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3.1.3 Der nachmodern-personale Strukturierungsmodus

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Von Emile Durkheim ebenso wie von späteren Theoretikern der Moderne zunächst nur theoretisch-konzeptionell als herausragendes Kennzeichen einer kommenden Epoche behauptet,34 ist die Individualisierung und Fokussierung auf das Subjekt als Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen Selbstverständnisses westlicher Gesellschaften35 seit den 1980er-Jahren zunehmend Wirklichkeit geworden36 und hat damit auch das Verhältnis der Menschen zum Phänomen Zeit stark verändert. Zeit wird nun emphatisch als „eigene Zeit“ verstanden, das heißt als persönlicher Besitz und individuelles Verfügungsgut, mit dem jedes Individuum von Natur aus ausgestattet ist. Die hiermit einhergehende Veränderung der Entstehungsbedingungen von Zeitordnungen, das heißt der zeitlichen Normen und Regularien, welche die zeitliche Beschaffenheit einer Gesellschaft prägen, kann man auf den Begriff eines nachmodern-personalen Strukturierungsmodus bringen. Mit anderen Worten zieht der enorme Zuwachs der Bedeutung der Person in der Weltsicht der Menschen, nicht nur in der westlichen Welt37, eine tiefgreifende Veränderung der politischen, wirtschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen und religiösen Bedingungen nach sich, aus denen heraus Strukturierungsprozesse von Zeit abzuleiten wären. Mit Forst38 würde man in diesem Zusammenhang – wie schon beim Umbruch vom ersten zum zweiten Zeitstrukturierungsmodus – von einem Wandel der Rechtfertigungsordnung sprechen, mit Foucault möglicherweise von einer Neuformierung des strukturbildenden gesellschaftlichen Machtdispositivs.39

In einem sozialen Gebilde mit erheblich erweiterten individuellen Handlungsspielräumen bestimmen nun – da jedem Handeln stets eine zeitliche Dimension innewohnt – die ungezählten Einzelentscheidungen der Menschen wesentlich mit darüber, wie sich Zeitnormen und Zeitstrukturen entwickeln, vor allem wenn sie zu Zeit-Routinen oder gar zu Zeit-Institutionen werden. Auch wenn im Alltagshandeln zwischen Beruf und Familie ebenso wie in Bezug auf die großen Dinge des Lebens, etwa auf die individuellen und kollektiven Erwartungen an die Zukunft40 den meisten Menschen dies nicht bewusst ist, stricken sie zumindest auf bestimmten Handlungsfeldern außerhalb des direkten wirtschaftlichen oder staatlichen Zugriffs (s. o.) in bedeutendem Umfang selbst an der Zeitordnung mit, in der sie leben. Markantes Beispiel hierfür ist, wie seit der Verbreitung des Smartphones durch das Zutun aller Beteiligter Dauer, Reaktionsgeschwindigkeit und andere zeitliche Standards der digitalen Kommunikation im täglichen Vollzug neu ausgehandelt worden sind: Mit dem Streben nach einer möglichst hohen Reaktionsgeschwindigkeit setzen sich, dem verbreiteten Ruf nach Entschleunigung zum Trotz, die Individuen zum Teil selbst gewaltig unter Druck.

Die gleichzeitige Zeitstrukturierung durch marktliche und technologische Treiber einerseits und individuelle Zeitpräferenzen andererseits beinhalten, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, nun jedoch keinen Widerspruch, da, wie eingangs gezeigt, die vorangegangenen Strukturierungsmodi gesellschaftlicher Zeitordnungen nicht einfach mit dem Aufkommen neuer verschwinden. Wenn auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung stark eingeschränkt, kämpfen sie bildlich gesprochen in Übergangsphasen um die Hegemonie in gesellschaftlichen Teilsystemen wie auch der Gesellschaft insgesamt. In einer solchen Phase des Umbruchs scheinen wir uns gegenwärtig wieder zu befinden. Dafür sprechen die seit Jahrzehnten anhaltenden Forderungen nach mehr zeitlicher Autonomie und Mitbestimmung, vor allem im Verhältnis Arbeit – Freizeit.41 Schon Mitte der 1970er-Jahre wurde erstmals das Konzept „Zeitsouveränität“42 diskutiert, das als den eigentlich legitimen Gestalter von Zeit im Verhältnis Arbeit – Freizeit das Individuum sieht. Später hat Mückenberger43 diesen Gedanken mit der Propagierung eines „Rechts auf eigene Zeit“, das alle Lebensbereiche umfassen soll, weiter zugespitzt. In anderer Weise offenbart sich das Ringen um Geltungsansprüche zwischen den unterschiedlichen Zeitstrukturierungsmodi bzw. zwischen den darin enthaltenen Zeitlogiken wie erwähnt im Jahrzehnte währenden Kampf um den Erhalt des freien Wochenendes und darin besonders der Sonntagsruhe.44

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