Читать книгу Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов - Страница 7

Aufführungs- und Inszenierungsanalyse

Оглавление

Die Fixierung der Theaterwissenschaft auf die Aufführungsanalyse bringt ein weiteres Problem mit sich, nämlich die Verwechselung bzw. Verunklarung von Methode und Gegenstand. Wenn der Forschungsgegenstand eine oder mehrere Aufführungen bzw. die Regiearbeiten eines Regisseurs bzw. einer Regisseurin sind, so ist es fast tautologisch, dass zur Analyse dieser ‚Theaterkunstwerke‘ die Aufführungsanalyse eingesetzt wird. Der vorliegende Band macht nun deutlich, dass die Aufführungsanalyse selbst nicht mehr auf eine einzelne, klar umrissene Vorgehensweise reduziert werden kann, sondern dass sie sich inzwischen in verschiedenen Ansätzen ausdifferenziert hat. Das ist kein Defizit, sondern ein normaler Vorgang des wissenschaftlichen Fortschritts, der mit Wissensakkumulation und Komplexitätsbewältigung einhergeht. Zwischen der Erstveröffentlichung des dritten Bandes der Theatersemiotik von Erika Fischer-Lichte 1983, Die Aufführung als Text, wo ein äußerst komplexes, an die Textsemiotik von Algirdas Julien Greimas und Juri M. Lotman angelehntes System umrissen wurde, und der von Jens Roselt und Christel Weiler 2017 vorgelegten Aufführungsanalyse: Eine Einführung liegen nun über drei Jahrzehnte. Dazwischen liegt Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen (2004) eine theoretische und inhaltliche Neubestimmung des Aufführungsbegriffs, die nun den theaterwissenschaftlichen Gegenstandsbereich erheblich erweitert, um der Performance-Kunst und den diversen Strömungen des postdramatischen Theaters gerecht zu werden. Auf theoretischer Ebene ist die Ergänzung der Semiotik durch die Phänomenologie die signifikanteste Neuerung, die insofern methodologische Implikationen aufwirft, als die subjektive Erfahrung des/r Zuschauers*in bzw. Wissenschaftlers*in nun affirmativ beglaubigt wird. Hier wird auch die Bedingung der leiblichen Ko-Präsenz von Akteur*innen und Zuschauer*innen für jede Art von Aufführung festgeschrieben.

Trotz der zentralen Stellung, die Aufführungsanalyse in der Lehre einnimmt, vor allem im Propädeutikum, konstatiert Matthias Warstat in seinem Beitrag, dass die Aufführungsanalyse paradoxerweise in der „theaterwissenschaftlichen Forschungsliteratur […] eher ein Schattendasein“ führe. Dies hänge vor allem damit zusammen, dass „Theateraufführungen der Gegenwart in Monographien und Aufsätzen [selten] so detailliert beschrieben und untersucht [werden], dass das aufführungsanalytische Vorgehen tatsächlich im Einzelnen transparent wird.“ Die Aufführungsanalyse hat sich jedoch inzwischen von ihrer rein semiotischen Dependenz emanzipiert und weitere theoretische und methodische Ansätze integriert, die im vorliegenden Band von der Phänomenologie (Clemens Risi und Alexander Jacob) über ethnographisch geprägte teilnehmende Beobachtung (Jens Roselt) bis hin zur Akteur-Netzwerk-Theorie (Wolf Dieter Ernst) reichen und in das Feld der Bewegungsanalyse vordringen (Katja Schneider), aber auch die Frage nach Szenographie stellen (Birgit Wiens) und der Bedeutung von Theatermusik als Ansatzpunkt für prozess-, produktions- bzw. rezeptionsästhetische Untersuchungen nachgehen (David Roesner). Neben dem von Warstat konstatierten „Subjektivismus-Problem“ zeichnet sich die Aufführungsanalyse vor allem durch ihre methodische Vielfalt und Fähigkeit aus, andere Ansätze zu absorbieren. Es sind jedoch vor allem die eher sozialwissenschaftlich geprägten Ansätze, die die wichtigsten Ergänzungen zur eher ‚klassisch‘ semiotisch-phänomenologisch grundierten Aufführungsanalyse markieren. Auch die Theaterwissenschaft befindet sich in einem social turn, in dem weniger das Theaterkunstwerk in seiner splendid isolation den zentralen Forschungsgegenstand bildet als vielmehr Theater in seiner komplexen gesellschaftlichen, politischen und institutionellen Relationalität. 1 Aufführungen, die auf keiner Bühne mehr stattfinden, sondern in der Stadt ein partizipatives Erlebnis organisieren, lassen sich genauer mit den Methoden der teilnehmenden Beobachtung als mit der Zeichenlehre erfassen (auch wenn Zeichen immer im Spiel sind). Der social turn lässt sich ebenfalls auf den theatralen Produktionsprozess selbst anwenden, der im Beitrag von Jens Roselt zur „Probe als Aufführung“ deutlich wird. Die Probe wird für die/den teilnehmend beobachtende/n Theaterwissenschaftler*in zu einer Aufführung ohne formales Publikum, wo aber „permanent Zuschausituationen hervorgebracht werden.“ Die Interaktionen auf der Probebühne im Stadt- und Staatstheater mit ihren immer noch anzutreffenden hierarchischen Strukturen vom Regisseur*in über die Schauspieler*innen und Regieassistent*innen bis hin zu Kaffee kochenden Hospitant*innen bilden einen gesellschaftlichen Mikrokosmos ab, der vor allem eine ethnographisch-soziologische Analyse verlangt. Dies gilt ebenfalls für die kollaborativ-kollektiven Arbeitsweisen der Freien Szene, die einen gesellschaftlichen Habitus des Egalitären demonstrativ als Legitimationsdiskurs nach Außen tragen.

Die Erweiterung des Aufführungsbegriffs über den klar umrissenen raumzeitlichen Rahmen zwischen Vorhang auf und Schlussapplaus schlägt sich im Beitrag von Gerald Siegmund und Lorenz Aggermann nieder „Von der Aufführung zum Dispositiv“. Mit dem Begriff des Dispositivs, der nach Michel Foucault im weitesten Sinne ein Ensemble von Elementen mit ordnender Kraft meint, lässt sich die Aufführung als eine besondere Anordnung von heterogenen Elementen, als eine je spezifische Materialisation des aktuellen Theaterdispositivs begreifen. Nach dieser Lesart wäre Regietheater ein eigenes Dispositiv (mit bereits absehbarem Ablaufdatum?) und dessen Aufführungen wären vor dem Hintergrund dieser je besonderen Anordnung von Elementen zu untersuchen. Methodisch hat dies zur Folge, dass das analytische Spektrum erheblich erweitert wird: Theater als Dispositiv zu betrachten, bedeutet, es in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktions- wie der Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materiell-technischen Praktiken zu beschreiben, und jene Momente der Dysfunktion oder Fiktion, die im Rahmen der Materialisation evident werden, als jene raren Momente zu verstehen, an welchen ein Dispositiv sinnlich erfahrbar wird.

Wenn man diese Dimensionen genauer betrachtet, so wird deutlich, dass sie unterschiedliche analytische Methoden verlangen: Fragen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen können nicht mit den gleichen Methoden untersucht werden wie Rezeptionsverhältnisse.

Methoden der Theaterwissenschaft

Подняться наверх