsverständnis, das spätestens mit Paul Feyerabends schon in ihrem Erscheinungsjahr 1970 vielbeachteter Streitschrift Against Method4 nicht nur die Methode in den Plural setzte, sondern das Primat des Methodischen als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit ganz generell zur Disposition stellte. Andererseits hat sie mit einer Debatte um den Gegenstand, seine mediale Spezifik und seine mediale Hybridität zu tun, die zur Diskussion um die Pluralität im Methodischen komplexe Beziehungen unterhält.

In der Theaterwissenschaft ist nicht allein eine Pluralität der Methoden, sondern auch eine Pluralität der Verständnisse von ‚Methode‘ zu beobachten. Der Begriff wird auf unterschiedlichen Ebenen zur Charakterisierung wissenschaftlicher Arbeitsweisen eingesetzt: Neben Methoden strukturaler Analyse stehen praxeologische Ansätze, phänomenologische Verfahren der Beobachtungseinstellung oder Formen digital gestützter Quellenerschließung – und alle heißen ‚Methode‘ mit jeweils gutem Grund. Entsprechend impliziert das vorgeschlagene rudimentäre und dabei integrativ gedachte Konzept des Methodischen nicht die festgelegte Reihenfolge von Analyseschritten, sondern geht, eben im Sinne eines dynamischen doing method, von der gegenseitigen Konturierung von operativer Grundhaltung, Beobachtungseinstellung und Gegenstand im Sinne eines Fließgleichgewichts aus.

Aus einer Vielfalt theoretischer Perspektiven und der Offenheit gegenüber transdisziplinärem Theorietransfer wäre noch keine spezifische Differenz der Theaterwissenschaft zu anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern zu konstruieren (wenngleich – möglicherweise – eine graduelle). Was sie jedoch – soweit ich das sehen kann – auszeichnet, ist ihr experimentell-exploratives Umgehen mit operativen Grundhaltungen, die dann wieder theorie- und methodenproduktiv sein können. Theaterwissenschaft ist eine lesende und schreibende Wissenschaft, schon dadurch, dass sie ihren Gegenstand oft retrospektiv generiert. Aber sie ist auch eine des körperlichen Nachvollzugs beschriebener oder der experimentellen Erzeugung zu beschreibender Abläufe – etwa, wenn sie sich auf dem Wege der experimentellen Rekonstruktion historischer Raum-Körper-Konstellationen ihre eigenen hybriden Quellen schafft.5 Methoden der Theaterpraxis können nicht nur Gegenstand der Analyse sein, sondern auch zu Modellen für wissenschaftliches Vorgehen werden. Dies evoziert aber auch die Frage danach, ob sich dieser zweifellos produktive Grenzverkehr, die produktive Durchdringung von wissenschaftlicher und künstlerischer Praxis, selbst als methodengeleitet beschreiben lässt.

Methoden der Theaterwissenschaft

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