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EIN AUFSTAND DER FRAUEN

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Vorbemerkung

Seit den gefälschten Wahlen in Belarus am 9. August 2020 bis zu dem Tag, an dem dieses Buch in den Druck geht, dem 3. November, sind 86 Tage vergangen. In dieser Zeit gab es Proteste und Demonstrationen in Minsk, in Homieĺ, in Brest, in Hrodna, in vielen Städten von Belarus. Zehntausende, Hunderttausende waren und sind auf den Straßen und Plätzen, Tausende wurden von OMON-Schlägern aufgegriffen, in anonymen Transportern verschleppt, in überfüllte Zellen gesteckt. Brutale Schläge, unzählige Verletzte, eine unbekannte Zahl von Verschwundenen, mindestens vier Tote unter den Protestierenden bis zu diesem Datum – das Regime wehrt sich mit seinen Mitteln.

Und es wird der Lage nicht mehr Herr. In Belarus ist eine ganze Gesellschaft erwacht und will keine Ruhe mehr geben.

Die Revolution in Belarus hat viele Gesichter. Die Proteste gegen die offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahlen werden von Menschen aller Schichten getragen – Arbeiter, Rentnerinnen, Kulturschaffende, IT-Fachleute, Studierende – alle gehen sie auf die Straße. Die Bilder in Weiß gekleideter Frauen mit Blumen vor bewaffneten schwarz vermummten „Sicherheitskräften“ gingen um die Welt, und sie sind eindrucksvoll.

Der Eindruck ist nicht falsch: Der Aufstand im Land ist ein Aufstand der Frauen, wenn auch nicht allein der Frauen. Aber was genau ist das „weibliche Gesicht“ der Revolution: eine reale Kraft, ein medialer Effekt? Kitsch mit weiterhin patriarchalem Unterbau oder zukunftsweisende Dynamik des gesellschaftlichen Umbaus?

Mancher tut sich schwer, den Aufstand der Frauen ernst zu nehmen – ist er doch eine durch und durch moderne Umwidmung des Begriffs der Revolution. Und er ist auf noch zu erkundende Weise eine Neufassung des Feminismus – ohne dass wir es mit spezifisch feministischen Aktionen zu tun hätten.

Auch Jeanne d’Arc ist nicht allein in ihrer Rüstung in die Schlacht gezogen, es wird manchen armen Hund gegeben haben, manchen Jean ohne Namen, der geblutet hat. Aber jeder Umbruch findet sein eigenes Bild. In Belarus prägen dieses Bild die Frauen. Wie lässt sich ihre Selbstermächtigung erklären? Und was geschieht mit einer Gesellschaft, die in ihrer Suche nach einem neuen Selbstverständnis aus einer langen Passivität erwacht ist?

Niemand kann sagen, was sein wird, wenn dieses Buch fertig gedruckt ist und gelesen wird, ob die friedfertige Revolution in Belarus sich – wie auch immer – durchsetzt; ob das Regime noch brutaler zuschlägt und ein Blutbad anrichtet; ob der mächtige Nachbar im Kreml eine Entscheidung nach seiner Façon herbeiführt. Was man aber bereits heute sagen kann: Der Aufstand hat das Land verändert in einer Weise, die kaum jemand erwartet hatte – und die sich nicht mehr rückgängig machen lässt.

Wir versammeln hier vielstimmige Texte, die helfen sollen, das Geschehen in Belarus nachzuvollziehen und in einen breiteren Kontext zu stellen. Unsere Autorinnen gehen auf historische Hintergründe ein, auf Symbole, Chiffren und Klänge der Revolution, auf Repressalien und zivile Selbstorganisation, auf Frauenbilder, Partisaninnen und kollektive Traumata, auf wirtschaftliche Aspekte, auf die Rolle Russlands und Europas.

Befragt nach seinen Leseempfehlungen für ein besseres Verständnis des aktuellen Geschehens in Belarus, sagte der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan: „Vielleicht ist es in dieser Situation am besten, nicht die Experten und die Politologen zu lesen, sondern die Leute, die direkt an den Ereignissen teilnehmen. Das sind äußerst subjektive, dafür maximal offenherzige Berichte, und ich denke, dass sie die jetzige Situation in Belarus am genauesten charakterisieren.“

Diesem Rat wird vielleicht die Sammlung chronologisch geordneter Stimmen ganz unterschiedlicher Akteurinnen gerecht, die wir hier präsentieren. Wir entnehmen sie der Facebook-Seite Stimmen aus Belarus, die viele unmittelbare Äußerungen gesammelt und auf Deutsch veröffentlicht hat. Dazu kommen eine Chronik der Ereignisse sowie Dokumente, die uns für das Verständnis des Geschehens wichtig erscheinen und, nicht weniger wichtig, Gedichte. Dieses Buch ist Geschichtsschreibung des Augenblicks.

Die Herausgeber*innen

BELARUS!

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