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4.3.1 Gesprochene Sprache

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Situationelles Code-Switching in der gesprochenen Sprache

Innerhalb der Minderheit wird situationelles Code-Switching sowohl durch die Personenkonstellationen als auch durch den äußeren Rahmen bedingt. Das betrifft zum einen die Frage, welche Sprachen die Beteiligten beherrschen und welche Sprache(n) sie üblicherweise wählen; zum anderen spielt es eine Rolle, an welchem Ort oder in welcher Umgebung der Dialog oder Monolog stattfindet. Dabei ist es nicht der Ort als solches, der den Ausschlag gibt, sondern die Sprachwahlnormen, die im betreffenden Zusammenhang dominieren. Im Umfeld der Minderheit gibt es einige Orte, an denen erwartet wird, dass man Dänisch spricht, während an anderen Orten die Sprachwahl eine untergeordnete Rolle spielt.

Sind in einem Gespräch sowohl dänisch-deutsch Bilinguale als auch monolingual Deutschsprechende anwesend, kann die Sprache der Monolingualen gewählt werden. Wenn diese Sprachwahl jedoch einen Konflikt mit den situations- und ortsbezogen geltenden sprachlichen Normen verursacht, können die Bilingualen im Gespräch miteinander die verlangte Sprache wählen und für das Gespräch mit den Monolingualen die Sprache wechseln. Dies kann in Form einer Übersetzung geschehen, so dass den Monolingualen die Möglichkeit gegeben wird, dem Gespräch zu folgen, oder in Form eines unmittelbaren Dialogs mit ihnen. Sofern keine Übersetzung angeboten wird, führt dies zum Ausschluss der Monolingualen aus der Gesprächsteilnahme, doch das kommt nur dort vor, wo die Normideale hinsichtlich der Sprachwahl größeres Gewicht haben als die Berücksichtigung der monolingualen Gesprächsteilnehmer. D.h., dass in diesem Fall eine Sprachwahl vorgenommen wird, die die Bedürfnisse der Gesprächsteilnehmer nicht berücksichtigt; damit wird eine Entscheidung gegen das ethische Prinzip getroffen.

Ebenso wie auf individueller Ebene findet auch auf kollektiver Ebene eine Abwägung statt, welche Sprache die jeweils angemessene ist. Dies betrifft Besprechungen, Versammlungen u.Ä. im Kontext der Minderheit, bei denen eine größere Gruppe angesprochen wird. Für solche Situationen existieren keine festen Regeln in Bezug darauf, ob mehr Rücksicht auf die Normideale oder auf die anwesenden TeilnehmerInnen genommen wird. Die Entscheidung wird offenbar meistens von den Einflussreichsten unter den Anwesenden getroffen; das entspricht dem, was Boyd (1985) als das Machtprinzip der Sprachwahl bezeichnet. Die Wahl kann auf eine der Sprachen oder auch auf den Wechsel zwischen den Sprachen fallen.

Sind jedoch eingeladene Gäste anwesend, die nicht der Minderheit angehören und kein Dänisch sprechen, ist es unter allen Umständen legitim, von Dänisch in die Sprache der Gäste zu wechseln. D. h., in diesen Kontexten gilt nicht das Dänische als einzige Norm; hier herrscht das ethische Prinzip vor.

Gibt es TeilnehmerInnen, die der Minderheit angehören, jedoch kein Dänisch beherrschen, kann es dennoch vorkommen, dass Dänisch als Normideal im Vordergrund steht, ohne dass in die andere Sprache gewechselt wird. Das kann bei Elternabenden u.ä. Veranstaltungen im schulischen Zusammenhang der Fall sein, während bei gleichen Gelegenheiten an anderen Orten (z.B. bei einem Elternabend an einer anderen Schule) der Sprachwechsel legitim ist. Die gleiche Bandbreite an Sprachwahlentscheidungen findet sich im Zusammenhang mit dem Sport. Bei einer Vereinsversammlung kann zum Beispiel 65-mal zwischen Dänisch und Deutsch gewechselt werden, während in einem anderen Sportverein nur Dänisch gesprochen wird. Dies kann zur Folge haben, dass die monolingual deutschsprechenden Mitglieder aus dem Verein austreten.

