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3.1.2.1 Marktlogik

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Charakteristisch ist das Vordringen zum einen des Prinzips „schneller ist besser“ sowie eines Rationalisierungsimperativs, der darin besteht, bereits reduzierte Aufwandszeiten im unendlichen Regress weiter und weiter zu reduzieren; ich habe diesen als das Prinzip der „infinitesimalen Verwendungslogik der Zeit“22 bezeichnet. Dieser Mechanismus hat tendenziell die Wirkung, die Rechtfertigungsordnungen der alten, vormodernen Gesellschaftsformationen, repräsentiert durch politische Herrscher oder dominante religiöse Institutionen und deren Weltsichten, zu de-legitimieren: Die Marktlogik und ihre zeitlichen Implikationen hinterlassen auf längere Sicht einen Bedeutungs- und Machtverlust des Politischen und des Religiösen. In dem Ausmaß, wie sie von Modernisierungsprozessen erfasst worden sind, strukturieren nun anstelle autokratischer Herrscher/innen und ihres Machtapparates anonyme, aber nicht weniger unabweisbare, abstrakte Wirkmechanismen die Zeiten der Gesellschaft. An die Stelle der Hegemonie eines oder mehrerer handelnder personaler Subjekte und der ihnen unterworfenen Institutionen treten nun die stummen Handlungs-Logiken der gesellschaftlichen Teil-Systeme Wirtschaft und Technologie. Die Zeiten des Marktes bzw. die hiermit ausgelöste Verwendungslogik der Zeit – dass nämlich komparativ zu Wettbewerbern längere Aufwandszeiten zu vermeiden sind, weil sie zu suboptimalen wirtschaftlichen Ergebnissen führen – können, anders als etwa Kalenderzeiten, also nicht mehr politisch gesteuert werden.

Vielmehr entstehen die Zeiten des Marktes in Selbstorganisation, das heißt in Form einer nicht von den Teilnehmenden an Marktprozessen zuvor abgesprochenen Institutionalisierung von Regeln, darunter auch zeitlichen. Gleichwohl benötigt auch die marktlogische Form in den Kommunikationsprozessen und die hieraus entstehende Zeitstrukturierung einer Gesellschaft, bis hinein in die kleinen Teilsysteme, eine dahinterstehende Rechtfertigungsordnung. Diese speist sich im Wesentlichen aus erstens dem Narrativ relativen gegenseitigen Nutzens der an einer derartigen ökonomischen Kommunikation teilnehmenden Subjekte; wie es u. a. von den Klassikern der Politischen Ökonomie, A. Smith und D. Ricardo, theoretisch verdichtet worden ist. Zweitens ist damit die Behauptung der maximal sparsamen Verwendung knapper Ressourcen verbunden (effiziente Allokation) sowie drittens das Versprechen einer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch freien Gesellschaft. Darüber hinaus wird, vermittelt über die anderen Punkte, dem Markt als denkbar bestes Instrument des Ausgleichs unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Interessen, eine friedensstiftende Funktion zugeschrieben – innerhalb eines Gemeinwesens ebenso wie im internationalen Warenaustausch. Damit kann das Prinzip der optimalen wirtschaftlichen Nutzung der Zeit als sinn-freies Regelwerk wirtschaftlichen Austausches seine hegemoniale Stellung begründen, womit Zeitökonomie nun, außer auf dem Feld wirtschaftlicher Interaktion, generell in Konkurrenz zu den sinn-haltigen Strukturbildnern Politik und Religion tritt, welche die vorangegangenen Epochen bestimmt hatten.23

Konkrete Akteure gesellschaftlicher Zeitstrukturierung werden mit der Durchsetzung kapitalistisch-marktwirtschaftlicher Strukturen in der Moderne zunehmend vor allem Wirtschaftsunternehmen und, seit ihrem Erstarken Ende des 19. Jahrhunderts, die Organisationen der Arbeiterbewegung bzw. Arbeitnehmervertretungen. Ihre Verhandlungsergebnisse bilden die jeweils möglichen zeitlichen Kompromisse eines historischen Zeitabschnitts zwischen dem Anspruch der Ökonomie und dem Anspruch des Humanums ab. Wobei Letzteres über die bloße Wiederherstellung der Arbeitskraft hinausweist und die gerechte Teilhabe am erreichten Wohlstandsniveau der Gesellschaft einschließt – hier, in der zeitlichen Dimension, in Form von „Zeitwohlstand“.24 Damit prägen die Tarifparteien wie niemand anderer die zeitliche Struktur der modernen Gesellschaft im Tages-, Wochen- und Jahresverlauf. Andere Teilsysteme, wie etwa die Verkehrsinfrastruktur, richten sich danach aus. Bestehende Strukturen stehen jedoch stets unter Veränderungsdruck: Sowohl infolge technischen Wandels als auch wirtschaftlicher Einzelinteressen lässt sich seit Beginn der Industrialisierung bis in die Gegenwart hinein die Tendenz beobachten, zeitliche Regularien wo immer möglich wieder zugunsten der Anpassung an die im Marktmechanismus inkarnierte Zeitlogik zu revidieren, etwa wenn es um Aufweichung des Sonntagsruhegebots geht.25

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