Читать книгу Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland - Группа авторов - Страница 34

4.3.2 Schriftsprache

Оглавление

Dort, wo schriftliche Code-Wechsel zum Ausdruck bringen, dass beide Sprachen ihre jeweilige Funktion im Sprachgebrauchsmuster innehaben, sind sie analog zum situationellen Code-Switching zu sehen. Wo sie an eine Norm anknüpfen, die das Code-Switching bereits integriert und wo von einer (mehr oder weniger) übereinstimmenden Kompetenz zwischen Sender und primärem Empfänger auszugehen ist, besteht eine Parallele zum konversationellen Code-Switching.

Situationelles Code-Switching

Texte der Minderheiten-Partei SSW enthalten gelegentlich Beispiele für situationelles Code-Switching (Pedersen 2000/II: 205f.). Je nach Art der Mitteilung wird in diesen Fällen zwischen Dänisch und Deutsch gewechselt. Für zentrale Aussagen wird i.d.R. Deutsch gewählt, während der übrige Text auf Dänisch geschrieben ist. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die wichtigsten Inhalte allen zugänglich sind, sowohl den potentiellen monolingual deutschen Wählern und der deutschsprachigen Presse als auch den bilingualen Wählern. In Leserbriefen der Flensborg Avis findet man ebenfalls Sprachwechsel, die diesem Muster folgen. Als strukturbedingt und damit in gewisser Weise situationell lassen sich auch die Sprachwechsel interpretieren, die auf Internetseiten mit dänischem Text und deutschen Metadaten auftreten (vgl. Kap. 6 unten).

Konversationelles Code-Switching

Eine Parallele zum konversationellen Code-Switching sieht man in den Briefen der jugendlichen Zweisprachigen, wo sich Dänisch und Deutsch zeilenweise abwechseln. Auch in den sog. Gelegenheitsliedern (lejlighedssange, Lieder oder Gedichte, die für einen konkreten persönlichen Anlass geschrieben werden) findet man sowohl in privater Umgebung als auch in Vereinen ein entsprechendes Code-Switching.

An der Duborg Skolen geben die Abiturienten ein Blå Bog (‚Blaues Buch‘) heraus, in dem sie sich selbst und ihre Lehrer charakterisieren. Dieses Buch ist ein Beispiel für freie und spontane schriftliche Ausdrucksweise von Jugendlichen und für Jugendliche an einem dänischen Minderheitengymnasium, bei dem es sich offiziell um eine monolinguale (dänische) Bildungseinrichtung handelt, an der jedoch sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler bilingual (Dänisch-Deutsch) sind. Die monolinguale Norm der Schule spiegelt sich im Sprachgebrauch der Lehrkräfte wider, in dem so gut wie kein Code-Switching zu beobachten ist. Die Texte der Schülerinnen und Schüler weisen jedoch häufiges Code-Switching auf, zum Beispiel in der Ausgabe von 1995. Das Code-Switching hat in diesen Abschiedstexten an die Schule und füreinander mindestens drei verschiedene Funktionen. Es soll zum einen zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler zweisprachig sind, wobei Deutsch die dominierende gemeinsame Sprache ist; weiterhin reflektiert es, dass sie nicht länger Rücksicht darauf nehmen, dass die Schule nur eine einsprachig dänische und eine einsprachig deutsche Schriftsprachnorm verfolgt. Die Schülerinnen und Schüler orientieren sich an einer mehrsprachigen Norm, und ganz gewiss wollen sie auch demonstrieren, dass Code-Switching ihnen Spaß macht und zu einer bunteren Form von Kommunikation beiträgt. Es wird als ein positives Sprachkontaktphänomen wahrgenommen.

Die Sprachgebrauchsmuster im Blå Bog lassen sich daher als ein Losreißen von den Normen interpretieren, als eine Abrechnung mit der monolingualen Norm und als Ausdruck der Solidarität innerhalb der Gruppe. Damit können die Jugendlichen eine kollektive Identität zum Ausdruck bringen, die eine regionale wie globale Mehrsprachigkeit beinhaltet (Deutsch, Dänisch, Englisch) und eine von Humor geprägte Einstellung zum Leben widerspiegelt.

Dementsprechend ist hier von einem „We-Code“ und einem „They-Code“ auszugehen (Gumperz 1982). Doch die Trennlinie liegt nicht, wie bei Gumperz, darin, dass der Minderheiten-Code, Dänisch, mit Solidarität verknüpft ist und daher automatisch den „We-Code“ ausmacht, der dem Mehrheits-Code (oder „They-Code“) Deutsch gegenübersteht. Bei den Abiturienten ist davon auszugehen, dass der bilinguale Code mit Code-Switching den „We-Code“ ausmacht. Demgegenüber steht als „They-Code” die monolinguale Norm sowohl der Minderheitsschule und des zugehörigen Landes Dänemark als auch die monolinguale Norm der Umgebungsgesellschaft, Deutsch.

