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V. Trans- vs. Inter-Disziplinarität

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Dass Theaterwissenschaft auf verschiedenen Ebenen zur Ausweitung ihrer Grenzen und – so könnte man sagen – zur transdisziplinären Phagozytose tendiert, ist wahrhaftig keine neue Erkenntnis. Diese Tendenz hat zumindest zum Teil mit ihrem Gegenstand und dessen theoretischen Modellierungen zu tun – von der Polyfuktionalität und Mobilität der theatralischen Zeichen,1 von der je historisch, bedingt durch das spezifische Theatralitätsgefüge2 und seine theatralen Interaktionen,3 verschiedenen Faktur des Dispositivs Theater oder von der theoriehistorisch folgenreichen Annahme, Theater sei ein Hypermedium,4 – von diesen so unterschiedlichen Perspektiven auf das Gegenstandsfeld der Theaterwissenschaft ist an dieser Stelle kaum ausführlich zu handeln.

Doris Kolesch beschreibt die Theaterwissenschaft zu Recht als eine interdisziplinäre Wissenschaft, die – je nach Gegenstand und akutem Erkenntnisinteresse – als Kunst-, Medien- oder Kulturwissenschaft agiere und argumentiere;5 und schon einführende Standardwerke bestimmen das Fach als Grenzgänger an den Rändern der Disziplinen.6 Der methodische Status quo wird fachintern zumeist nicht als ein strukturiertes Feld passgenau sich ergänzender, je problembezogener Methoden wahrgenommen, und glücklicherweise auch nicht in erster Linie als eine Situation der Methodenkonkurrenz oder des Methodenstreits, sondern als ein Bündel von Perspektivierungsinstrumenten; und das stört in der täglichen Praxis von Forschung und Lehre auch nicht. Anders mag das gelegentlich für den fachexternen Beobachter aussehen, wenn er dem Fach vorwirft, ihm fehle seine originäre Methode; und insbesondere für die in vieler Hinsicht spezifische Textsorte des Drittmittelantrags können sich hier auch für das Fach selbst Probleme auftun. Der oftmals methodenproduktive heuristische Eklektizismus der Theaterwissenschaft in Terminologie und Theoriesprache führt bei den beliehenen Fächern bisweilen zu Irritationen. So etwa in der Diskussion des theaterwissenschaftlichen Performativitätsbegriffs, der sich bekanntlich bei der analytischen Sprachphilosophie bedient,7 aber auch beim Konzept des Embodiment und seinen kybernetischen Vorbedingungen.8 Insbesondere historisch begründete Implikationen philosophischer Grundlagenbegriffe spielen oft eine eher marginale Rolle für deren konkrete Verwendung. Das gilt etwa für den Begriff der Ästhetischen Erfahrung, der seine Vorgeschichte in der Philosophie des Deutschen Idealismus hat und der auch die Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägte, oder für den Ereignisbegriff, den die Theaterwissenschaft sehr viel pragmatischer setzt als zum Beispiel die philosophische Phänomenologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und auch sehr viel weniger formalistisch als etwa die Lotman’sche Kultursemiotik).