Situationelles Code-Switching tritt auch auf, wenn der Dialog sich von einer formellen Situation mit öffentlichem Charakter in eine informelle und stärker privat geprägte Situation verlagert. In einem Minderheitskontext können zum Beispiel zwei KollegInnen während der Arbeit im Büro Dänisch miteinander sprechen; das ist die Norm. Sie sprechen auch auf dem Weg zur Kantine oder Cafeteria miteinander Dänisch, doch wenn sie dort sind, wechseln sie zu Deutsch; nun ist das Gespräch privat. Dieser Wechsel findet nicht aufgrund eines Themenwechsels statt, sondern weil sich der Rahmen geändert hat. Er wird nun als privat wahrgenommen. Beide sprechen Deutsch als Erst- und Familiensprache und verwenden daher im privaten Umfeld Deutsch. Wenn weitere Gesprächsteilnehmer hinzukommen, wechseln sie ggf. wieder zu Dänisch, da sich der Gesprächsraum dadurch von privat zu öffentlich ändert und von einer vollständig informellen zu einer stärker formellen Situation wechselt.

Wenn die Teilnehmer einer Besprechung oder Sitzung von den offiziellen Tagesordnungspunkten zum Kaffee übergehen und dabei evtl. auch den Ort wechseln, kann man in gleicher Weise eine Reihe von Sprachwechseln von Dänisch zu Deutsch beobachten, die als situationelles Code-Switching zu kategorisieren sind.

Code-Switching und Sprachwechsel in der Schule

Code-Switching und Sprachwechsel unter Kindern in der Schule ist von einer Reihe äußerer Faktoren abhängig. Wenn der lehrergesteuerte dänischsprachige Unterricht den Rahmen bildet, tritt weniger Code-Switching auf als während einer Gruppenarbeit mit Dänisch als Zielsprache, wenn Dänisch die Minderheitszweitsprache der beteiligten Kinder ist. Hier bestehen jedoch deutliche Unterschiede zwischen großen und kleinen Schulen (s.u.). In den Pausen ist die gemeinsame Sprache der SchülerInnen in der Regel Deutsch, ohne dass zum Dänischen gewechselt wird.

In zahlreichen kleinen Schulen wird in der Theorie und mehr noch in der Praxis Wert darauf gelegt, dass die Kinder frühzeitig ein Sprachbewusstsein dafür entwickeln, welche Funktionen Dänisch und Deutsch in der Minderheit und in der deutschen Gesellschaft übernehmen. Dabei wird hervorgehoben, dass beide Sprachen gleichwertig sind, jedoch jeweils ihren Platz bzw. ihre Funktion haben. Die SchülerInnen sprechen in den Pausen untereinander ausschließlich Deutsch, doch in Gruppenarbeiten, die per se als „dänischsprachig“ definiert sind, sprechen sie in der Regel Dänisch, ohne zu wechseln. Die Klassen sind klein, die SchülerInnen sprechen immer Dänisch mit den Lehrkräften, und während des gesamten Schultages besteht ein enger dänischsprachiger Kontakt zwischen den Lehrkräften und den SchülerInnen, so dass die dänischsprachige Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppen sowohl die professionelle Unterrichtsprache als auch eine stärker emotionale Alltagssprache umfasst. Darüber hinaus interagieren die SchülerInnen häufig mit den Schulbusfahrern und dem Reinigungspersonal, und diese Kommunikation findet ebenfalls auf Dänisch statt. Hinzu kommt, dass die Eltern Interesse am Dänischerwerb ihrer Kinder haben. Sie nehmen aktiv am Schulleben teil und sprechen selbst so viel Dänisch, wie es ihnen möglich ist.