Beispiele für Code-Switching aus dem Blå Bog aus dem Jahr 1995 (im Original keine typographische Unterscheidung):1

1 Intersententiales Code-SwitchingFester har der også tidligere været – vi husker tydeligt en fest hos A.M. i 10. klasse. Mensch P., es gibt doch elegantere Weisen, wie man seine Kleidung versauen kann. (S. 86)‚Feste hat es auch früher gegeben – wir erinnern uns deutlich an ein Fest bei A.M. in der 10. Klasse. […].‘

2 Intrasententiales Code-Switching (umfasst mehrere Wörter innerhalb eines Satzes)Bei Wind und Wetter står hun nede på Holm og sælger is – Janny’s Eisschnitte! (S. 60)‚Bei Wind und Wetter steht sie unten am Holm und verkauft Eis […]!‘

3 Code-Switching eines EinzelwortesMen for Literaturgeschichte gælder det samme. (S. 51)‚Aber für Literaturgeschichte gilt dasselbe.‘

Den Abschluss sollen drei Beispiele bilden, in denen Code-Switches aller drei genannten Arten auftreten und in denen alle drei Sprachen – Dänisch, Deutsch, Englisch – Verwendung finden. Die Jugendsprache spiegelt so eine globale und kreative Vielfältigkeit wider. In Bezug auf die Syntax der beteiligten Sprachen liegt hier eine Parallelität der jeweiligen grammatischen Systeme vor. Man kann den Zusammenhang andererseits auch als Ausdruck einer gegenseitigen Übereinstimmung der Grammatiken beschreiben. Aus dieser Perspektive existieren keine grammatischen Barrieren für das Ineinanderübergehen von einer Sprache in die andere oder in die dritte (und umgekehrt) innerhalb eines Satzes. Neben der grammatischen Seite des Code-Switching gibt es dabei auch die psychologische Seite, die mit der Kompetenz in Zusammenhang steht. Sowohl Sender als auch Empfänger muss über eine linguistische und kommunikative Kompetenz in beiden bzw. allen drei Sprachen verfügen. Die Botschaft hat keine Bedeutung und kann nicht verstanden werden, wenn man diese linguistische Kompetenz nicht miteinander teilt, produktiv oder rezeptiv. Das Code-Switching setzt auch eine soziale und kulturelle Kompetenz voraus, die weiter greift als nur in Bezug auf das Gesellschaftssystem. Zusammengenommen kann man von einer semantisch-referentiellen Kompetenz in den beteiligten Sprachen sprechen (im Original keine typographische Unterscheidung).2

 (3) Vi (du brauchst keine Feinde, du hast ja uns) ønsker dig et „muntert“ år som Bunde (Schlammrobben) og derefter good luck mht. uddannelse til Realschullehrer ved Uni-Flensburg – Mach die Sutties fertig, sie haben es verdient. (S. 52)‚Wir […] wünschen dir ein munteres Jahr als Bundi3 […] und danach viel Glück hinsichtlich der Ausbildung zum Realschullehrer an der Uni Flensburg […].‘

 (4) Dette gælder på flere områder, denn „wenn jemand mit Alkohol umgehen kann, dann B.“ tror vi, remember Wallsbüll '93, denn wer hoch fliegt, kann tief stürzen, sogar bis ins Krankenhaus, aber was soll’s, inden vi kunne nå at besøge hende, mødte vi hende på festivals-pladsen igen. (S. 58)‚Das betrifft mehrere Bereiche, […] glauben wir, erinnere dich an Wallsbüll ’93 […] bevor wir es schafften, sie zu besuchen, trafen wir sie schon wieder auf dem Festival-Platz.‘

 (5) Også i 12. årg. lå han på knæ for en af årgangens skønheder „I would do anything for love….!“. Aber leider wieder abgeblitzt! Da S. har fransk på linje (was kann er denn dafür) bliver han ofte klandret af en speciel lærer for ikke at være en rigtig mand. (S. 77)‚Auch im 12. Jahrgang lag er auf den Knien für eine der Jahrgangsschönheiten „Ich würde alles für die Liebe tun …!“ […] Weil S. Französisch hat […], wird er oft von einer speziellen Lehrkraft kritisiert, kein richtiger Mann zu sein.‘

Globalisiertes Cross-Switching

Wenn das konversationelle Code-Switching Dänisch, Deutsch und Englisch zugleich umfasst, kann es als globalisiertes Cross-Switching bezeichnet werden. Es geht über Nationalsprachgrenzen hinweg und fügt dem Code-Switching-Repertoire Englisch als internationale Sprache, als Lingua franca, hinzu. Dieser Typ des Code-Switchings ist unter Kindern und Jugendlichen sowohl in der mündlichen als auch der schriftlichen Kommunikation weit verbreitet, kommt jedoch bei Erwachsenen, insbesondere in der Schriftsprache, bisher nur selten vor.

Sofern die Kinder und Jugendlichen diesen Sprachgebrauch des globalisierten Cross-Switchings weiterentwickeln und bis ins Erwachsenenalter hinein fortsetzen, bedeutet das, dass sich unter ihrem Einfluss in der Minderheit wahrscheinlich neue Sprachgebrauchsnormen entwickeln werden. So, wie Südschleswigdänisch mit der Zeit akzeptiert wurde und im mündlichen Gebrauch ein Identitätsfaktor geworden ist, kann auch das globalisierte Cross-Switching diese Entwicklung durchlaufen. Das wird jedoch nicht allein die Minderheit betreffen, denn die Sprachentwicklung in den europäischen Nationalstaaten deutet darauf hin, dass nicht nur diejenigen Bevölkerungsgruppen, die sich als Minderheit definieren, sondern auch der mehrheitliche Bevölkerungsteil im Prozess ist, zwei- oder mehrsprachig zu werden. Das kann zu einer Zweisprachigkeitsnorm führen, die das Code-Switching als integralen Teil des Sprachgebrauchs einschließt (Pedersen 2000/I: 290).

Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

Подняться наверх