Mit zahlreichen Nachbarwissenschaften teilt das Fach dabei ein zentrales Merkmal, dem das plurale Spektrum nicht nur an Methoden, sondern auch an Methodologie zumindest zum Teil geschuldet scheint: Eine Vielfalt an prinzipiell verfügbaren, intradisziplinär erprobten und interdisziplinär vermittelbaren Theorieangeboten. Diese ermöglichen eine je spezifische Perspektive und müssen je gegenstandsorientiert angepasst werden, unterscheiden sich jedoch nicht so sehr darin, dass sie prinzipiell auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche bezogen sind. Und speziell in dieser Form der Pluralität als Multiperspektivität unterscheiden sich viele geistes- und kultur- und manche sozialwissenschaftliche Disziplinen wohl grundsätzlich von natur- und lebenswissenschaftlichen: Methodenvielfalt ist in Natur- und Lebenswissenschaften, mehr noch in anwendungsorientierter Forschung, etwa in den Ingenieurswissenschaften, prinzipiell einem distribuierten Arbeiten geschuldet, das der Notwendigkeit entspringt, zur Erreichung eines Forschungsziels hochspezialisierte Forscher*innen zu vernetzen.9 Als trans-theoretische und trans-methodische Kommunikationsebene bietet sich dabei eine hinreichend formalisierte Sprache an – sei es die einer mathesis universalis, sei es das Englische als Sprache der Präsentation von Spezialdiskursen, seien es die verschiedenen (nur scheinbar) aus sich selbst heraus evidenten bildgebenden Verfahren. Für Disziplinen hingegen, die Sprache als Erkenntnisinstrument nutzen (und das scheinen mir in erster Linie die zu sein, die sich als geistes- oder kulturwissenschaftlich verstehen), ist ein arbeitsteiliges Vorgehen in der Forschungspraxis weder immer wünschenswert, noch im strengen Sinne möglich.10

Wie ist nun vor dem Hintergrund dieser Überlegungen mit der zu konstatierenden Pluralität der theaterwissenschaftlichen Methoden umzugehen – im Sinne der Etablierung einer methodenübergreifenden Fachdebatte, die es erlaubt, das Methodische theaterwissenschaftlichen Arbeitens kommunizierbar zu halten, und die der fachlichen Selbstverständigung zuarbeiten könnte? Ich möchte einen Vorschlag machen für ein pragmatisches Umgehen mit innerdisziplinärer Methodenvielfalt, für die ich vorläufig drei Generierungsebenen ausmache: Wie skizziert, hat Methodenvielfalt – erstens – mit der großen Bereitschaft der Theaterwissenschaft zum interdisziplinären Dialog und zum Methodenimport zu tun. Plausibel ist es – zweitens – die Methodenvielfalt im Fach als eine Folge von dessen Theorienvielfalt zu verstehen. Drittens verlangen die unterschiedlichen medialen Dispositive, mit welchen man sich zu beschäftigen hat, je spezifische methodische Zugriffe: Denn Theater ist ja nicht nur selbst durch intermediale Prozesse gekennzeichnet, sondern es wird oft genug in mediatisierter Form – in seinen Dokumenten und Monumenten – zum Gegenstand der Forschung.11

Diese drei Generierungsebenen lassen sich in praxi schwer auseinanderhalten und sind in ständiger In- und Interferenz zu denken: Die Theaterwissenschaft bezog schon in ihrer Gründungsphase Anregungen aus Modellen und Methoden anderer Disziplinen und tut dies heute noch. Der Aspekt der medialen Diversität spielt für die Theaterwissenschaft eine besonders offensichtliche Rolle; denn über Theater nachzudenken ganz ohne über Medialität nachzudenken (oder zumindest implizite Konzepte des Medialen zu transportieren) ist kaum möglich.12 So könnte man sagen, dass die Methodenvielfalt der Theaterwissenschaft einerseits einer produktiven Diversität der operativen Grundhaltungen und Beobachtungseinstellungen geschuldet ist, andererseits aber auch der medialen Komplexität ihres Gegenstandsbereichs.

Wie mit Situationen methodischer Diversität in disziplinenübergreifenden Projekten umzugehen sei, darüber hat Jürgen Mittelstraß ausführlich nachgedacht. In einem Aufsatz zu „methodischer Transdisziplinarität“, der eine Synopse seiner früheren Überlegungen darstellt, hat er eine Verfahrensweise zur Erzeugung einer transdisziplinären Argumentationsebene entworfen.13 Dabei ist es ihm nicht um ein Theoriedesign zu tun, das auf der Ebene von Forschungsparadigmata anzusiedeln wäre, und schon gar nicht um eine Methode, sondern pragmatisch um

ein Forschungs- und Wissenschaftsprinzip […], das überall dort wirksam wird, wo eine allein fachliche oder disziplinäre Definition von Problemlagen und Problemlösungen nicht möglich ist bzw. über derartige Definitionen hinausgeführt wird.14