In großen Schulen ist die Verwendung von Dänisch in erster Linie auf den professionellen Kontakt zwischen den SchülerInnen und den Lehrkräften, den dänischsprechenden Erwachsenen, während der Unterrrichtsstunden beschränkt, während Deutsch, als Familiensprache der SchülerInnen, im Laufe des Schultages einen größeren Anteil hat. Der Kontakt zwischen Schule und Zuhause gestaltet sich selten so eng wie bei den kleinen Schulen, und das Bewusstsein für die funktionale Verteilung der Sprachen ist daher nicht immer so hoch. Das kann eine Rolle dabei spielen, dass Code-Switching und Sprachwechsel in den großen Schulen mit einer hohen Schülerzahl pro Klasse in der schülerzentrierten Gruppenarbeit deutlich häufiger auftritt als in den kleinen Schulen (vgl. Kühl 2008, Pedersen 2000).

Konversationelles Code-Switching in der gesprochenen Sprache

Unter den erwachsenen Zweisprachigen, die von Dänisch zu Deutsch wechseln, umfasst der deutsche Teil häufig Zitate und Zitatwörter, die mit dem Leben in der deutschen Gesellschaft in Zusammenhang stehen, zum Beispiel mit der Krankenversicherung oder dem Steuerwesen. Ist dagegen Deutsch die Ausgangssprache, können dänische Zitate und Zitatwörter zum Beispiel mit Bezug auf die dänische Schule auftreten. Auch Interjektionen aus dem Deutschen sind häufig, obwohl die Entscheidung schwierig sein kann, ob es sich tatsächlich um Code-Switching oder um eine sprachliche Variation handelt, zum Beispiel im Fall der Interjektion ja. Bestätigungsfragen (tag questions), zum Beispiel ne? (dän. ikke også?), sind ebenfalls oft mit einem Sprachwechsel von Dänisch zu Deutsch verbunden, ebenso wie Adverbien, zum Beispiel so, das als Diskursmarker fungiert, oder gut in einer abschließend-zusammenfassenden Funktion.

Code-Switching im mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch von Schülerinnen und Schülern an dänischen Schulen in Südschleswig wird u.a. in den Untersuchungen von Pedersen (2000) und Kühl (2008) analysiert. Kühl (2008) betrachtet sowohl Code-Switching als auch Lehnbildungen und Konvergenzen, d.h. eine Annäherung zwischen den Sprachen, als Sprachkontaktphänomene. Die Ergebnisse einer quantitativen Analyse zeigen, dass „das Deutsche die Ursache von wesentlich mehr Sprachkontaktphänomenen im Dänischen ist als umgekehrt“ (Kühl 2008: 208). Sie kommt zu der Schlussfolgerung, dass

nicht alle Kodewechsel und jedes Sprachkontaktphänomen Kontextualisierungshinweise darstellen und Teil einer pragmatischen Intention sind. Viele Kodewechsel und Sprachkontaktphänomene entstehen vor dem Hintergrund der individuell divergierenden sprachlichen Kompetenz sowie des divergierenden sprachlichen Repertoires des Informanten. (Kühl 2008: 217)

Pedersen (2000) kommt zu dem Schluss, dass das Code-Switching von Dänisch zu Deutsch in Gruppengesprächen teils bewusst eingesetzt wird, um die Meinungen oder Handlungen anderer zu ändern bzw. zu beeinflussen oder um mit der Sprache zu spielen; teils kann Code-Switching aber auch dafür verwendet werden, semantische Lücken in einer der Sprachen zu füllen. Die Zweisprachigkeit wird in beiden Fällen als Ressource genutzt; und nur Defizittheorien, welche die Einsprachigkeit als Norm setzen, werden solche Strategien als negatives Code-Switching interpretieren.

