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Blumige Frauenproteste als Event

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Nachdem in Belarus der Internetzugang wieder funktionierte und die ersten Festgenommenen freigelassen worden waren, füllten sich die sozialen Netzwerke mit Fotos der Gefolterten. Die Viktimisierung der Geschädigten bei gleichzeitiger Abwesenheit funktionierender rechtlicher Mechanismen zur Feststellung und Untersuchung des Geschehenen vereinte sich organisch mit vereinfachten, psychologisierten Erklärungen der Brutalität der Sicherheitskräfte („Zombiefizierung“) oder dem Erstaunen angesichts der Grausamkeit, die der belarusischen Mentalität fremd sei. Es gab genügend Beweise für Brutalität, um das Regime und Lukaschenko persönlich zu delegitimieren, allerdings zu wenige, um die Ursprünge und Folgen dieser Willkürakte vollständig zu erfassen.

An dieser Stelle möchte ich ein Interview mit einer Eventmanagerin erwähnen, die kurzzeitig aus Moskau nach Minsk zurückgekehrt war, da ihre „emotionale Verfassung sie zum Handeln gezwungen hatte“ und sie ihrem Heimatland helfen wollte. Inzwischen ist ihr Text „Wie die Frauenproteste in Belarus konzipiert wurden: ‚Ich verstand die Opposition als Kunden, die Menschen als Teilnehmende‘“ aus Sicherheitsgründen aus dem Internet entfernt worden (für die Organisation unerlaubter Aktionen drohen in Belarus Haftstrafen). In diesem Text war zu lesen: „Ich glaube an die weibliche Kraft, besonders wenn die Einheit auf Taten beruht, auf einem großen und hehren Ziel. Es wäre auch eine Sünde gewesen, die patriarchalische Haltung in den Köpfen der belarusischen Sicherheitsbeamten nicht auszunutzen.“

Die Eventmanagerin glaubte daran, dass es ungefährlich sei, Aktionen ausschließlich mit Frauen durchzuführen. Die Berichterstattung in Guardian (inklusive Coverbild), New York Times und BBC über „unsere Frauen in Weiß“ schien ein „richtiger Akzent“ zu sein. Doch die Eroberung der Schlagzeilen ist kein politischer Sieg. Mehr noch, die Frauen wurden zielgerichtet „vereint“, um die Opposition zu motivieren und Hoffnung zu generieren, wobei „die Opposition“ der Kunde war. Die Idee, mit Genderstereotypen und -rollen zu spielen, bildete die Grundlage für die Wiegenlied-Performance auf dem Siegesplatz: Frauen in weißen Kleidern, barfuß, mit Blumen, schön und lächelnd singen ein Wiegenlied, „schläfern das Regime ein“. Ein solches Heldinnen-Opfer-Pathos, besonders auf der Ebene von Massenaktionen, trägt wohl kaum zur Stärkung frauenspezifischer Inhalte bei, zumal sich die Ressource der Solidarisierung anschließend nur schwer in eine eigene Erzählung ummünzen lässt. Das Problem ist eine fehlende längerfristige Selbstorganisation, da die Förderung der Selbstorganisation von Frauen bislang gar nicht das Ziel war. Wichtig war ausschließlich, die „Teilnahme an den Aktionen zu erhöhen“, nachdem es massenhaft Festnahmen gegeben hatte.

Es ist wichtig zu bemerken, dass am 12. August auch spontane Frauenmenschenketten an verschiedenen Orten in Minsk und in den Regionen auftauchten. Auch dort gab es viel Verzweiflung ohne konkretes Marketingkonzept à la „Schönheit wird die Welt retten!“ Dieser Protest war von Beginn an ungesteuert. Eine solche Spontaneität hat ihre starken und schwachen Seiten. Und die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass ein spontaner Protest auch zermürbend sein kann.

Die Frage jedoch, welche Möglichkeiten Frauen im modernen Belarus haben, ihre eigenen Ziele und Geschichten zu erarbeiten, sie kundzutun und beim politischen Übergang zur ersehnten demokratischen Transformation als selbständige Subjekte in Erscheinung zu treten, bleibt unbeantwortet. Und es ist unklar, wie lange offen sexistische Projekte gesellschaftlich noch anerkannt bleiben werden, wie zum Beispiel Plakate in der Minsker Metro mit Texten wie „Belarusische Mädels – ihr seid unsere Blumen des Sieges“. Die Mädels werden nie als politische Subjekte anerkannt, solange sie für jemanden „Blumen“ darstellen. Komplimente solcher Art an die „weiblichen Gesichter“ der belarusischen Revolution unterscheiden sich in keiner Weise von den Aussagen des amtierenden Präsidenten. Schon seit vielen Jahren wird den Frauen die immer gleiche Botschaft vermittelt: „Ihr seid unsere Kraft und unser Mut, unser Glück und unser Seelenfrieden, unsere Freude und Inspiration.“ Mansplaining ist in Belarus weit verbreitet, und dieser herablassende Kommunikationsstil drückt die bestehende Asymmetrie aus, die den Männern Vorrang und Führungsrolle zuschreibt.

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