Als in diesem Sinne pragmatisches, „forschungsleitendes Prinzip“15 stelle Transdisziplinarität fachliche und disziplinäre Argumentationsstrukturen und Perspektivierungen dort zur Disposition, wo sie sich nicht vom Forschungsgegenstand her begründen ließen, sondern vielmehr historisch kontingenten Prozessen und Figurationen wissenschaftlicher Enkulturation geschuldet seien. Als Aufgabe methodischer Transdisziplinarität markiert Mittelstraß, dass diese Aufhebung selbst argumentativ erzeugt und auch durch transdisziplinäre Forschungsergebnisse gerechtfertigt wird.

Dass das Konzept der Transdisziplinarität, wie es Mittelstraß fasst, auf der Suche nach einer heuristischen Methodologie der Theaterwissenschaft nur bedingt sinnvoll ist, zeigt sich dann, wenn es um den Prozess der Erzeugung methodischer Transdisziplinarität und um ihr Ziel geht: „,Entdisziplinierung‘ im Argumentativen, Transdisziplinarität als argumentative Einheit.“ Mittelstraß konstatiert: „Die gesuchte Einheit […] [wird] über unterschiedliche Disziplinen hinweg und gleichzeitig durch diese hindurch argumentativ erzeugt.“16

Gerade eine solche argumentativ erzeugte Einheit ist aber nicht das Ziel geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung, der es nicht so sehr um Lösungen für Probleme, sondern um deren Perspektivierung und Diskussion geht und gehen muss; nicht um Komplexitätsreduktion also, sondern um Komplexitätssteigerung. Transdisziplinarität bedeutet in ihnen gerade nicht, sich über Forschungsergebnisse interdisziplinär auszutauschen, um dann mit neuen Erkenntnissen und angepassten Methoden in die eigene Disziplin zurückzukehren;17 ein Vorgehen, dass durchaus legitim sein kann und produktive, gar im Sinne einer heuristischen Veränderung der Beobachtungseinstellung einigermaßen bewusst herbeigeführte Miss- oder Neu-Verständnisse mit einschließt.18 Gerade dass unterschiedliche Erkenntniswege eben nicht in einem Konzept des Transdisziplinären aufgehen, macht einen Gutteil der spezifischen Form von Komplexitätssteigerung aus, die die Arbeit der Kultur- und Geisteswissenschaften kennzeichnet. Methodendialog – sei er ein innerdisziplinärer, sei es einer, der sich nach außen öffnet – hat dann gerade den Zwischenraum der Methoden als Diskussions- und Begegnungsraum zu erhalten und sich über die Heterogenität des (freilich weniger modischen) ‚Inter‘ zu definieren, denn über eine Behauptung des immer konsistenten, konsensuellen ,Trans‘.

Was kann sich daraus nun für die Theaterwissenschaft oder generell: für die ‚Kleinen Fächer‘ ergeben? – Zunächst ein Bekenntnis zur Pluralität nicht nur von Methoden, Modellen und Theorien, sondern v.a. auch von Methodologien und ihre Diskussion im Fach und über Fächergrenzen hinweg. Die Bereitschaft zum produktiven Widerstreit mit Positionen, die aus der eigenen Perspektive zunächst vielleicht nicht ‚theaterwissenschaftlich‘ sind. Die Identifikation von ‚Schulen‘ und ihre Öffnung. Für die hier in Rede stehende Trans-Methodologie geht es freilich um einen innerdisziplinären Prozess der Verständigung, der Prozesse explizit macht, die oftmals implizit ablaufen (und damit störanfällig sind). Im Grunde können wir ja bei aller Differenz – vielleicht glücklicherweise – in einem eher agonistischen denn konsensuellen Modus ganz gut miteinander reden.

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