Ein Beispiel aus Pedersen (2000/I: 278) sind Aufnahmen aus einer Gruppenarbeit, in der die SchülerInnen die Aufgabe hatten, gemeinsam aus Legosteinen eine Figur zu bauen.1 Die (durch den Kontext der dänischen Schule) vorgegebene Interaktionssprache ist Dänisch. Gruppenmitglied I ist mit Dänisch und Deutsch als doppelten Erstsprachen aufgewachsen, und Gruppenmitglied M spricht Deutsch als Erstsprache und Dänisch als Minderheitszweitsprache.

 (1) M: du må ikke tale tysk.‚du darfst nicht deutsch sprechen.‘I: gør jeg heller ikke. ich doch nicht.‚mache ich auch nicht. […].‘M: så må vi bare tage nogle gule og røde og blå sten eller sådan noget. hilft mir denn mal jemand?‚Dann müssen wir bloß ein paar gelbe und rote und blaue Steine oder so nehmen. […]?‘I: altså den hest den skal være ungefähr så bred her.‚also das Pferd das muss ungefähr so breit sein.‘

I setzt Code-Switching ein, um die vorherige Aussage zu unterstreichen, und M hebt durch den Sprachwechsel einen Unterstützungsbedarf und einen Wechsel der Diskursebene hervor. Das Code-Switching auf Satzebene hat dementsprechend hier eine emphatische Funktion oder fungiert als Machtmittel. Dieser Typus des Code-Switching wird von den Schülerinnen und Schülern häufig verwendet. Sie wechseln entweder in eine Sprache, die im Kontrast zur Sprachwahl des Gegenübers in der vorhergehenden Äußerung steht, oder sie wiederholen eine Aufforderung mithilfe von Code-Switching, also in der jeweils anderen Sprache, und verstärken sie dadurch. Die Verwendung von ungefähr durch I deutet kaum auf eine semantische Lücke hin, sondern soll eher eine Hervorhebung signalisieren.

Wenn Schülerinnen und Schüler zwischen den Sprachen hin- und herwechseln, ohne dass damit eine bestimmte Absicht verbunden ist, kann das Ausdruck von einer spielerischen Sprachverwendung sein, oder es kann genutzt werden, um die Minderheitsidentität zum Ausdruck zu bringen: „Ich kann beide Sprachen, sowohl die der Minderheit als auch die der Mehrheit, und außerdem auch die internationale Sprache Englisch.“ Diese Form des Sprachgebrauchs kann als globalisierte Jugendsprache bezeichnet werden; Hinweise darauf finden sich auch bei vielen Jugendlichen der deutschen Mehrheit in Südschleswig, die Deutsch und Englisch verwenden.

Im folgenden Beispiel sprachen die SchülerInnen2 unmittelbar vorher dänisch. Deshalb ist hier Deutsch markiert, da es die Sprache ist, in die gewechselt wird.

 (2) M: lass mal julesange singen. lad os synge julesange. lass mal Weihnachtslieder singen. Lass(t)3 uns Weihnachtslieder singen.‘I: er der wird interviewt.

 ALLE [singen]: regn og slud i sne og frost. ‚Regen und Graupel in Schnee und Frost.‘B: hier euer Hund.I: ja das ist gut. das ist gut. det er godt. det er godt B. det er meget godt.‚[…]. das ist gut. das ist gut B. das ist sehr gut.‘M: sving dig med omkring.‚dreh dich mit rum.‘I: sving dig. the dog is4 genauso big wie the baby‚dreh dich. der Hund ist genauso groß wie das Baby.‘

Das Code-Switching der zweisprachigen Sprecherinnen und Sprecher ist nicht als Ausdruck dessen zu sehen, dass Deutsch und Dänisch nicht unvermischt gesprochen werden können. Wenn die Schülerinnen und Schüler mit fremden, einsprachig dänischen InterviewpartnerInnen interagieren, wechseln sie die Sprache so gut wie gar nicht. Auch beim Erzählen von Bildergeschichten auf Dänisch, die Bestandteil des Dänischunterrichts sind, ist Code-Switching nur vereinzelt zu beobachten und betrifft vorzugsweise Einzelwörter.

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